Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Das Fest des heutigen Tages ist geheimnisumwoben. Wie so oft können wir die Tiefe der göttlichen Geheimnisse, die sich uns offenbaren, auch an diesem Festtag nicht ausloten. Wir wollen daher nur einige Aspekte des Festgeheimnisses beleuchten und versuchen, zu drei Fragen eine wenigstens anfanghafte Antwort zu finden: „Wer ist Gott? Wer ist die Gottesmutter? Wer sind wir?“ Damit wir in der Beantwortung dieser Fragen nicht in die Irre gehen, wollen wir den großen seligen Papst Pius IX., der in einer für die Kirche schweren Zeit, am 8. Dezember 1854, dieses Dogma mit der Bulle Ineffabilis Deus feierlich verkündet hat, zu den in diesem Fest beschlossenen Glaubensgeheimnissen besonders zu Wort kommen lassen.
Zu der ersten Frage „Wer ist Gott?“, die vom Festgeheimnis der Unbefleckten Empfängnis beleuchtet wird, sagt der selige Papst in dieser berühmten Bulle das Folgende: „Der über alle Worte erhabene Gott (…) sah von Ewigkeit her das unheilvolle Verderben des ganzen Menschengeschlechtes infolge der Sünde Adams voraus. In Seinem geheimnisvollen, der Welt verborgenen Ratschluss beschloss Er aber, das erste Werk Seiner Güte (die Schöpfung), durch die Menschwerdung des Wortes auf eine noch unbegreiflichere Weise zu ergänzen (…) Darum wählte Er von Anfang an und vor aller Zeit schon für Seinen eingeborenen Sohn eine Mutter aus (…) Ihr wandte Er mehr als anderen Geschöpfen Seine besondere Liebe zu, und fand an ihr allein Sein höchstes Wohlgefallen (…) [und] begnadete sie so wunderbar, dass sie allezeit frei blieb von jedem Makel der Sünde.“
Aus diesen erhabenen Worten können wir viel über Gott erfahren, vor allen Dingen über seine Allmacht und vorhersehende Weisheit, die alles regiert. Denn vor aller Zeit hat Er in Seiner ewigen Gegenwart nicht nur die Sünde Adams vorausgesehen, die Er zugelassen hat für ein höheres Gut, sondern Er hat bereits das Gefäß der Erlösung, die heilige Jungfrau, vorherbestimmt, die Mutter Seines Eingeborenen Sohnes zu werden, der dann kommen sollte, um uns durch Seine Menschwerdung, Sein Kreuzesopfer und Seine Auferstehung zu erlösen. Aus dem Geheimnis des heutigen Tages können wir so erkennen, dass – wie wir gerade in der Epistel aus dem Buch der Sprüche (8, 22-35) gehört haben – die unbefleckte Gottesmutter immer vor Gottes Auge gegenwärtig war; dass Er sie vor allen Zeiten mit Seiner Liebe umfangen hat, dass Er sie, bevor alles geschaffen war, bereits in ihrer Herrlichkeit gesehen hat und dass Er ihr von Anfang an die Früchte der Erlösung Seines Sohnes überreich hat zukommen lassen. Die für uns unbegreifliche Zeitlosigkeit und geschichtslose Omnipräsenz des ewigen Gottes, für Den es nicht gestern, heute und morgen, sondern ausschließlich das ewige Jetzt gibt, hat diese Jungfrau aus Nazareth vor aller Zeit, vor aller Schöpfung gesehen, geliebt und als die Unbefleckte Empfängnis in diese Welt schicken wollen.
Gleichzeitig können wir erkennen, dass Gott in Seinen Gnadengaben völlig frei ist. Nichts ist Ihm geschuldet, dass Er nicht von vorneherein bereits hätte. Er ist so reich an Gnade, an Macht, an Barmherzigkeit, an Gerechtigkeit und an Güte, daß Er frei jedem zuteilt, was ihm zukommt. Suum cuique, jedem gibt er das, was Seine Gerechtigkeit und Seine Barmherzigkeit vor aller Zeit gesehen hat. Das große Geheimnis der Prädestination, der Vorherbestimmung Gottes für jeden einzelnen Menschen, ist ebenso in dem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis beschlossen, denn Gott hat vor allen Zeiten die Gottesmutter dazu bestimmt, das Gefäß der Gnade zu sein, nämlich der Gottesmutterschaft, also einer solchen Gnade, dass es eine größere nicht geben kann. Also ist Er auch uns gegenüber völlig frei, Er kann uns geben, was Er will, wie er will und wann er will! Aus reiner Barmherzigkeit gibt Er uns immer alles, was zu unserem Heil notwendig ist, aber wir haben von Ihm nichts zu verlangen. Denn alles, was Er gibt, gibt Er aus Seiner großartigen, göttlichen Freiheit, immer voraussehend, wer zum Heil bestimmt ist und wer Seinen Geboten gehorchen wird.
Gleichzeitig aber sagt natürlich das heutige Festgeheimnis viel über die Frage „Wer ist Maria?“, also über das einzigartige Wesen der Gottesmutter aus. Um das zu verstehen, müssen wir wieder den seligen Pius IX. zitieren, der das mit erleuchteten Worten gelehrt hat: „So überhäufte Gott die Gottesmutter weit mehr als alle Engel und Heiligen mit einer Fülle himmlischer Gnadengaben, die Er aus der Schatzkammer Seiner Gottheit nahm, begnadete sie so wunderbar, dass sie allezeit frei blieb von jeder Makel der Sünde, dass sie ganz schön und vollkommen wurde und eine solche Fülle von Reinheit und Heiligkeit besitzt, dass man, außer in Gott, eine größere [Heiligkeit] sich nicht denken kann, und dass niemand außer Gott sie [ganz] begreifen kann. Und es war auch ganz entsprechend, dass sie stets im Glanze vollkommenster Heiligkeit erstrahlte, dass sie sogar frei blieb von der Makel der Erbsünde und so über die alte Schlange einen vollen Sieg errang.“
Hier erklärt uns der Papst, warum wir die Gottesmutter mit einer besonderen Verehrung unsere Mutter nennen, warum sie die Königin aller Engel und Heiligen ist, warum nur Gott Selbst größer ist und wunderbarer als dieses von Ihm von Anfang an begnadete Geschöpf. Sie ist „voll der Gnade“, d. h. alles, was Gnade ist, ist in ihr überreich enthalten. Alles wird ihr ganz geschenkt. Sie erhält alles vor aller Zeit durch die vorausgesehenen Verdienste ihres gottmenschlichen Sohnes. Durch Ihn ist ihr alles in solcher Fülle gegeben, dass sie selbst die herrlichsten Engel überstrahlt, dass sie selbst die größten Heiligen und die wunderbarsten und mutigsten Kämpfer für unseren Herrn Jesus Christus mit ihrem Sohn als Königin beherrschen kann und ihnen vorausgeht. Wir können die Gottesmutter nächst Gott hier auf Erden nie zu viel verehren, denn in ihr ist eine solche Gnadenfülle, dass nur Gott allein die Fülle und Größe ihrer Heiligkeit ganz begreifen kann.
Das erklärt ebenso, warum wir sie als unsere Fürsprecherin jeden Tag verehren. Denn ihre Heiligkeit gibt ihr die Kraft, uns und unsere Bitten vor Gott zu tragen. Als vollkommen reine, unbefleckte, jungfräuliche Gottesmutter ist sie die nächste am göttlichen Thron. Jeder von uns kann sicher sein, dass, wenn er zu ihr geht, was Gott wirklich will, durch sie für uns erbeten wird. Denn sie ist das Tor zu Christus, die Pforte zu Gott; sie ist das helle Licht, das Gott selbst im Dunkel dieser Welt angezündet hat; sie vermittelt uns alle Gnaden ihres Sohnes, weil sie vor allen Menschen reich an Gnade und Heiligkeit ist. Die Kirche hat das von Anfang an begriffen, und das große Dogma von der Unbefleckten Empfängnis ist zusammen mit dem Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel nur die krönende Bekräftigung einer Verehrung, die seit der Zeit der Apostel die Christen immer klar in dem Bewusstsein hat leben lassen, dass es nächst Gott kein größeres und kein heiligeres Wesen auf dieser Erde gibt und niemanden unter den sündigen Menschen, der ihnen mehr helfen kann, als sie, die Sündenlose.
Schließlich beantwortet das Festgeheimnis auch die Frage „Wer sind wir?“, denn es sagt uns etwas sehr Wichtiges über uns selbst, das uns einerseits von der Gottesmuter unterscheidet, anderseits aber auch mit ihr vereint. Die Gottesmutter ist von Anfang an von aller Makel der Sünde befreit gewesen. Sie war immer makellos. Sie brauchte nie in irgendeiner Weise die Barmherzigkeit Gottes um Vergebung für ihre eigenen Sünden anzurufen. Wir aber müssen das tun! Wir sind alle von der Erbsünde gezeichnet. Wir sind alle Sünder und brauchen notwendig, dass sie uns zur Seite steht und uns Gott unter ihrem mütterlichen Mantel vorstellt, der oft genug unsere eigene Schuldhaftigkeit und Schwäche verbirgt. Trotzdem sind wir, genau wie sie, obwohl wir Sünder sind, erlöst durch Jesus Christus! Wir sind gleich ihr durch die Freiheit und Allmacht des allmächtigen und barmherzigen Vaters und das Opfer des Sohnes in der Lage, sehr große Gnaden zu empfangen.
Jeder von uns empfängt immer genügende Gnaden, um gerecht zu werden und heilig zu leben. Die Gnaden, die Gott uns gibt, kann Er täglich wachsen lassen. Jeder von uns ist daher, nach dem Beispiel der Gottesmutter, berufen zu einer immer größeren Heiligkeit. Je mehr wir dem Willen Gottes folgen, je mehr wir Seiner Lehre, die Er der Kirche anvertraut hat, Glauben schenken, je mehr wir uns der Gottesmutter anvertrauen, damit sie uns lehrt, den Willen Gottes demütig zu tun, desto mehr wird auch unsere Heiligkeit wachsen. Dann wird Gott, der allmächtige Vater, uns auf die Fürsprache der unbefleckten Gottesmutter durch Seinen und ihren Sohn Jesus Christus unzählige Gnaden geben, und so werden auch wir jeden Tag mehr, wenn wir nur wollen, dem Throne Gottes näherkommen, wo Christus mit der Gottesmutter herrscht im Himmel, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.