Predigt beim Requiem für Frau Francis Heidenreich, Mutter von Kanonikus Peter Heidenreich, Prior von Engelport, am 23. Januar 2024 von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Für eine Mutter bleibt jeder immer ein Kind. Deswegen ist der Tod einer geliebten und guten Mutter auch der Moment, wo wir alle den endgültigen Schritt in das Erwachsensein tun. Die Mutter ist immer an unserer Seite gewesen. Die Mutter hat uns von dem, was wir sind und was wir haben, fast alles gegeben. Deswegen ist eine gute und liebende Mutter, so wie die Ihre, lieber Kanonikus, mit der Kirche zu vergleichen.

Die Mutter gibt uns am Anfang des Lebens das physische Leben. Sie gibt uns, indem sie uns neun Monate unter ihrem Herzen trägt, ihr eigenes Blut und ihr eigenes Fleisch. Wir wachsen in ihr und mit ihr, und schließlich gebiert sie uns in diese Welt hinein. Ohne die Mutter, die sich dem Vater öffnet und die ihr ganzes Leben mit uns teilt, wären wir nichts.

So ist es auch mit der Kirche. Sie gebiert uns zum Leben mit Gott; sie nimmt uns auf in ihren heiligen Leib; sie lässt uns durch die Gnade in ihm wachsen und sie schenkt uns gleichsam ihr eigenes Leben, das sie von Christus empfangen hat, damit wir vor Gott und in der Ewigkeit Menschen bleiben, die in der Gnade leben und durch die Gnade gerettet werden. So wie wir unser physisches Leben von der guten Mutter erhalten, so gibt uns die Kirche alles, was wir benötigen, um mit und in Gott zu leben.

Doch nicht nur das. Eine gute Mutter kümmert sich ebenso immer um unser Wohl. Sie gibt uns von Anfang an alles, was wir zum täglichen Leben brauchen. Die eigene Milch, später die weitere Nahrung, die Bekleidung, sie kennt alles genau, was wir brauchen, und selbst wenn wir erwachsen sind, ist es die Mutter, die sich am allermeisten um unser Wohlergehen und um unser leibliches Wohl sorgt und aus dieser Sorge handelt.

Genauso wiederum die Kirche: Sie gibt uns in den sieben Sakramenten eine Nahrung, die uns ein ganzes Leben lang auf verschiedene Weise nährt und begleitet von der Wiege bis zur Bahre. Sie kümmert sich um unser geistiges Wohl, das, wenn wir es pflegen, auch unserem leiblichen Wohl hilft. Die Kirche ist bei uns und kümmert sich wie niemand anderes um uns, so sehr, dass sie die Einzige ist, die uns, anders als die leibliche Mutter, selbst über unseren Tod hinaus noch begleiten und beschützen kann.

Eine gute Mutter aber gibt uns nicht Nahrung, die Mutter lehrt uns auch: Sie lehrt uns die ersten Gebete; sie lehrt uns die vielen wichtigen Kleinigkeiten des Lebens; sie lehrt uns, wenn wir langsam anfangen zu lesen und zu schreiben; sie gibt uns viel persönliche Weisheit und Erfahrung weiter; sie lehrt uns das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, die Lüge zu meiden und das Böse zu hassen. Die Mutter ist unsere erste Lehrerin.

So wie die Mutter, so lehrt uns auch die Kirche. Sie ist mater et magistra, Mutter und Lehrerin: durch die Offenbarung, die sie von Christus erhalten hat; durch die Gebote, die sie uns zu unserem Heil weitergibt; durch all die Lehren, die sie im Lehramt und im Katechismus bewahrend überliefert, damit wir nicht in die Irre gehen, damit wir das Wahre vom Falschen zu unterscheiden wissen, und damit wir, ihrer Lehre folgend, den Weg finden zu ihrem Sohn Jesus Christus, der uns liebt und rettet.

Die leibliche Mutter lehrt uns auch Disziplin. Sie lebt uns vor und lehrt uns vieles, was wir ein ganzes Leben lang tun, vieles, das die Ordnung in unserem Leben aufrechterhält, auch dann, wenn es schwierig ist. Vieles, was wir an guten, schönen und heiligen Gewohnheiten kennen, haben wir von unserer Mutter gelernt. Sie hat uns gelehrt, wie wir richtig essen sollen; sie hat uns gelehrt, wie wir uns anderen gegenüber respektvoll verhalten sollen; sie hat uns gelehrt, was sie aus ihrem eigenen Lebensschatz erfahren hat, damit wir auch in der Welt zurechtkommen und gute und gerechte Menschen werden. Vor allem aber lehrt sie uns beten!

Auch in diesem Fall ist die gute Mutter mit der Kirche zu vergleichen, denn die Kirche lehrt uns die Disziplin und Ordnung Gottes. Auch sie lehrt uns beten! Sie begleitet uns auf unserem Lebensweg, und immer dann, wenn wir zu straucheln drohen, ist ihre mütterliche Hand dabei, uns wieder in die Ordnung Gottes einzufügen und uns zu zeigen, wie Gott unser Leben lenken will. Sie zeigt uns, dass Gott uns Sein Vertrauen nach einem bereuten Fall wieder schenken will, damit wir Seiner weisen Lenkung folgen und treue Kinder der Kirche bleiben. Die Kirche kennt keine harte Disziplin, so wie die Strafen einer guten Mutter niemals hart sind. Wie die leibliche Mutter besitzt die Kirche eine heilsame Disziplin, die den Sünder wohl manchmal schmerzt, die uns aber dahinführt, zu tun und anzunehmen, was gut für uns ist und was Christus zu unserem Heile für uns will.

Heute ist es besonders tröstlich, daran zu denken, dass die gute Mutter mit der Kirche ein weiteres Wichtiges gemeinsam hat, nämlich das Gebet für ihre Kinder. Die gute Mutter betet ein ganzes Leben für uns. Sie lässt uns im Gebet nie allein; sie denkt an ihre Kinder; sie denkt an sie in Schwierigkeiten; sie denkt an sie immer dann, wenn sie des Gebetes bedürfen und es gibt wohl keine christliche Mutter, die einschläft, ohne nochmals für alle ihre Kinder gebetet zu haben.

So macht es auch die Kirche. Sie betet für uns ohne Unterlass, sie betet für alle ihre Kinder auf dem ganzen Erdkreis, vor allen Dingen für diejenigen, die es besonders schwer haben. Die Kirche opfert für sie ohne Unterlass!  Sie opfert für sie das eine, heilige Dank- und Sühneopfer, ohne das wir gar nicht mit Gott leben könnten und ohne das wir nicht gerettet werden könnten. Die Gebete der Kirche – wie die Gebete einer guten Mutter – hören niemals auf und sie begleiten uns in die Ewigkeit. So wie eine Mutter für ihre lebenden und verstorbenen Kinder beten wird, ob sie nun selbst noch auf Erden oder schon in der Ewigkeit ist, so betet auch die Kirche allezeit weiter für diejenigen, die aus diesem irdischen Leben geschieden sind, damit sie baldmöglichst die Herrlichkeit sehen können, auf die sie sie ein ganzes Leben durch ihre Mutterliebe vorbereitet hat.

So ist es an diesem Abend, wo wir Ihrer verstorbenen Mutter Francis gedenken, lieber Herr Kanonikus, besonders tröstlich für Sie selbst, aber auch für ihre Mutter, die ihnen in die Ewigkeit vorausgegangen ist, dass Sie sich entschieden haben, der Berufung Gottes zu folgen und ein Sohn der Kirche zu werden. Ihre leibliche Mutter wird Sie auch jetzt nicht verlassen und weiter für Sie beten, weil sie weiterhin die Mutter ist, die Sie liebt und Ihnen nahesteht, obwohl Sie Ihnen nun nicht mehr auf Erden nahe sein kann. Ihre Mutter und Sie selbst aber werden dadurch getröstet, dass Sie nun hier auf Erden eine noch größere, eine noch gnadenvollere, eine noch mehr mit Christus verbundene Mutter bekommen haben, nämlich die heilige Kirche, deren treuer Sohn Sie sind. Die Mutter Kirche aber wird Sie, wenn Sie wie Ihre leibliche Mutter ein ganzes Leben lang Ihre Pflicht tun und die Liebe Christi leben, dahin bringen, wo Christus, der ewige Hohepriester, Sie immer schon erwartet. Dort werden Sie beide Mütter wiederfinden, Ihre liebe, gute Mutter Francis und das himmlische Jerusalem, das die ewige Kirche ist. Amen.

Predigt am Fest der Beschneidung des Herrn, dem 1. Januar 2024, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Gibt es noch Hoffnung? Die Geschichte der Menschheit ist voll von Krieg, von Hass, von Streit, von Mord und Ungerechtigkeit. Unsere Zeit bildet davon keine Ausnahme. Auch das Jahr des Herrn 2024 beginnt mit Krieg und der Drohung, dass selbst der Weltfrieden in Gefahr geraten könnte. Das Verhalten der Menschen gibt seit dem Sündenfall wenig Grund zur Hoffnung.

Trotzdem können wir am Beginn dieses Jahres mit Hoffnung in die Zukunft blicken! Diese Hoffnung ist keine bloß menschliche Hoffnung; sie ist kein schaler Zwangs-Optimismus; sie ist nicht auch nicht der rheinische Fatalismus des „et es noch immer jut jegangen.“ Sondern sie ist eine Hoffnung, die auf Dem ruht, der heute in Seiner Beschneidung den Namen Jesus erhalten hat. Jesus bedeutet: Jahwe ist der Erlöser, Jahwe ist der Herr. Dieser Name, der schon vom Engel Gabriel der Jungfrau in Nazareth prophezeit worden war, sagt uns, dass der Erlöser gekommen ist, um Sein Volk, das heißt uns alle, von den Sünden zu erlösen.

Zunächst einmal bezeichnet der Name Jesu, Jahwe ist der Erlöser, die Tatsache, dass der präexistente Gott, dass die zweite Person der Heiligen Dreifaltigkeit in diese Welt eingetreten ist; dass Er kein ferner Gott ist, sondern der Gott Immanuel, der Gott mit uns, der jedem zur Seite steht, der dadurch, dass Er unsere menschliche Natur angenommen hat, so geworden ist wie wir, aber trotzdem nichts von Seiner göttlichen Größe, nichts von Seiner Allmacht, nichts von Seiner Weisheit, nichts von dem, was uns erlösen kann, verloren hat, sondern das alles mitgebracht hat in diese Welt, um mit der Kraft, die Ihm als Gott zukommt, uns von neuem das Heil zu erwirken. Diese Gegenwart Gottes ist der Grund unserer Hoffnung!

Jahwe ist Herr. Das bedeutet auch, dass das Kind, das im Tempel nach der Gewohnheit der Juden beschnitten worden ist, der Gesandte Gottes ist. Der Herr, den der Vater in die Welt gesandt hat, um uns die frohe Botschaft zu verkünden, um im Namen Gottes Gesetze und Gebote zu erlassen, nicht, um uns das Leben schwer zu machen, sondern um uns zum Heil zu bringen, das Er der Welt verkündet. Er ist der Gesandte Gottes, der die Heilswahrheit verkündet, der aber auch die Werkzeuge des Heils stiftet, der dazu die Kirche gründet, und ihr die sieben Sakramente hinterlässt: Heilszeichen, die die göttliche Macht in aller Not und in aller Schwierigkeit des menschlichen Lebens unter uns sichtbar und wirksam machen, damit wir in jedem Moment das Heil erhalten können, wenn wir diese Heilszeichen mit der Kirche feiern und uns ihrer Gnaden versichern. So ist der Herr der Legat des Vaters, hinein gesandt in diese Welt, um Institution und Zeichen zu bringen, in denen göttliche Kraft zur Erlösung der Menschen wirkt, als Werkzeug unserer Hoffnung!

Jahwe ist Erlöser. Jesus ist ebenso, wie wir im Geheimnis der Beschneidung im Tempel erkennen können, der Opferpriester der Erlösung. Er ist schon im Mutterschoße Priester, weil Seine Menschheit an der Kraft der Gottheit teilhat und so in ihrem Opfer uns die Erlösung bereitet. Der Schmerz der Beschneidung ist bereits ein priesterliches Werk, weil alles, was Jesus mit uns, an uns und für uns leidet, die Erlösung bewirkt. Sein gottmenschliches Priestertum ist das Fundament dieser Erlösung und die Wirkkraft unserer Hoffnung.

Daher ist auf eine dreifache Weise der Name Jesu für uns eine Hoffnung gegen Tod und Not in dieser Welt, gegen Hass, Lüge, Streit und alles Böse. Denn wir wissen aus dem Glauben der Kirche: Der allmächtige Gott, der Gott Emmanuel, ist wirklich in dieser Welt mit uns gegenwärtig; der allmächtige Gott lässt uns nicht allein, sondern sendet seinen Sohn als Verkünder der Wahrheit und hinterlässt uns in der Kirche und ihren Sakramenten wirksame Heilszeichen unserer Erlösung; der allmächtige Gott opfert sich im gottmenschlichen Hohepriester Jesus Christus für uns, nimmt alle Schmerzen unserer Natur auf Sich, um dadurch in göttlicher Kraft wunderbarer wiederherzustellen, was uns in der Schöpfung vom Vater wunderbar geschenkt worden war.

Deswegen dürfen wir an diesem ersten Tag des Jahres nicht nur mit christlicher Hoffnung in die Zukunft blicken, sondern wir dürfen uns ebenso mit dem priesterlichen Opfer Jesu Christi dankbar vereinen. Es ist ja nicht nur Sühnopfer für unsere Sünden, das die Ehre Gottes auf dieser Welt wiederherstellt, sondern auch Lob- und Dankopfer für das durch die Allmacht Gottes Geschenkte: Ευχαριστειν, eucharistein, die Kirche sagt opfernd Dank!  Danken wir besonders am Anfang des Neuen Jahres dem großen Gott von Herzen mit all den Opfern, die die Kirche auf dem ganzen Erdkreis feiert, denn Jesus, unser Emmanuel, Messias und Heiland, ist in die Welt gekommen, um uns zu erlösen. Er ist unsere Hoffnung! Amen.

Predigt am Sonntag in der Oktav von Weihnachten, dem 31. Dezember 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Signum contradictionis, ein Zeichen, dem widersprochen werden wird: Das sind die Worte des Propheten Simeon über unseren Herrn Jesus Christus (Lk 2, 33- 30). Und tatsächlich ist Christus von Anfang an und in all Seiner Mission während Seiner Lebenszeit und der ganzen Kirchengeschichte immer ein Zeichen des Widerspruches geblieben. Schon damals hat das Volk Israel in den meisten Seiner Vertreter Ihn nicht anerkennen wollen, und noch heute leugnen viele Seiner Volksangehörigen, dass unser Herr der Messias ist, der gekommen ist, um uns zu retten. Die Heiden Seiner Zeit und unserer Zeit nehmen am Herrn Anstoß, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass Er der Erlösergott ist, der über alles herrscht und der alles zum Vater zurückbringen soll.

In der ganzen Kirchengeschichte aber hat es auch im Inneren der Kirche solche gegeben, die an Jesus Christus als Herrn und Erlöser, als Gott und Mensch Anstoß genommen haben; für die er, obwohl sie sich Christen nannten und nennen lassen, ein Zeichen des Widerspruchs war und ist. In den ersten sechs Jahrhunderten haben viele Häresien die Wahrheit der Gottmenschheit Jesu Christi geleugnet. Der Adoptianismus, der Arianismus, der Nestorianismus haben Ihn als bloßen Menschen gesehen und den Glanz und die Herrlichkeit der Gottheit, die in Ihm war, nicht erkennen wollen. Der Monarchismus und der Monophysitismus dagegen haben seine wahre Menschheit verkannt und behauptet, nur die Gottheit lebe in ihm wirklich, und die Menschheit sei nur wie eine äußere Hülle, eine für uns angenommene Verkleidung.

In der Kirchengeschichte haben die Häresien nie aufgehört, Unruhe zu stiften. Die Irrlehrer, die an Jesus Christus und Seiner ganzen Wahrheit Anstoß genommen haben, haben sich sozusagen von Jahrhundert zu Jahrhundert die Hand gereicht: Jene, die Christus Selbst als Gottmensch geleugnet haben, jene aber auch, die Sein Gnadenwerk, die Kirche und die Sakramente abgelehnt haben: etwa die Pelagianer, die die Erbsünde und die Notwendigkeit der Gnade leugneten, die Katharer und die Hussiten, die das Wirken des Heiligen Geistes in der Institution der Kirche verkleinerten,  so wie schließlich diejenigen, die sich als protestierende Reformer verstanden haben, und die mit der Kirche, dem Priestertum und sogar der substantiellen Gegenwart des Herrn in der heiligen Eucharistie nichts mehr anfangen konnten. Diese Reihe dieser Irrlehrer könnte noch beliebig verlängert werden!

Auch in unserer Zeit haben Rationalismus, Modernismus und Progressismus an Christus Anstoß genommen. Sie wollen die Wahrheit der Offenbarung, die Jesus Christus in der Schrift und in der Tradition Seiner Kirche hinterlassen hat, nicht wahrhaben oder verändern, sie stehen der von Christus eingesetzten kirchlichen Ordnung und dem Priestertum kritisch gegenüber; viele ihrer Vertreter lehnen rundweg die Moral der Kirche ab oder wollen sie der Zeit anpassen, entgegen der klaren und eindeutigen Botschaft Christi und Seiner Apostel.

Immer also hat es Menschen gegeben, auch in der Kirche, die an Christus Anstoß genommen haben, die Irrlehren vertreten haben, die wir in der Kirchengeschichte und auch heute als Häretiker bezeichnen können. Was aber haben alle diese Irrlehren gemeinsam? Woran kann man auch heute noch eine Häresie klar erkennen?

Zunächst genau daran, dass Christus und Sein Werk nicht angenommen werden, dass die Gottheit Jesu Christi oder Seine Menschheit nicht anerkannt wird und das Erlösungswerk Christi in der Kirche, in den Sakramenten und in der Moral, die Er uns gegeben hat, damit wir das Heil erlangen, verkleinert oder verändert werden soll. Der Gottmensch Christus und seine Kirche sind für alle Häretiker aller Zeiten ein Zeichen des Anstoßes.

Jede Irrlehre will daher auch immer das Neue, das Originelle, angeblich noch nicht Dagewesene fördern, das nicht aus der apostolischen Tradition und der kirchlichen Überlieferung erklärt werden kann, das also im Widerspruch zu dem steht, was in der  Kirche „ubique, semper et ab omnibus; überall, zu allen Zeiten und von allen“ (Vinzenz von Lerin, Commonitorium) geglaubt worden ist. Wenn eine solche von Menschen erfundene und der bisherigen Lehre der Kirche widersprechende Neuheit behauptet und verkündet wird, dann wissen wir, dass wieder eine Irrlehre ihr hässliches Haupt erhoben hat, um sich in der Kirche zum Verderben der Seelen breitzumachen.

Schließlich haben alle Irrlehrer aller Zeiten sich immer dem Zeitgeist und dem herrschenden Ton der Gesellschaft angepasst. Schon die Namen der jüngsten sehr komplexen und verzweigten Irrlehren des Modernismus und Progressismus bringen das passend zum Ausdruck. Das, was vorgeblich modern und progressiv ist, fördern sie, „was den Ohren schmeichelt“ (2 Tim 4, 3), wie der heilige Paulus sagt, wollen sie verkünden, weil man „die gesunde Lehre nicht erträgt“, damit das Christusgeheimnis keinen Anstoß gibt; damit das Zeichen des Kreuzes niemanden aus seinem Todesschlaf erwecken kann; damit das, was uns das Heil bringt, nicht mehr verkündet wird, sondern was gefällt und Ohrenkitzel bringt. Wer auch immer solche Häresien verkündet, gleich wer er ist, gleich wo er steht, der verkleinert Christus, der wird die ganze Heilsbotschaft nicht mehr unversehrt verkünden und die apostolische Überlieferung nicht weitergeben, und er wird deswegen auch der Welt und nicht Gott dienen wollen.

Trotzdem, so sagt der heilige Paulus, opportet et haereses esse, ist es notwendig, dass Irrlehren auftreten (1 Kor, 11, 19)! Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch hat Gott solche Irrlehren zugelassen, und zwar zur Klärung und zur Erleuchtung der Glaubensgeheimnisse selbst. So hat die Kirche das Auftreten von Irrlehren immer zum Anlass genommen, den Glauben nochmals zu vertiefen und ihn noch deutlicher zu erklären. Unter dem Einfluss des Heiligen Geistes, der Kirche als Ganze vor Irrtum schützt und unfehlbar macht, hat sie dadurch ihre immerwährende und unveränderliche Lehre noch genauer formuliert und die Dogmen in ihrem Zusammenhang besser verstanden. So kann sie durch die Zurückweisung der Irrlehren den Menschen immer besser die Heilswahrheit verkünden, die Christus der Kirche im ihr anvertrauten Schatz des wahren Glaubens, dem depositum fidei, für immer hinterlassen hat und der als einziger zum Heile führt.

Durch die Kraft des Heiligen Geistes wird es wieder zu einer solchen Klärung kommen. Werden wir also nicht verwirrt, wenn wir auch heute, wie zu allen Zeiten, Menschen sehen, gleich welchen Standes, die an Christus, der Kirche und ihrer Lehre Anstoß nehmen! Der Prophet Simeon hat das richtig vorhergesagt! Aber dieser Widerspruch wird Gott dienen, Größeres zu schaffen, eine tiefere Klarheit, eine strahlendere Heiligkeit und einen stärkeren Glauben. Keine Häresie ist so stark, dass sie Christus und Seine Kirche auf Dauer besiegen kann. Die Wahrheit Christi ist immer siegreich! Die Häretiker aller Zeiten mögen Anstoß an ihr nehmen, aber die Gläubigen aller Zeiten bleiben ihr treu; sie folgen der Lehre Christi und der Kirche; sie bekennen den Erlöser, und sie werden trotz aller Stürme der Zeit durch die wahre Lehre, die durch die Kirche von Christus kommt, immer und zu jeder Zeit das Heil erlangen. Amen.

Predigt am 1. Weihnachtstag, dem 25. Dezember 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wenn wir Menschen ein Tauschgeschäft machen, dann haben wir oft Angst, übervorteilt werden zu können. Am Ende ist das, was wir weggeben, vielleicht – so denken wir – nicht so viel wert wie das, was wir erhalten. Wir sind zögerlich. Wir tauschen nur mit einem gewissen Misstrauen gegenüber dem, der uns etwas gibt, um uns etwas zu nehmen.

Gott ist ganz anders! Das „wunderbare Tauschgeschäft“, „admirabile commercium“, das Er mit uns an Weihnachten macht, ist eines, bei dem der große Gott unendlich viel mehr gibt, als Er jemals erhalten kann. Denn Er gibt sich ganz, Sein göttliches Wesen und Seine allmächtige Gegenwart, und erhält dafür nur unsere arme, kleine Menschheit, die doch schon in ihrer Erschaffung ganz von ihm abhängt.

Um zu begreifen, wie sehr Gott Sich uns ganz schenkt, müssen wir noch tiefer in das Weihnachtsgeheimnis eindringen. Wir haben in der Epistel von der Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens gehört: „Du aber bist immer derselbe, und Deine Jahre enden nie“ (Hebr 1, 12). Die Geheimnisse des durch die Menschwerdung des Wortes in die Geschichte herabsteigenden dreifaltigen Gottes sind uns auch im Prolog des Johannesevangeliums erschlossen worden (Jo 1, 1-14). Doch was bedeutet das alles? Was bedeutet es, dass der unveränderliche trinitarische Gott Mensch geworden ist und wir durch Seine große Güte ein neues Leben empfangen?

Dazu müssen wir zunächst bedenken, dass es eine dreifache Gegenwart Gottes in dieser Welt gibt. Die Gegenwart Seiner allmächtigen und unendlichen Größe, die praesentia immensitatis; die Gegenwart Seiner immer wirkenden Kraft und Gnade, die praesentia gratiae; und schließlich heute, als Siegel unter Seinem Heilsplan, die Gegenwart Seiner Gottheit in unserer Menschheit, in Seinem neugeborenen Sohn, die praesentia unionis.

Als Gott die Welt geschaffen hat, hat Er Seine Gegenwart in ihr als Grundstein dieser Welt festgesetzt. Diese Welt könnte nicht einen Augenblick bestehen, wenn der Gedanke Gottes, der sie ist und der durch Seine Allmacht lebendige Wirklichkeit geworden ist, aufhören würde, gedacht zu werden. Alles, was ist, ist von Gott bewegt. Er ist in allem! Der heilige Paulus sagt: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17, 28).  Das ist nicht im Sinne eines Pantheismus zu verstehen, denn Gott identifiziert sich nicht mit der Welt und bleibt von ihr unabhängig, daher auch nicht im Sinne eines Pantentheismus, als wenn Gott mit den Gegenständen und Personen dieser Welt eins wäre und deren Geschichte zu Sich käme. Die Allgegenwart Gottes bedeutet vielmehr, dass alles, was ist, an Seinem Sein teilhat; dass alles, was bewegt ist, durch Ihn getragen und in Bewegung versetzt wird; dass alles, was existiert, durch Ihn und Sein Sein, das allein mit der Existenz in eins fällt, die tatsächliche Existenz erhält und so von Ihm abhängt. Gott ist Seiner Welt so tief gegenwärtig und sie ist so tief in Ihm verankert, dass nichts sein und werden kann ohne Ihn und Seine Allmacht.

Diese geheimnisvolle, immer gegenwärtige Präsenz Gottes wird noch einmal überstiegen von der Präsenz der Gnade. Jedes Mal, wenn der Mensch, arm und sündig, wie er ist, etwas tut, das auch nur minimal zu seinem Heil beiträgt, kann er es nur tun, weil seine sündige Menschheit durch die Kraft Gottes bewegt und auf sein Endziel hin orientiert wird. Gott ist es, der in uns das Gute bewirkt. Vor allen Dingen tut Er das in denen, die die Gnade der Taufe erhalten haben und durch ein christliches Leben und die Teilhabe an den Sakramenten in der heiligmachenden Gnade bleiben dürfen. In ihnen ist die Kraft Gottes so gegenwärtig, dass in ihren Seelen die Kraft der Allerheiligsten Dreifaltigkeit lebt und, wie wiederum der heilige Paulus sagt, dass wir „Tempel Gottes“ sind und „der Geist Gottes“ in uns „wohnt“ (1 Kor 6, 19; auch 1 Kor 3, 16) sind. In jedem von uns ist diese wunderbare Gegenwart Gottes durch Seine Barmherzigkeit, Seine Güte und Seine Vaterliebe immer wirksam, um uns zu helfen, Seine Gebote zu halten und das zu tun, was zu unserem Heil gereicht.

Heute aber, Geliebte, werden diese zweifache Gegenwart der unendlichen Größe und Omnipotenz Gottes sowie Seiner immer wirksamen Gnade noch einmal überhöht in der praesentia unionis, nämlich durch jene Gegenwart, mit der Gott Sich Selbst einer menschlichen Natur für immer unvermischt und doch unzertrennlich vereinigt. Wenn wir vor der einzigartigen neapolitanischen Krippe von Kloster Engelport stehen und dort das Abbild des Jesusknaben verehren, dann verehren wir den allmächtigen Gott, der mitten unter uns Mensch geworden ist, und der die Gegenwart Seiner unendlichen Allmacht und die Kraft Seiner nie aufhörenden Gnade vereint hat in diesem Menschenkind in der Krippe, das durch Seine göttliche Kraft alles ändert, das uns von unserer Sünde befreit, und das diese Welt erneuern kann, damit die Herrlichkeit Gottes in ihr sichtbar wird durch Gnade und Wahrheit.

Diese besondere Gegenwart der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit im Jesuskind ist auch in den Sakramenten der Kirche wirksam, deren göttliche Kraft uns immer durch die heilige Menschheit Christi vermittelt wird, die das Werkzeug der Gottheit geworden ist. Dadurch haben wir in der heiligen Eucharistie den Jesusknaben immer mitten unter uns! Die Wirkung der hypostatischen Union, der Menschwerdung Gottes, dürfen wir in den Sakramenten der Kirche erfahren, vor allem auch in dem Sakrament der Sündenvergebung. Durch die göttliche Gegenwart in den Sakramenten können wir Gott nicht nur anbeten und unter uns verehren, sondern trotz unserer Sündhaftigkeit immer wieder mit Gott einen neuen Anfang setzen und das Heil wiedergewinnen.

Wir sehen also, was es bedeutet, dass der unveränderliche trinitarische Gott Mensch geworden ist. Seine Gegenwart in der Welt, wirksam durch Schöpfung und Gnade, ist nochmals stärker und sichtbarer geworden, und zwar zu unserem Heil! Danken wir also Gott, wenn wir vor der Krippe stehen, für seine dreifach wunderbare Gegenwart in dieser Welt. Diese Welt ist ganz von Gott getragen. In dieser Welt ist Gott in jedem Moment auf vielfache Weise gegenwärtig, als Erhalter, als Begnader, und schließlich als unser Erlöser. In jedem von uns möchte Er sogar Wohnung nehmen! Er zeigt uns das durch die weit ausgebreiteten Arme des Jesuskindes, das mit einer endgültigen, ewigen Geste der Gegenwart unsere Menschheit mit Seiner Gottheit versöhnt! Das ist das „admirabile commercium“, der wunderbare Tausch: Nicht Gott kommt in der Welt zu Sich, sondern die Welt kommt durch Seine Menschwerdung zu Ihm. Wir sehen durch die Gnade der Menschwerdung, wozu wir geschaffen sind, and was im Glanz des Weihnachtsfestes offenbar wird: Die Herrlichkeit des dreifaltigen Gottes! Amen.

Predigt am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, dem 8. Dezember 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Das Fest des heutigen Tages ist geheimnisumwoben. Wie so oft können wir die Tiefe der göttlichen Geheimnisse, die sich uns offenbaren, auch an diesem Festtag nicht ausloten. Wir wollen daher nur einige Aspekte des Festgeheimnisses beleuchten und versuchen, zu drei Fragen eine wenigstens anfanghafte Antwort zu finden: „Wer ist Gott? Wer ist die Gottesmutter? Wer sind wir?“ Damit wir in der Beantwortung dieser Fragen nicht in die Irre gehen, wollen wir den großen seligen Papst Pius IX., der in einer für die Kirche schweren Zeit, am 8. Dezember 1854, dieses Dogma mit der Bulle Ineffabilis Deus feierlich verkündet hat, zu den in diesem Fest beschlossenen Glaubensgeheimnissen besonders zu Wort kommen lassen.

Zu der ersten Frage „Wer ist Gott?“, die vom Festgeheimnis der Unbefleckten Empfängnis beleuchtet wird, sagt der selige Papst in dieser berühmten Bulle das Folgende: „Der über alle Worte erhabene Gott (…) sah von Ewigkeit her das unheilvolle Verderben des ganzen Menschengeschlechtes infolge der Sünde Adams voraus. In Seinem geheimnisvollen, der Welt verborgenen Ratschluss beschloss Er aber, das erste Werk Seiner Güte (die Schöpfung), durch die Menschwerdung des Wortes auf eine noch unbegreiflichere Weise zu ergänzen (…) Darum wählte Er von Anfang an und vor aller Zeit schon für Seinen eingeborenen Sohn eine Mutter aus (…) Ihr wandte Er mehr als anderen Geschöpfen Seine besondere Liebe zu, und fand an ihr allein Sein höchstes Wohlgefallen (…) [und] begnadete sie so wunderbar, dass sie allezeit frei blieb von jedem Makel der Sünde.“

Aus diesen erhabenen Worten können wir viel über Gott erfahren, vor allen Dingen über seine Allmacht und vorhersehende Weisheit, die alles regiert. Denn vor aller Zeit hat Er in Seiner ewigen Gegenwart nicht nur die Sünde Adams vorausgesehen, die Er zugelassen hat für ein höheres Gut, sondern Er hat bereits das Gefäß der Erlösung, die heilige Jungfrau, vorherbestimmt, die Mutter Seines Eingeborenen Sohnes zu werden, der dann kommen sollte, um uns durch Seine Menschwerdung, Sein Kreuzesopfer und Seine Auferstehung zu erlösen. Aus dem Geheimnis des heutigen Tages können wir so erkennen, dass – wie wir gerade in der Epistel aus dem Buch der Sprüche (8, 22-35) gehört haben – die unbefleckte Gottesmutter immer vor Gottes Auge gegenwärtig war; dass Er sie vor allen Zeiten mit Seiner Liebe umfangen hat, dass Er sie, bevor alles geschaffen war, bereits in ihrer Herrlichkeit gesehen hat und dass Er ihr von Anfang an die Früchte der Erlösung Seines Sohnes überreich hat zukommen lassen. Die für uns unbegreifliche Zeitlosigkeit und geschichtslose Omnipräsenz des ewigen Gottes, für Den es nicht gestern, heute und morgen, sondern ausschließlich das ewige Jetzt gibt, hat diese Jungfrau aus Nazareth vor aller Zeit, vor aller Schöpfung gesehen, geliebt und als die Unbefleckte Empfängnis in diese Welt schicken wollen.

Gleichzeitig können wir erkennen, dass Gott in Seinen Gnadengaben völlig frei ist. Nichts ist Ihm geschuldet, dass Er nicht von vorneherein bereits hätte. Er ist so reich an Gnade, an Macht, an Barmherzigkeit, an Gerechtigkeit und an Güte, daß Er frei jedem zuteilt, was ihm zukommt. Suum cuique, jedem gibt er das, was Seine Gerechtigkeit und Seine Barmherzigkeit vor aller Zeit gesehen hat. Das große Geheimnis der Prädestination, der Vorherbestimmung Gottes für jeden einzelnen Menschen, ist ebenso in dem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis beschlossen, denn Gott hat vor allen Zeiten die Gottesmutter dazu bestimmt, das Gefäß der Gnade zu sein, nämlich der Gottesmutterschaft, also einer solchen Gnade, dass es eine größere nicht geben kann. Also ist Er auch uns gegenüber völlig frei, Er kann uns geben, was Er will, wie er will und wann er will!  Aus reiner Barmherzigkeit gibt Er uns immer alles, was zu unserem Heil notwendig ist, aber wir haben von Ihm nichts zu verlangen. Denn alles, was Er gibt, gibt Er aus Seiner großartigen, göttlichen Freiheit, immer voraussehend, wer zum Heil bestimmt ist und wer Seinen Geboten gehorchen wird.

Gleichzeitig aber sagt natürlich das heutige Festgeheimnis viel über die Frage „Wer ist Maria?“, also über das einzigartige Wesen der Gottesmutter aus. Um das zu verstehen, müssen wir wieder den seligen Pius IX. zitieren, der das mit erleuchteten Worten gelehrt hat: „So überhäufte Gott die Gottesmutter weit mehr als alle Engel und Heiligen mit einer Fülle himmlischer Gnadengaben, die Er aus der Schatzkammer Seiner Gottheit nahm, begnadete sie so wunderbar, dass sie allezeit frei blieb von jeder Makel der Sünde, dass sie ganz schön und vollkommen wurde und eine solche Fülle von Reinheit und Heiligkeit besitzt, dass man, außer in Gott, eine größere [Heiligkeit] sich nicht denken kann, und dass niemand außer Gott sie [ganz] begreifen kann. Und es war auch ganz entsprechend, dass sie stets im Glanze vollkommenster Heiligkeit erstrahlte, dass sie sogar frei blieb von der Makel der Erbsünde und so über die alte Schlange einen vollen Sieg errang.“

Hier erklärt uns der Papst, warum wir die Gottesmutter mit einer besonderen Verehrung unsere Mutter nennen, warum sie die Königin aller Engel und Heiligen ist, warum nur Gott Selbst größer ist und wunderbarer als dieses von Ihm von Anfang an begnadete Geschöpf. Sie ist „voll der Gnade“, d. h. alles, was Gnade ist, ist in ihr überreich enthalten. Alles wird ihr ganz geschenkt. Sie erhält alles vor aller Zeit durch die vorausgesehenen Verdienste ihres gottmenschlichen Sohnes. Durch Ihn ist ihr alles in solcher Fülle gegeben, dass sie selbst die herrlichsten Engel überstrahlt, dass sie selbst die größten Heiligen und die wunderbarsten und mutigsten Kämpfer für unseren Herrn Jesus Christus mit ihrem Sohn als Königin beherrschen kann und ihnen vorausgeht. Wir können die Gottesmutter nächst Gott hier auf Erden nie zu viel verehren, denn in ihr ist eine solche Gnadenfülle, dass nur Gott allein die Fülle und Größe ihrer Heiligkeit ganz begreifen kann.

Das erklärt ebenso, warum wir sie als unsere Fürsprecherin jeden Tag verehren. Denn ihre Heiligkeit gibt ihr die Kraft, uns und unsere Bitten vor Gott zu tragen. Als vollkommen reine, unbefleckte, jungfräuliche Gottesmutter ist sie die nächste am göttlichen Thron. Jeder von uns kann sicher sein, dass, wenn er zu ihr geht, was Gott wirklich will, durch sie für uns erbeten wird. Denn sie ist das Tor zu Christus, die Pforte zu Gott; sie ist das helle Licht, das Gott selbst im Dunkel dieser Welt angezündet hat; sie vermittelt uns alle Gnaden ihres Sohnes, weil sie vor allen Menschen reich an Gnade und Heiligkeit ist.  Die Kirche hat das von Anfang an begriffen, und das große Dogma von der Unbefleckten Empfängnis ist zusammen mit dem Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel nur die krönende Bekräftigung einer Verehrung, die seit der Zeit der Apostel die Christen immer klar in dem Bewusstsein hat leben lassen, dass es nächst Gott kein größeres und kein heiligeres Wesen auf dieser Erde gibt und niemanden unter den sündigen Menschen, der ihnen mehr helfen kann, als sie, die Sündenlose.

Schließlich beantwortet das Festgeheimnis auch die Frage „Wer sind wir?“, denn es sagt uns etwas sehr Wichtiges über uns selbst, das uns einerseits von der Gottesmuter unterscheidet, anderseits aber auch mit ihr vereint. Die Gottesmutter ist von Anfang an von aller Makel der Sünde befreit gewesen. Sie war immer makellos. Sie brauchte nie in irgendeiner Weise die Barmherzigkeit Gottes um Vergebung für ihre eigenen Sünden anzurufen. Wir aber müssen das tun! Wir sind alle von der Erbsünde gezeichnet. Wir sind alle Sünder und brauchen notwendig, dass sie uns zur Seite steht und uns Gott unter ihrem mütterlichen Mantel vorstellt, der oft genug unsere eigene Schuldhaftigkeit und Schwäche verbirgt. Trotzdem sind wir, genau wie sie, obwohl wir Sünder sind, erlöst durch Jesus Christus! Wir sind gleich ihr durch die Freiheit und Allmacht des allmächtigen und barmherzigen Vaters und das Opfer des Sohnes in der Lage, sehr große Gnaden zu empfangen.

Jeder von uns empfängt immer genügende Gnaden, um gerecht zu werden und heilig zu leben. Die Gnaden, die Gott uns gibt, kann Er täglich wachsen lassen. Jeder von uns ist daher, nach dem Beispiel der Gottesmutter, berufen zu einer immer größeren Heiligkeit. Je mehr wir dem Willen Gottes folgen, je mehr wir Seiner Lehre, die Er der Kirche anvertraut hat, Glauben schenken, je mehr wir uns der Gottesmutter anvertrauen, damit sie uns lehrt, den Willen Gottes demütig zu tun, desto mehr wird auch unsere Heiligkeit wachsen. Dann wird Gott, der allmächtige Vater, uns auf die Fürsprache der unbefleckten Gottesmutter durch Seinen und ihren Sohn Jesus Christus unzählige Gnaden geben, und so werden auch wir jeden Tag mehr, wenn wir nur wollen, dem Throne Gottes näherkommen, wo Christus mit der Gottesmutter herrscht im Himmel, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Predigt am 6. nachgeholten Sonntag nach Epiphanie, dem 19. November 2023 von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vates und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Heute wissen wir alle, was man ein Narrativ nennt. Ein Narrativ ist eine Begründungserzählung, mit der man, ob wahr oder falsch, eine gewisse Handlungsrichtung oder eine gewisse Meinung unterstützen will. Ein Narrativ kann einfach ein neues Wort für Lüge sein. Das Wort „Narrativ“ wird oft auch benutzt, um eine objektive Wahrheit zu untergraben und in die Nähe einer diskutierbaren Meinung zu bringen. Eines dieser falschen Narrative ist, dass die Kirche und der Glaube für die moderne Gesellschaft nicht mehr relevant seien.

Dieses Narrativ kannte schon unser Herr Jesus Christus. Es war das Narrativ, mit dem sich ganz konkret die frühe Kirche auseinandersetzen musste, weil sie pusillus grex, eine kleine Herde war und in der großen jüdischen und römischen Gesellschaft wenig Bedeutung zu haben schien. Deswegen hat der Herr die kleine Herde von Anfang an ermutigt, um gegen dieses falsche Narrativ deutlich die Wahrheit Gottes in ihren Herzen und ihren Geistern zu verankern: Der Glaube und die Kirche sind nicht irrelevant, sondern von großer Wichtigkeit, denn sie sind beide, wie das Reich Gottes, das sie wachsen lassen, ein Senfkörnchen und ein Sauerteig (Mt 13, 31-35). Wenn nun die Christen, die die Gnade des Glaubens erhalten haben und die dadurch in der Taufe die Kirche Jesu Christi bilden, mit Jesus Christus mutig diese Tatsache, die ihr ganzes Leben verändert hat, den Menschen verkünden, dann ist auch das, was die kleine Herde zu sagen hat, von großer Bedeutung und Relevanz für die Gesellschaft.

Zunächst einmal, weil Gott handelt! Denn die wunderbare Tatsache, dass das Gottesreich wie ein Senfkörnchen ist, das in der damaligen Gesellschaft zu einem großen Baum wachsen sollte, und wie ein Sauerteig, der schließlich alles durchdringt, ist das Werk Gottes Selbst. Nicht wir allein können ein solches Wunder wirken; so wie Gott die Wachstumskraft und die Säuerungskraft in die Bestandteile des Körnchens und des Teiges gelegt hat, so hat Er auch in die Kirche, in das bereits hier begonnene Reich Gottes, jene Kraft des Glaubens und der Gnade gelegt, die alles durchdringt und die die Kirche zu einem großen Baum macht, der Platz hat für alle. Gott wirkt immer zuerst! Er bekehrt uns zum wahren Glauben, Er bringt uns in die Kirche, Er schenkt uns die Gnade der Taufe, um am Leib seines Sohnes Anteil zu haben.

Doch Gott will, dass wir an diesem Wachstum mitwirken: Aus den Worten des heiligen Paulus an die Thessalonicher können wir lernen, dass die ersten Christen genau getan, haben, was wir tun müssen, nämlich mit der Kraft Gottes im wachsenden Reich Gottes, also der Kirche, mitzuarbeiten, und zwar zunächst durch den wahren Glauben, der in Gebeten und guten Werken sichtbar wird. Auch in der frühen Kirche gab es Glaubensstreitigkeiten. Viele haben etwa die Auferstehung von den Toten geleugnet, andere haben die Gottheit Jesu Christi abgestritten; wieder andere haben die Lehre von der Ewigkeit des Himmels und der Hölle in Zweifel gesetzt: Solche Streitigkeiten gab es auch in der frühen Kirche. Deswegen sagt der heilige Paulus, dass unser Glaube ein tätiger Glaube sein muss, ein Glaube, der sich wirklich auf die Fülle der Verkündigung Jesu Christi stützt und der, weil er nichts von der Wahrheit des Glaubens schmälert, weil er keine Kompromisse eingeht, vielfach tätig sein kann: tätig im Gebet, in guten Werken, in der Glaubensverkündigung, im Aufbau des Reiches Gottes, das die Kirche ist.

Aber nicht nur der tätige Glaube, auch die opferbereite Liebe gehört zur Ausbreitung des Reiches Gottes. Wer glaubt an Christus glaubt, – gerade in einer Gesellschaft, die nicht mehr glaubt oder die noch nicht glaubt – , wird für seinen Glauben und für die Liebe, mit der er diesen Glauben verkünden will, Opfer bringen müssen. Wir können nicht einfach alles mitmachen. Wir können nicht einfach sein wie alle anderen, wir können nicht mit dem Strom mitschwimmen. Das haben auch die ersten Christen nicht getan. Sie haben oft genug große Leiden ertragen müssen, bis hin zum blutigen Martyrium. Sie sind verfolgt und ausgegrenzt worden. Trotzdem haben sie die opferbereite Liebe, die sie von Jesus Christus gelernt haben, aufrechterhalten und haben diese Liebe zuerst einander gezeigt und dann den Heiden, um sie zu bekehren. Deswegen berichtet Tertullian in seinem Apologeticum (39) , dass man von den Christen der frühen Kirche sagte: „Seht, wie sie einander lieben…und wie einer für den anderen zu sterben bereit ist:“

Natürlich aber ist der Aufbau des Reiches Gottes, also die Durchsäuerung der Gesellschaft mit der Botschaft und Gnade Christi eine langwierige Angelegenheit, die hier auf Erden nie ganz abgeschlossen ist und viele Rückschläge erfährt. Deswegen spricht der Herr von der Notwendigkeit einer ausdauernden Hoffnung: In patientia vestra possidebitis animas vestras , wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr eure Seelen retten. Der Christ, der in einer Gesellschaft lebt, die zu bekehren ist, muss das mit großer, liebevoller Geduld in großer Standhaftigkeit tun. Er darf nicht glauben, dass alles von heute auf morgen geschieht. Er darf nicht glauben, dass alles ohne Schwierigkeiten und ohne Kämpfe vor sich gehen kann. Er weiß, dass, wenn er sich nur das Beispiel Jesu Christi ansieht und das Beispiel der Apostel – die fast alle als Märtyrer gestorben sind -, dass die Durchsäuerung der Gesellschaft und das Wachstum

des Samenkorns in einen großen Baum Zeit braucht, Leiden kostet und Ausdauer voraussetzt. Werden wir also nicht mutlos! Wir wissen: Gott ist immer mit uns, aber der Sieg kommt erst am Ende! Die Kraft der Durchsäuerung der Gesellschaft hat das Reich Gottes damals wie heute. Das Senfkörnchen ist in die Erde der Seelen geworfen und oft bricht oft unvermutet auf um zu einem hohen Baum zu werden; eine Bekehrung entsteht, die andere nach sich zieht und die zeigt, dass die Kraft Gottes immer noch in Seiner Kirche gegenwärtig ist.

Glauben wir also nicht dem sogenannten Narrativ, das uns weismachen will, dass die Kirche und der Glaube in der heutigen Gesellschaft nicht mehr relevant seien. Es ist nicht einmal ein Narrativ, sondern einfach eine Lüge. Was immer noch relevant ist, ist die Kraft Gottes; was wir aufgrund der Botschaft Christi und des Wirkens der Gnade glauben, lieben, und hoffen dürfen, bringt die Kraft Gottes auch heute in der Kirche zum Tragen, und wie damals, so wird ihr Sauerteig die ganze Gesellschaft durch unsere Mitarbeit durchdringen. Unsere Werke aus dem Glauben, unsere Opferbereitschaft und unsere standhafte Hoffnung werden den Baum der Kirche wieder wachsen lassen, und viele, viele, ja alle Menschen guten Willens, werden in ihm Wohnung finden. Amen.

Predigt am Christkönigsfest, Patronat des Instituts Christus König und Hohepriester, dem 29. Oktober 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„Dann bist du doch ein König“. Diese Worte des Pilatus beantwortet der Herr mit den eindeutigen Worten: „Ja, ich bin ein König“ (Jo 18, 37). Warum nennt der Herr sich so? Warum verehren wir Ihn nicht nur am heutigen Tag, sondern an allen Tagen des kirchlichen Jahres in der Heiligen Messe als unseren König und Herrn? Warum trägt unser Institut den Namen Institut Christus König und Hohepriester? Die Antwort ist eine dreifache.

Zunächst einmal, so sagt schon der große Papst Pius XI., der das heutige Fest für die ganze Kirche verpflichtend gemacht hat, ist der Herr deswegen König, weil Er der wahre, der allmächtige, der furchterregende einzige Gott ist; weil Er alles beherrscht im Himmel und auf Erden; weil Er mit dem Vater und dem Heiligen Geist eine göttliche Natur hat, und weil Er vor aller Zeit an die Welt nicht nur vorausgesehen hat, sondern sie dann auch in der Kraft des Vaters geschaffen hat, mit Weisheit in der Kraft des Sohnes regiert und durch die ständige Gegenwart mit der Kraft des Heiligen Geistes erhält. Deswegen ist Er König! Deswegen verehren wir Ihn! Deswegen hat Er einen Rechtsanspruch nicht nur auf unsere tägliche Verehrung, nicht nur auf die Gottesdienste und Andachten der Kirche, sondern auch auf die totale Antwort der Hingabe unseres ganzen Lebens, damit wir Ihn ehren und lieben mit der ganzen Kraft unserer Seele und unseres Herzens. Wir sind die Geschöpfe dieses Königs, und Er herrscht über uns unbeschränkt mit Gerechtigkeit und Liebe: Er als Gott König aller Dinge, aller Engel und aller Menschen!

Dann aber ist der Herr aus einen zweiten Grund König, nämlich weil Er, der eine wahre Gott, eins mit dem Vater und dem Heiligen Geist, aus Barmherzigkeit Mensch geworden ist; weil Er hinabgestiegen ist in diese Welt, die Er geschaffen hat, um sie zu erlösen; weil Er in der wunderbaren Menschwerdung im jungfräulichen Schoß Mariens und sichtbar am Weihnachtsabend für uns Mensch geworden ist, damit Er uns zum Vater zurückführen kann. Er ist zwar einer von uns, ganz Mensch, aber Er bleibt auch ganz Gott. Auch aufgrund dieser Gottmenschlichkeit herrscht Er über die ganze sichtbare Welt, herrscht hienieden über jeden einzelnen Menschen, auch über die, die das nicht wissen oder die es nicht anerkennen wollen, wie auch über jene, die sich von Ihm abgewandt haben und Ihn verleugnen.

Der Herr ist auch seiner Menschheit nach König dieser Welt! Er bewirkt jedes einzelne Geschehen in dieser Welt, entweder durch Zulassung oder durch direkte Einwirkung. Er ist gegenwärtig mit Seiner Menschheit auch dann, wenn wir sie nicht erkennen können. Er will, da Er auch der Menschheit nach der Erste ist, uns alle durch Seine milde Herrschaft zu den Geboten und Gesetzen des Vaters führen und so dafür sorgen, dass das Reich des Friedens, soweit das trotz der Sünde möglich ist, durch göttliche Kraft bereits hier auf Erden herrscht. Daher müsste Er von Rechtswegen nicht nur von den Gläubigen, sondern grundsätzlich auch von den Regierungen und allen, die herrschen, als König anerkannt werden. Die Kirche hat die Aufgabe, die Herrschenden darauf hinzuweisen, dass sie immer einen höheren Herren haben, eben Christus, den König, dem sie Verantwortung für alle ihre Taten schulden.

Schließlich ist der Herr König, weil Er, der Gottmensch, auch als König handelt. Agere sequitur esse, lehrt der heilige Thomas: Das Handeln folgt dem Sein (ScG III, 69). Dem Sein nach, also Seiner Gottmenschheit nach, ist der Herr wesenhaft unser König. Dass Er auch als König handelt, können unter anderem an drei fundamentalen Handlungsweisen Jesu Christi ablesen:

Zunächst einmal ist der Herr ein vorausschauender König, ein König, der in die Weite der Ewigkeit blickt. Er ist nicht, wie viele unsere Regierenden, in kleinlichen Geschäften verstrickt. Er will nicht schäbige Machtspiele mit uns vollziehen, sondern Er weiß, dass jeder von uns für die Ewigkeit geschaffen ist. Deswegen bleibt Er nicht im Kleinen, nicht im Kalkül, nicht in dem Haschen nach der Volksgunst befangen, wie viele menschliche Herrscher, sondern Er sieht weiter, Er sieht das Ganze, Er sieht unser ewiges Ziel. Er liebt jeden mit diesem umfassenden göttlichen Blick, auch wenn wir voller Schwächen in unserer Intelligenz und voller Sünden in unserem Handeln sind. Jeder gute König sieht voraus, jeder gute König hat einen weiten Blick. Unser Gottkönig aber sieht alles, und in diesem göttlichen Blick umfasst Er uns mit einer Liebe, die alles verzeiht, wenn wir nur wollen, und uns aus unserem Egoismus und der Gefangenschaft der Sünde herausführt.

Ein wahrer König ist immer großzügig! Magnificentia, die mitteilende Großartigkeit, ist ein Ausdruck des Königtums. So ist auch unser König ein großartig-großzügiger König. Er gibt uns immer mehr, als wir erbitten könnten. Er sieht nicht auf unsere Kleinlichkeit und unsere Berechnung: Er gibt ohne Berechnung und ohne etwas zurückhaben zu wollen, vom Reichtum Seiner Gnaden. „Ubi abundavit delictum, superabundavit gratia, wo die Schuld übergroß wurde, da wurde die Gnade überreich“, lehrt der hl. Paulus (Röm 5, 20). Wir haben alle aus Seiner Fülle empfangen (vgl. Jo 1, 16), und Er gibt nicht nur jedem das, was ihm zukommt, suum cuique, sondern ungleich viel mehr. Er lässt uns in einem unerschöpflichen Reichtum der Gnade leben, Er umgibt uns so sehr mit Seinem Wesen, das Güte und Liebe ist, dass der heilige Paulus sagen kann: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17, 28). Diese Großzügigkeit unseres Königs bringt uns dazu, auch selbst großzügig zu sein, wie die heilige Kirche großzügig ist, in deren herrlichen, wunderschönen und gnadenvermittelnden Zeremonien, so erhaben sie auch sind, sich doch nur ein beschiedener Teil der Herrlichkeit und Wunderkraft unseres großen Königs Jesus Christus widerspiegelt.

Schließlich ist unser gottmenschlicher König, wie jeder wahrhaft große und herrliche König, bereit, sich für sein Volk zu opfern, und zwar nicht nur ein klein wenig, sondern ganz und gar. Christus gibt uns Sein Herz, Er öffnet uns Seine Seite, Er vergießt für uns den letzten Tropfen Seines Blutes, obwohl ein einziger Tropfen gereicht hätte, uns alle zu erlösen. Der fleischgewordene Gott gibt uns in der Kirche immer wieder Sein eigenes Leben, Sein Fleisch und Sein Blut. Er gibt es uns, obwohl wir es nicht verdient haben; Er gibt es uns, weil Er sich ganz geben will, weil Er ganz die schenkende Liebe ist, weil alles an Ihm herrlich ist und weil Er möchte, dass auch wir von Seiner Größe, Seiner Liebe und Seiner Ganzhingabe gerettet werden.

Deswegen wollen wir am heutigen Tag ernst nehmen, wenn Offenbarung uns ein Volk von Priestern, Königen und Propheten nennt (vgl. 1 Petr 2, 9). Wir sollen als Volk von Priestern, Königen und Propheten dem Herrn nachfolgen und das tun, was Er, der königliche Herr der Welt, uns vorgelebt hat. Wir sollen vorausschauend erkennen, dass jeder Mensch für die Ewigkeit geschaffen ist und mit dem Blick der Ewigkeit auf unseren Nächsten blicken: So verstehen wir, dass unser Nächster von Ewigkeit her von Gott geliebt ist und dass wir ihm von Herzen jedes Unrecht verzeihen sollen, wie uns der Herr verziehen hat. Ebenso sollen wir wie der Herr großzügig sein, großzügig nicht nur im Materiellen, damit wir uns von allen Anhänglichkeiten an diese Welt lösen können, sondern großzügig auch im Geistigen, damit wir andere an der Freude unseres Glaubenslebens teilhaben und an der Hoffnung des Himmels teilhaben lassen können.

Schließlich sind auch wir berufen, uns ganz Gott hinzugeben, uns in jedem Moment von neuem dem Herrn zu schenken. Auch unser Herz, das oft klein und eng ist, muß sich öffnen! Es ist schwierig, den anderen zu lieben, wenn er nicht tut, was wir wollen. Aber wenn wir ihn um Christi willen lieben, wenn wir wissen, Christus hat Sein Blut für ihn vergossen, dann sehen wir plötzlich im anderen den Herrn. Dann können wir Opfer bringen, in Ehe und Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, oder wo immer es schwierig wird, täglich die christliche Liebe zu leben. Auch in all diesen Situationen ist Christus König! Er will jeden Tag, dass auch wir Opfer bringen wie ein Priester, dass auch wir großzügig sind wie ein König, dass auch wir andere teilhaben lassen an der Wahrheit und Freude des Herrn, wie ein Prophet.

Wir feiern heute den großen, allmächtigen, furchteinflößenden, und doch so liebreich-barmherzigen König und Herrn. Er ist König als Gott und als Mensch wie auch in seinem vorausschauenden, großartigen und selbstlosen Handeln. Lassen wir uns von der Weisheit, Großzügigkeit und Opferbereitschaft unseres menschgewordenen Gottes himmelwärts ziehen! Dort werden wir mit Ihm, durch Ihn und in Ihm die Herrlichkeit teilen, in der er für immer zur Rechten des Vaters thront, Christus, unser König und Herr. Amen.

Predigt am 20. Sonntag nach Pfingsten, dem 15. Oktober 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„(…) fieri (…) intelligentes (…) quae sit voluntas Dei: Werdet verständig, um den Willen Gottes zu erkennen (Eph 5, 16)! Das ist die heutige Aufforderung des heiligen Paulus, die darauf hinweist, dass der wahre Glaube klug macht. Viele meinen gerade das Gegenteil. Sie behaupten: Wer glaubt, der ist nicht so intelligent; wer glaubt, hängt irgendwelchen Fabeln nach; wer glaubt, der kann die moderne Welt nicht richtig verstehen. Der heilige Paulus lehrt uns das Gegenteil: Der wahre Glaube macht klug, weil er uns den Willen Gottes erkennen lässt. Das bestätigen Geschichte und Gegenwart, denn viele berühmte, intelligente und kluge Menschen waren katholisch oder sind es geworden, etwa große Naturwissenschaftler, einige davon sogar Priester, wie Pater Georg Mendel oder Abbé Henri de Maître.  Auch viele unserer Päpste waren außergewöhnlich intelligente Menschen, denken wir nur an Leo XIII., Pius XI., Pius XII. oder Benedikt XVI. Unter den Nobelpreisträgern sind ebenso nicht wenige überzeugte Katholiken. Der Glaube hat alle diese intelligenten Menschen noch klüger gemacht, weil er ihnen die Einsicht in den Willen Gottes vermittelt hat.

Das gilt auch für jeden von uns. Warum macht nämlich der wahre Glaube klug? Zunächst einmal öffnet er jedem, dem die Gnade des Glaubens zuteilwird, einen ganz weiten und neuen Horizont. Der glaubende Mensch ist nicht mehr beschränkt auf das rein Materielle, das man anfassen oder sehen kann. Er weiß, durch die Weisheit Gottes in der Offenbarung und durch die Kirche gelehrt, dass es mehr gibt als das Sichtbare und Greifbare. Wir sind nicht wie Tiere, die mit „allen vier Pfoten fest auf dem Boden der vermeintlichen Wirklichkeit“ stehen, sondern wir sind geistbegabte Wesen, die wohl durch Körper und Sinne erfahren, aber doch mit Seele und Vernunft erkennen, dass die Schöpfung Gottes nicht nur sichtbar, sondern auch unsichtbar ist. Wir wissen, dass es Geheimnisse gibt, die dem nur menschlichen Denken verschlossen sind und die uns erst der Glaube erschließt; dass es eine Weisheit gibt, die größer ist als die natürliche, nämlich die himmlische, die Gott uns nach seinem Willen mitteilt. Ein ganz weiter Horizont eröffnet sich dadurch und unser Blick auf die Wirklichkeit wird umfassender und tiefer, weil wir uns vom nur Materiellen lösen. Daher sagt der hl. Thomas von Aquin: Anima est quodammodo omnia (De anima 7), die Seele kann alles umfassen!

Ebenso vermittelt der Glaube uns erst den wahren Sinn des Lebens. Wie viele Menschen sind nicht verwirrt und fragen sich: Wozu bin ich eigentlich da? Ist es wirklich, um die ganze Zeit zu arbeiten, um materiell besser dazustehen, um äußerlicher Freuden, Ehren und Güter, um den Leiden und Kreuzen der Welt zwar letztlich nicht ausweichen zu können, aber keinen Sinn in ihnen zu erkennen? Ist das die ganze menschliche Existenz? Wer aber glaubt, der weiß unmittelbar, was der Sinn des Lebens ist! Hier, in diesem Tal der Tränen, liegt dieser Sinn darin, Gott und dem Nächsten freudig zu dienen, sich selbst zu vergessen und dadurch heilig zu werden. Dort aber, in der ewigen Heimat, ist unser Ziel und Sinn, an der ewigen Herrlichkeit teilzuhaben, endlich unsere Herzenssehnsüchte erfüllt zu sehen und bis ans Ende aller Zeiten glücklich zu sein in der liebenden Herrlichkeit Gottes. Das eröffnet uns einen neuen Blick auf unser Leben, das macht dieses Leben auch dann, wenn es hart wird, lebenswert, und das gibt allem, was in der Geschichte passiert, einen ganz anderen Sinn. Denn plötzlich werden auch Leiden, Tod und Krieg hineingenommen in den geheimnisvollen Plan des göttlichen Willens, der uns alle, wenn wir unser Leben mit allen Freuden und Kreuzen annehmen und tragen, zu Ihm und Seiner Herrlichkeit führt.

Drittens wird der Glaube uns helfen, alte und neue Irrtümer zu vermeiden. Wie viele Irrtümer sind nicht heute als neu angepriesen: der Relativismus, die Leugnung der objektiven Wahrheit, der Hedonismus, um nur ganz wenige zu nennen. Sogenannte philosophische Erkenntnisse werden uns als neue Erkenntnisse der modernen Welt vermittelt. Dabei sind sie meist uralt und schon tausendmal widerlegt! Wer glaubt, wird diesen „alt-neuen“ Irrtümern nicht auf den Leim gehen. Wer glaubt, dessen Erkenntnismöglichkeit wird nicht verengt, wie manche behaupten, sondern wird erweitert, weil wir eben den alten Irrtümern im neuen Gewand nicht mehr nachzugehen brauchen. Wir wissen gleich, sie sind falsch, denn sie widersprechen der Offenbarung und der Lehre der Kirche. Wir können uns dagegen mit der Wahrheit Gottes und der Wahrheit, die Gott in die Dinge gelegt hat, beschäftigen und sie erkennen, ohne von diesen immer gleichen Irrtümern getäuscht zu werden. Der Glaube macht uns klüger, weil er uns den gesunden Menschenverstand erhält!

Weiterhin hilft uns der Glaube auch, eindeutig der Stimme unseres Gewissens zu folgen und das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Wie viele Leute sind nicht durch die ständige Wiederholung der immer gleichen Lügen heute grundlegend in ihrem moralischen Urteil verwirrt? Sie wissen nicht mehr, was offensichtlich ist: Dass man unschuldiges Leben, sei es jung oder alt, auf keinen Fall töten darf; dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann; dass um des Wohles der Menschen und des Staates nichts, was dem göttlichen Gesetz entgegensteht, jemals Gesetzeskraft haben darf. Das alles ist offensichtlich evidente Wahrheit, in der Geschichte immer nur von totalitären Regimen, Ideologen, Dummköpfen und Verbrechern geleugnet. Durch die immer aggressivere Wiederholungen aller möglichen flagranten Irrtümer werden jedoch auch heute die Menschen wieder verwirrt, verlieren den gesunden Menschenverstand und können Gut und Böse nicht mehr unterscheiden. Der wahre Glaube dagegen hilft uns, die Maßstäbe von Gut und Böse zu behalten. Wir wissen, dass der Wille Gottes eindeutig und klar ist und dass unser Gewissen gegen alles spricht, was diesem Willen Gottes entgegengesetzt ist. Wer glaubt, der weiß, was gut und böse ist und versucht nach Kräften, danach zu handeln!

Schließlich hilft uns aber der Glaube ebenso, das einmal als richtig Erkannte tatsächlich zu tun. Jeder Mensch ist schwach. Wir können mit bloß menschlicher Intelligenz alles Mögliche erkannt haben und doch nicht danach handeln. Schon der Dichter Ovid sagte: „Video meliora proboque, deteriora sequor (Metam. 7, 20-21): Ich sehe das Gute und Bessere, aber dem Schlechteren folge ich.“ Jeder hat diese Erfahrung in seinem Leben schon durch Schwäche und Sündhaftigkeit gemacht. Das weiß auch der heilige Paulus, wenn er den Galatern erklärt, dass sie dadurch nicht tun, was sie eigentlich wollen (vgl. Gal, 5, 17).  Wer aber glaubt, der wird durch die Glaubensgnade nicht nur die Wahrheit besser erkennen können, er wird ihr auch mit Gottes Hilfe folgen. Denn mit dem Glauben schenkt Gott uns die Kraft der Gnade, Seine Gebote zu tun, die Wahrheit nicht nur zu erkennen, sondern auch zu verwirklichen und tatsächlich zu leben, was wir erkannt haben, damit wir, wie der hl. Paulus uns heute sagt, „in Weisheit und Klugheit wandeln“ (Eph, 5, 15) und das Gute täglich tun.

So sehen wir, dass der wahre Glaube intelligent und klug macht. Er öffnet uns einen neuen Horizont; er erschließt uns den Sinn des Lebens; er bewahrt uns vor alten und neuen Irrtümern; er lässt uns klar zwischen Gut und Böse unterscheiden und gibt uns die Kraft, das einmal erkannte Gute auch zu tun. Wer glaubt, der ist intelligent; wer glaubt, der kann einsichtig den Willen Gottes erkennen; wer glaubt, dem öffnet sich eine ganz neue Welt, nämlich die Welt Gottes. Deswegen ist die alte Weisheit, die uns schon das Alte Testament vielfach lehrt, auch heute noch wahr: „Initium sapientiae timor Domini (z.B. Prov 9, 10; Ps 110, 10; Job 28, 28 etc.): Der Anfang der Weisheit ist die Furcht Gottes.“ Beugen wir uns vor der offenbarten Wahrheit Gottes, und wir werden, weil wir uns klein machen, den Weg erkennen, den Gott vor uns in den Sand unseres Lebens geschrieben hat. Wir werden diesem göttlichen Weg der Weisheit entgegen allen Irrtümern sogenannter „Intellektueller“ folgen können, und wir werden die Wahrheit, die sich uns im Glauben offenbart, am Ziel dieses Weges dann selbst sehen, den wahren „Gott schauen, wie er ist“ (1 Jo 3, 2; auch 1 Kor 13, 12) und in Ihm ewig selig werden. Amen.

Predigt anlässlich der äußeren Feier der Patronin der Welt- und Institutsmissionen, der kleinen heiligen Theresia von Lisieux am 24. September 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Heute gibt es viele selbsternannte Apostel. Apostel, die etwa für das Klima eintreten, für den Genderismus, für die Revolution des „woke“ oder ähnliche politische Agenden. Obwohl sehr wahrscheinlich die meisten von ihnen die Existenz objektiver Wahrheit leugnen, treten sie alle mit einem großen Wahrheitsanspruch auf und sind oft militant missionarisch, wie eben selbst ernannte Apostel. Davon gibt es so viele, dass wir uns wundern können, dass es der Kirche übelgenommen und oft untersagt wird zu missionieren, dass man sie vielmehr mundtot machen will. Viele, auch offizielle Vertreter der Kirche, scheinen deswegen die Mission als ein Anliegen „von gestern“ längst vergessen zu haben.

Die Heilige, deren äußeres Fest wir heute feiern, erinnert dagegen deutlich daran, dass die Kirche Jesu Christi und damit wir alle Anspruch und Auftrag zur Mission haben. Die hl. Theresia von Lisieux, die eine bescheidene, klausurierte Ordensschwester war, die jung gestorben ist, hat ihr ganzes Leben als Mission verstanden, und sie ist nach unzähligen Gebetserhörungen und vielen Wundern 1927 von Papst Pius XI auch zur Patronin der Weltmissionen ernannt worden. Was kann uns die hl. Theresia als Patronin der Mission und der Missionare lehren?

Zunächst zeigt sie, wie das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Missionsdekret Ad Gentes sagt -, dass „die pilgernde Kirche“ „ihrem Wesen nach ‚missionarisch‘“ ist (AG 2). Wir haben keine andere Wahl! Wir können uns nicht von der Mission abwenden, denn die Kirche selbst ist als pilgernde Kirche in dieser Welt zu den Menschen gesandt, um ihnen die Wahrheit Jesu Christi zu verkünden. Die Kirche hat keine Wahl, denn sie ist missionarisch und muss missionieren, damit der Auftrag Jesu Christi erfüllt wird.

Das liegt daran, dass die Kirche der Wahrheit verpflichtet ist. Wenn wir einen Menschen kennen, der in einem schweren Irrtum befangen ist und einer Lüge folgt, dann haben wir schon als Mitmenschen die Pflicht, ihn über seinen Irrtum aufzuklären und ihm die Wahrheit mitzuteilen, damit er sich und anderen nicht schadet. Wenn aber die Wahrheit nicht aus menschlicher Erfahrung kommt, nicht aus unserer eigenen Erkenntnis, sondern von oben, von Gott, wenn sie uns von dem fleischgewordenen Sohn Gottes Selbst offenbart worden ist, dann hat diese Wahrheit einen Anspruch, der unser ganzes Leben umfasst. Wir dürfen die geoffenbarte Wahrheit nicht für uns behalten, wir müssen sie in Wort und Tat weitergeben, damit andere die Wahrheit, die Christus ist, erkennen können und von ihren Irrtümern geheilt werden.

Es gibt nur einen wahren Gott! Das bedeutet leider nicht, dass alle Menschen diesen wahren Gott wirklich kennen und lieben. Wer aber durch die Gnade Gottes und die Verkündigung der Kirche mit der Erkenntnis des einen wahren Gottes beschenkt worden ist, hat den Auftrag und die Pflicht, andere mit diesem einen wahren Gott bekannt zu machen, damit auch sie Gott lieben können und zu dem Ziel gelangen, das Gott in Seiner Liebe für sie bestimmt hat. Wer die Wahrheit kennt, schon auf natürlicher und erst recht auf übernatürlicher Ebene, muss sie weitergeben und darf sie nicht für sich behalten, damit alle den richtigen Weg gehen können. Das ist auch der große Auftrag Jesu Christi, den Er ausdrücklich den Aposteln und durch sie auch uns gegeben hat: „Euntes ergo docete omnes gentes“ (Matth 18,19): Gehet hin in alle Welt, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Das ist die klare Botschaft des Matthäusevangeliums.

Die frühe Kirche hat schon gewusst, dass sie diesen Missionsauftrag hat. Der heilige Paulus und die anderen Apostel sind in die Welt hinausgegangen, um die Wahrheit Jesu Christi zu verkündigen. Die Kirche ist Weltkirche geworden, weil schon die Apostel, alle ihre Nachfolger und unzählige Priester als Missionare der Sendung Christi gefolgt sind sind, um die Menschen zum Heil und zur Wahrheit Gottes zu bringen. Die Mission ist nicht in unser Belieben gestellt, sondern der ausdrückliche Auftrag unseres Herrn Jesus Christus. Er selbst ist ein Missionar! Er ist der Messias, der Gesandte Gottes des Vaters, und Er hat diesen Missionsauftrag an uns weitergegeben, damit so viele wie möglich den sicheren Heilsweg der Kirche erkennen können und zu ihrem Heil getauft werden.

Dass der Missionsauftrag aber keine alte, verstaubte, längst überholte Doktrin ist, hat uns das Zweite Vatikanische Konzil an zwei weiteren Stellen ausdrücklich in Erinnerung gerufen, die auch die Notwenigkeit der Mission erklären. Es ist wert, diese Stellen in ihrer gesamten Länge zu Gehör zu bringen, damit wir nicht dem oft behaupteten Irrtum folgen, dass die Mission der Kirche zu Ende sei. Das Konzil sagt: „So ist es nötig, dass alle sich zu Christus, der durch die Verkündigung der Kirche erkannt wird, bekehren, sowie Ihm und Seinem Leib, der Kirche, durch die Taufe eingegliedert werden. Christus Selbst hat nämlich in ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe betont und damit zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Türe eintreten“ (Ad Gentes 7). Darum, so sagt das Zweite Vatikanische Konzil sogar in zwei Dekreten, können „jene Menschen nicht gerettet werden, die um die Kirche und ihre von Gott gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren“ (Ad Gentes 7; Lumen gentium 14).

Mission betrifft das ewige Leben! So wie Christus uns vor Sünde und Tod retten wollte, so hat die Kirche den Auftrag, alle Menschen, die ganze Welt mit der Wahrheit Jesu Christi zu konfrontieren, ihr die Liebe des Herrn zu zeigen und sie durch die Taufe in die Kirche einzugliedern, damit sie in dieser Heilsgemeinschaft durch die Sakramente und die Verkündigung der Wahrheit den sicheren Weg zum Heil gehen kann. Natürlich gibt die Barmherzigkeit Gottes denen, die ohne eigene Schuld oder wider besseres Wissen nicht von anderen missioniert worden sind, die nichts von Jesus Christus wissen, die in einem unüberwindlichen Irrtum über die Kirche und die Heilsnotwendigkeit der Taufe leben, die Möglichkeit, durch Seine Gnade auf geheimnisvollen Heilswegen trotzdem gerettet zu werden (vgl. Ad gentes 7). Diese mögliche Barmherzigkeit Gottes aber hüllt sich für uns in eine dichtes Geheimnis und wir wissen darüber im Einzelnen nichts, als das dieser Weg unsicher und ungewiss erscheint.

Dagegen wissen wir durch die Offenbarung des Herrn mit Gewissheit, dass die heilige katholische und apostolische Kirche der von Gott gestiftete Weg zum Heil ist: Ihre Sakramente vermitteln die Gnade sicher jedem, der sie würdig empfängt. Die Wahrheit der Kirche kommt direkt von Jesus Christus, und wenn wir Menschen durch die Taufe in die Kirche aufnehmen und sie die Wahrheit Jesu Christi leben, dann dürfen sie sicher hoffen, gerettet zu werden. Diesen Heilsweg dürfen wir niemandem verschließen, und deswegen müssen wir durch unser Beispiel und durch unser Leben Missionare sein, die Heilswahrheit verkünden, die sie selbst erhalten haben.

Wir könnten uns nun damit entschuldigen, dass diese Verkündigung durch Wort und Tat offensichtlich die Aufgabe der Apostel und ihrer Nachfolger und Helfer, also der Bischöfe, der Priester und der eigentlichen Missionare ist, nicht aber die unsere. Was kann der katholische Laie in der Welt schon dazu tun? Diese Entschuldigung aber ist nichts als eine Ausrede, denn wir wissen gut, dass wir natürlich alle berufen sind, für unseren Glauben Zeugnis zu geben, obwohl wir oft wenig ausrichten. Wort und Tat klaffen in unserem Leben oft zu weit auseinander, als das unser Zeugnis glaubhaft sein könnte, und viele Herzen sind schon zu verhärtet, um auch das authentische Zeugnis des christlichen Glaubens anzunehmen.

Deswegen ist die Heilige des heutigen Tages für uns das große Vorbild der Mission! Denn was hat sie getan? Wie hat sie aus dem Konvent heraus, den sie nie verlassen hat, missionarisch gewirkt? Sie sagt es uns selbst: „Lieben, geliebt werden und auf Erden kommen, um zu bewirken, dass die Liebe [nämlich Jesus] geliebt wird.“ Jedes Mal, wenn wir die christliche Liebe leben, um die Gottesliebe im Gebet und in der heiligen Messe bitten und sie feiern, die Nächstenliebe leben, in jedem Opfer, das wir für den Nächsten bringen, wirken wir missionarisch. Dann bekehren wir, obwohl wir es oft nicht sehen, Seelen, dadurch ziehen wir die anderen hinan zu Gott.

Wie ist das möglich im täglichen Leben? Durch den kleinen Weg der heiligen Theresia von Lisieux! Sie nennt uns selbst die Mittel, die Gott uns zur Mission gegeben hat: das Opfer, den letzten Platz und die Selbstvergessenheit. Sie sagt: „Das einzige, um das uns niemand beneidet, ist der letzte Platz. Darum gibt es auf diesem Platz weder Eitelkeiten noch Herzeleid.“ Erkennen wir, dass wir selbst Sünder sind; erkennen wir, dass wir am Missionsauftrag Jesu Christi nur als ganz Kleine teilnehmen können. Werden wir demütig! Hören wir auf, andere zu kritisieren, sondern beginnen wir, uns selbst zu ändern. Setzen wir uns vor Gott auf den letzten Platz, dann werden Er und Seine Gnade uns erhöhen. So wird unser Zeugnis echt und wir werden andere durch unsere Demut und unsere Liebe mitbringen vor Gottes Thron.

Wenn wir uns vor diesem kleinen Weg fürchten, ermutigt uns die Patronin der Missionen, wenn sie sagt: „Man kann nichts Gutes wirken, wenn man sich selbst sucht. Ich wollte mich selbst vergessen, um anderen Freude zu machen. Von da an war ich glücklich.“ Es macht im letzten froh, sich selbst zu vergessen, anderen zu dienen, den letzten Platz einzunehmen, klein sein zu wollen wie ein Kind, in Demut anzunehmen, wenn Gott uns Kreuze und Opfer schickt, nicht zu klagen, sondern immer wieder von neuem zu beginnen, auch wenn wir gefallen sind, aufzustehen und weiterzugehen. Das sind die missionarischen Mittel, die wir – zusammen mit der gelebten Verkündigung der Wahrheit und der mutigen Verteidigung der Kirche – jeden Tag in unserem Leben neu verwirklichen können. Das ist der kleine, aber frohe Weg der heiligen Theresia von Lisieux, durch den sie eine große Missionarin geworden ist.

Denken wir immer daran, wenn wir in den letzten Platz einnehmen, wenn wir ein Opfer bringen und uns dadurch selbst vergessen, wenn wir das Kreuz Jesu Christi im Kleinen und Im Großen mittragen ohne zu klagen, wachsen wir nicht nur in der christlichen Freude, sondern wir erfüllen gleichzeitig den Missionsauftrag der Kirche. Nicht in großen Worten, sondern in kleinen, täglichen Taten werden auch wir wie die heilige Theresia von Lisieux Missionare, können auch wir wie sie „Rosen regnen“ lassen, Rosen der täglichen Gottes- und Nächstenliebe auf diese lieblose Welt. Dann kann man uns nicht den Mund verbieten, denn die Welt wird sehen: „Seht, wie sie einander lieben!“ (Tertullian, Apol. 39). An der freudig gelebten Gottes- und Nächstenliebe wird man erkennen, dass unser Zeugnis für Christus und die Kirche echt ist.  Dieses Zeugnis wird vielen Gnade und Bekehrung schenken, denn wir geben Zeugnis nicht um unseretwillen, sondern um Gottes und der Menschen willen, wie die heilige Patronin der Mission Theresia von Lisieux. So verwirklichen wir jeden Tag unseres Lebens den Auftrag Jesu Christi: „Gehet hin in alle Welt, lehret alle Menschen und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

Predigt zu Mariä Himmelfahrt 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir alle kennen Menschen, die am liebsten von sich selbst sprechen. Solche Menschen sind auf die Dauer mühsam und vor allen Dingen werden sie nach einiger Zeit langweilig. Man hat genug von ihnen gehört und weiß alles, was sie von sich zu sagen haben. Die Kirche in Deutschland muss aufpassen, dass sie nicht wirkt wie diese Menschen. Wenn die Vertreter der Kirche zu viel von hausgemachten Problemen sprechen, dann besteht die Gefahr, dass die Menschen unserer Zeit nicht mehr zuhören, und dass die Kirche nur noch selbstzentriert, langweilig und bedeutungslos erscheint.

Damit das nicht passiert, wollen wir am heutigen Tage zu Maria gehen und auf sie hören, denn sie spricht nie von sich. Wenn die Gottesmutter in der Heiligen Schrift den Mund öffnet, dann ist es entweder, um Gott zu preisen wie im Magnificat, das wir gerade gehört haben, oder um uns an die Gebote des Herrn zu erinnern: „Tut, was Er euch sagt“ (Jo 2, 5). Wenn daher die Kirche verstehen will, was es bedeutet, katholisch zu sein und zu leben, dann muss, wie es immer gewesen ist, die heilige Jungfrau der Maßstab sein. An ihr können die Diener der Kirche ablesen, was zu tun ist, denn sie hat Christus immer vorbehaltlos gedient.

Zunächst war die Gottesmutter ganz der Gnade geöffnet. Vom ersten Moment ihrer Existenz im Mutterschoß an vor der Erbsünde bewahrt, hat Maria sich als Gefäß der Gnade ganz dem Wirken Gottes geöffnet. Sie hat nie selbstherrlich oder autonom gehandelt und geredet, sondern sie hat Gott wirken lassen. Die Kirche ist in ihrem innersten Wesen ebenso ein Gefäß der Gnade. Wo sie zunächst Gott wirken lässt, zunächst in Seinen Sakramenten das Heil suchen und nicht im bloß menschlichen Tun, dort folgt sie der Gottesmutter und öffnet sich wie diese dem Gnadenhandeln Gottes.

Diese Parallele kann noch weitergeführt werden: Die Gottesmutter hat den Herrn zur Welt gebracht. Sie ist das Tor, das ganz offen war auf das Kommen Gottes. Sie ist kein Hindernis zwischen uns und Christus, im Gegenteil; denn sie weist nicht nur auf den Herrn hin und erhält allen Glanz von Seinen vorausgesehenen Verdiensten, sondern sie empfängt Ihn auch tatsächlich in ihrem jungfräulichen Leib und bringt ihn zur Welt: Dadurch wird sie porta caeli, das Tor des Himmels, für uns alle! Das ist ebenso die Aufgabe der Kirche: Nicht Änderung von Strukturen und Methoden ist ihre erste Aufgabe, sondern die Verkündigung unseres Herrn Jesus Christus, Gott und Mensch zugleich! Jeder, der in der Kirche ein Amt hat, hat die große Aufgabe von Gott erhalten, auf Christus hinzuweisen, für Ihn ganz offen zu sein, um Ihn in die Welt zu allen Menschen zu bringen! So wird auch die Kirche zur porta caeli, zum Tor des Himmels.

Die Gottesmutter konnte das alles tun, weil sie immer den Glauben bewahrt hat. Sie hat nie an ihrem Sohn gezweifelt. Sie wusste von dem Moment an, als sie Ihn in ihrem unbefleckten Schoss empfangen hat, dass Er Mensch und Gott zugleich war. Auch unter dem Kreuz, auch in Not und Leid hat sie diesen Glauben bewahrt, hat die Apostel gestärkt und hat den Glauben durch das Beispiel ihres Lebens verkündet. Ebenso muss die Kirche am Glauben festhalten, den ganzen Glauben verkünden, alle Gebote Gottes ohne Abstriche den Menschen näherbringen, das Wort Jesu Christi ohne Kompromisse in die Welt rufen. So nur wird ihre Stimme gehört und die Offenbarung des Herrn, die sie ungeschmälert verkündet, unser Heil wirken, weil wir nicht den Stimmen falscher Propheten folgen. Wenn die Kirche unseren Glauben stärken soll, muss sie dem Glaubenszeugnis der Gottesmutter folgen.

Aus ihrem festen Glauben hat die Gottesmutter Mut geschöpft! Als der Herr Seine Passion erlitten hat, als Er gekreuzigt worden ist, als Er elendig und blutig den Tod eines Verbrechers starb, da stand sie unter dem Kreuz mit einigen wenigen. Sie ist nicht weggelaufen. Maria war nicht nur dann mit ihrem Herrn verbunden, als dieser von allen anerkannt und als König ausgerufen wurde, denn sie hatte die Anerkennung der Gesellschaft nicht nötig. Sie hat sich der Verspottung und der Geringschätzung zusammen mit ihrem Sohn preisgegeben und ihn bei seiner Passion begleitet. Sie hat sich nicht für ihren Sohn geschämt, sie hat ihn nicht verleugnet, sie hat unter dem Kreuz ausgeharrt. Das soll auch die Kirche in schweren Zeiten tun: Sich nicht der Zeit anpassen, den Herrn und Seine Lehre nicht verraten oder verkleinern, nicht vor dem Spott und Hohn der Menge ausweichen, sondern mit Maria unter dem Kreuz bleiben! Die Kirche und ihre Diener müssen vielmehr Christus verkündigen, „opportune oder importune“, „sei es gelegen oder ungelegen“ (2 Tim 4, 2), auch und gerade dann, wenn sie mitgekreuzigt werden und mitleiden müssen. Wie die heilige Jungfrau so muss die Kirche für Christus, den Gekreuzigten, immer mutig Zeugnis geben, sei er auch „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ (1 Kor 1, 23)!

Das Zeugnis der Gottesmutter für Christus aber endet nicht unter dem Kreuz. Maria durfte durch die Ihr verliehe Gnadenfülle ebenso an der Glorie teilnehmen. Sie war ganz rein und unbefleckt!  „Tota pulchra es, Maria“, „du bist ganz schön, Maria“ singt die Kirche heute. Sie war ein Abbild des Himmels schon hier auf Erden, und weil sie von der Erbsünde unberührt war, hat sie auch die Folgen der Erbsünde nicht zu tragen brauchen. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden und hat, weil sie treu war, weil sie Christus verkündet hat, weil sie für die Gnade offen war, weil sie Glaubensmut und Leidensbereitschaft gezeigt hat, schließlich als Erste teilgenommen an der Glorie. Jetzt thront sie als gekrönte Königin des Himmels zur Rechten ihres Sohnes, bei dem sie immer für uns eintritt und betet.

Auch die Kirche, voll der Gnadengeschenke Gottes, zeigt bereits die Glorie des Himmels. Die herrliche Liturgie, die wir am heutigen Patronatsfest von Maria Engelport feiern, ist ein Vorgeschmack des Himmels. Die Schönheit, die die Kirche in ihren Festen und in ihren vielen Frömmigkeitsformen zeigt, lässt uns vorahnen, was Gott für uns in den ewigen Wohnungen bereitet. Die Kirche zieht uns empor zur Ewigkeit Gottes!  Sie ist keine Weltverbesserungsorganisation, sie ist keine menschlicher Verein, keine politische Gruppierung. Sie ist vielmehr das Tor zum Himmel; sie ist die Pforte zur Glorie! Sie nimmt uns mütterlich bei der Hand, weist uns mit der Wahrheit Gottes den Weg, stärkt uns durch ihre Sakramente, reinigt uns von unseren Sünden, damit wir die Glorie erreichen können und dort einst vereint werden Christus und Seiner jungfräulichen Mutter.

Obwohl die Gottesmutter nie von sich selbst spricht, ist sie uns demnach ein Abbild, eine Ikone der Kirche, wie sie nach Christi willen sein soll. Maria zeigt, was wir tun sollen, als mystischer Leib Christi und als einzelne Glieder der Kirche. Sie ist für die  Gnade ganz offen, sie bringt Christus in die Welt, sie bekennt und lebt den Glauben, sie steht unter dem Kreuz, wenn alles schwer wird und sie nimmt durch all das teil an der Glorie, was auch wir tun werden, wenn wir an Ihrer Seite und unter Ihrem Mantel bleiben, wie so viele Pilger hier in Engelport seit über 800 Jahren. Wir wissen jetzt, die Heilige Jungfrau wird die Kirche wiederbeleben, mehr als alle menschlichen Worte und alle selbstgefundenen Wege. Wenn wir Maria folgen, dann kommen wir zu Christus! Durch Maria zu Christus: Das ist das Motto des heutigen Festtages und der ganzen heiligen Kirche. Amen.