Kloster Maria Engelport
Predigt von
Msgr. Prof. DDr. R. Michael Schmitz
Zweiter Fastensonntag 2021
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Ist der Mensch eine Maschine? Noch vor wenigen Jahren wäre diese Frage absurd gewesen und hätte in unseren Ohren seltsam geklungen. Heute aber gibt es zahlreiche Ideologien, ja Praktiken, die den Menschen zu einer Maschine degradieren wollen.
Der sogenannte Transhumanismus will den Menschen durch Einpflanzung von elektronischen Geräten wie etwa Mikrochips nicht nur in seiner normalen Funktion unterstützen, so wie es die Medizin z.B. mittels Prothesen oder Herzschrittmachern schon lange tut, sondern er will den Menschen verbessern und verändern. Er will ihn innerlich in seinem Wesen umgestalten. Er will ihn zu einem „Übermenschen“ machen und künstlich herbeiführen, was der Mensch in seinem ganzheitlichen Wesen nur von Gott empfangen kann. Dieser Transhumanismus ist im Grunde tief menschenverachtend. Er will nicht sehen, dass der Mensch eine Leib-Seele-Einheit bildet, eine Ganzheit, die von Gott geschaffen ist. Er verfügt über den Menschen ebenso, wie man über eine Maschine verfügt und er will aus ihm machen, was Ideen und Phantasien ihm eingeben.
Dieser sogenannte Transhumanismus führt dann logischerweise zum Posthumanismus. Man glaubt, dass das Modell Mensch, so wie wir es kennen, endgültig veraltet ist, dass wir alles verändern müssen, so, dass wir nur noch eine geistige Komponente, etwa das im Hirn gespeicherte Wissen und die dort vorhandene vorgeblich rein geistige Identität erhalten können. Es wird behauptet, dass das alles auf eine Maschine – einen Rechner – übertragen werden kann. So soll, wie man mit Hybris wähnt, der Mensch in seiner geistigen Identität angeblich unsterblich gemacht werden können.
Hier tritt uns die uralte, böse Frage entgegen, die schon von Anfang an dem Menschen gestellt worden ist: „Willst du sein wie Gott?“ Denn hier macht sich der Mensch zum Schöpfer, er will sein eigenes Menschsein ablegen, er will ein neues Geschöpf bilden, er will etwas Größeres als sich selbst schaffen und zerstört damit hochmütig und undankbar sein eigenes Sein.
Dieser Posthumanismus hat tief nihilistische Wurzeln, der „Übermensch“ der Philosophie Nietzsches wird hier zu einer technisch machbaren Errungenschaft. Wir werden zu manipulierbaren Machwerken. „Alles ist möglich“, denn in dieser Sicht es gibt keine eigentliche unveränderliche, menschliche Natur mehr, alles ist in die Beliebigkeit gestellt. Im Letzten gibt es in diesem kalten Weltbild auch keine bleibende Wahrheit mehr, und natürlich keinen Maßstab, den Gott gesetzt hat. Vorgebliche Eliten schreiben in dieser „neuen Welt“ allen alles vor. Damit wird menschenverachtend eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wie in der „schönen neuen Welt“ von Aldous Huxley, global vorgeprägt: Eine „wissende“ und „verbesserte“ Elite will die anderen „armen“ Menschen beherrschen. Freiheit wird durch Despotismus ersetzt, der Mensch wird zur Maschine, über die beliebig verfügt werden kann, und das alles geschieht angeblich „zum Wohle der Menschheit“. Was früher fast undenkbare Utopie war, wird heute langsam Wirklichkeit!
Im Evangelium hören wir etwas ganz Anderes: Mitten in der Fastenzeit wird uns die Verklärung des Herrn vor Augen gestellt. Im lateinischen Text der Vulgata heißt Verklärung transfiguratio, im griechischen Urtext metamorphosis: Eine Umwandlung, eine innere und äußere Umgestaltung des menschlichen Leibes Jesu Christi, der in seiner göttlichen Herrlichkeit den Aposteln erscheint. Hier aber ist kein cartesischer Dualismus zu sehen, denn der Leib des Herrn bleibt erhalten; doch die Gottheit, die die menschliche Natur des Herrenleibes von innen durchwirkt und gestaltet, wird äußerlich sichtbar. Die Glorie des Herrn wird sichtbar, aber in dem einen Leib, in der einen Menschheit, in der unzerstörbaren Einheit von Seele und Leib, Gottheit und Menschheit unseres Herrn Jesus Christus.
Kein künstlicher Dualismus tritt uns hier entgegen, sondern die Einheit von Gnade und Natur wird durch die Allmacht Gottes vor die erstaunten Augen der Apostel gestellt. Es ist für uns eine Vision dessen, was Gott mit uns selber vornimmt, wenn wir uns der Gnade öffnen. Auch wir sollen umgestaltet werden. Umgestaltet nicht dadurch, dass man uns etwas einpflanzt, dass man uns zu Maschinen macht, dass man uns technisch beliebig verändert, sondern umgestaltet dadurch, dass die Gnade von innen in uns wirkt. Umgestaltet dadurch, dass wir unser Selbst wahren, aber insofern verändert werden, als wir besser, mehr von der Gnade getragen und mehr Christus ähnlich werden. Das gilt nicht für eine kleine Elite, sondern für jeden, der sich der Gnade öffnen will.
Jeder bleibt dabei derselbe, die Identität des Menschen ist unveränderlich, kein Eingriff, keine Krankheit, kein Alter kann sie uns im Tiefsten nehmen. Wir bleiben immer die gleichen Menschen: Immer mit Schwächen behaftet, aber für die Gnade offen. Capax Dei, wie der hl. Thomas von Aquin lehrt. Wenn wir ein ganzes Leben lang mit Christus, in seiner Gnade mitgearbeitet haben, dann werden trotz unserer Begrenztheiten langsam und unmerklich umgestaltet, dann werden wir der Glorie nähergebracht, aber ein jeder bleibt der gleiche Mensch, den Gott in der Schöpfung mit je eigener Würde ausgestattet und, als Christ, durch die Sakramente der Kirche zu Seinem Kind gemacht hat. Daher bleibt jeder von uns der einzigartige Mensch, den Gott durch seine eigene Menschwerdung retten will. Er will jeden von uns als unverwechselbaren, aber durch die Gnade innerlich umgestalteten Menschen hinaufnehmen in die Glorie, die er uns heute auf dem Berge Tabor anfanghaft zeigt. Deswegen auch wird er am Ostermorgen mit Leib und Seele von den Toten auferstehen!
Damit enthüllt sich der Sinn der Fastenzeit: Wir sollen besser mit der Gnade mitarbeiten, wir sollen freier werden für diese wahre metamorphosis, diese innere Umgestaltung in Christus. Wir sollen uns von allem unnötigen Ballast losmachen, damit wir uns Gott öffnen können und seine Herrlichkeit in uns sichtbarer wird. Deswegen lädt uns die Kirche zu körperlichem Fasten ein, denn auch der Körper gehört zu unserer Leib-Seele-Einheit. Die Kirche fordert uns ebenso auf, unseren Geist zu reinigen und zu läutern, damit wir uns der höheren Weisheit fügen und nach den heilsbringenden Geboten Gottes leben können.
Auch durch die Fastenzeit lehrt uns die Kirche, dass der Mensch eine unverwechselbare und unveränderliche Einheit ist. Er ist eben keine Maschine, sondern ein Mensch, für die Herrlichkeit der Glorie geschaffen. Jung, alt, krank, gesund, einfach oder gebildet, hoch oder niedrig, immer ist der Mensch ein wertvoller Mensch. Er ist unveränderlich, weil Gott ihn unveränderlich liebt. Nie werden wir zu einer Maschine, deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass menschenverachtende Ideologien den Menschen erniedrigen, ihn zu einer Maschine herabwürdigen wollen und ihn freiheitszerstörend überwachen und manipulieren.
Wir wissen mit der Kirche: Wir sind keine Maschinen, wir sind nicht auswechselbar, man darf uns niemals manipulieren und weder zu Beginn noch zu Ende unseres Lebens wegwerfen. Wir sind vielmehr eine Leib-Seele-Einheit. Als solche sind wir, mit allen Schwächen und Stärken unserer Natur, unverwechselbare, geliebte Geschöpfe Gottes. Wenn wir jedoch mit Christus auf dem Berg Tabor sein wollen, wenn wir uns seiner Gnade in dieser Fastenzeit – auch durch eine gute Beichte – besonders öffnen, dann werden wir umgestaltet. Nicht nur Christus, sondern auch wir selbst, werden damit Zeugen für die Glorie, die auf uns alle wartet! Jeder, der sich der Gnade öffnet und mit ihr mitarbeitet, zeigt, dass wir alle von Gott besonders geliebte Menschen und keine leib-und seelenlosen Maschinen sind! Amen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.