Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Aschermittwoch, dem 21. Februar 2023

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Was ist der Mensch ohne Gott? Der hl. Johannes vom Kreuz gibt eine eindeutige Antwort: nada de nada, gar nichts: Der Mensch ohne Gott ist gar nichts! Das gilt schon auf der natürlichen Ebene. Denn wenn uns Gott nicht geschaffen hätte, wenn wir nicht ganz von Ihm getragen würden, wenn Er nicht in jedem Moment für uns sorgen würde, dann würden wir vergehen wie nichts. Die Menschen, ja ganze Völker, so sagt die Heilige Schrift, sind wie ein „Tropfen am Eimer“ (Is 40, 15). Wir sind wie das Gras auf dem Feld, das am Morgen blüht und am Abend verwelkt (vgl. Ps 90, 5-6; auch Mt 6, 30; Lk 12, 28). Ohne Gott, den Schöpfer, der uns unsere Existenz gegeben hat, wären wir niemals aus dem Nichts hervorgetreten und ohne Ihn könnten wir uns keinen Augenblick in diesem Leben halten.

Doch selbst mit Gott haben wir durch die Sündhaftigkeit unserer Voreltern mitverschuldet, dass unser Leben nichts ist. Kaum hat es begonnen, dann endet es schon. Wer älter wird, muss jeden Moment an den Tod denken. Auch die, die jünger sind, wissen, dass ihr Leben kaum mehr als 70 oder 80 Jahre betragen wird, heute vielleicht 90, aber dass alles schnell vergeht, so schnell, dass wir oft sagen: Die Zeit eilt davon, tempus fugit. Kaum, dass wir geboren sind, müssen wir schon sterben. Ein bekannter deutscher Philosoph hat sogar bemerkt: „Das Leben ist die Krankheit zum Tode.“

Darüber hinaus ist unser Leben sehr zerbrechlich. Eine kleine Krankheit wirft uns nieder, ein geplatztes Blutgefäß in unserem Kopf kann uns ganz hilflos machen, wir sind in jedem Moment unseres Lebens von Krankheit, Unfall, von vielen unguten Dingen bedroht, die wir weder ganz vorauswissen können und die uns niemals wirklich vorbereitet treffen. Der Mensch ist trotz allen Fortschritts in Technik und Medizin immer gefährdet.

Schließlich wissen wir alle, was uns die Kirche heute deutlich vor Augen führt: „Bedenke o Mensch, dass Du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.“ Unser Leben wird sicher mit dem Tod enden. Wir kennen nicht die Stunde, aber wir wissen: Es geht zu Ende und bald zu Ende. Selbst diejenigen, die sich vielleicht jetzt noch blühender Jugend erfreuen und guter Gesundheit, können morgen schon erfahren, dass sie nichts sind als Staub. Schon auf der natürlichen Ebene also sind wir ganz von der Güte und der Barmherzigkeit Gottes abhängig, sonst wären wir „nada de nada“, gar nichts.

Das gilt noch mehr, wenn wir auf übernatürliche Ebene blicken, auf jene Wirklichkeit, die mit der Gnade Gottes zu tun hat. Wir alle sind getauft, wir alle sind gefirmt, wir alle bemühen uns um ein christliches Leben. Aber wir könnten das nicht aus eigener Kraft: Gott hat uns erwählt! Er hat uns auserwählt und geliebt, noch bevor wir von unseren Eltern gekannt waren. Unsere Namen sind, so dürfen wir hoffen und beten, im Buch der Vorherbestimmung verzeichnet. Wir sind von Gott und Seiner Gnade dazu bestimmt, einst, wenn wir Seinen Willen getan und unsere Sünden bereut haben, einzugehen in das ewige Leben mit Ihm.

Das aber sind alles Geschenke. Wir können nicht einmal die Gnade der Barmherzigkeit in der Todesstunde verdienen. Wenn wir in der Todesstunde unserem Glauben an Jesus Christus treu bleiben, so lehrt die Kirche, dann ist das ein Gnadengeschenk. Allein können wir gar nichts. Wenn nicht Gott da wäre, um uns von den Nachstellungen des Teufels zu bewahren und uns ständig mit seiner Gnade zu beschenken, wären wir im geistlichen Bereich ebenso verletzlich wie im natürlichen.

Gott hat uns nach seinem Abbild geschaffen, „nur wenig geringer als einen Gott“ (Ps 8, 6) und uns die Herrschaft über die Wesen dieser Welt geschenkt (Gen, 1, 26 ff.). Er hat uns aus reiner Güte aus dem Nichts emporgehoben. Er hat uns nicht nur die leibliche Natur geschenkt, sondern Er hat uns unser Leben verliehen, damit wir zeigen können, ob wir Seinen Willen tun wollen. Aber alles hängt dennoch von Ihm ab. Er schenkt uns jeden Tag neue Gnaden: die Gnaden der Bekehrung, die Gnaden des Gebetes, die Gnaden des Glaubens, die Gnaden der Gottes- und Nächstenliebe. Wir könnten niemanden lieben mit jener Liebe, die zum Heil notwendig ist, wenn Er uns nicht zur Seite stünde und uns in unserer Schwachheit jeden Moment mit der Gnade beschenkte.

Deswegen erinnert uns die Kirche heute eindringlich daran, dass wir Staub sind, dass wir uns vor dem Herrn niederwerfen müssen in unserem eigenen, sündigen Elend. Gleichzeitig zeigt sie uns, dass Gott uns sicher erheben kann, dass Er uns viele Gaben geschenkt hat, dass wir deswegen durch Seine Liebe, Seine Gnade und Seine Güte wertvoll sind in Seinen Augen. Aber nicht aus unserer eigenen Kraft, nicht, weil wir ohne Seine Gnade etwas verdienen könnten, nicht, weil wir uns unserer persönlichen Größe rühmen dürfen. Wie der hl. Paulus sagt: Gott „aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt“ (Phil 4,13).

Denken wir also am Beginn dieser hl. Fastenzeit daran, dass wir ohne Gott gar nichts sind und gar nichts haben. Versuchen wir in diesen vier Wochen dadurch, dass wir fasten und Almosen geben, uns immer daran zu erinnern, dass alles, was wir sind und haben, Gottes freies Gnadengeschenk ist. Versuchen wir auf diese Weise, Gott wieder zum Mittelpunkt unseres Lebens zu machen und anzuerkennen, dass alles nur von Ihm stammt. Er lädt uns ein, weil Er uns liebt, als Seine Kinder mit Seiner Gnade mitzuwirken. Sind wir Ihm unendlich dankbar, dass Er uns erwählt hat. Und beginnen wir diese heilige Fastenzeit mit dem Wunsch, Seiner Gnade gerecht zu werden, Ihm zu dienen, unser Leben Ihm ganz zu unterwerfen und dadurch aus unserem Nichts in Seine Herrlichkeit zu gelangen. Amen.