„Wir haben doch sowieso alle denselben Gott“. Diese banale und vordergründige Aussage dient heute allenthalben zur Entschuldigung dafür, dass angeblich „jeder nach seiner Fasson selig werden kann“, wie es schon der Freimaurer Friedrich II. von Preußen formuliert hat. Haben wir wirklich alle denselben Gott? Können wir uns so einfach aus der Affäre ziehen? Was steckt hinter dieser leichtfertigen Behauptung?
Zunächst einmal müssen wir klar erkennen, dass in diesem Satz zwei ganz verschiedene Inhalte in einen Topf geworfen werden. Die Aussage „Wir haben alle denselben Gott“ ist nämlich richtig, wenn sie sagen will, dass es nur einen wahren Gott gibt, der die Welt, alle ihre Geschöpfe und auch alle Menschen geschaffen hat. Der wahre Gottesbegriff schließt logischerweise ein, dass es nur einen allmächtigen, allwissenden, allerhaltenden Gott geben kann. Wäre Gott nicht über alles erhaben und einzig in seiner Majestät, dann wäre er eben nicht Gott. Die Existenz eines höchsten Wesens, von dem alles abhängt und das alles regiert, schließt jede Vielgötterei aus. Es gibt in der Tat nur einen Gott. Von Gott aus gesehen stimmt es also, dass „wir alle denselben Gott haben“. Wäre es nicht so, gäbe es keinen Gott.
Das aber will die so oft wiederholte Banalität eigentlich gar nicht sagen. Sie meint vielmehr, dass „wir alle an denselben Gott glauben“. Das aber ist schlicht und einfach falsch. Gott hat sich nämlich auf eine ganz bestimmte Weise und ein für alle Mal offenbart. Das heißt, er hat uns gelehrt, was sein Wesen ist, was er tut und was nach seinem Willen unsere Bestimmung ist. Diese eine wahre Offenbarung hat Er in ihrer Gesamtheit der Kirche übergeben, die sie in Schrift und Tradition, also im Alten und Neuen Testament und ihrem Lehramt, bewahrt und überliefert. Durch den Heiligen Geist, der der Kirche darin beisteht, diese Überlieferung unversehrt zu erhalten, garantiert Gott selbst die bleibende und unveränderliche Wahrheit des offenbarten Gottesbildes.
Wer also nicht daran glaubt, dass Gott der Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Welt ist, wer nicht daran glaubt, dass Gott der Eine und Dreifaltige ist, wer nicht daran glaubt, dass die Zweite Person der Heiligen Dreifaltigkeit Mensch aus der Unbefleckt Empfangenen Gottesmutter Maria geworden ist, wer nicht daran glaubt, dass Er für uns den Erlösungstod starb und am dritten Tag von der Toten auferstand, wer nicht daran glaubt, dass Er am Ende der Zeiten als Richter wiederkommen wird, wer nicht an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche und die Auferstehung des Fleisches glaubt, der glaubt nicht an denselben Gott wie wir. Kurz, wer das nicht bekennt, was wir im Glaubensbekenntnis beten, hat nicht den gleichen Gottesbegriff wie die Kirche und glaubt nicht an den wahren Gott.
Diese Wahrheit zu betonen, ist am heutigen Tag der Himmelfahrt Christi auch der Kirche immer besonders wichtig gewesen, wie die Messtexte zeigen. Sowohl die Epistel wie das Evangelium des heutigen Tages sprechen unumwunden von der einzigartigen Macht Gottes, die in der Himmelfahrt des Erlösers allen offenbar wird. Dieses Geschehen war zu der Zeit, als es geschah und aufgeschrieben wurde, bereits genauso außergewöhnlich wie heute. Die Reaktion der Pharisäer, die Reaktion der Bewohner Kapharnaums, die Reaktion der Zuhörer des heiligen Paulus auf dem Areopag gegenüber der Verkündigung Jesu und der Apostel zeigt, dass die Menschen immer schon gezweifelt haben. Wie wir im heutigen Evangelium hören, zweifelten sogar die Jünger. Trotzdem hat Jesus den Missionsauftrag gegeben. Trotzdem hat die Kirche im Auftrag Jesu zu allen Zeiten furchtlos die Größe Gottes verkündet, der in seiner Allmacht die Naturgesetze aufheben kann und uns in der Himmelfahrt seines Sohnes zeigt, dass er wirklich Gott ist. Hier offenbart sich die Majestät des einen wahren Gottes, der Himmel und Erde erschaffen hat, und dessen Heilswirken uns alle erlöst, wenn wir an ihn glauben und seinen Geboten folgen.
Deswegen verbindet Gott mit dem Beweis Seines göttlichen Wesens und Seiner Allmacht, der in der Himmelfahrt offenbar wird, auch einen klaren Auftrag: „Gehet hin in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Markus 16, 15) Weil der wahre Glaube zum Heil der vielen notwendig ist, darf er nicht verschwiegen werden. Weil das Glaubensbekenntnis uns den wahren Gott offenbart, der uns durch den Glauben an Ihn retten will, hat Gott selbst seiner Kirche den unmissverständlichen Auftrag gegeben, allen Menschen, ja der ganzen Schöpfung dieses Glaubensbekenntnis weiterzugeben. Dieser Auftrag Gottes besteht unvermindert fort. Bis zur Wiederkunft Christi sind wir gerufen, diesem Auftrag zu folgen und das Evangelium unverfälscht, „sei es gelegen oder ungelegen“ (2 Timotheus 4, 2), allen Menschen zu verkünden. Es gibt keine Kirche ohne Mission!
In der Erfüllung dieses Auftrages hat der Herr aber seine Kirche nicht alleingelassen. Er hat ihr vielmehr einen Beistand gegeben, der besonders den Trägern der heiligen Ämter in der Kirche verliehen ist. Wie uns die Apostelgeschichte berichtet, sagt er zu den Aposteln kurz vor seiner Himmelfahrt: „Doch werdet ihr Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf Euch herabkommt, und ihr werdet meine Zeugen sein…bis an die Grenzen der Erde!“ (Apostelgeschichte 1,8). Diese Kraft der Zeugenschaft hat die Apostel und ihre Nachfolger seit dem Pfingstereignis bis zum heutigen Tag nicht verlassen. Nicht alle sind dieser göttlichen Kraft und dem durch sie ermöglichten Auftrag immer gerecht geworden, auch nicht in der heutigen Zeit. Die Kraft Gottes aber bleibt durch den Geist bei der Kirche. Sie hat die Vollmacht, den wahren Gott und seine Großtaten zu verkünden, damit alle erfahren, wo der Weg zum Himmel zu finden ist.
Es ist also sehr wichtig, auch heute den Glauben an den einen wahren Gott, der sich in der Himmelfahrt von neuem als der Eine, Dreifaltige und Allmächtige offenbart, ohne Furcht zu verkünden. Es ist eben leider nicht wahr, dass „wir alle an denselben Gott glauben“. Viele falsche Gottesbilder existieren und selbst die Christen glauben nicht alle an die ganze Wahrheit des Evangeliums. Für solche, die ohne eigene Schuld irren, wird die Barmherzigkeit Gottes einen geheimnisvollen Heilsweg finden können, wenn sie seinem Gesetz in ihrem Herzen folgen. Nach der Lehre der Kirche könnte sie der implizite Wunsch nach der Taufe, der in der Suche nach dem wahren Gott eingeschlossen sein kann, durch die Güte Gottes doch zum Heile führen. Dieser Weg aber ist unsicher und verborgen. Wir dagegen haben unter der Leitung der Nachfolger der Apostel die Aufgabe, allen den klaren, sicheren, von Gott geoffenbarten Heilsweg der Kirche zu zeigen. Wir haben die Aufgabe, Zeuge für den einen wahren Gott zu sein, der Seinen Sohn in die Welt gesandt hat, um die vielen zu retten.
Das ist die doppelte Botschaft von Christi Himmelfahrt: Gott in seiner Allmacht zu bekennen und allen Sein Heil zu verkündigen. Diese Botschaft ist unverändert. Der triumphierende Herr, Sieger über Tod und Teufel, hat uns den Auftrag zu ihrer Verkündigung gegeben. Wir sollen bekennen: Ja, es gibt nur einen Gott! Ja, er hat uns in Christus erlöst und die Fortsetzung dieses Erlösungswerkes Seiner Kirche bis zum Ende der Zeiten anvertraut! Ja, wir sind durch die Taufe geheiligt und haben den Auftrag, diese Freude zu verkünden bis an die Enden der Erde! Die Himmelfahrt Christi ist wie ein Siegel unter diesem feierlichen Auftrag des Herrn: „Gehet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ Amen.
Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz