Predigt zum 4. Sonntag nach Pfingsten

„Ich halte es dafür, dass die Leiden dieser Zeit in keinem Verhältnis stehen zur künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll (Röm. 8, 18).“

Liebe Gläubige,

diese Worte des hl. Apostels Paul an die Römer, die wir in der heutigen Lesung vernommen haben, sprechen uns Worte des Trostes und der Hoffnung zu. Auch alle anderen Schriftstellen im Proprium dieses 4. Sonntags nach Pfingsten sind erfüllt von Zuversicht in Gott, den Beschützer unseres Lebens (Introitus Ps. 26,1 und 2), in seine gütige Vorsehung, die die armen in ihrer Bedrängnis erhört, rettet und befreit (Alleluia-Vers Ps. 9, 5 und 10) und in seine grenzenlose Macht, denn der Herr ist unsere Feste und Zuflucht (Communio-Vers Ps. 17,3).

Der jüdische König David, der diese Psalmen unter der Inspiration des Heiligen Geistes um das Jahr 1000 vor Christus komponierte, sang von seinen Feinden, die ihn umringten, wie wir im Introitus gebetet haben: „Meine Feinde, die mich bedrängen, werden schwach und sinken nieder. Selbst wenn sie Heerlager gegen mich aufstellen, wird mein Herz nicht bangen“.

Geliebte im Herrn! Sind nicht auch wir in der Zeit, in der wir leben, von Feinden, ja sogar von feindlichen Heerlagern umgeben? Geht nicht Satan wie ein brüllender Löwe umher (1. Petrus 5,8) und sucht, wen er verschlingen könne?

Denken wir an die Kultur des Todes mit ihren lebensfeindlichen Gesetzen! Große Anstrengungen werden von politischen Kreisen auf internationaler Ebene unternommen, um die Tötung ungeborener Kinder bis unmittelbar vor die Geburt zu ermöglichen. Eine säkulare Umerziehung greift immer mehr um sich, sowohl am Arbeitsplatz durch weiterbildende Kurse und im Klassenzimmer durch den Schulunterricht. In den Medien wird eine neue Korrektheit verbreitet und alles zielt auf eine neue Ordnung der Welt ab, in der das Christentum auf den Zuschauerplatz verbannt oder sogar instrumentalisiert wird. Unsere Zeit ist, wie katholische Theologen und Schriftsteller seit Jahrzehnten nicht müde werden zu widerholen, nicht mehr christlich und auch nicht mehr post-christlich. Ein neues Heidentum bahnt sich seinen Weg, Irrtümer von einst erstehen wieder und so läuft die Welt in Gefahr, daß die Fehlwege und das Grauen von einst die Irrtümer und Verirrungen von morgen werden können.

Viele von Ihnen leben in Dörfern und Städten, in denen es keine hl. Messe in der außerordentlichen Form gibt. Sie unternehmen es, an Sonn-und Feiertagen nach Kloster Maria Engelport zu fahren. Nach dem Messopfer verbringen Sie oft noch Zeit im Gespräch mit anderen Gläubigen, denn da, wo Sie zuhause sind, gibt es wenige, die so glauben und denken wie Sie. Wenn wir in die Welt von heute blicken, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, führende Politiker hätten in den letzten Jahrzehnten vielerorts Brechstangen zur Hand genommen, um zu versuchen, den Rest an bestehender christlicher Ordnung zu beseitigen. In der Kirche sehen wir, daß viele Kathedralen, Basiliken und Kirchen mehr Touristen als gläubige Beter anziehen. Die schönen Kelche und Weihrauchfässer von einst sind meist in Museen hinter Vitrinen zu bestaunen und die prächtigen Messgewänder befinden sich oft, wenn es sie noch gibt, säuberlich weggeräumt im Archiv. Der weitverbreitete religiöse Analphabetismus ist erschreckend. Viele Gläubige fühlen heute eine große Verlassenheit und Einsamkeit, die durch das Gottesdienstverbot im Frühjahr dieses Jahres noch gesteigert wurde. Man kommt sich als gläubiger Christ in unserem säkularen Lebensumfeld immer häufiger wie jemand vor, der in eine Löwengrube gestürzt wurde, umringt von den Feindes seines Heiles.

Gut vierhundert Jahre nach König David lebte in Judea der heilige Prophet Daniel. In einer von Unglauben und Verweltlichung erfüllten Zeit, ließ es Gott zu, dass der babylonische König Nebukadnezar II. nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems im Jahre 597 v. Chr. die Bevölkerung Judeas verschleppte. Unglauben und Verstocktheit war den beiden verbliebenen Stämme Israels im Südreich, nämlich Juda und Benjamin, zum Verhängnis geworden. Gott gab diese Menschen, die sich von ihm aus ganzem Herzen abgewandt und die Propheten verfolgt hatten, der Macht ihrer Feinde preis. 70 Jahre lang sollte dieses Exil fern der Heimat in heidnischen Landen andauern.

Der heilige Prophet Daniel fand jedoch im heidnischen Babylon das Vertrauen des Königs. Eines Tages wurde er von Bewohnern Babylons beim König verklagt, denn Daniel hatte eine Statue des Götzen Marduk zerstört, des babylonischen Stadtgottes, der im Zuge der Ausbreitung des babylonischen Reiches zum Haupt des babylonischen Pantheons avanciert war. Im mesopotamischen Raum, wie auch in der Heiligen Schrift, wurde dieser Gott auch Bel, also Herr, genannt. Daniel hatte es jedoch nicht bei der Zerstörung des Bel belassen. Er tötete auch dessen Attribut, den Mardukdrachen, ein giftspritzendes Mischtier aus Schlange und Drachen, das in der Mythologie der Babylonier der Begleiter Marduks ist, des Herrn aller Götter, des Schöpfers von Himmel und Erde und auch der Menschen. In der Heiligen Schrift begegnen uns vielfach eindringliche Warnungen vor den heidnischen Göttern, die besonders im 5. Buch des Mose (Dtn. 32,17) und in den Psalmen als Dämonen benannt werden. So heißt es etwa im Psalm 95,5 „Dii enim gentium daemonia sunt.“ „Die

Götter der Heiden sind nämlich Dämonen.“ Psalm 113 lobsingt der Transzendenz und Allmacht des einen und wahren Gottes und rühmt seine zahllosen Großtaten. Im Kontrast hierzu verspottet der Psalmist die Götzenbilder der Heiden, die aus Silber oder Gold gefertigt sind, als das leblose Werk menschlicher Hände. An diese Psalmverse wird der Prophet Daniel wohl gedacht und sie in seinem Herzen auch gebetet haben, als er daran ging, die Statue des grausamen Marduk umzustürzen und zu zerstören, dem zur Besänftigung seines Zornes in einem Feuerofen Menschenopfer dargebracht wurden.

Wie viele Opfer werden den falschen Göttern der Moderne heute dargebracht, dem Konsumismus, der Wissenschaft ohne Gott und dem Drang nach völliger Unabhängigkeit?

Nur nach heftigsten Morddrohungen hatte der König dem Sinnen der Götzendiener schließlich nachgegeben, und Daniel wurde von diesen in eine Löwengrube geworfen. Gott gedachte jedoch seines treuen Dieners Daniel, bewahrte ihn vor den ausgehungerten Löwen und sandte sogar einen Engel mit dem Propheten Habakuk aus Judea, der Daniel ein Mahl brachte, sodass er bei Kräften bliebe. Der Prophet Daniel erhob nun seine Stimme zum Lobpreis Gottes und sprach: „Du hast meiner gedacht, o Gott, und die nicht verlassen, die Dich lieben!“ Daniel ist in dieser äußersten Gefahr des Todes ein Typus für Christus, der von seinen Feinden wie von blutrünstigen Löwen umringt war und den der himmlische Vater im Leidensgarten Getsemani durch einen Engel stärkte. Als der König am siebten Tag zur Löwengrube kam, um über Daniel zu trauern, da war er vor lauter Freude ganz außer sich, Daniel heil wiederzufinden. Voller Staunen über Gottes Allmacht und Treue rief er aus: „Groß bist Du, Herr, Gott Daniels!“ Danach bekannte der König laut vor allen: “Alle Bewohner der ganzen Erde sollen den Gott Daniels fürchten, denn er ist der Retter, der Zeichen und Wunder wirkt auf Erden. Er hat Daniel aus der Löwengrube befreit.“

So wie der Gott dem Daniel beistand, so wird Gott auch uns weiter beschützen und durch die Unsicherheiten und die Wechselhaftigkeit dieser launischen Welt in seiner väterlichen Hand hindurchtragen. Vergessen wir nicht, daß das Kreuz der königliche Weg der Nachfolge Christi ist, dass es der Altar von Golgotha und das Zeichen des Sieges Christi ist, der nie ein Ende finden wird. Blicken wir auf zu den Scharen der Märtyrer, Bekenner und heiligen Frauen. Blicken wir zu König David und dem Propheten Daniel. Vertrauen wir uns dem Herrn an, besonders in Momenten der Versuchung. Beten wir zu Gott und fürchten wir nicht die Menschen! Erzeigen wir dem einzig wahren Gott unsere Ehrfurcht! Denken wir an die Worte des hl. Apostels Paulus an die Römer über die künftige Herrlichkeit, wie wir sie in der Lesung vernommen haben. Haben wir keine Angst vor den Löwen dieser Welt, die den Kindern Gottes nachstellen und beten wir mit dem hl. König David: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, wen sollte ich fürchten? Der Herr ist der Beschützer meines Lebens, wovor sollte ich zittern (Ps. 26,3)?“ Der Herr ist meine Feste, meine Zuflucht und mein Befreier; mein Gott, mein Helfer (Ps. 17,3)!“

Kanonikus Richard von Menshengen