Predigt am Fest der Unbefleckten Empfängnis 2021 in Kloster Maria Engelport
Msgr. Rudolf Michael Schmitz
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Erlösungsbedürftigkeit – dieses Wort bringt das große Geheimnis des heutigen Tages besonders zum Ausdruck. Erlösungsbedürftigkeit ist die Eigenschaft, die das Menschengeschlecht besonders kennzeichnet und die von vielen empfunden wird. In der ganzen Geschichte der Menschheit haben wir uns klarmachen müssen, dass wir der Hilfe von oben bedürfen, dass wir allein uns nicht aus dem Schlamm unserer Sünde erheben können, dass wir in unserem Innersten verletzt sind, und dass wir der Hilfe Gottes bedürfen.
Diese geheimnisvolle Erlösungsbedürftigkeit geht zurück an den Anfang der Zeit, geht zurück an den Beginn der Schöpfung, geht zurück in jene Tage, als Gott selber unsere Voreltern, die ersten Menschen, mit den Namen Adam und Eva geschaffen hat und ihnen alles geschenkt hat, was seine Vatergüte uns Menschen geben kann. Unsere Voreltern waren nicht nur in natürlichem Sinn perfekte Menschen, denn in ihnen war die ganze Schönheit der Schöpferkraft der Gottheit gegenwärtig. Sie waren auch mit besonderen Gaben ausgestattet. So kannten sie nicht wie wir die ungeordnete Begierde, sie waren unsterblich, sie brauchten nicht zu leiden, und Gott hat ihnen, wie uns auch die heiligen Schriften berichten, ein besonderes Wissen verliehen, ein eingegossenes Wissen, das es ihnen möglich machte, über alle Geschöpfe zu herrschen. Darüber hinaus hat er ihnen auch übernatürliche Gnaden verliehen. Er wandelte mitten unter ihnen und sie durften mit Ihm sein. Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes voll der Gnade.
Diese ersten Menschen haben sich dann trotz aller Gnadengeschenke Gottes in einem Akt des Hochmuts, in einem Akt des Übermuts, von Gott getrennt, weil sie glaubten, dass alles das, was sie hatten, aus ihnen selber käme. Sie wollten sein wie Gott und sie haben sich abgewandt von Dem, der ihnen alles das gegeben hatte. In diesem Moment hat die Gerechtigkeit Gottes ihnen alle diese reichen Gaben nehmen müssen. Sie waren plötzlich dem Tode verfallen, sie waren in ihrem Geiste verdunkelt, sie mussten im Schweiße ihres Angesichtes ihr Brot verdienen, und Eva unter Schmerzen ihre Kinder gebären. Alles, was ihnen gegeben worden war, vor allen Dingen die Gnadenhilfe Gottes, wurde ihnen genommen, weil sie sich von Gott weg- und dem Teufel zugewandt hatten. Von da an war das Menschengeschlecht, wie es heute noch ist: erlösungsbedürftig. Von da an war es einem Fluch verfallen. Und jedes Mal, wenn sich das Menschengeschlecht wieder von Gott abwendet, und seine reichen Gaben ausschlägt, dann wird diese Erlösungsbedürftigkeit besonders deutlich. In einem Land, wo eine neue Regierung fast nur aus Apostaten und Religionslosen besteht, wo die meisten Staatsbürger sich von der Gnade Gottes abgewandt haben, wo daher die übernatürliche Liebe zusehends erkaltet, wird diese Erlösungsbedürftigkeit von neuem überdeutlich.
Was aber tut Gott? Er hätte das Recht gehabt und hat es immer noch, uns allein zu lassen. Er hätte das Recht gehabt, alles, was er geschaffen hat, wieder zu nehmen, ja, zu zerstören. Er hätte sich für immer beleidigt und im Zorne von uns wegwenden können. Was aber tut er? Er erfüllt Seinen ewigen Ratschluss: Er wendet sich nicht von uns ab, sondern er schafft eine neue Eva, ein wunderbares Geschöpf, er sendet einen neuen Adam, den er mit solchen Gaben ausstattet, dass der neue Adam nicht nur Mensch, sondern auch Gott ist, und seine jungfräuliche Mutter all die Gaben wiedererhält, die der Mensch verspielt hat. Nicht nur die Gabe, voll der Gnaden zu sein, sondern auch die Gabe, über den Tod und den Teufel zu triumphieren und ein höheres Wissen ihr Eigen zu nennen, um uns mit Ihrem Sohn retten zu können.
Der Herr selbst in seiner großen Liebe zum Menschengeschlecht, die wir nie wirklich verstehen können, wenn wir uns selber ansehen, schafft das Instrument der Erlösung. Er gibt ihm alles zurück, was wir verloren hatten, und mehr noch dazu, damit Maria als die neue zweite Eva das Ja sprechen konnte, das die erste Eva mit Adam verweigert hat. Sie wird als zukünftiger Tempel Gottes schon von Anfang an vor der Erbsünde bewahrt. Alle Folgen der Erbsünde werden ihr erspart, alles, was uns Menschen Gott nicht wohlgefällig macht, ist in ihr nicht vorhanden. Sie hat die Kraft, die Schönheit der ersten Schöpfung, und sie kann daher die gefallene Schöpfung mit ihrem freiwillig gesprochenen Ja wieder auf Gott hin ausrichten. Sie macht das nicht aus Zwang, sie macht es, weil sie sich in einem freiwilligen Akt der jungfräulichen Liebe dem Vatergott öffnet, dem wir unsere Herzen verschlossen haben. Sie wird dadurch das Tor, sie wird die einzigartige Frau, die stärker ist als alles Böse, und die wir auch heute, in diesen dunklen Zeiten, wieder anrufen können, wenn die Menschen sich von Neuem von Gott abwenden.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass nach dem Sündenfall, nach dem Verlust all dieser Gnaden und in den Krallen der Konkupiszenz, der ungeordneten Begierlichkeit, die Menschen sich von Gott abwenden. Sie haben es schon im Alten Testament immer wieder getan, und sie haben es auch, nachdem der Erlöser gekommen ist, immer von Neuem versucht. Doch wir sind jetzt unter einem großen Schutz. Unser Schutz ist dieses einzigartige Geschöpf, die neue Eva, die Unbefleckt Empfangene, die Gott aufgrund unserer Erlösungsbedürftigkeit vor aller Zeit in seinem Herzen getragen hat, die er, weil auch sie erlösungsbedürftig gewesen wäre, damit sie uns miterlösen kann, in Ansehung der Verdienste ihres Sohnes vorher erlöst hat. So kann sie uns durch Ihn geben, was wir brauchen: Die Hilfe von oben, die Gnade der ewigen Herrlichkeit, und die Gegenwart des erlösenden Schöpfergottes unter uns.
Wir können Maria deswegen nicht genug anstaunen. Wir können das Mysterium, das in ihr begriffen ist, niemals ganz ergründen. Sie ist nicht nur die Jungfrau von Nazareth, sie ist die ewige Frau, die die göttliche Weisheit schon immer vor Augen hatte, und die in die Welt gesandt worden ist, um uns Seinen Sohn zu schenken, den ewigen, allmächtigen Gott. In ihr – und so sehen wir es in der Apokalypse des Johannes – zeigt sich die ganze Macht der Gottheit. Selbst, wenn die Mächte der Unterwelt mit aller Kraft versuchen, die Kinder des menschgewordenen Sohnes Gottes zu zerstören: Sie ist zwischen ihnen und dem Bösen. Sie beschützt sie, denn in ihr wohnt die Kraft der Gottheit, die sie sich mitverdient hat durch jenes demütige, offene und freie Ja zu den Plänen Gottes.
Danken wir also am heutigen Abend Gott, dem allmächtigen Vater, dass Er weitergesehen hat als auf unseren Hochmut, dass Er sich nicht im Zorn von uns abgewendet hat. Dass wir aus eigener Schuld in der Erlösungsbedürftigkeit geblieben sind, und, da wir Sünder sind, immer wieder in sie zurückfallen, ist die eine Seite. Dass der Herr aber uns in dieser Bedürftigkeit nicht allein lässt, sondern uns eine Mutter gibt, eine ewige Mutter, eine Mutter, die uns in die Ewigkeit führen will, das ist die andere Seite der glorreichen Erlösung, die wir heute feiern. Alle Geheimnisse der Erlösung sind so miteinander verbunden. Und wenn wir die heilige Jungfrau, die unbefleckt Empfangene, die Braut des Heiligen Geistes heute sehen, dann sehen wie die Fülle der Geheimnisse Gottes in ihr: Sie ist wie ein Spiegel, in dem wir die Allmacht Gottes, die gekommen ist, um zu retten, was zu retten ist, bewundern und verehren können!
Amen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.