Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Weißen und Barmherzigkeits-Sonntag, dem 24. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Misereor super turbam. Ich erbarme mich der Menge.“ (Mk 8,2) Das sind Worte Jesu, an die uns die Kirche immer wieder erinnert, vor allem auch an diesem Barmherzigkeitssonntag. Was aber, so können wir fragen, ist das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber?  Das Priesterjubiläum, das wir heute feiern dürfen, hilft uns bei der Antwort auf diese Frage. Die Antwort ist eindeutig: Das größte Geschenk, dass der Gottmensch in Seiner Barmherzigkeit der Kirche und uns allen gegeben hat, ist Sein eigenes Priestertum.

Er hat sich der Menge erbarmt. Deswegen hat Er aus diesem Erbarmen heraus einen menschlichen Leib angenommen, ist ganz Mensch geworden und hat in einem großartigen, gottmenschlichen, priesterlichen Opferakt diesen Leib für uns geopfert. Wenn das nicht geschehen wäre, wenn der Herr im Himmel geblieben wäre, wenn Er nicht Mensch geworden wäre, nicht am Kreuz gestorben und nicht in Seinem Fleisch auferstanden wäre, dann hätte Er uns durch Seine göttliche Macht gewiss auch anders retten können, aber wir wüssten nichts von der Größe Seiner Barmherzigkeit. Wir wüssten nicht, dass Er sich wirklich um jeden einzelnen kümmert, wir wüssten nicht, dass Er bereit ist, für uns zu sterben und sich ganz für uns hinzugeben und wir wüssten nicht, dass Er durch Sein Priestertum der Sieger ist über Tod und Teufel, über alles Böse in der Welt.

Deswegen dürfen wir Ihm danken, dass Er, als Er zum Vater zurückgekehrt ist, Sein Priestertum nicht einfach mit sich genommen hat, sondern dass Er es uns hinterlassen hat. Dass Er in dem Moment, wo Er sich zum Sterben anschickte, Seine Jünger zu Aposteln, Bischöfen und Priestern gemacht hat und ihnen den Auftrag gegeben hat, Sein Werk fortzusetzen. Wir dürfen dankbar sein, dass Er Seine Barmherzigkeit uns nicht einfach entzogen hat, sondern dass Er das Werk der Barmherzigkeit fortführt und fortsetzt durch das Priestertum der Kirche, in die Welt und in die Geschichte hinein. Deswegen dürfen wir am heutigen Tag besonders dankbar aller unserer Priester gedenken, die sich am Tag ihrer Priesterweihe durch das Christus entgegengerufene „Adsum“, „Ich bin bereit“, in Seinen Dienst gestellt haben, damit auch sie Diener Seiner Barmherzigkeit seien.

Als Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, vor 25 Jahren dieses „Adsum“ gerufen haben, wussten Sie nicht, was alles auf Sie zukommen würde. Aber Sie haben sich bereitwillig in den Dienst der Barmherzigkeit gestellt, Sie haben bereitwillig Ihr ganzes Leben – wie Jesus Christus – für die Schafe geopfert. Als der Herr Sie dann nicht nur in Deutschland, sondern auch im fernen Nordamerika und schließlich wieder hier in Maria Engelport zu einem Pionier und einem nicht ohne Leiden Sein Reich aufbauenden Priester gemacht hat, da haben sie dieses „Adsum“, dieses „Ich bin bereit“, nicht zurückgezogen. So sind Sie in Ihrem ganzen Priesterleben ein Diener der Barmherzigkeit und damit ein wirklicher Priester Jesu Christi geworden und geblieben.

Die Barmherzigkeit des Priestertums Jesu Christi aber zeigt sich für uns vor allem in drei ganz besonderen Ausprägungen.

Heute scheint die Welt wieder zur Glaubenswüste zu werden. Viele glauben gar nicht mehr. Die meisten wissen nicht, was wahr ist und sind desorientiert, haben Angst und Not angesichts der Zukunft. Christus aber, der barmherzige, ewige Hohepriester, ist die Wahrheit! Er hat gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6) Wir haben in allen Unsicherheiten und in der Konfrontierung mit all der Lüge in der Welt einen sicheren Anhaltspunkt: die barmherzige Wahrheit Jesu Christi. Er entzieht sie uns nicht, Er verkündet sie nicht nur zu Lebzeiten an Seine Jünger und alle, die Ihm folgen, sondern hinterlässt sie Seiner Kirche, die uns in ihrer Lehre Halt und Orientierung gibt, und Er beruft Priester, die von der Kanzel und bei vielen anderen Gelegenheiten diese Wahrheit nicht nur in Erinnerung rufen, sondern dafür Zeugen sind.

Wieviel hunderte Predigten haben Sie, lieber Herr Kanonikus, nicht schon gehalten, wieviele Katechesen, wieviele Leute in den katholischen Glauben eingeführt, die sich bekehrt haben! Die Wahrheit Jesu Christi stirbt nicht! Durch jeden Priester, der treu die Lehre der Kirche verkündet, damit die Wahrheit Jesu Christi gegenwärtig setzt und dadurch ihre barmherzige Wirkung an uns Menschen möglich macht, lebt sie ständig fort.

Aber nicht nur das! Unsere Welt ist nicht nur eine Welt voller Lüge, sie ist auch eine Welt voller Hass. Kriege und Streitigkeiten sehen wir allenthalben. Dort, wo Hass und Bosheit aus dem Menschenherz anderen wehtun und sie in Elend und Not stürzen, da ist die Barmherzigkeit Jesu Christi von Neuem ein großes Zeichen des Trostes. Sie garantiert uns die Vergebung! Zu dem Wunderbarsten, das der Herr gesagt hat, gehören die Worte: „Deine Sünden sind Dir vergeben!“ (Lk 5, 20); „Gehe hin und sündige fortan nicht mehr.“ (Jo 8,11) Das Priestertum garantiert im heiligen Sakrament der Beichte durch die zweitausend Jahre der Kirchengeschichte eben diese Geschenke der Barmherzigkeit: Vergebung, Neuanfang, Hoffnung. Nichts ist zu Ende mit unserer Schwäche, nichts ist zu Ende mit unserer Sünde, sondern der Herr wartet auf uns, um uns zu vergeben. Er hat den Schatz der Vergebung reich geöffnet und, jeder, der sich aufrichtig von seiner Sünde abwenden will, kann die ganze Vergebung des Herrn durch das Priestertum Jesu Christi immer wieder erhalten.

Viele tausend Stunden haben auch Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, im Beichtstuhl verbracht. Sie haben die Barmherzigkeit Christi durch die Vergebung der Sünden den Menschen weitergegeben. Sie haben, wie so viele andere Priester, manchmal vielleicht auch warten müssen, bis ein Beichtkind kam.  Sie haben dadurch Zeugnis gegeben dafür, dass sich die Barmherzigkeit Jesu Christi niemals von uns zurückzieht, auch dann, wenn wir langsam sind, sie anzunehmen.

Schließlich aber wissen wir, dass unsere Welt von Kälte und einem immer größer werdenden Mangel an Nächstenliebe gezeichnet ist. Hier schenkt uns der Herr durch das Priestertum vielleicht das größte Zeichen der greifbaren Barmherzigkeit Seiner Liebe. Er hinterlässt uns Seinen Leib und Sein Blut als Zeichen Seiner wirklichen und substanziellen Gegenwart. Das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus wird nicht nur durch die Kirche und ihre Priester fortgeführt, sondern Seine Gegenwart wird uns durch dieses Priestertum versichert und möglich gemacht. Jedesmal, wenn ein Priester im Namen der Kirche und nach ihrem Willen die Wandlungsworte, die Christus selbst beim letzten Abendmahl gesprochen hat, wieder formuliert und sie über Brot und Wein ausspricht, dann öffnet sich der Himmel: Der Priester spricht in persona Christi und der Herr wird mitten unter uns gegenwärtig, sodass wir Seinen Leib essen und Sein Blut trinken können als Speise des ewigen Lebens.

Wir wären allein mit all unseren Problemen ohne das Priestertum. Danken wir unseren Priestern, dass sie treu die hl. Messe feiern, dass sie uns anleiten, wie Sie es tun, lieber Herr Kanonikus, hier und in anderen Apostolaten des Institutes, die Gegenwart unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament anzubeten. Danken wir es unseren Priestern, dass sie bei aller Kälte dieser Zeit die Wärme und die Liebe Jesu Christi, die Gegenwart Seines heiligsten Herzens mit all Seiner Barmherzigkeit durch das Sakrament der heiligen Eucharistie ermöglichen.

So sehen wir, dass wirklich das Priestertum Jesu Christi, fortgesetzt in der Kirche und gegenwärtig in jedem Priester, das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes ist. Die Barmherzigkeit Gottes ist deswegen für uns nicht ein bloßes Gefühl, sondern eine objektive Sicherheit. Wenn wir uns der Wahrheit Jesu Christi zuwenden, wenn wir die Vergebung des Herrn in der Beichte empfangen, wenn wir in der hl. Kommunion und in der Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes Christus begegnen, dann wissen wir: Die Barmherzigkeit ist Mensch geworden, sie lebt mitten unter uns und entzieht sich uns niemals. Auch die vielen, die heute leiden müssen, die Christen, die auf der Flucht sind, die ihre Heimat verloren haben, sie haben eine Sicherheit, die Sicherheit der Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Sakrament, die Sicherheit Seiner Vergebung und die Sicherheit Seiner Wahrheit, die in jeder neuen Heimat, die sie finden werden, ihnen wieder zur Verfügung gestellt wird durch das Priestertum der Kirche.

Deswegen danken wir Ihnen, hochwürdiger Herr Kanonikus, von ganzem Herzen, dass Sie „Ja“ gesagt haben, dass Sie durch Ihr Beispiel auch anderen die Freude am Priestertum geschenkt haben und durch Ihr priesterliches Wirken in unseren Apostolaten viele Berufungen hervorgerufen haben. Sie sind auch in unserem Priesterseminar in Gricigliano ein geschätzter Seelenführer. Ihre priesterliche Existenz, Ihre Bereitschaft, sich wie Christus für die Herde zu opfern, hat andere Berufungen nach sich gezogen und so ist Wirklichkeit geworden, was wir hier jeden Tag mit der ganzen Kirche beten und worum wir Christus bitten: „Herr, schenke uns Priester; Herr, schenke uns heilige Priester; Herr, schenke uns viele, heilige Priester.“ Amen.