Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.
Was ist ein Kirchenlehrer? Normalerweise stellt man sich dabei einen würdigen Bischof vor, einen großen Theologen, der viele Bücher geschrieben hat, die man kaum in zahlreichen Bänden zusammenfassen kann, jemanden, den alle kennen, wie den hl. Augustinus, den hl. Thomas von Aquin oder auch den Patron des Institutes, den hl. Franz von Sales; Kirchenlehrer sind in aller Munde und beeindrucken durch ihre Autorität, ihr großes Wissen, ihre bischöfliche oder akademische Würde uns alle.
Auf den ersten Blick ist die hl. Theresia von Lisieux nichts von alledem. Sie ist, könnte man fast sagen, ein kleines, junges Mädchen, das, ganz schüchtern noch und doch mit einer großen Berufung versehen, schon mit fünfzehn Jahren mit einem besonderen Dispens und dem Segen Papst Leo‘s XIII. ausgestattet, in den Carmel eintritt. Sie lebt darin nur neun Jahre und stirbt schon mit vierundzwanzig an einer schrecklichen Form der Tuberkulose. Sie hat niemals etwas veröffentlicht. Es gab zu Lebzeiten keine Schriften von ihr und auch keinen Band über ihre Verdienste, keine berühmten Artikel und schon gar keine Predigten. Als sie 1897 starb, war sie zunächst fast nur ihren Mitschwestern bekannt.
Trotzdem wurde sie, – in den Zeiten der Kirche gedacht – nur kurz darauf, nämlich im Jahr 1925 zur Ehre der Altäre erhoben, 1927 die Patronin aller katholischen Missionen und schließlich 1997 vom hl. Johannes Paul II. auch zur Kirchenlehrerin erklärt. Wie kommt es, da sie doch so untypisch ist, wie kommt es, da sie doch zu Lebzeiten nichts veröffentlicht hat, dass die Kirche sie als eine große Lehrerin für alle Gläubigen verehrt?
Sie wird zur Kirchenlehrerin durch das katholische Leben, durch den kleinen Weg zur Heiligkeit, den sie uns eröffnet hat, und zwar durch ihr Beispiel, durch die „Geschichte einer Seele“, die erst nach ihrem Tode aus ihren Aufzeichnungen veröffentlicht wurde, durch ihre Gespräche und Korrespondenzen, die ebenfalls erst ihre Mitschwestern herausgegeben haben. Sie hat in der Tat gelehrt, aber so, wie sie gelebt hat: auf eine bescheidene, kleine und zurückhaltende Weise.
Trotzdem ist am heutigen Tag gut, dass in erster Linie nicht der Prediger spricht, sondern diese große Kirchenlehrerin, denn sie lehrt uns den kleinen Weg zur Heiligkeit, den jeder erlernen kann, der gut für jedes Leben ist: den Weg der einfachen Demut, der tiefen Hoffnung, des festen Gottvertrauens und der tätigen Gottesliebe.
Hören wir, was sie zur wahren Demut uns zu sagen hat. Sie schreibt: „Es scheint mir, dass, wenn eine kleine Blume sprechen könnte [hier meint sie sicher sich selbst], sie einfach erzählen würde, was Gott für sie getan hat, ohne zu versuchen, ihre Segnungen zu verbergen. Sie würde nicht unter dem Vorwand einer falschen Demut sagen, dass sie nicht schön und ohne Parfüm ist, dass die Sonne ihre Pracht weggenommen hat und dass der Sturm ihren Stamm gebrochen hat, denn sie weiß, dass das unwahr ist. Die Blume, die ihre Geschichte erzählen will, freut sich darüber, die völlig unentgeltlichen Geschenke Jesu bekannt machen zu können. Sie weiß, dass nichts in ihr selbst in der Lage war, die göttlichen Blicke auf sich zu ziehen, denn allein Seine Barmherzigkeit brachte alles Gute in ihr zustande.“
Die wahre Demut, so lehrt die hl. Theresia von Lisieux, will, dass man sich der vielen Geschenke erfreut, die Gott uns gegeben hat. Wir alle haben solche Geschenke empfangen, wir alle sind getauft, wir alle sind gefirmt, wir alle sind mit Gnaden des Hl. Geistes reich ausgestattet, jeder hat seine Talente und Gaben. Im Kampf des täglichen Lebens vergessen wir das zu oft. Wir klagen, wir machen uns wichtig, wir denken, dass es nur auf uns selbst ankommt und sind nicht zufrieden. Aber, wenn wir der hl. Kirchenlehrerin folgen, dann wissen wir ohne falsche Demut, dass jeder von uns auf seine je eigene Weise alles empfangen hat, was er braucht, um heilig zu werden und dass wir viele Gaben besitzen, die wir täglich an andere weitergeben dürfen.
Diese Demut ist die Voraussetzung der Heiligkeit. Sie ist nicht die falsche Demut, die so tut, als käme alles von uns und die sich dann gleichsam klein zu machen versucht, um doch gelobt zu werden, sondern es ist die richtige Demut, die weiß, alles kommt von Gott. Und alles, was wir empfangen haben, auch der wunderbare heutige Tag zu Ehren der Kirchenlehrerin, sind Geschenke Gottes, für die wir mit der hl. Theresia nur ein ganzes Leben danken können.
Das aber macht die hl. Theresia auf ihrem Weg zur Heiligkeit auch zur Lehrerin einer tiefen Hoffnung. Lassen wir sie wieder selber sprechen. Sie sagt: „Selbst, wenn ich alle möglichen Verbrechen auf meinem Gewissen hätte, bin ich sicher, dass ich nichts von meinem Vertrauen verlieren sollte. Untröstlich vor der Umkehr warf ich mich einfach in die Arme meines Erlösers, denn ich weiß, wie sehr er den verlorenen Sohn liebt. Ich habe gehört, was er zu Maria Magdalena, zu der Frau, die beim Ehebruch genommen wurde, und zur Samariterin gesagt hat. Niemand kann mir mehr Angst machen, weil ich weiß, dass ich über Seine Barmherzigkeit und Seine Liebe nichts setzen darf, ich weiß, dass im Handumdrehen all diese tausenden von Sünden wie ein Tropfen Wasser verbraucht würden, der in ein loderndes Feuer geworfen wird.“
Das ist die wahre Hoffnung, die die hl. Theresia reich besessen hat und die sie uns lehren kann. Es sind nicht unsere Sünden, die uns zurückhalten, heilig zu werden, denn wir können die Sünden in den Beichtstuhl tragen und alles wird wieder wie neu. Es ist unsere mangelnde Hoffnung! In dem Moment, wo wir sagen, diese Heiligkeit ist nicht für mich, sie ist nur für ein paar Ordensfrauen oder für einige Priester, dann haben wir schon nicht mehr die kindliche Hoffnung der hl. Theresia von Lisieux. Gott kann alles gut machen! Auch wenn wir alles falsch gemacht haben, Sein Erbarmen, Seine Barmherzigkeit und Seine Vergebung, die er uns im Sakrament der hl. Beichte immer wieder schenkt, gibt uns die feste Hoffnung, dass auch wir, wie er uns verheißen hat, für die Heiligkeit geschaffen sind.
Deswegen hat die hl. Theresia von Lisieux uns auch das Beispiel eines unverbrüchlichen Gottvertrauens gegeben. Wir alle haben in unserem Leben dunkle Zeiten erlebt. Wir wissen, dass wir leiden müssen, wir wissen, dass wir sterben müssen, wir haben alle schon in unserem Leben Angst gehabt und gerade in solchen Momenten haben wir die Versuchung, Gott nicht mehr zu vertrauen. Dazu sagt die hl. Theresia: „Trotz allem fühle ich, dass ich voller Mut bin. Ich bin sicher, dass Gott mich nicht verlassen wird. O, ich möchte Ihm, Jesus, nichts verweigern, obwohl ich mich traurig und manchmal allein auf dieser Erde fühle. Er bleibt doch immer bei mir. Und hat die heilige große Theresia nicht gesagt: ‚Gott allein genügt?‘“
Dieses Gottvertrauen hat sie gelebt nicht nur in den Stunden der Zurücksetzungen im Klosterleben, die Gott jeder Ordensfrau schenkt, damit sie in der Heiligkeit wachsen kann, nicht nur in Momenten der schweren Krankheit, die ihr unendliche Schmerzen bereitet hat, sondern auch dann, als Gott sie durch die sogenannte dunkle Nacht hat schreiten lassen und ihren Glauben bis an die Grenze der Verzweiflung geprüft hat, auch in diesen Jahren hat sie das Gottvertrauen nicht verlassen, hat sie sicher gewusst: ‚Ich bin ein Kind Gottes und im Namen Gottes kann ich alles.‘
Dadurch wird schließlich ihr Leben eine Schule der tätigen Gottesliebe. Sie war eine kontemplative Schwester. Sie hat viel und oft vor dem Allerheiligsten gebetet. Sie hat mit den anderen Schwestern, so wie unsere Schwestern hier in Engelport, das hl. Offizium gesungen. Vergessen wir aber nicht, dass in jedem Kloster die tätige Gottesliebe bei den Mitschwestern anfängt. Sie hatte es dabei nicht einfach. Sie hat immer wieder, auch wenn es Zurücksetzungen gab und Schwierigkeiten, ihre große Liebe bewiesen. So sehr, dass sie alle Kreuze, kleine wie große, aus der Hand Gottes angenommen hat. Sie konnte auf dem Sterbebett sagen: „Seit meinem dritten Lebensjahr habe ich Gott nichts verweigert.“
Wenn wir in der einfachen Demut des Beschenktseins leben, wenn wir die Hoffnung auf die Allmacht Gottes nicht aufgeben, trotz unserer Sündhaftigkeit, wenn wir immer ein festes Gottvertrauen haben und darum beten, auch in dunklen Stunden, dann wird auch uns die Möglichkeit gegeben, Gott zu lieben. Nicht oft mit dem inneren Hochgefühl, das zu leicht mit der Liebe verwechselt wird, sondern mit jener Treue, die in jeder Ehe, in jeder Freundschaft, in jeder geistlichen Kommunität die wahre Liebe beweist. Jeder von uns, der die Treue zu Gott und zu der Berufung hält, die Gott ihm gegeben hat, zeigt wahre Gottesliebe.
Diese Gottesliebe trägt Früchte und wird tätig, tätig um uns herum, tätig durch unser Beispiel, tätig durch unsere Familien, tätig überall da, wo wir nicht aufgeben. Deswegen ist die kleine hl. Theresia, obwohl sie ihren Konvent in neun Jahren niemals verlassen hat, zur Patronin der Mission geworden. Denn Liebe will sich schenken: Bonum diffusivum sui! Je mehr wir lieben, je mehr wir vor allem Gott lieben und verehren, desto mehr werden wir umgestaltet in Christus und desto mehr können wir fruchtbar werden, durch unseren gelebten Glauben und unser christliches Beispiel, wie die hl. Theresia. In allen harten Stunden, in den großen Kreuzen, auch der nagenden Glaubenszweifel, die Gott ihr auferlegt hat, in allem, was sie ertragen und erdulden musste, hat sie niemals aufgehört, Gott mit kindlichem Herzen zu lieben, mit einfacher Demut, tiefer Hoffnung und festem Gottvertrauen ist sie eine Zeugin der tätigen Gottesliebe geworden. So hat sie mit ihren letzten Worten und ihrem letzten Atem sagen können: „Mein Gott, ich liebe Dich.“
Beten wir heute zu dieser großen Kirchenlehrerin, die uns einen kleinen Weg der Liebe gelehrt hat, der aber in Wirklichkeit ein ganz großer Weg ist, auf dem wir alle emporsteigen können zu Gott. Beten wir, dass auch wir Gott mehr lieben, dass auch wir in der Nächstenliebe noch tätiger werden und dass wir in der einfachen Demut des Beschenktseins, in der tiefen Hoffnung auf die Allmacht Gottes und in bestem Gottvertrauen auf Seine Hilfe größer werden und in der Heiligkeit wachsen. Nicht alle Heiligen waren großartige Menschen, sondern oft zunächst Menschen wie wir, die aber in tätiger Gottesliebe und in festem Gottvertrauen wussten: Für Gott ist alles möglich! Beten wir zur hl. Theresia von Lisieux, auch während unserer großen Prozession mit ihren Reliquien durch das Engelporter Land, denn sie wusste: Für Gott ist alles möglich. Beten wir zu ihr, damit wir alle mit jenen Worten vor Ihn treten dürfen, mit denen sie sterben durfte: „Mein Gott, ich liebe Dich.“ Amen.