Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz an Fronleichnam, 16. Juni 2022
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.
„So tun, als ob.“ Vorgeben, als wäre etwas Wirklichkeit, wenn man doch weiß, dass es nicht wahr ist.
Das tun die kleinen Kinder. Sie spielen Kaufladen, sie spielen Familie, sie spielen Cowboy oder sogar Priester. Wenn sie so spielen, dann sind sie sich in ihrem Eifer oft gar nicht ganz bewusst, dass es ein Spiel ist. Erst nachher kehren sie zurück in die Wirklichkeit und wissen, sie haben nur so getan, als ob. Auch die Erwachsenen hören oft genug nicht auf zu spielen. Sie tun fast unentwegt, als ob! Als ob sie wichtig wären, als ob sie reich wären, als ob sie von allen angesehen wären. Wenn die Erwachsenen so tun, als ob, dann glauben sie oft sogar das, was sie den anderen vormachen. Viele leben darüber hinaus leben heute fast ganz in virtuellen Welten des Internets. Vor dem Computer tun sie den ganzen Tag „als ob“ und vergessen darüber oft das wirkliche Leben. Wenn wir unsere Gesellschaft ansehen, dann können wir uns fragen: Tun wir nicht alle ein bisschen „als ob“? Als ob alles in Ordnung wäre? Und die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Menschen tun gerne „als ob“, um vor sich selbst und den Tatsachen zu fliehen!
Derjenige, der nie so tut „als ob“, Den feiern wir heute in feierlicher Form im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Jesus ist Gott! Er hat nicht nötig zu tun „als ob“. Er, der von Sich sagen kann: „Bevor Abraham war, bin Ich“ (Jo 8, 58), ist der wahre Gott, der aus dem Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, das wir am letzten Sonntag gefeiert haben, hinabgestiegen ist in diese Welt; mit all Seiner göttlichen Kraft und Vollmacht. Deswegen kann Er Wunder wirken. Deswegen kann Er jenes „Dauerwunder“ der Hl. Eucharistie der Kirche schenken, das niemals aufhört bis zum Ende der Zeit. Weil Er Gott ist, ist Er von den Toten auferstanden, um uns Zeugnis zu geben von der Gottheit und uns zu zeigen, dass Er niemals tut „als ob“.
Ebenso tut er nicht so, als ob er Mensch wäre. Er ist ganz Mensch geworden, vom Fleisch und Blut Seiner jungfräulichen Mutter geboren, ist Er in das Elend unserer Menschheit hinabgestiegen, so sehr, dass er in Seinem Leib und Seinem Blut hat leiden können, dass Er unsere Tröstung braucht, dass Er sich an die Apostel wendet und ihnen sagt: „Könnt ihr nicht wenigstens eine Stunde mit mir wachen?“ (Mt 26, 40).
Der Herr ist so sehr ganz Mensch, dass Er uns im heutigen Geheimnis Seinen Leib und Sein Blut schenken kann. Er will sich mehr mit uns vereinigen als jeder Mensch es kann, weil Er uns Seinen Leib und Sein Blut zur Speise gibt, zur Speise des ewigen Lebens. Auch hier kann Er, weil Er Gott ist und ganzer Mensch, die Wirklichkeit verändern. Er tut nicht „als ob“. Er ändert, was nur Gott ändern kann, und Er schenkt uns, was nur der Mensch geben kann: Statt Brot und Wein Seinen heiligen Leib und Sein heiliges Blut!
Weil Er niemals so tut „als ob“, deswegen ist Er durch das Geheimnis der Inkarnation in der Einheit von Menschheit und Gottheit auch in der Lage, jenes einzigartige Opfer des Kreuzes, mit dem Er unsere Sünden auf sich nimmt und als Opferlamm für uns alle am Kreuze stirbt, am Kalvarienberg ein für alle Mal zu vollbringen. Er tut nicht, als ob, sonst könnte Er Gott, dem Vater, nicht zurufen: „Es ist vollbracht“ (jo 19, 30), also „Die Menschen sind erlöst“! Weil er mit dieser Tat und diesem Wort die Geschichte durchbricht, ist er durch göttliche Kraft auch fähig, dieses Erlösungsopfer weiterzuführen in die Geschichte hinein, in jeder Hl. Messe, auf jedem katholischen Altar, an dem nach dem Willen der Kirche Sein Opfer gültig vollzogen wird.
Wenn der Priester spricht: „Das ist mein Leib“, „das ist mein Blut“, dann schenkt sich der sich opfernde Herr uns von neuem ganz! Sein Erlösungsopfer wird unblutig erneuert sowie die Gnade der Erlösung und des Heiles neu über uns ausgegossen. Jede katholische Kirche ist deswegen ein äußeres Zeichen dafür, dass Gott, der Mensch und Erlöser, niemals tut „als ob“. Wenn die Kirche als Ganze dieses Erlösungsopfer fortführt, wenn sie uns zur Hl. Messe am Sonntag und möglichst jeden Tag einlädt und anhält, dann lädt sie uns nicht zu einem Theaterspiel ein: Auch die Kirche tut nicht „als ob“. Sie hat vom Gottmenschen Jesus Christus im Priestertum den Auftrag und die Vollmacht erhalten, weiterzuführen, was der Herr eingesetzt hat. Immer wieder wird auf ihren Altären das Brot und der Wein in Seinen Leib und Sein Blut verwandelt. Hier ist nichts „als ob“, denn der Herr hat gesagt: „Das ist Mein Leib und das ist der Kelch Meines Blutes.“ (vgl. Mk 14, 24; Lk, 22,20).
Es ist kein Zweifel, dass Gott, der alles verändern kann, hier in die Geschichte eingreift, uns neue Hoffnung gibt. Im Dunkel des Zeit ersteigt der Höchste als Gottmensch den Thron der Kreuzes um uns zu erlösen. So erstrahlt das Licht der Ewigkeit im Nichts der Zeit. Deswegen ist unsere Antwort auch die Antwort eines ganz christlichen Lebens. Wir sollten Gott gegenüber alles „als ob“ ablegen! Er gibt sich uns ganz, als ganz wahrer Gott, als ganz wahrer Mensch. Er opfert sich für uns alle, weil er uns grundlos und göttlich liebt. Geben wir Ihm die einzige Antwort, die dem entsprechen kann, nämlich das Geschenk unseres eigenen Lebens! Wenn wir Ihn heute in der Hostie verborgen über das Engelporter Land tragen, dann soll das ein Zeichen dafür sein, dass wir mit allem „als ob“ aufhören wollen. Wir wollen, dass unser ganzes Leben nicht nur eine äußere Fassade sei, sondern ein ehrliches christliches Bekenntnis. Wir empfangen gleich vor der Prozession nach einer würdigen Beichte Seinen Leib und Sein Blut. Sagen wir Ihm jetzt: „Verwandle uns in Dich, mache unser Herz zu Deinem Herzen, damit wir nicht nur so tun, als ob wir Christen wären, sondern wirklich Christen sind, Dir mutig nachfolgen und mit Dir in die Herrlichkeit des Himmels gelangen!“ Amen.