Predigt am 1. Weihnachtstag, dem 25. Dezember 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wenn wir Menschen ein Tauschgeschäft machen, dann haben wir oft Angst, übervorteilt werden zu können. Am Ende ist das, was wir weggeben, vielleicht – so denken wir – nicht so viel wert wie das, was wir erhalten. Wir sind zögerlich. Wir tauschen nur mit einem gewissen Misstrauen gegenüber dem, der uns etwas gibt, um uns etwas zu nehmen.

Gott ist ganz anders! Das „wunderbare Tauschgeschäft“, „admirabile commercium“, das Er mit uns an Weihnachten macht, ist eines, bei dem der große Gott unendlich viel mehr gibt, als Er jemals erhalten kann. Denn Er gibt sich ganz, Sein göttliches Wesen und Seine allmächtige Gegenwart, und erhält dafür nur unsere arme, kleine Menschheit, die doch schon in ihrer Erschaffung ganz von ihm abhängt.

Um zu begreifen, wie sehr Gott Sich uns ganz schenkt, müssen wir noch tiefer in das Weihnachtsgeheimnis eindringen. Wir haben in der Epistel von der Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens gehört: „Du aber bist immer derselbe, und Deine Jahre enden nie“ (Hebr 1, 12). Die Geheimnisse des durch die Menschwerdung des Wortes in die Geschichte herabsteigenden dreifaltigen Gottes sind uns auch im Prolog des Johannesevangeliums erschlossen worden (Jo 1, 1-14). Doch was bedeutet das alles? Was bedeutet es, dass der unveränderliche trinitarische Gott Mensch geworden ist und wir durch Seine große Güte ein neues Leben empfangen?

Dazu müssen wir zunächst bedenken, dass es eine dreifache Gegenwart Gottes in dieser Welt gibt. Die Gegenwart Seiner allmächtigen und unendlichen Größe, die praesentia immensitatis; die Gegenwart Seiner immer wirkenden Kraft und Gnade, die praesentia gratiae; und schließlich heute, als Siegel unter Seinem Heilsplan, die Gegenwart Seiner Gottheit in unserer Menschheit, in Seinem neugeborenen Sohn, die praesentia unionis.

Als Gott die Welt geschaffen hat, hat Er Seine Gegenwart in ihr als Grundstein dieser Welt festgesetzt. Diese Welt könnte nicht einen Augenblick bestehen, wenn der Gedanke Gottes, der sie ist und der durch Seine Allmacht lebendige Wirklichkeit geworden ist, aufhören würde, gedacht zu werden. Alles, was ist, ist von Gott bewegt. Er ist in allem! Der heilige Paulus sagt: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17, 28).  Das ist nicht im Sinne eines Pantheismus zu verstehen, denn Gott identifiziert sich nicht mit der Welt und bleibt von ihr unabhängig, daher auch nicht im Sinne eines Pantentheismus, als wenn Gott mit den Gegenständen und Personen dieser Welt eins wäre und deren Geschichte zu Sich käme. Die Allgegenwart Gottes bedeutet vielmehr, dass alles, was ist, an Seinem Sein teilhat; dass alles, was bewegt ist, durch Ihn getragen und in Bewegung versetzt wird; dass alles, was existiert, durch Ihn und Sein Sein, das allein mit der Existenz in eins fällt, die tatsächliche Existenz erhält und so von Ihm abhängt. Gott ist Seiner Welt so tief gegenwärtig und sie ist so tief in Ihm verankert, dass nichts sein und werden kann ohne Ihn und Seine Allmacht.

Diese geheimnisvolle, immer gegenwärtige Präsenz Gottes wird noch einmal überstiegen von der Präsenz der Gnade. Jedes Mal, wenn der Mensch, arm und sündig, wie er ist, etwas tut, das auch nur minimal zu seinem Heil beiträgt, kann er es nur tun, weil seine sündige Menschheit durch die Kraft Gottes bewegt und auf sein Endziel hin orientiert wird. Gott ist es, der in uns das Gute bewirkt. Vor allen Dingen tut Er das in denen, die die Gnade der Taufe erhalten haben und durch ein christliches Leben und die Teilhabe an den Sakramenten in der heiligmachenden Gnade bleiben dürfen. In ihnen ist die Kraft Gottes so gegenwärtig, dass in ihren Seelen die Kraft der Allerheiligsten Dreifaltigkeit lebt und, wie wiederum der heilige Paulus sagt, dass wir „Tempel Gottes“ sind und „der Geist Gottes“ in uns „wohnt“ (1 Kor 6, 19; auch 1 Kor 3, 16) sind. In jedem von uns ist diese wunderbare Gegenwart Gottes durch Seine Barmherzigkeit, Seine Güte und Seine Vaterliebe immer wirksam, um uns zu helfen, Seine Gebote zu halten und das zu tun, was zu unserem Heil gereicht.

Heute aber, Geliebte, werden diese zweifache Gegenwart der unendlichen Größe und Omnipotenz Gottes sowie Seiner immer wirksamen Gnade noch einmal überhöht in der praesentia unionis, nämlich durch jene Gegenwart, mit der Gott Sich Selbst einer menschlichen Natur für immer unvermischt und doch unzertrennlich vereinigt. Wenn wir vor der einzigartigen neapolitanischen Krippe von Kloster Engelport stehen und dort das Abbild des Jesusknaben verehren, dann verehren wir den allmächtigen Gott, der mitten unter uns Mensch geworden ist, und der die Gegenwart Seiner unendlichen Allmacht und die Kraft Seiner nie aufhörenden Gnade vereint hat in diesem Menschenkind in der Krippe, das durch Seine göttliche Kraft alles ändert, das uns von unserer Sünde befreit, und das diese Welt erneuern kann, damit die Herrlichkeit Gottes in ihr sichtbar wird durch Gnade und Wahrheit.

Diese besondere Gegenwart der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit im Jesuskind ist auch in den Sakramenten der Kirche wirksam, deren göttliche Kraft uns immer durch die heilige Menschheit Christi vermittelt wird, die das Werkzeug der Gottheit geworden ist. Dadurch haben wir in der heiligen Eucharistie den Jesusknaben immer mitten unter uns! Die Wirkung der hypostatischen Union, der Menschwerdung Gottes, dürfen wir in den Sakramenten der Kirche erfahren, vor allem auch in dem Sakrament der Sündenvergebung. Durch die göttliche Gegenwart in den Sakramenten können wir Gott nicht nur anbeten und unter uns verehren, sondern trotz unserer Sündhaftigkeit immer wieder mit Gott einen neuen Anfang setzen und das Heil wiedergewinnen.

Wir sehen also, was es bedeutet, dass der unveränderliche trinitarische Gott Mensch geworden ist. Seine Gegenwart in der Welt, wirksam durch Schöpfung und Gnade, ist nochmals stärker und sichtbarer geworden, und zwar zu unserem Heil! Danken wir also Gott, wenn wir vor der Krippe stehen, für seine dreifach wunderbare Gegenwart in dieser Welt. Diese Welt ist ganz von Gott getragen. In dieser Welt ist Gott in jedem Moment auf vielfache Weise gegenwärtig, als Erhalter, als Begnader, und schließlich als unser Erlöser. In jedem von uns möchte Er sogar Wohnung nehmen! Er zeigt uns das durch die weit ausgebreiteten Arme des Jesuskindes, das mit einer endgültigen, ewigen Geste der Gegenwart unsere Menschheit mit Seiner Gottheit versöhnt! Das ist das „admirabile commercium“, der wunderbare Tausch: Nicht Gott kommt in der Welt zu Sich, sondern die Welt kommt durch Seine Menschwerdung zu Ihm. Wir sehen durch die Gnade der Menschwerdung, wozu wir geschaffen sind, and was im Glanz des Weihnachtsfestes offenbar wird: Die Herrlichkeit des dreifaltigen Gottes! Amen.