Liebe Freunde,
am Ostermorgen finden wir uns zusammen mit den heiligen Frauen, die unserem Herrn in seiner Passion und bei seinem Tod treu zur Seite standen, vor seinem leeren Grab wieder. Das Grab erinnert an die tiefe Qual des Todes und des Begräbnisses Christi, des menschgewordenen Gottessohnes, der die grausamsten Leiden und die schändlichste Hinrichtung erleiden wollte, die zu dieser Zeit bekannt war, um uns für immer von der Sünde und von ihrer giftigsten Frucht, dem ewigen Tod, zu befreien. Aber das leere Grab ist voller Licht, und in ihm befindet sich der Osterengel. Es ist nicht mehr das Grab, sondern das Heilige Grab, das Zeugnis eines Geheimnisses, des Geheimnisses aller Geheimnisse: das Geheimnis der göttlichen Liebe, die unser Heil ist. Das Grab ist nicht leer, weil jemand den Leib des Erlösers weggenommen hat.
Der Osterengel verkündet den heiligen Frauen – und uns – das Geheimnis, von dem das Heilige Grab Zeugnis ablegt:
Wundert euch nicht, ihr sucht Jesus von Nazareth, der gekreuzigt wurde. Er ist auferstanden, er ist nicht hier; seht den Ort, wo sie ihn hingelegt haben. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch nach Galiläa geht; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat (Mk. 16,6-7).
Gott hat in seiner unermesslichen und unaufhörlichen Liebe zu den Menschen seinen eingeborenen Sohn in unser menschliches Fleisch gesandt, um in demselben Fleisch den Sieg über die Sünde, den Sieg des ewigen Lebens, zu vollbringen. Der auferstandene Herr geht in der Kirche immer vor uns her und ist in der Kirche immer an unserer Seite, um uns auf dem Weg zu führen, der zum ewigen Leben führt.
Unser menschliches Leben ist daher für immer und auf die tiefgreifendste Weise verändert worden. Vom Tag der Auferstehung des Herrn an leben wir, die wir durch die Taufe in Ihm wiedergeboren sind, in Ihm. Wir, die wir von Gott dem Vater in Seinem eingeborenen Sohn adoptiert wurden, der gestorben und von den Toten auferstanden ist, leben in Christus. Wir sind in Christus lebendig. Er, der durch die Innewohnung des Heiligen Geistes in unseren Seelen lebt, geht vor uns her, führt uns, damit unsere irdische Pilgerreise ihre wahre Bestimmung erreicht: das ewige Leben in der Gegenwart Gottes – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – und in der Gemeinschaft der Engel und aller Heiligen.
Aus diesem Grund ermahnt uns der hl. Paulus mit aller Konkretheit und großem Realismus und gebietet: “Fegt den alten Sauerteig hinaus, damit ihr ein neuer Teig seid; ihr seid ja ungesäuert“ (1 Kor. 5,7). Er gibt uns keine abstrakte oder idealistische Ordnung, die außerhalb unserer Möglichkeiten liegt. Allein können wir nicht frei von “dem Sauerteig der Bosheit und der Schlechtigkeit” leben (1 Kor. 5,8). Es ist der Heilige Geist, den der auferstandene Herr aus seinem glorreich durchbohrten Herzen in unsere Herzen sendet. Er ist es, der uns verwandelt, damit wir “mit dem ungesäuerten Brot der Aufrichtigkeit und Wahrheit” (1 Kor. 5,8) leben können. Wir sind nicht länger die Sklaven unserer Sünden und des Fürsten der Finsternis. Wir sind wahre Söhne Gottes, Brüder und Schwestern des auferstandenen Christus, freie Mitarbeiter mit Seiner Gnade, die immer reichlich vorhanden ist und an der es nie mangelt. Unsere Bestimmung in Christus, als adoptierte Söhne und Töchter in Ihm, ist nicht das Grab, sondern das ewige Leben. Wenn wir sterben, wird unser Leib in das Grab gelegt, um auf den Tag der Auferstehung des Leibes bei der endgültigen Ankunft Christi zu warten. Der Heilige Geist, der in uns wohnt, macht uns zu dem fähig, was uns sonst unmöglich wäre: in Übereinstimmung mit der Wahrheit und in der Liebe Christi zu leben, jetzt und in der Ewigkeit.
Sicherlich stehen wir vor den schwierigen Herausforderungen des täglichen christlichen Lebens, der Täuschungen des Bösen und unserer eigenen Schwachheit. Sicherlich durchleben wir in der Welt gerade eine turbulente Zeit. Wir befinden uns in einer internationalen Gesundheitskrise, über die wir so wenig wissen und über die wir täglich verwirrende und sogar widersprüchliche Berichte erhalten; und diese turbulente Zeit durchleben wir selbst in der Kirche, die von so viel Verwirrung und Irrtum geplagt ist. Aber blicken wir auf das Heilige Grab, und wir werden die Wahrheit erkennen, die es bezeugt. Bleiben wir fest und stark, in der Zuversicht, dass der Herr tatsächlich von den Toten auferstanden ist und dass er vor uns hergeht und im täglichen Kampf an unserer Seite steht, damit wir ihm treu bleiben und in Übereinstimmung mit der Wahrheit und in der Liebe leben, die ihre reiche und unerschöpfliche Quelle im Heiligsten Herzen haben. Unsere Herzen werden, wenn sie in Sein Heiligstes Herz gelegt sind, die Weisheit und den Mut empfangen, unsere Identität als wahre Söhne und Töchter Gottes in Ihm treu zu leben.
Schauen wir, vereint mit der jungfräulichen Muttergottes, mit den heiligen Frauen, mit dem hl. Petrus und den anderen Zeugen der Auferstehung unseres Herrn durch die christlichen Jahrhunderte hindurch, kurzum, mit der ganzen Gemeinschaft der Heiligen, auf das leere Grab des Herrn, das Heilige Grab, und nehmen wir mit Zuversicht die Verkündigung des Osterengels auf, der uns versichert, dass Christus auferstanden ist und dass er vor uns hergeht, um uns immer in der Kirche zu begegnen, vor allem im Allerheiligsten Sakrament der Eucharistie. Erheben wir heute und jeden Tag unsere Herzen, vereinigt mit dem unbefleckten Herzen Mariens, zu Seinem Heiligsten Herzen. Weihen wir unsere Herzen Seinem Heiligsten Herzen, um immer in Seiner Gemeinschaft, in Herzensgemeinschaft mit Ihm zu leben.
Es wird eine Geschichte über den heiligmäßigen Kardinal Stefan Wyszyński, Erzbischof von Gnesen und Warschau und Primas von Polen, erzählt, der zunächst inhaftiert und dann ab September 1953 von der kommunistischen Regierung unter Hausarrest gestellt wurde. Er und diejenigen, die ihm in jener Zeit beistanden, wurden Zeugen der unmenschlichen Behandlung, ja Folter und Hinrichtung, so vieler Gefangener. Einer von jenen, die ihm während seines Hausarrests zur Seite standen, äußerte eines Tages die Angst davor, wer an die Tür kommen könnte. Die Angst war nicht unbegründet. Der Kardinal soll geantwortet haben, dass, wenn die Angst an die Tür klopft, der Mut die Tür öffnet – und es ist niemand da. Mit anderen Worten: in Zeiten des Leidens und sogar des Todes müssen wir den Mut derer haben, die in Christus leben. Wir dürfen der Furcht nicht nachgeben, die zwar ein natürliches Gefühl in Zeiten der Gefahr ist, die Satan aber dazu benutzt, uns unseren christusähnlichen Mut zu nehmen. Vielmehr müssen wir immer größeres Vertrauen in unseren Herrn haben, der uns nie verlassen wird. Wenn wir mutig voranschreiten, wird es zwar Leid geben, aber keine Niederlage. Wenn der Mut die Tür öffnet, wird das, was wir so sehr gefürchtet haben, nicht da sein, weil Christus mit uns ist. Vielmehr wird es den Sieg Christi in unserem menschlichen Fleisch geben. In der gegenwärtigen und sehr ernsten Situation für die Welt und für die Kirche, sollten wir uns an das Beispiel des ehrwürdigen Kardinals Wyszyński erinnern. Wenn uns Furcht überwinden will, dann lasst uns mutig sein in Christus, der wirklich auferstanden ist und in uns lebt.
Setzen wir all unser Vertrauen auf unseren auferstandenen Herrn und machen wir uns das Gebet des Psalmisten ganz zu eigen, das an diesem Tag der Auferstehung unseres Herrn so schön gesungen wird:
Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat;
Freuen wir uns und seien wir froh darüber.
Rette uns, wir bitten dich, o Herr!
Herr, wir flehen dich an, gib uns den Sieg (Ps. 118 [117], 24-25).
Ich bete für Sie und mit Ihnen. Mögen wir gemeinsam starke, feste und mutige Zeugen für das Geheimnis der Wahrheit und Liebe Gottes sein, die in uns wirken. Bitte beten Sie für mich.
Möge die Feier der Auferstehung unseres Herrn bleibende Freude und Frieden in Ihr Heim bringen sowie festes Vertrauen und Mut in Ihr Herz.
Raymond Leo Kardinal BURKE
12. April 2020
Ostersonntag