Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.
Vor einigen Jahren besuchte einmal ein bekannter französischer Journalist das große Benediktinerinnenkloster Jouques in Südfrankreich. Er wurde von der damaligen Äbtissin im Sprechzimmer empfangen. Zu seiner großen Überraschung trennte ihn von der ehrwürdigen Mutter und ihrer Begleiterin, der Priorin, ein großes Gitter, so wie das in Sprechzimmern der in Klausur lebenden Ordensfrauen vielfach noch heute üblich ist. Er stellte ihnen viele Fragen über das Ordensleben, die die Äbtissin freundlich beantwortete. Und schließlich fand er den Mut zu fragen: „Aber, ehrwürdige Mutter, hinter diesem Gitter, fühlen Sie sich nicht wie in einem Gefängnis?“ Daraufhin lächelte die betagte Ordensfrau und sagte: „Mein Herr, das Gefängnis ist auf Ihrer Seite.“
Das Gefängnis ist auf unserer Seite, auf der Seite der Welt oder jedenfalls auf der Seite, wo Menschen leben, die sich ganz der Welt verschrieben haben. Deswegen sagt der hl. Jakobus heute so deutlich: „Reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott dem Vater ist dies: …sich unbefleckt bewahren von dieser Welt“ (Jak, 1, 27. Das Gefängnis ist auf der Seite der Welt und die Freiheit ist auf der Seite der Kirche! Daher hören wir heute im Introitus zur Messe die frohen Worte: „Verkündet den Freudenruf: (…) befreit hat der Herr hat Sein Volk“ (Ps. 65, 1-2). Der hl. Jakobus kann sogar sagen, dass, wer das vollkommene „Gesetz der Freiheit“ (Jak 1, 25) beachtet, vom bloßen Hörer des Wortes durch Gnade zum Vollbringer guter Werke wird. Das vollkommene Gesetz der Freiheit nämlich, das wir in der Frohbotschaft der Kirche finden, kommt von unserem Herrn Jesus Christus, der uns die Gnade schenkt, es frei zu verwirklichen.
Es sind vor allem drei Eigenschaften dieses vollkommenen Gesetzes der Freiheit, die uns befreien von der Welt und uns zu Kindern Gottes machen, selbst dann, wenn die Welt auf uns einstürmt, weil wir mitten in ihr leben: Die Freiheit zur Wahrheit, zur Tugend und zur Gnade.
Zunächst einmal ist das Gesetz zur vollkommenen Freiheit eine Freiheit zur Wahrheit. Die Lehre der Kirche schränkt uns nämlich nicht ein, sie macht uns nicht eng und kleinlich, sie nimmt uns nicht die Möglichkeit, selbst zu denken. Im Gegenteil! Das, was Christus verkündet hat, schützt uns davor, die uralten Irrtümer der Menschheit wieder zu begehen, beschützt uns vor der Dummheit der veröffentlichten Meinung, beschützt uns vor aller Art von Ideologie und falscher Philosophie. Wenn wir an der Lehre Christi festhalten, so wie sie die Kirche in ihrer uralten, aber immer jungen Überlieferung verkündet, dann können wir nicht in die Irre gehen. Wir sind zur Wahrheit befreit! Unser Geist ist nicht eingeengt, sondern weitet sich auf die große Wahrheit Gottes aus, auf alles das, was Er uns offenbart hat und was aus dieser Welt herausführt, zu der großartigen Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes, zu der wir berufen sind.
Aber wir sind nicht nur zur Wahrheit, wir sind auch zur Tugend befreit. Wir wissen, selbst als Getaufte, dass besonders eine Folge der Erbsünde, die ungeordnete Leidenschaft, uns oft zu einem Gefängnis für uns selbst macht. Hass, Neid, Lust, Habgier, Ränke, Lüge, Groll, Rache und was dergleichen mehr böse Haltungen sind, befreien uns nicht – wir sehen es deutlich an vielen unserer Zeitgenossen -, sondern machen uns zu Sklaven: Sklaven der Leidenschaft, Sklaven des Geldes, Sklaven der Meinung anderer, Sklaven auf viele verschiedene, oft subtile Weisen, Sklaven manchmal auch eines Staates, der sich all dieser Leidenschaften bedient, um uns an der Nase herumzuführen.
Wir wollen uns deswegen mutig auf die Seite eben jenes vollkommenen Gesetzes der Freiheit stellen, das schon in den Zehn Geboten einfach und klar für uns alle niedergelegt worden ist. Wenn wir den Geboten Gottes folgen, vor allen Dingen den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe, die sich in so vielen Facetten unseres christlichen Lebens verwirklichen lassen, dann werden wir von allen möglichen Leidenschaften befreit, dann sind wir plötzlich nicht mehr Sklaven unserer selbst, sondern sind freie Diener Gottes, die endlich tun können, was nicht nur den anderen wohltut, sondern vor allem ihnen selbst. Das gibt jene wahre Freiheit der Seele und des Geistes, die uns froh macht und uns die Freude schenkt, die nur Christus geben kann.
Diese Geschenke der Freiheit aber reichen dem barmherzigen Gott noch nicht. Er gibt uns noch mehr! Denn der Wahrheit zu folgen mit unserer beschränkten Intelligenz, die Tugend zu leben mit all den Leidenschaften, die wir verspüren, wäre unmöglich, wenn Er uns nicht die große, die endgültige Freiheit der Gnade geschenkt hätte! Wir haben die Mittel der Gnade in den Sakramenten der Kirche bekommen, die, wenn wir sie regelmäßig empfangen, vor allem die Beichte und die Eucharistie, uns zur Wahrheit und zur Tugend befreien. Die uns immer wieder neu befreien, auch wenn wir uns durch unsere Schwäche wiederum in Gefangenschaft begeben haben. Die Sakramente und die durch sie vermittelte Gnade geben uns immer neu die rechten Maßstäbe für unser Leben in der Welt, die Maßstäbe Jesu Christi, die Maßstäbe der Ewigkeit, die Maßstäbe des großen und ewigen Gottes, damit unser kleines Leben sich weitet auf eben diese Freiheit Gottes, de in der Kirche lebt.
Deswegen danken wir Gott, dass wir nicht nur zur Freiheit befreit sind, sondern zur „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Rö 8, 21), also zur Freiheit der Gnade. War danken Gott, dass Er uns – immer wieder neu und ohne je müde zu werden – damit begnadet, dass wir frei sind von allen Beschränkungen und allen Ketten dieser Welt und dass wir in dieser Freiheit Ihm entgegengehen können. Darum sollen wir beten, denn das meint der Herr, wenn er uns auffordert, den Vater in Seinem Namen zu bitten (vgl. Jo 16, 23).
Oft beten wir, damit unser Wille geschehe. Wir geben nicht alles in christlicher Ganzhingabe dem Vater hin. Wenn wir uns aber an das vollkommene Gesetz der Freiheit halten, wenn wir in der offenbarten Wahrheit der Lehre der Kirche folgen, wenn wir uns immer wieder neu zur Tugend bekehren, die Christus verkündet hat, wenn wir wirklich bereit sind, uns der Gnade ganz zu öffnen, dann ist es für uns möglich, im Namen Christi, des Befreiers, zum Vater zu beten. Dann beten wir nicht, dass unser Wille geschehe, sondern wir beten, dass Sein Wille geschehe. Und wenn dieser Wille ein Wille ist, der uns ein Kreuz gibt, ein Kreuz zu unserer Reinigung, ein Kreuz zur Sühne, ein Kreuz für ein heiligeres Leben, ein Kreuz, so wie Er es getragen hat, dann werden wir es nicht zurückweisen, sondern es in einer demütigen Geste in der von der Gnade getragenen Freiheit annehmen und Ihm nachtragen zum ewigen Leben.
Das bedeutet, was der hl. Jakobus uns zuruft: ‚Haltet euch unbefleckt von dieser Welt.‘ Wir müssen wie die Apostel mitten in der Welt leben, wir haben eine Aufgabe in der Welt, die große Aufgabe, diese Welt in Christus umzugestalten. Aber das können wir nur tun, wenn wir einen höheren Standpunkt einnehmen, den Standpunkt Jesu Christi, der uns zum Vater führen will. Dann werden wir etwas verändern, dann wird die Welt nicht uns zu Sklaven machen, sondern wir werden die Welt mit Christus verwandeln. Dann können wir mitten in der Welt Leben, ohne dass diese für uns zum Gefängnis wird! Das heißt für uns nicht Weltflucht, nicht einfach totale Abwendung von der Welt, sondern meint den Willen, in der Welt zu leben, aber immer und überall nach dem vollkommenen Gesetz der Freiheit, das der Retter, der uns alle frei gemacht hat, Jesus Christus, uns zum Erwerb der ewigen Glückseligkeit schenkt. Amen.