Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Ecce ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum tuum. Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort (Lk 1, 38). In diesen wohlbekannten Worten der heiligen Jungfrau ist das ganze Heilsgeheimnis eingeschlossen. Das heutige Fest, das wir oft fast im Verborgenen feiern, und das in seiner Wichtigkeit von vielen noch nicht richtig erkannt ist, zeigt uns die Beziehung der Gottesmutter zum gesamten Geheimnis der göttlichen Trinität. Darin können wir ebenso unsere eigene Beziehung zu Gott, dem Vater, zu Gott, dem Sohn und zu Gott, dem Heiligen Geist erkennen. Das Wort, das wir gerade gehört haben, drückt nämlich die innere, vollkommene Ganzhingabe der Gottesmutter aus. Ganzhingabe ist eine Haltung, die nicht nur die Gottesmutter, die sie ganz vorgelebt hat, verwirklichen sollte, sondern zu der wir, jeder einzelne, in unserem ganzen christlichen Leben berufen sind.
Ganzhingabe ist zunächst ein Werk des himmlischen Vaters. Denn niemand, auch die Gottesmutter nicht, kann ohne Seine vorgängige Gnade sich ganz hingeben. Die Gottesmutter musste durch die Gnade Gottes von Anfang an von jedem Makel der Erbsünde bewahrt bleiben. Nur deswegen konnte sie in dem Moment, wo Gott der Menschheit Sein Heilsangebot erneuert hat, sich ganz hingegeben und ohne Vorbehalt Ja zum Willen Gottes sagen. Wir Menschen wissen, dass Ganzhingabe etwas Menschenunmögliches ist. Jeder von uns ist im Tiefsten ein Egoist. Wir wollen uns nicht weggeben, wir wollen uns nicht schenken, wir wollen behalten und nehmen. Nur mit der Gnade ist es möglich, dass wir den Willen Gottes erfüllen, uns ganz hinzugeben.
Deswegen gibt es Lebensstände, die jedem einzelnen diese Ganzhingabe erleichtern. Die Ehe zum Beispiel, in der wir dem Ehepartner versprechen, uns ganz mit dem, was wir sind und haben, ihm anzuvertrauen, weil er sich uns anvertraut. Diese Ganzhingabe in der Ehe ist nur möglich, weil Gott die Ehe zum Sakrament erhoben hat; weil Er im Ehebund die Eheleute segnet und weil Er ihnen in schwierigen Momenten die Standesgnade gibt, ihrem Versprechen der gegenseitigen Ganzhingabe treuzubleiben, wenn sie aus dem Glauben leben.
Ebenso ist es mit den Ordensleuten und Priestern, die Gott auf je eigene Weise versprechen, sich Ihm ganz hinzugeben. Menschliche Versprechen dieser Art sind immer zu hoch gegriffen. Nur die Gnade macht es möglich, solche Versprechen ein Leben lang zu halten: Jede Ordensfrau, jeder Ordensmann, jeder Priester kann sein je eigenes Versprechen nur halten, weil er durch die Standesgnade, die ihm geschenkt ist, die Kraft dazu erhält, und wenn durch persönliche Heiligung auch in schwierigen Momenten der von der Gnade getragene Wille nicht fehlt, mit allen angebotenen Ganden mitzuarbeiten, um Gott in der freiwilligen Ganzhingabe treu zu bleiben
Jeder von uns persönlich kann und soll sich Gott ganz hingeben. Dazu sind wir im Taufgelübde gerufen und in der Firmung gestärkt: Wir sind als Christen Gott ganz versprochen! Der große Heilige Louis Grignion de Monfort ruft uns deswegen auf, wie Maria, mit Maria und in Maria uns Gott ganz hinzugeben, damit Er in uns das Werk der Gnade erfüllen kann, zu dem wir geschaffen sind. Ganzhingabe ohne Gnade, ohne das Wirken des himmlischen Vaters, ohne die Kraft, die Er uns gibt, mit der Er uns überschattet, ist unmöglich.
Diese Ganzhingabe wird aber durch die Gnade Christi erwirkt. Nur durch Ihn können wir reiche Frucht tragen. Auch hier ist Maria unser Vorbild. Ihre Beziehung zu Christus, und damit die jungfräuliche Mutterschaft Mariens waren nur möglich, weil sie sich ganz Christus geschenkt hat. Sie hat deswegen solch wunderbare Frucht getragen, die Frucht der Erlösung, die Frucht schließlich der Miterlösung, weil sie sich durch die Gnade bewegt, ohne jedes Zögern und ohne jede Angst Gott in die Hand gegeben hat und Mutter Christ geworden ist.
Wenn wir das in unserem jeweiligen Lebensstand tun, ebenfalls von der Gnade Christi gestärkt, dann werden auch wir reiche Frucht tragen. Die Frucht der gegenseitigen ehelichen Liebe und des Kindersegens; die Frucht eines erfüllten Ordens- und Priesterlebens, in dem reiche Gnaden anderen geschenkt werden; die Frucht eines wirklich innigen christlichen Lebens, in dem wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für die anderen die Früchte der Gottes- und Nächstenliebe ernten dürfen. Das ist nur möglich durch die Ganzhingabe an Christus; das ist nur möglich, weil wir wie Maria unser Herz Christus öffnen, damit Christus in ihm neu geboren werden kann.
Schließlich führt die Ganzhingabe auch zur Vollendung im Heiligen Geist. Denn zur Vollendung sind wir alle geschaffen. Vollendung bedeutet aber ewige Ganzhingabe. Eine besondere Gabe des Heiligen Geistes ist jenes endgültige Geschenk Gottes, durch das wir uns für immer Ihm öffnen dürfen, die unverdienbare Gnade der Beständigkeit. Der Geist der Gnade will uns in aller Ewigkeit beschenken und in das nie endende Licht der Glorie einführen. Durch den Heiligen Geist ist Maria, unbefleckt empfangen, jungfräuliche Mutter geworden und ist, ohne die Verwesung zu schauen, in den Himmel aufgenommen worden.
Wenn wir uns hier auf Erden ganz hingeben als Eheleute, als Ordensleute und Priester, als Weltlaien in unserem jeweils eigenen Lebensstand und in unserer Lebenssituation, dann sind auch wir für diese Vollendung offen durch den Heiligen Geist offen. Dann wird auch uns eines Tages jene Vollendung zuteil, die nur das Sichwegschenken geben kann. Nur wenn das Weizenkorn stirbt, kann es Frucht bringen. Nur wenn wir unser Herz ganz öffnen und ganz hingeben, dann bringen wir die Frucht, für die wir geschaffen sind; dann bringen wir in diesem Leben die Frucht, die Gott für uns bestimmt hat, und in der Ewigkeit erhalten wir jene, die Gott uns schenken will, in einer Freude ohne Ende.
So sehen wir, dass in dem heutigen Fest, dem Fest der Ganzhingabe Mariens, das ganze Heilsgeheimnis eingeschlossen ist. Das Wirken des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes an ihr und an uns stellt uns die Kirche heute vor Augen.
Danken wir Gott für das Geschenk der Gnade, die eine solche Ganzhingabe möglich macht; danken wir für die vielen Früchte dieser Hingabe, die wir schon in diesem Leben ernten dürfen und für das strahlende Beispiel der Gottesmutter, das uns Mut macht und Gnade verleiht. Bitten wir darum, dass die Früchte der Gnade in unserem Leben so reich sind, dass uns einst die völlige Ganzhingabe geschenkt werden kann. Dann werden wir die Gottesmutter an der Seite ihres göttlichen Sohnes sehen und wir werden mit ihr für immer sprechen können: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort.“ Amen.