Predigt Msgr. Prof. DDr. Rudolf  Michael Schmitz am Karfreitag, den 7.4.2023

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 Niemand von uns bringt gerne Opfer. Das Leben fordert uns jedoch manche Opfer ab. Manche müssen auf Dinge verzichten wegen ihrer Gesundheit, andere wollen Sport treiben und bringen deswegen Opfer. Für viele ist es das liebe Geld oder persönliche Wünsche, die sie zum Opferbringen veranlassen. Viele bringen Opfer für Familie und Freunde. Diese Opfer sind aber oft genug halbherzig oder nur zwangsläufig. Sie sind selten ganz selbstlos, werden nicht wirklich gerne gebracht und oft lassen sie einen bitteren Geschmack zurück.

Keiner bringt gerne Opfer, aber noch viel weniger möchten wir Opfer sein. Dabei gibt es Hunderttausende von Menschen, die Opfer sind. Opfer von Ungerechtigkeit, Opfer von Krieg, Opfer von Bosheit, schließlich werden wir alle Opfer eines Todes, den wir uns nicht gewählt haben. Das gilt vor allem für die Hilflosen, wie etwa die abgetriebenen Kinder und so viele andere, die ohne eigene Schuld sterben müssen.

Diese Opfer, dieses Leid, dieses Opfersein hätte in dieser Welt gar keinen Sinn, wenn sich nicht jemand entschieden hätte, für all diese Geopferten und für die Opfer so vieler einzustehen mit Seinem eigenen, persönlichen, ganz selbstlosen Lebensopfer: Unser Herr Jesus Christus! Der Herr hat nicht nur Sein ganzes Leben lang unzählige Opfer gebracht, Er hat nicht nur in einer ständigen Entäußerung Seiner Gottheit entsagt und sich für uns in einem Leben voller Opfer hingegeben. Er ist auch das Opfer schlechthin geworden: für alles Unrecht, für alle Sünde, und für den Tod in dieser Welt. Das feierliche Gedenken an dieses Opfer begeht die Kirche an jedem Karfreitag. Aber in unserer Oberflächlichkeit, in unserem auf uns selbst gerichteten Egoismus sehen wir oft nicht, wie groß dieses Opfer ist. Schauen wir deswegen auf einige Elemente dieses kosmischen Opfers.

Zunächst müssen wir uns fragen: Wer handelt in diesem Opfer? Es ist der Allmächtige Gott Selbst, der Seinen Sohn in diese Welt schickt, damit Er einen Leib annimmt und Sich für uns opfern kann. Es handelt sich nicht um ein grausames Menschenopfer, das ein ferner Gott fordert, sondern die zweite Person der Trinität wird selbst Mensch; Gott wird Mensch, er nimmt unsere kleine und unbedeutende Existenz an, er trägt unser Elend mit, damit Er sich in Christusopfern kann für unsere Sünden. Unser Planet wäre völlig vergessen, er wäre verloren und sinnlos  in einem riesigen, unbelebten Weltall, wenn Gott, der Schöpfer, Sich nicht unserer erbarmt hätte! Er ist hat uns nicht nur nach seinem Abbild geschaffen, sondern ist nach dem Sündenfall selbst in diese Welt gekommen und hat einen Leib angenommen, den Er für uns opfern kann, damit wir wieder Hoffnung haben. Gott handelt in diesem Opfer, und Gott ist es auch, der den Gegenstand des Opfers schafft. Gott ist es, der das Opferlamm bereitet, indem Er einen Leib annimmt, einen Leib, der in der Passion, die uns heute vor Augen gestellt wird, gegeißelt und blutig geschlagen wird, einen Leib, der wirklich der Leib des Opferlammes geworden ist, das vor den Schächer geführt wird. In Seiner angenommenen Menschheit ist Er selbst das Opfer. Er Selbst nimmt alle Schlechtigkeit und alle Grausamkeit und alle Bosheit der Menschen auf sich, indem Er als das Opferlamm vor den Richter hintritt, um das ungerechte Urteil auf sich zu nehmen. Er, der Gottmensch, zögert keinen Augenblick, Sich hinzugeben für uns, die wir nichts wert wären, wenn Er uns nicht lieben würde.

Dieses Opferlamm bringt sich dar auf einem doppelten Altar. Wir werden gleich den Altar des Kreuzes verehren dürfen, jenen Altar, der der Baum des Lebens geworden ist, an dem das Opferlamm gehangen hat und Seinen letzten Blutstropfen für uns vergossen hat. Doch dieses äußere Opfer, das Opfer, das das Opferlamm sichtbar für uns bringt, würde nichts bewirken, wenn nicht der innere Altar des Herzens Jesu eine echte Opfergesinnung, den tiefen Willen des Gottmenschen, sich für die Sünder zu opfern, in sich beschlossen hätte. Der eigentliche Altar, für den das Kreuz ein sichtbares Zeichen ist, ist das durchbohrte Herz Jesu, das alles auf sich nimmt, das alles annimmt, das sich an unsere Stelle setzt und sich zerreißen lässt für unsere Sünden. Dieser doppelte Altar, der Altar des Kreuzes und der Altar des Herzens wird für uns zu dem einen Altar des Heiles. Deswegen verstehen wir auch, dass derjenige, der sich auf diesem doppelten Altar opfern läßt, identisch ist mit dem Ewigen Hohepriester ist, nach dem wunderbaren Wort des heiligen Augustinus: „Sacerdos et hostia, sacerdos suae hostiae et hostia sui sacerdocii“, „Christus ist Priester und Opfer, Priester seines Opfers und Opfer seines Priestertums.“

Jeder andere Priester, sowohl in den vielen, vergeblichen Opfern des Heidentums, als auch in den das große Opfer Christi vorbildenden Opfern des Alten Testamentes, hat immer jemand anderen oder etwas anderes opfern müssen. Christus ist der Stifter der einzigen wahren Religion, was er dadurch zeigt, das er sich als einziger für seine Gläubigen selbst aufopfert! Unser ewiger Hohepriester opfert sich Selbst in Seinem Priestertum. Er vollzieht das Priestertum Seines eigenen Opfers und Er ist selbst das Opfer Seines Priestertums. In Ihm ist daher alles Priestertum der Welt überhöht und beschlossen. Dieses Priestertum Christi lebt weiter im Priestertum unserer Kirche, wie auch das Opfer weiterlebt auf unseren Altären, weil Christus, der ewige Hohepriester, vom Kreuz herab gegenwärtig ist auf unseren Altären mit Seinem in der Ewigkeit weiterbestehenden Willen, sich für immer für die Sünder zu opfern. Wenn wir Jesus Christus, das Lamm, am Kreuz verehren, dann sehen wir den ewigen Hohenpriester, der in die Welt gekommen ist, das endgültige Opfer unseres Heiles darzubringen.

Der endgültige Moment dieses Opfers aber, den wir heute besonders ehren, ist durch das große Wort des Herrn bezeichnet: Consummatum est, es ist vollbracht! Alle Opfer, die je die Menschen, weil sie irgendwie ahnten oder wussten, dass sie die Gottheit mit sich versöhnen müssen, dargebracht haben, sind in diesem unwiederholbaren Moment zusammengefasst, in dem Ganzhingabe unseres Herrn Jesus Christus für immer besiegelt wird. Für alle Zeiten ist die Sünde damit besiegt, für immer ist der Tod gegenstandslos geworden als ein furchtbares Ende in der Sinnlosigkeit. Neue und endgültige Hoffnung ist gekommen! Denn in dem Moment, wo der Herr spricht: Consummatum est, wird der Ozean jener Verdienste, die Er durch Seine Menschwerdung und durch Seine Entäußerung ein ganzes Leben lang angesammelt hat, ganz aufgefüllt durch den ewigen Verdienst Seines Erlösertodes. In demselben Moment aber, während Seine Gottheit noch geheimnisvoll mit Seinem toten Leib verbunden bleibt, den sie wiederbeleben wird, steht er doch bereits vor dem Thron des Vaters als der Erlöser der Sünder guten Willens: Die Schleusen des Ozeans Seiner Verdienste werden durch das menschgewordene glorreiche Wort Gottes geöffnet, damit wir aus Seiner Barmherzigkeit die Gnade erhalten können, nicht ewig unterzugehen.

Dieser Moment ist so dramatisch, dass er nicht nur das Schicksal der ganzen Welt ändert, sondern das Schicksal des Universums. Plötzlich macht alles Leiden einen Sinn. Plötzlich werden alle Opfer möglich. Plötzlich können wir unser eigenes Leiden, unsere Unwilligkeit zu opfern, die uns trotzdem vor den Opfern des Lebens nicht rettet, dem Herrn hinhalten und Seinen Opfergeist zu unserem machen. Kein sinnvolles Leben, vor allem auch kein wirklich christliches Leben, ist ohne das Opfer Christi möglich! Wir aber haben die große Hoffnung, dass wir angesichts des Kreuzes, das vor uns aufgerichtet ist, an dem der Herr Opferlamm, Priester, Gott und Mensch gleichzeitig ist, wissen dürfen: Unsere Opfer haben einen Sinn, wir sind gerettet, unsere Sünde ist vergeben und wenn wir nur bereuen, dann steht uns die Glorie des Vaters bevor.

Das alles feiert und bedenkt die Kirche am heutigen Tag. Sind wir tief dankbar dafür, dass wir den ewigen Hohenpriester Jesus Christus als unser Opferlamm am Kreuz verehren dürfen. Denken wir daran in jedem Moment, in dem unser Leben schwierig wird und uns Opfer abverlangt, auf dieses Kreuz zu blicken und in Ihm Hoffnung zu schöpfen, damit wir in allen Schwierigkeiten den christlichen Opfergeist bewahren: Ave o Crux, spes unica! Sei gegrüßt, o Kreuz, unsere einzige Hoffnung! Dann können wir uns bei jedem Opfer mit Christus vereinigen und durch Ihn, mit Ihm und in Ihm die Kraft finden, das Wort des Heils zu sprechen, das er zuerst über uns ausgerufen hat:  „Consummatum est“, „Es ist vollbracht.“ Amen.