Liebe Gläubige,
die heutige Lesung führt uns mit dem Propheten Daniel nach Babylon.
Dorthin hatte der babylonische König Nebukadnezar II. nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems im Jahre 597 v. Chr. die Bevölkerung Judeas verschleppt. Aufgrund ihres Unglaubens und ihrer Verstocktheit wurden die beiden verbliebenen Stämme Israels im Südreich, nämlich Juda und Benjamin, von Gott der Macht ihrer Feinde preisgegeben. 70 Jahre lang sollte dieses Exil fern der Heimat in heidnischen Landen andauern.
Daniel fand dort das Vertrauen des Königs. Eines Tages wurde er von Bewohnern Babylons beim König verklagt, denn Daniel hatte eine Statue des Götzen Marduk zerstört, des babylonischen Stadtgottes, der im Zuge der Ausbreitung des babylonischen Reiches zum Haupt des babylonischen Pantheons avanciert war. Im mesopotamischen Raum, wie auch in der Heiligen Schrift, wurde dieser Gott auch Bel, also Herr, genannt. Daniel hatte es jedoch nicht bei der Zerstörung des Bel belassen. Er tötete auch dessen Attribut, den Mardukdrachen, ein giftspritzendes Mischtier aus Schlange und Drachen, das in der Mythologie der Babylonier der Begleiter Marduks ist, des Herrn aller Götter, des Schöpfers von Himmel und Erde und auch der Menschen.
In der Heiligen Schrift begegnen uns vielfach eindringliche Warnungen vor den heidnischen Göttern, die besonders im 5. Buch des Mose (Dtn. 32,17) und in den Psalmen als Dämonen benannt werden. So heißt es etwa im Psalm 95,5 „Dii enim gentium daemonia sunt.“ „Die Götter der Heiden sind nämlich Dämonen.“ Psalm 113 lobsingt der Transzendenz und Allmacht des einen und wahren Gottes und rühmt seine zahllosen Großtaten. Im Kontrast hierzu verspottet der Psalmist die Götzenbilder der Heiden, die aus Silber oder Gold gefertigt sind, als das leblose Werk menschlicher Hände. An diese Psalmverse wird der Prophet Daniel wohl gedacht und sie in seinem Herzen auch gebetet haben, als er daran ging, die Statue des grausamen Marduk umzustürzen und zu zerstören, dem zur Besänftigung seines Zornes in einem Feuerofen Menschenopfer dargebracht wurden.
Nur nach heftigsten Morddrohungen hatte der König dem Sinnen der Götzendiener schließlich nachgegeben, und Daniel wurde von diesen in eine Löwengrube geworfen.
Gott gedachte jedoch seines treuen Dieners Daniel, bewahrte ihn vor den ausgehungerten Löwen und sandte sogar einen Engel mit dem Propheten Habakuk aus Judea, der Daniel ein Mahl brachte, sodass er bei Kräften bliebe. Der Prophet Daniel erhob nun seine Stimme zum Lobpreis Gottes und sprach: „Du hast meiner gedacht, o Gott, und die nicht verlassen, die Dich lieben!“ Daniel ist in dieser äußersten Gefahr des Todes ein Typus für Christus, der von seinen Feinden wie von blutrünstigen Löwen umringt war und den der himmlische Vater im Leidensgarten Getsemani durch einen Engel stärkte.
Als der König am siebten Tag zur Löwengrube kam, um über Daniel zu trauern, da war er vor lauter Freude ganz außer sich, Daniel heil wiederzufinden. Voller Staunen über Gottes Allmacht und Treue rief er aus: „Groß bist Du, Herr, Gott Daniels!“ Danach bekannte der König laut vor allen: “Alle Bewohner der ganzen Erde sollen den Gott Daniels fürchten, denn er ist der Retter, der Zeichen und Wunder wirkt auf Erden. Er hat Daniel aus der Löwengrube befreit.“
Daniel ist ein Typus für Christus, er weist durch sein Prophetenamt und Leben auf den Heiland hin, der im heutigen Evangelium nach Johannes (Joh. 7,1-13) gegenüber seiner ungläubigen Verwandtschaft ausruft: „Euch kann die Welt nicht hassen, mich aber hasst sie, weil ich bezeuge, daß ihre Werke böse sind.“
Trifft nicht auch uns Christen, die wir in der Nachfolge Jesu Christi stehen, immer mehr der Hass der Welt; einer Welt, die uns nicht versteht, aber meist auch gar nicht verstehen will?
Werden nicht auch wir von blutrünstigen Löwen umkreist, wie der heilige Apostelfürst Petrus in seinem ersten Brief geschrieben hat (1 Petr 5,8-9): Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens! Wisset, dass eure Brüder in der ganzen Welt die gleichen Leiden zu ertragen haben!
Auch die Ungeordnetheit unserer Leidenschaften, die nach der Ursünde unserer Stammeltern machtvoll gegen die Vernunft nach Erfüllung streben, ist wie ein unermüdlicher Feind im eigenen Haus, dessen wir uns während unserer gesamten Lebenszeit fast unablässig zu erwehren haben.
Der Blick auf die Schwierigkeiten und Probleme dieses irdischen Lebens darf nicht den Blick der Seele auf den drei Mal heiligen und treuen Gott verstellen, in dessen gütiger und mächtiger Hand wir ruhen: Mit dem Propheten Daniel wollen wir besonders im Dunkel schwerer Kreuze unsere lebendige Hoffnung bekennen:
„Du hast meiner gedacht, o Gott, und die nicht verlassen, die Dich lieben!“
Diese Treue und Nähe Gottes zu uns Menschen zeigt sich in unüberbietbarer Fülle in Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der zu unserem Heil Mensch geworden ist.
Im Glanze seiner Wahrheit wollen wir ihm nachfolgen. Christus ist das Licht der Welt. In seinem Lichte können wir Gut und Böse, wahr und falsch durch die Lehre der Kirche klar erkennen.
An Christus wollen wir uns halten, auch wenn wir dafür von der Welt gehasst werden. Mit der Opfergesinnung Christi vereint, wollen wir den Willen des himmlischen Vaters in allem erfüllen. Auch die schwierigsten Zeiten und Nöte können wir meistern, denn Gott wird uns niemals verlassen! Er bleibt stets bei uns als unsere Stärke und unser Trost. Gott ist bei uns, weil er uns liebt! Er steht uns in unverbrüchlicher Treue bei, damit wir in den Stürmen der Zeit gereinigt werden, in der Tugend uns bewähren und in der Liebe wachsen. Vertrauensvoll dürfen wir allzeit zu ihm in Hoffnung blicken und beten:
„Du hast meiner gedacht, o Gott, und die nicht verlassen, die Dich lieben!“
Kanonikus Richard von Menshengen