Predigt am 20. Sonntag nach Pfingsten, dem 15. Oktober 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„(…) fieri (…) intelligentes (…) quae sit voluntas Dei: Werdet verständig, um den Willen Gottes zu erkennen (Eph 5, 16)! Das ist die heutige Aufforderung des heiligen Paulus, die darauf hinweist, dass der wahre Glaube klug macht. Viele meinen gerade das Gegenteil. Sie behaupten: Wer glaubt, der ist nicht so intelligent; wer glaubt, hängt irgendwelchen Fabeln nach; wer glaubt, der kann die moderne Welt nicht richtig verstehen. Der heilige Paulus lehrt uns das Gegenteil: Der wahre Glaube macht klug, weil er uns den Willen Gottes erkennen lässt. Das bestätigen Geschichte und Gegenwart, denn viele berühmte, intelligente und kluge Menschen waren katholisch oder sind es geworden, etwa große Naturwissenschaftler, einige davon sogar Priester, wie Pater Georg Mendel oder Abbé Henri de Maître.  Auch viele unserer Päpste waren außergewöhnlich intelligente Menschen, denken wir nur an Leo XIII., Pius XI., Pius XII. oder Benedikt XVI. Unter den Nobelpreisträgern sind ebenso nicht wenige überzeugte Katholiken. Der Glaube hat alle diese intelligenten Menschen noch klüger gemacht, weil er ihnen die Einsicht in den Willen Gottes vermittelt hat.

Das gilt auch für jeden von uns. Warum macht nämlich der wahre Glaube klug? Zunächst einmal öffnet er jedem, dem die Gnade des Glaubens zuteilwird, einen ganz weiten und neuen Horizont. Der glaubende Mensch ist nicht mehr beschränkt auf das rein Materielle, das man anfassen oder sehen kann. Er weiß, durch die Weisheit Gottes in der Offenbarung und durch die Kirche gelehrt, dass es mehr gibt als das Sichtbare und Greifbare. Wir sind nicht wie Tiere, die mit „allen vier Pfoten fest auf dem Boden der vermeintlichen Wirklichkeit“ stehen, sondern wir sind geistbegabte Wesen, die wohl durch Körper und Sinne erfahren, aber doch mit Seele und Vernunft erkennen, dass die Schöpfung Gottes nicht nur sichtbar, sondern auch unsichtbar ist. Wir wissen, dass es Geheimnisse gibt, die dem nur menschlichen Denken verschlossen sind und die uns erst der Glaube erschließt; dass es eine Weisheit gibt, die größer ist als die natürliche, nämlich die himmlische, die Gott uns nach seinem Willen mitteilt. Ein ganz weiter Horizont eröffnet sich dadurch und unser Blick auf die Wirklichkeit wird umfassender und tiefer, weil wir uns vom nur Materiellen lösen. Daher sagt der hl. Thomas von Aquin: Anima est quodammodo omnia (De anima 7), die Seele kann alles umfassen!

Ebenso vermittelt der Glaube uns erst den wahren Sinn des Lebens. Wie viele Menschen sind nicht verwirrt und fragen sich: Wozu bin ich eigentlich da? Ist es wirklich, um die ganze Zeit zu arbeiten, um materiell besser dazustehen, um äußerlicher Freuden, Ehren und Güter, um den Leiden und Kreuzen der Welt zwar letztlich nicht ausweichen zu können, aber keinen Sinn in ihnen zu erkennen? Ist das die ganze menschliche Existenz? Wer aber glaubt, der weiß unmittelbar, was der Sinn des Lebens ist! Hier, in diesem Tal der Tränen, liegt dieser Sinn darin, Gott und dem Nächsten freudig zu dienen, sich selbst zu vergessen und dadurch heilig zu werden. Dort aber, in der ewigen Heimat, ist unser Ziel und Sinn, an der ewigen Herrlichkeit teilzuhaben, endlich unsere Herzenssehnsüchte erfüllt zu sehen und bis ans Ende aller Zeiten glücklich zu sein in der liebenden Herrlichkeit Gottes. Das eröffnet uns einen neuen Blick auf unser Leben, das macht dieses Leben auch dann, wenn es hart wird, lebenswert, und das gibt allem, was in der Geschichte passiert, einen ganz anderen Sinn. Denn plötzlich werden auch Leiden, Tod und Krieg hineingenommen in den geheimnisvollen Plan des göttlichen Willens, der uns alle, wenn wir unser Leben mit allen Freuden und Kreuzen annehmen und tragen, zu Ihm und Seiner Herrlichkeit führt.

Drittens wird der Glaube uns helfen, alte und neue Irrtümer zu vermeiden. Wie viele Irrtümer sind nicht heute als neu angepriesen: der Relativismus, die Leugnung der objektiven Wahrheit, der Hedonismus, um nur ganz wenige zu nennen. Sogenannte philosophische Erkenntnisse werden uns als neue Erkenntnisse der modernen Welt vermittelt. Dabei sind sie meist uralt und schon tausendmal widerlegt! Wer glaubt, wird diesen „alt-neuen“ Irrtümern nicht auf den Leim gehen. Wer glaubt, dessen Erkenntnismöglichkeit wird nicht verengt, wie manche behaupten, sondern wird erweitert, weil wir eben den alten Irrtümern im neuen Gewand nicht mehr nachzugehen brauchen. Wir wissen gleich, sie sind falsch, denn sie widersprechen der Offenbarung und der Lehre der Kirche. Wir können uns dagegen mit der Wahrheit Gottes und der Wahrheit, die Gott in die Dinge gelegt hat, beschäftigen und sie erkennen, ohne von diesen immer gleichen Irrtümern getäuscht zu werden. Der Glaube macht uns klüger, weil er uns den gesunden Menschenverstand erhält!

Weiterhin hilft uns der Glaube auch, eindeutig der Stimme unseres Gewissens zu folgen und das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Wie viele Leute sind nicht durch die ständige Wiederholung der immer gleichen Lügen heute grundlegend in ihrem moralischen Urteil verwirrt? Sie wissen nicht mehr, was offensichtlich ist: Dass man unschuldiges Leben, sei es jung oder alt, auf keinen Fall töten darf; dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann; dass um des Wohles der Menschen und des Staates nichts, was dem göttlichen Gesetz entgegensteht, jemals Gesetzeskraft haben darf. Das alles ist offensichtlich evidente Wahrheit, in der Geschichte immer nur von totalitären Regimen, Ideologen, Dummköpfen und Verbrechern geleugnet. Durch die immer aggressivere Wiederholungen aller möglichen flagranten Irrtümer werden jedoch auch heute die Menschen wieder verwirrt, verlieren den gesunden Menschenverstand und können Gut und Böse nicht mehr unterscheiden. Der wahre Glaube dagegen hilft uns, die Maßstäbe von Gut und Böse zu behalten. Wir wissen, dass der Wille Gottes eindeutig und klar ist und dass unser Gewissen gegen alles spricht, was diesem Willen Gottes entgegengesetzt ist. Wer glaubt, der weiß, was gut und böse ist und versucht nach Kräften, danach zu handeln!

Schließlich hilft uns aber der Glaube ebenso, das einmal als richtig Erkannte tatsächlich zu tun. Jeder Mensch ist schwach. Wir können mit bloß menschlicher Intelligenz alles Mögliche erkannt haben und doch nicht danach handeln. Schon der Dichter Ovid sagte: „Video meliora proboque, deteriora sequor (Metam. 7, 20-21): Ich sehe das Gute und Bessere, aber dem Schlechteren folge ich.“ Jeder hat diese Erfahrung in seinem Leben schon durch Schwäche und Sündhaftigkeit gemacht. Das weiß auch der heilige Paulus, wenn er den Galatern erklärt, dass sie dadurch nicht tun, was sie eigentlich wollen (vgl. Gal, 5, 17).  Wer aber glaubt, der wird durch die Glaubensgnade nicht nur die Wahrheit besser erkennen können, er wird ihr auch mit Gottes Hilfe folgen. Denn mit dem Glauben schenkt Gott uns die Kraft der Gnade, Seine Gebote zu tun, die Wahrheit nicht nur zu erkennen, sondern auch zu verwirklichen und tatsächlich zu leben, was wir erkannt haben, damit wir, wie der hl. Paulus uns heute sagt, „in Weisheit und Klugheit wandeln“ (Eph, 5, 15) und das Gute täglich tun.

So sehen wir, dass der wahre Glaube intelligent und klug macht. Er öffnet uns einen neuen Horizont; er erschließt uns den Sinn des Lebens; er bewahrt uns vor alten und neuen Irrtümern; er lässt uns klar zwischen Gut und Böse unterscheiden und gibt uns die Kraft, das einmal erkannte Gute auch zu tun. Wer glaubt, der ist intelligent; wer glaubt, der kann einsichtig den Willen Gottes erkennen; wer glaubt, dem öffnet sich eine ganz neue Welt, nämlich die Welt Gottes. Deswegen ist die alte Weisheit, die uns schon das Alte Testament vielfach lehrt, auch heute noch wahr: „Initium sapientiae timor Domini (z.B. Prov 9, 10; Ps 110, 10; Job 28, 28 etc.): Der Anfang der Weisheit ist die Furcht Gottes.“ Beugen wir uns vor der offenbarten Wahrheit Gottes, und wir werden, weil wir uns klein machen, den Weg erkennen, den Gott vor uns in den Sand unseres Lebens geschrieben hat. Wir werden diesem göttlichen Weg der Weisheit entgegen allen Irrtümern sogenannter „Intellektueller“ folgen können, und wir werden die Wahrheit, die sich uns im Glauben offenbart, am Ziel dieses Weges dann selbst sehen, den wahren „Gott schauen, wie er ist“ (1 Jo 3, 2; auch 1 Kor 13, 12) und in Ihm ewig selig werden. Amen.