Predigt zum Gründonnerstag

Haben Sie schon von den sogenannten “Gottesdienst-Sets“ gehört, die in einer Kirche in München an Studenten verteilt worden sind?  Dazu wurde erklärt: „In diesem Set befindet sich eine geweihte Hostie, ein Palmzweig, Weihwasser und ein dazugehörendes Gebet. Alle Bestandteile wurden mit den höchsten hygienischen Sicherheitsmaßnahmen verpackt.” Mit unabsichtlicher Ironie, die schaudern macht, wurden die Empfänger des Sets noch aufgefordert „verantwortungsvoll mit der Hostie“ umzugehen. 

Im besten aller möglichen Fälle scheint hier der Leib Christi auf die Stufe von Sakramentalien gestellt zu werden, also von geweihten äußeren Zeichen, die in gewisser Nachahmung der Sakramente Wirkungen geistlicher Art bezeichnen und auf die Fürbitte der Kirche im Zusammenhang mit unserem persönlichen Glauben wirken, wie etwa das Weihwasser. Selbst in diesem besten aller möglichen Fälle können wir angesichts einer solchen Herabwürdigung des Altarsakramentes nur mit dem leidenden Herrn beten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34).

„Sie wissen nicht, was sie tun!“ Ist das nicht eine Aussage, die heute den Umgang mit dem Allerheiligsten Altarsakrament im Allgemeinen schildert? Wissen wir noch, was wir tun? Wissen wir noch, was im Moment der heiligen Wandlung wirklich geschieht? Wissen wir noch, wen wir bei der heiligen Kommunion wirklich empfangen? Wissen wir noch, wer auf uns in jedem Tabernakel unserer Kirchen wartet? Wissen wir, wie groß die Liebe ist, die sich uns ganz hingibt und sich heute sogar oft unwissenden oder gar beabsichtigten Sakrilegien ausgesetzt sieht?

Der heutige Gründonnerstag, an dem der Herr beim letzten Abendmahl die Sakramente der Eucharistie und des Priestertums eingesetzt hat, kann uns lehren, was im heiligen Messopfer wirklich geschieht. Dazu müssen wir aber zunächst eine Frage beantworten, die sich viele gar nicht mehr stellen und sicher nicht zu beantworten wissen: Was ist ein Sakrament?

Der Katechismus des hl. Papstes Pius X. antwortet darauf klar und eindeutig (Nr. 267 u. 268): „Die Sakramente sind die wirksamen Zeichen der von Jesus Christus zu unserer Heiligung eingesetzten Gnaden. Die Sakramente sind Zeichen der Gnade, weil sie in ihren sinnfälligen Teilen jene unsichtbaren Gnaden bedeuten oder auf sie hinweisen, die sie mitteilen. Sie sind deren wirksame Zeichen, weil sie nicht nur die Gnade bedeuten, sondern sie auch wirklich mitteilen.“

Ein Sakrament ist also nicht bloß „ein Zeichen der Nähe Gottes“. Schon gar nicht ist es ein leeres Symbol als Zeichen einer bloß persönlichen Glaubensüberzeugung. Es ist auch nicht nur ein äußerer Anlass für die Gnadengabe Gottes. Noch weniger ist es schließlich bloß ein Zeichen für die schon gegebene Gnade. Wir können es gar nicht deutlich genug sagen: Das Sakrament, also das von Christus eingesetzte äußere Zeichen, das die Kirche in ihrer Liturgie nach seinem Willen wiederholt, bewirkt innerlich die Ausschüttung der Gnade, die es bezeichnet. Das Sakrament ist das Instrument Gottes, das nach dessen ausdrücklich geäußertem Willen die Gnade wirkmächtig hervorruft, die wir erhalten.

Diese innerliche und wesentliche, daher unverzichtbare Wirkung der Sakramente zeigt ihren tiefen Zusammenhang mit dem Geheimnis der Menschwerdung. Die menschliche Natur Jesu Christi ist kein bloß äußerliches Zeichen für die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Ohne die Tatsache, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich in tief innerlicher Verbindung seiner beiden Naturen ist, wäre das Erlösungswerk in dieser Heilsordnung gänzlich unmöglich gewesen. Daher hat uns Christus nicht „anlässlich“ seines Opfertodes erlöst, sondern durch sein Leiden, sein Kreuz und seine Auferstehung. Die Menschheit Christi ist, wie der heilige Thomas sich mit den griechischen Kirchenvätern ausdrückt, organon Divinitatis, instrumentum coniunctum, nämlich ein innerlich der Gottheit verbundenes Heilsinstrument, durch das die Erlösung bewirkt wird. Wie das Hochgebet der heiligen Messe sagt, sind wir tatsächlich „durch Ihn, mit Ihm und in Ihm“ erlöst worden.

Diese innerliche Verbindung von Gottheit und Menschheit wird von den sieben Sakramenten auf ähnliche Weise durch den Willen Gottes fortgesetzt. Das menschliche Zeichen wird Träger und Instrument des Heils, also wirkmächtiges Zeichen der Gnade. Es bleibt symbolisches Zeichen, aber es wird „Realsymbol“, wirkt also, was es bezeichnet. So bezeichnet die Taufe unsere Reinigung von der Erbschuld, bewirkt sie aber auch durch die Kraft Gottes, die das Zeichen des fließenden Wassers durch die trinitarische Taufformel geheimnisvoll enthält. Wer an der innerlichen Wirkkraft der Sakramente zweifelt, zweifelt im letzten an der Menschwerdung, an der Gottheit Christi und an Seinem Heilswillen. Wer aber die Worte des Herrn in der Offenbarung ernst nimmt, versteht, warum die Kirche unbedingt darauf achten muss, dass die Sakramente in jener grundsätzlichen Form gefeiert werden, die Christus ihnen gegeben und der Heilige Geist über Jahrtausende in der Liturgie bewahrt hat. Da die Sakramente unser Heil bewirken, ist jedes Wort und jeder Gestus bei ihrer Feier in abgestufter Weise heilsbedeutsam.

Das gilt vor allem für die heilige Eucharistie, Quelle und Höhepunkt des sakramentalen Lebens der Kirche. Es handelt sich nicht um ein bloßes Symbol, nicht um eine fromme Erinnerung, nicht um ein rein äußeres Zeichen der Gnade, die dann nur unser Glaube bewirken würde. Die Eucharistie ist vielmehr das Realsymbol schlechthin: Christus, Seine Person und Sein Opfer sind unter den Gestalten von Brot und Wein unter uns ganz gegenwärtig, wie er es selbst gesagt hat: „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für Euch vergossen wird!“ (Lk 22, 19-20) Daher konnte der Herr auch offenbaren: „Wer mein Fleisch ist und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben…Denn mein Fleisch ist eine wahre Speise und mein Blut ein wahrer Trank.“ (Jo 6, 54-55) Die Identifizierung des geopferten Herrn mit den eucharistischen Gestalten ist so klar, dass die Kirche entgegen allem hohlen Symbolismus lehrt, dass „die Gestalten von Brot und Wein wahrhaft den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus zur Nahrung der Seelen“ enthalten (Katechismus des hl. Pius X, 316; auch KKK 1413).

Im Moment der Wandlung reißt durch die göttliche Kraft in den Worten Christi der Schleier der Zeit. Die immer und zeitlos wirkmächtige Kraft Gottes versetzt uns, wie die Apostel beim letzten Abendmahl, mit der Kirche unter das Kreuz. Kreuzesopfer und Messopfer sind im letzten identisch. „Das heilige Messopfer ist das Kreuzesopfer selbst. Es besteht nur ein Unterschied in der Weise der Darbringung.“ (Kat. d. hl. Pius X, 349) Christus selbst bringt durch die Priester dieses Opfer dar (vgl. KKK, 1410).  Der Opfertod Christi wiederholt sich sakramental-geheimnisvoll auf unseren Altären, die in diesem Moment in die Ewigkeit hineinragen. Der Opferwille Christi ist für immer in der Gottheit gegenwärtig und diese Gegenwart senkt sich bei der Wandlung des eucharistischen Opfers hinein in die Zeit, um in ihr zu bleiben, solange die eucharistischen Gestalten bestehen. So wie Christus in alle Ewigkeit das geopferte Lamm bleiben wird, so bleibt er durch das Allerheiligste Altarsakrament in seiner Kirche gegenwärtig bis zum Ende der Zeit. Wenn der Glaube durch das Schauen abgelöst wird, werden wir ihn „sehen, wie er ist“ (1 Johannes 3, 2) und niederfallen, um anzubeten.

Weil aber „im Altarsakrament Christus selbst gegenwärtig ist, ist es in Anbetung zu verehren“, sagt der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK, 1418). Weil die Gottheit und Menschheit, der Leib und die Seele des geopferten und auferstandenen Herrn gegenwärtig sind, fallen wir bei der Wandlung auf die Knie, beugen wir die Knie, wenn wir eine Kirche betreten, knien wir anbetend, wenn der Herr auf dem Altar in der Monstranz feierlich verehrt wird. Der Herr ist nach der Wandlung der heiligen Messe „wirklich, tatsächlich und substantiell gegenwärtig“ (KKK, 1413). Die Wandlung nennen wir deshalb mit dem Konzil von Trient Transsubstantiation, also Wesensverwandlung. Wir sehen, fühlen und schmecken noch die äußeren Gestalten, doch die Allgewalt Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat, hat durch den Vollzug des Sakramentes nach dem Willen Christi Seine Gegenwart an die Stelle des vorher Vorhandenen gesetzt. Das ist keine bloß symbolische Handlung, keine Erinnerung an Vergangenes, sondern Gegenwart, großartige, göttliche, verklärte Gegenwart des triumphierenden Erlösers!

Diese Gegenwart ist, was nur Gott uns schenken kann; sie ist, was die Kirche aufgrund eindeutiger Offenbarung Christi von Anbeginn glaubt; sie ist, was wir in der heiligen Messe feiern und in der Kommunion empfangen. Schon die frühesten Christen haben das gewusst, wie wir aus den mahnenden Worten des heiligen Paulus entnehmen können, die wir in der Messfeier des Gründonnerstags hören: „Wer also unwürdig dieses Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leib und Blut des Herrn. Daher prüfe sich der Mensch, und so esse er von dem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht [von gewöhnlicher Speise] unterscheidet.“ (1 Korinther 11, 27-29). Deswegen gehen wir auch vor dem Osterfest zum Sakrament der Beichte, damit wir uns prüfen und unsere Schuld vergeben wird, bevor wir den Leib des Auferstandenen empfangen.

Deswegen auch scheiden sich am Altarssakrament die Geister. Das ist heute so, das war schon zu Zeiten des Lebens Jesu auf Erden so. „Viele von seinen Jüngern, die es hörten, sagten: ‚Hart ist diese Rede, wer kann sie hören?‘ […] Von da an zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm.“ (Johannes 6, 60-66). Wir stehen vor einem Geheimnis des Glaubens, das zugleich Trost und Herausforderung bedeutet. Trost schöpfen wir aus dem festen Glauben an die bleibende Gegenwart des Herrn unter uns. So wie er nicht vom Kreuz herabgestiegen ist, so lässt er uns auch jetzt nicht allein, wenn Leiden kommen. Auf Ihn können wir immer zählen! Seine Gegenwart ist unverbrüchlich. Sie hängt nicht von unserem Glauben ab, weil sie objektiv und wirklich ist. Auch wenn wir zweifeln, bleibt Er da. Er entzieht dem Sakrament Seiner Gegenwart niemals seine Kraft. Es bleibt, wie alle Sakramente der Kirche, wirkmächtiges Zeichen seiner Erlösungsgnade. Er klopft an unsere Türe. Wir brauchen nur zu öffnen. Er ist da!

Darin liegt auch die Herausforderung. Weil Christus als Gottmensch in diese Welt gekommen ist und im Sakrament des Altares als Gottmensch Seiner Kirche gegenwärtig bleibt, stellt diese Präsenz Ansprüche. Viele aber „wissen nicht, was sie tun“. Sie wollen das Geheimnis verkleinern, denn Seine Gegenwart ist den Sündern unerträglich. Sie wollen sein Handeln leugnen: Was geschieht, „hat nichts mit Gott zu tun“. Sie hätten am liebsten den alten Weltbaumeister-Gott der Aufklärung zurück, der das Uhrwerk der Welt aufzieht und uns dann in Ruhe lässt. Aber wir können die Gegenwart Christi nicht abschaffen. Wir können den Erlöser nicht „zur Ruhe setzen“. Wir können Ihn nicht auf ein „Gottesdienst-Set“ reduzieren. Christus ist kein Symbol eines unverbindlichen „Seid-nett-zueinander“. Er ist keine ferne Erinnerung. Er ist da!

Heute, am Gründonnerstag, wie bei jeder heiligen Messe und in jedem Tabernakel, ist er wieder mitten unter seinen Jüngern. Er bricht mit uns das Brot des Lebens, dass Er selber ist. Er gibt sich uns ganz. Er wartet auf uns. Er weiß, wer ihn verraten wird. Trotzdem bleibt Er bei uns. Unsere Antwort auf die Herausforderung Seiner Gegenwart ist die der Kirche aller Zeiten: Bekenntnis, Anbetung, Liebe! Als der Herr die Jünger fragte: „Wollt nicht auch ihr weggehen?“, hat Petrus für uns alle die Antwort gegeben, die der göttlichen Gegenwart gebührt: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens!“ (Johannes 6, 67-68). Amen

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz