Predigt zum Dritten Adventssonntag Gaudete

Kloster Maria Engelport

Predigt von Msgr. Prof. DDr. R. Michael Schmitz

13. Dezember 2020

Dritter Adventssonntag Gaudete

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„Tu dir etwas Gutes, nur für dich selbst.“ Dieser dumme Werbeslogan enthält einen inneren Widerspruch. Man kann nämlich sich selbst gar nichts Gutes tun, wenn es ausschließlich und nur für uns selbst ist. Egoismus ist nie etwas Gutes. Der Mensch ist nicht geschaffen, um alleine zu sein. Wir sind nicht auf uns selbst konzentriert, sondern Gott hat uns so gemacht, dass wir auf die Gemeinschaft hin offen sind. Das wahre Glück, die wahre Zufriedenheit, die wirkliche innere Freude entsteht nur, wenn sie unsere Seele, wenn sie unser ganzes Menschsein auf die Gemeinschaft hin öffnet.

Deswegen heißt es schon zu Beginn: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei“. „Nach seinem Bild schuf er sie und er schuf sie als Mann und Frau“. (Genesis 1, 27-28). Gott hat uns in diese Welt gestellt als animal sociale – als Gemeinschaftswesen. Wir sind nicht nur für uns selber da, sondern wir sind immer auch für andere da. Wahre Freude ist immer gemeinsam.

Nur die Hingabe an Andere bringt uns die wahre Freude im Herrn, von der es heute heißt, dass wir uns immer ihrer erfreuen sollen: Gaudete in Domino semper, iterum dico gaudete (Philipper 4, 4). Das zeigt sich von Anbeginn unserer Existenz. Wir brauchen die Familie, wir brauchen eine häusliche Umgebung, wir brauchen Freunde, wir brauchen, wenn es unsere Berufung ist, eine Ehe oder eine geistliche Gemeinschaft. Wir brauchen das Zusammensein mit anderen, wo wir uns anderen schenken können, wo wir aber auch empfangen und durch das unsere Freude wächst.

Ebenso so ist es in der größeren Gemeinschaft des Staates. Jeder von uns gibt seinen Teil zum gerechten christlichen Staat hinzu. Wir empfangen von ihm die Ordnung und die Sicherheit, die wir brauchen und die wir alleine nicht schaffen könnten. Wenn wir alleine wären, würden wir auch im weltlichen Bereich einer ständigen Unsicherheit leben. Wenn wir uns nur alleine Gesetze geben würden, dann würden wir unserem eigenen Egoismus dienen, denn wenn wir nicht auf das Große und Ganze schauen, dann vereinzeln und vereinsamen wir.

Das gilt ebenso für die Kirche, denn wir verehren Gott nicht alleine. Christus hat die Kirche, diese übernatürliche, in sich perfekte Gemeinschaft schaffen wollen, damit wir durch ihre Heilsmittel gemeinsam das Heil erlangen. Wir beten gemeinsam, wir wohnen gemeinsam dem Heiligen Opfer bei. Auch Christus hat beim ersten Heiligen Opfer seine Apostel um sich versammelt als ein Abbild jeder größeren Gemeinschaft, für die wir alle geschaffen sind, nämlich die Gemeinschaft der Freundschaft mit Gott.

All diese Dinge nämlich, die Familie, der Freundeskreis, der Staat, die Kirche haben nur dann einen Sinn und bringen nur dann Freude, wenn sie wirklich auf die höhere Gemeinschaft ausgerichtet sind, auf die Gottesfreundschaft, die Christus uns schenkt, indem er uns zu Kindern des Vaters macht. Immer müssen wir durch das rein Menschliche hindurchsehen. Wir müssen uns vor allen Dingen von unserem Egoismus lösen. Nur so können wir in der Familie das Abbild der Heiligen Familie sehen und in der Freundschaft das Abbild der Freundschaft Jesu und Johannes. Nur so können wir in der Gemeinschaft des Staates die Ordnung Gottes wiedererkennen und sie durchsetzen. Nur so erscheint die Gemeinschaft der Kirche uns als die Entsprechung der großen Gemeinschaft des Himmels, in der die Engel und die Heiligen gemeinsam Gott eine ewige und wunderbare Freude darbringen, die von seiner Gnaden in ihrem Inneren kommt.

Weil das so ist, will der böse Feind uns vereinzeln. Er gleicht einem Rudel Wölfe oder Löwen, das jagt und das das Tier, das es reißen will, von der Herde trennt. Wir sind selbstverständlich keine Herdentiere, wir sollen als Christen nicht einfach tun was die Masse tut, aber wir müssen im Schafstall Gottes bleiben. Wir sollen in der Herde Jesu Christi bleiben. Wenn wir merken, dass der Teufel uns durch Starrsinnigkeit, durch Misstrauen, durch Angst, durch Sünde, durch all Versuchungen der Vereinzelung, die er seit alters her anwendet, um uns einsam zu machen, von der Herde abwenden will, dann müssen wir auf der Hut sein. Wir dürfen uns nicht von der Herde Christi abwenden lassen, weil dann unsere Freude zerstört ist. Das nämlich will der Teufel tun: Er will unsere Freude zerstören!

Wir sehen es in unserer Gesellschaft, wir sehen es bei so vielen Zeitgenossen, die sich von der Herde Christi abgewandt haben. Sind sie froher geworden? Sind sie glücklicher geworden? Sind sie zufriedener geworden? Im Gegenteil. Angst, Einsamkeit und vor allen Dingen die Sünde hat sie im Griff bekommen. Sie sitzen oft genug zuhause nur noch vor Fernseher oder Computer, sie sehen keinen anderen mehr und sie sind nicht selten so vereinzelt, dass sie sich gar nicht mehr miteinander unterhalten können, weil sie immer nur auf ihr Handy blicken. Das alles ist der Plan der Vereinzelung, dem Gott und die Gemeinschaft der Kirche entgegenstehen.

Öffnen wir uns daher der Gemeinschaft, wenn wir merken, dass wir aus der Herde ausgesondert werden sollen, die Christus zu unserem Heil gegründet hat. Versuchen wir gegen die teuflische Vereinsamung und den kalten Individualismus mit den Waffen Jesu Christi zu kämpfen, um uns in die Gemeinschaft Gottes zu retten. Versöhnung, Verzeihung, Neuanfang, Barmherzigkeit, Bekehrung, Umkehr, Frieden, und vor allem auch die heilige Beichte sind Mittel, die Christus uns an die Hand gegeben hat, um uns wieder zur Gemeinschaft zurückzubringen. Jede Ehe ist schwierig, jede Familie hat Kreuze zu tragen, jede geistliche Gemeinschaft ist immer wieder von den Schwierigkeiten des täglichen Lebens bedroht, jede Freundschaft ist in Gefahr, wenn sie Christus dient, jedes Staatswesen und auch die Kirche sind bedroht, weil der Teufel die Gemeinschaft Gottes hasst. Deswegen wollen wir dem Aufruf des Apostels Paulus folgen: „Gaudete in Domino semper, iterum dico gaudete“.

Freut euch! Freut euch an der Freundschaft Gottes! Freut euch an der Familie! Freut euch an der Gabe der Ehe! Freut euch an der geistigen Gemeinschaft! Freut euch an der Gemeinschaft der Kirche! Freuen wir uns, trotz der Kreuze und Leiden, die das unweigerlich mit sich bringt, an der Gottesgemeinschaft, damit der Teufel uns nicht in die Einsamkeit treibt, damit er uns nicht zu Opfern eures Egoismus werden lässt, sondern damit unsere Herzen sich weit öffnen für die Freude und Herrlichkeit Christi! Um uns daran zu erinnern lässt uns am heutigen Sonntag Gaudete die Kirche bereits die weihnachtliche Freude vorhersehen. Wir sehen an den rosa Messgewändern der Priester, dass sich das Dunkel erhellt: Christus, der Gemeinschaftsstifter, steht vor der Tür!

Wir sehen, dass der Teufel sein Spiel ausgespielt hat. Wir sehen, dass auch wenn wir versucht werden, uns die Hoffnung niemals verlässt, denn wir sind nicht alleine. Wir sind nicht alleine in der Familie, wir sind nicht alleine im Staat, wir sind nicht alleine in der Kirche. Es gibt die Gemeinschaft der Wohlmeinenden, die sich von der dumpfen Masse absondert, die Gemeinschaft der Gläubigen, die Gemeinschaft der Heiligen! Diese Gemeinschaft kann der Teufel nicht zerstören, denn sie ist auf dem Handeln und Tun des ewigen Hohepriesters Christus gegründet, der uns für immer die Freude gebracht hat. Wenn wir an dieser Gemeinschaft im Glauben festhalten, dann kann der Teufel, der Zerstörer der Freude, kann uns nichts anhaben. Mag uns auch die Traurigkeit der Zeit manchmal in dunkle Stunden bringen, wir wissen, dass die Freude der Herrlichkeit Gottes immer siegt, denn Christus ist Sieger, König und Herr in Ewigkeit. Amen.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Die Rechte der Eltern als hauptsächliche Erzieher ihrer Kinder

Die Rechte der Eltern als hauptsächliche Erzieher ihrer Kinder und ihre Pflicht zum Widerstand gegen Lehrpläne, die im Widerspruch zur christlichen Moral stehen

Vortrag von Raymond Leo Kardinal Burke

VOICE OF THE FAMILY
Virtuelle Konferenz
September 2020

            Es ist mir eine große Freude, Voice of the Family in ihrer großartigen Arbeit der Verbreitung und Förderung der wahren Lehre und Disziplin der Kirche über die Ehe und deren  wunderbare Frucht, die Familie, zu unterstützen. Insbesondere ist es mir ein Anliegen,  das kritische Thema der Erziehung anzusprechen, das die wesentliche Mission der Familie und ein grundlegender Ausdruck unserer Kultur ist.

            Niemand, der aufmerksam die Entwicklungen in unserer Gesellschaft verfolgt, kann sich der Erkenntnis entziehen, dass das Bildungs- und Erziehungswesen heutzutage heftigen Angriffen ausgesetzt ist.  Sowohl im Bildungswesen als auch im Recht – beides grundlegende Ausdrucksformen unserer Kultur – erleben wir die Abkehr vom Verständnis der menschlichen Natur und vom Gewissen, durch das Gott uns gerufen hat, die Wahrheit der Natur zu respektieren und in reiner und selbstloser Liebe in Übereinstimmung mit dieser Wahrheit zu leben.

            Der heilige Paulus erklärte in seinem Brief an die Epheser unter Bezugnahme auf die Entfremdung des Menschen von Gott und damit von der Welt:

Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen. Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut.[1]

Christus allein kann unser Verständnis öffnen und unser Herz dazu ermutigen, die Wahrheit anzunehmen und sie in Liebe zu leben. Pädagogen, die mit den Eltern zusammenarbeiten, führen daher die Kinder dazu, Christus kennenzulernen und ihm in allen Dingen zu folgen, und weisen ihnen so den Weg zum Frieden, der das Verlangen jedes menschlichen Herzens ist. Erziehung, sowohl zu Hause als auch in der Schule, öffnet dem Kind die Augen für das Geheimnis der Liebe Gottes zu uns, der seinen eingeborenen Sohn in Menschengestalt zu uns und seinen Heiligen Geist, die große Frucht der Erlösenden Inkarnation, in unsere Seelen gesandt hat.

            Eltern, die sich in der Vergangenheit darauf verlassen konnten, dass ihre Kinder in den Schulen zu wahren Bürgern des Himmels und der Erde, zu guten Mitgliedern der Kirche und guten Mitgliedern der Zivilgesellschaft erzogen wurden, müssen nun wahrhaben, dass manche Schulen nur mehr Orte der Indoktrination mit atheistischem Materialismus und dem damit verbundenen Relativismus sind. Tatsächlich versuchen solche Schulen, die zu Hause erhaltene Erziehung in Bezug auf die grundlegendsten Wahrheiten aktiv zu zerstören: die Wahrheit über die unantastbare Würde des unschuldigen menschlichen Lebens, die Integrität der menschlichen Sexualität und der Ehe und die Unersetzbarkeit der Beziehung des Menschen zu Gott oder der heiligen Religion. Wenn Eltern zu Recht versuchen, ihre Kinder vor einer solchen nihilistischen Ideologie zu schützen, versuchen diese Schulen immer häufiger, den Kindern die Indoktrination mit totalitären Methoden aufzuzwingen.

            Unglücklicherweise fühlen sich einige katholische Schulen aus verschiedenen Gründen bemüßigt, die Situation in nichtkatholischen Schulen nachzuahmen, indem sie die Ideologie gegen das Leben, gegen die Familie und gegen die Religion mittragen, die das heutige Bildungswesen im Allgemeinen kennzeichnet – eine schlimme Situation, da Eltern, die ihre Kinder auf eine katholische Schule schicken, darauf vertrauen, dass diese Schule wirklich katholisch sein wird, obwohl sie es tatsächlich nicht mehr ist. Dass solche Schulen immer noch unter der Bezeichnung „katholisch“ geführt werden, stellt ein großes Unrecht gegenüber den Familien dar.

            Der bedauernswerten kulturellen Situation, in der wir uns befinden, liegt der Verlust des Sinns für Natur und Gewissen zugrunde. Papst Benedikt XVI. hat diesen Verlust im Zusammenhang mit den Grundlagen der Rechtsordnung während seines Pastoralbesuchs in Deutschland im September 2011 in seiner Rede vor dem Bundestag angesprochen. Unter Bezugnahme auf die Geschichte der Thronbesteigung des jungen Königs Salomo erinnerte er die politischen Führer an die Lehre der Heiligen Schrift über die Arbeit der Politiker. Gott fragte König Salomo, welche Bitte er zu Beginn seiner Regierungszeit über Gottes heiliges Volk stellen wolle. Der Heilige Vater kommentierte dazu:

Was wird sich der junge Herrscher in diesem Augenblick erbitten? Erfolg – Reichtum – langes Leben – Vernictung der Feinde? Nicht um diese Dinge bittet er. Er bittet: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“ (1 Kön 3,9).[2]

Wie Papst Benedikt XVI. bemerkte, lehrt die Geschichte von König Salomo, was das Ziel der politischen Aktivität und damit der Regierung sein muss. Er erklärte: „Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen.… Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers“.[3]

            Papst Benedikt XVI stellte dann die Frage, wie wir das Gute und Rechte, das die politische Ordnung und insbesondere das Gesetz schützen und fördern sollen, erkennen können. Während er anerkannte, dass in vielen Angelegenheiten „kann die Mehrheit ein genügendes Kriterium sein“,[4] betonte er auch, dass ein solches Prinzip „in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht“.[5] In Bezug auf die Grundlagen des Lebens der Gesellschaft muss das positive Zivilrecht „Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen“[6] respektieren. Mit anderen Worten muss es auf das natürliche Sittengesetz zurückgegriffen werden, das Gott jedem menschlichen Herzen eingeschrieben hat. Ich denke an meine eigene Heimat, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der der Oberste Gerichtshof der Nation es auf sich genommen hat, den Beginn des menschlichen Lebens, die Partnerschaft der Ehe und die menschliche Sexualität selbst nach materialistischen und relativistischen, sentimentalen Überlegungen zu definieren, unter Missachtung des Gesetzes, das Gott auf das menschliche Herz geschrieben hat.[7]

            Was Papst Benedikt XVI. in Bezug auf die Grundlagen des Rechts in Natur und Gewissen sagte, weist auf die grundlegende Arbeit in der Erziehung hin, die darauf abzielen muss, bei den Schülern ein „hörendes Herz“ zu fördern, das danach strebt, das Gesetz Gottes zu kennen und diesem durch ein auf Entwicklung der Tugenden gerichtetes Leben Respekt zu erweisen. Wahre Erziehung zielt darauf ab, die menschliche Person „zur vollen menschlichen und christlichen Reife“[8] zu bringen. Ich möchte hier dazu nur sagen, dass die Eltern wachsam sein müssen, um sicherzustellen, dass die schulische Erziehung ihrer Kinder mit der christlichen Erziehung und der Erziehung zu Hause übereinstimmt. So wie die Familie für die Transformation der Kultur von wesentlicher Bedeutung ist, so ist auch die Bildung aufgrund ihrer intrinsischen Verbindung mit dem Wachstum und der Entwicklung des Kindes von wesentlicher Bedeutung.

            Die Anti-Lebens-, Anti-Familien- und Anti-Religions-Agenda unserer Zeit wird mit enormer Energie vorangetrieben; sie verdankt ihren Erfolg nicht zuletzt der mangelnden Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der selektiven Information durch die Medien. Die allgegenwärtigen Massenmedien, die der mächtige Motor hinter dieser Agenda sind, verwirren und korrumpieren Geist und Herz und trüben das Gewissen der Menschen für das Gesetz, das Gott der Natur und jedem menschlichen Herzen eingeschrieben hat. In seiner Enzyklika über das Evangelium des Lebens, Evangelium Vitae, erklärte Papst Johannes Paul II :

Es bedarf dringend einer allgemeinen Mobilisierung der Gewissenund einer gemeinsamen sittlichen Anstrengungum einegroße Strategie zu Gunsten des Lebens in die Tat umzusetzen. Wir müssen alle zusammen eine neue Kultur des Lebens aufbauen:neu, weil sie in der Lage sein muß, die heute neu anstehenden Probleme in Bezug auf das Leben des Menschen aufzugreifen und zu lösen; neu, weil sie eben mit stärkerer und tätiger Überzeugung von seiten aller Christen aufgebaut werden muß; neu, weil sie in der Lage sein muß, zu einer ernsthaften und mutigen kulturellen Gegenüberstellung mit allen anzuregen. Die Dringlichkeit dieser kulturellen Wende hängt mit der historischen Situation zusammen, in der wir uns befinden, aber sie wurzelt vor allem im Evangelisierungsauftrag, der wesenhaft zur Kirche gehört. Denn das Evangelium hat zum Ziel, „die Menschheit von innen her umzuwandeln, sie zu erneuern“; es ist wie die Hefe, die den ganzen Teig durchsäuert (vgl. Mt 13, 33), und als solches dazu bestimmt, alle Kulturen zu durchdringen und sie von innen her zu beleben, damit sie die ganze Wahrheit über den Menschen und über sein Leben zum Ausdruck bringen.[9]

Was Papst Johannes Paul II über die Mobilisierung der Gewissen in Bezug auf die Unverletzlichkeit unschuldigen menschlichen Lebens sagte, gilt sicherlich ebenso und ebenso stark für die Mobilisierung der Gewissen in Bezug auf die Integrität der Ehe und des Familienlebens sowie in Bezug auf die unersetzliche Beziehung zu Gott, die heilige Religion.

            Papst Johannes Paul II betonte, dass solche Bemühungen mit der „Erneuerung  der Kultur des Lebens innerhalb der christlichen Gemeinschaften selbst[10] beginnen müssen. Die Kirche selbst ist gefordert, sich mit der Situation so vieler ihrer Mitglieder zu beschäftigen, die zwar in kirchlichen Organisationen und Projekten aktiv tätig sind, die jedoch „auf eine Art Trennung zwischen dem christlichen Glauben und seinen sittlichen Forderungen in bezug auf das Leben [verfallen], was schließlich zum moralischen Subjektivismus und zu manchen unannehmbaren Verhaltensweisen führt“.[11] Diese Trennung von Glauben und Praxis hat besonders verheerende Auswirkungen auf das Bildungswesen. Das Kind, das gelernt hat, ein „hörendes Herz“ zu haben, das auf die Stimme seines Gewissens und auf Gottes in sein Herz geschriebenes Gesetz zu hören gewöhnt ist, wird genau von denen korrumpiert, denen man es zu vertrauen gelehrt hat. Man denke nur an die Korruption, die durch eine durchgehend verfehlte Erziehung zur menschlichen Sexualität bewirkt wird. Eltern können nicht aufmerksam genug auf die Ausbildung ihrer Kinder achten, um zu verhindern, dass diese im Rahmen ihrer schulischen „Erziehung“ solchen Einflüssen ausgesetzt werden.

            Eine katholische Erziehung für Kinder und Jugendliche ist eine vollständige Erziehung, die die Entwicklung der Vernunft durch kompetente Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten im Kontext des Glaubens zum Gegenstand hat; dies wird durch das Studium des Wortes Gottes und seines Plans für uns und unsere Welt, den er uns geoffenbart hat, erreicht. In seiner Enzyklika Divini Illius Magistri beschrieb Papst Pius XI eine katholische oder christliche Erziehung mit folgenden Worten:

Eigentliches und unmittelbares Ziel der christlichen Erziehung ist die Mitwirkung mit der Gnade Gottes bei der Bildung des wahren und vollkommenen Christen: das heißt Christi selbst in den durch die Taufe Wiedergeborenen, entsprechend dem anschaulichen Ausdruck des Apostels: „Meine Kindlein, für die ich abermals Geburtswehen leide, bis Christus in euch gestaltet ist.“ Der wahre Christ muss ja das übernatürliche Leben in Christus leben: „Christus, euer Leben“, und es in seinem ganzen Tun offenbaren: „damit auch das Leben Jesu in unserem sterblichen Fleische offenbar werde“.

Deshalb umfaßt gerade die christliche Erziehung den ganzen Bereich des menschlichen Lebens, des sinnlichen und übersinnlichen, des geistigen und sittlichen, des Lebens des Einzelnen, der Familie und der Gemeinschaft, nicht um es irgendwie einzuengen, sondern um es zu erheben, zu ordnen und zu vervollkommnen nach dem Beispiel und der Lehre Christi.

Der wahre Christ, die Frucht der christlichen Erziehung, ist also der übernatürliche Mensch, der ständig und folgerichtig nach der vom übernatürlichen Licht des Beispiels und der Lehre Christi erleuchteten gesunden Vernunft denkt, urteilt und handelt; oder, um es mit dem heute gebräuchlichen Ausdruck zu sagen: der wahre und vollendete Charaktermensch. Denn nicht jede beliebige, nach rein subjektiven Grundsätzen Konsequenz und Beharrlichkeit aufweisende Lebensführung stellt den wahren Charakter dar, sondern nur die Ausdauer in Befolgung des ewigen Grundgesetzes der Gerechtigkeit, wie es auch der heidnische Dichter anerkennt, wenn er in untrennbarer Verbindung „den gerechten und vorsatztreuen Mann“ lobt. Anderseits kann aber vollendete Gerechtigkeit nur da bestehen, wo auch Gott gegeben wird, was Gottes ist, wie es der wahre Christ tut.[12]

Nur eine solche vollständige Ausbildung kann unsere Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zu dem Glück führen, für das Gott jeden von uns geschaffen hat. Mit Hilfe einer soliden Ausbildung zu Hause und in der Schule erfahren Kinder das Glück sowohl während ihres Lebens auf dieser Welt als auch am ewigen Ziel ihrer Pilgerreise, das der Himmel ist. Nur eine solche Erziehung kann unsere Kultur verändern.

Die Familie ist der erste Ort, an dem Erziehung und Bildung vermittelt wird – eine Wahrheit, die im Wesentlichen die Mission der Schule definiert. Die Schule hat der Familie zu dienen und daher eng mit der Familie zusammenzuarbeiten, um Kinder zu immer größerer Reife zu bringen, zur Fülle des Lebens in Christus. In Bezug auf die christliche Ehe und die Familie sowie die Mission der Erziehung erklärte der Heilige Papst Johannes Paul in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben zur Familie 1981, Familiaris Consortio, dass „die christliche Familie … ja die erste Gemeinschaft [ist], der es obliegt, dem heranwachsenden Menschen das Evangelium zu verkünden und ihn durch eine fortschreitende Erziehung und Glaubensunterweisung zur vollen menschlichen und christlichen Reife zu führen“.[13] Eine christliche Erziehung in der Familie und in der Schule führt Kinder und Jugendliche immer tiefer in die Tradition, in das große Geschenk unseres Lebens in Christus in der Kirche ein, die uns durch die Jahrhunderte aus einer ungebrochenen Überlieferung weitergegeben worden ist, die direkt auf die Apostel und ihre Nachfolger zurückverfolgt werden kann.

Ein Erziehungswesen, das auf das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft ausgerichtet ist, muss besonders darauf achten, sich gegen die Fehler des Säkularismus und Relativismus zu rüsten, damit sie es nicht verabsäumt, den nachfolgenden Generationen die Wahrheit, die Schönheit und das Gute unseres Lebens und unserer Welt zu vermitteln, wie sie sich in der unveränderlichen Lehre des Glaubens, in seinem höchsten Ausdruck durch Gebet, Hingabe und göttliche Anbetung und in der Heiligkeit des Lebens derer ausdrückt, die sich zum Glauben bekennen und Gott anbeten „in Geist und in Wahrheit“.[14]

In der Erklärung über die christliche Erziehung des zweiten Vatikanischen Konzils, Gravissimum Educationis, wurde klargestellt, dass die Hauptverantwortung für die Erziehung von Kindern bei Eltern liegt, die sich auf ordentlich geführte Schulen verlassen, die jenen Teil der Gesamterziehung ihrer Kinder übernehmen sollen, die sie zu Hause nicht vermitteln können. Das wesentliche Gut der Ehe, das Geschenk der Kinder, umfasst sowohl die Zeugung als auch die Erziehung des Kindes. Ich zitiere aus Gravissimum Educationis:

Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden. Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, daß es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist. Den Eltern obliegt es, die Familie derart zu einer Heimstätte der Frömmigkeit und Liebe zu Gott und den Menschen zu gestalten, daß die gesamte Erziehung der Kinder nach der persönlichen wie der gesellschaftlichen Seite hin davon getragen wird. So ist die Familie die erste Schule der sozialen Tugenden, deren kein gesellschaftliches Gebilde entraten kann. Besonders aber sollen in der christlichen Familie, die mit der Gnade und dem Auftrag des Ehesakraments ausgestattet ist, die Kinder schon von den frühesten Jahren an angeleitet werden, gemäß dem in der Taufe empfangenen Glauben Gott zu erkennen und zu verehren und den Nächsten zu lieben.[15]

Natürlich trifft auch die Gesellschaft im Allgemeinen und die Kirche in besonderer Weise eine Verantwortung für die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen, aber diese Verantwortung muss immer unter Achtung der Hauptverantwortung der Eltern ausgeübt werden.

Die Eltern ihrerseits sind dazu aufgerufen, sich voll und ganz in jeglichen Bildungsmöglichkeiten zu engagieren, die von der Gesellschaft und der Kirche geboten werden. Kinder und Jugendliche sollten nicht durch eine außerhalb des Hauses erhaltene Ausbildung verwirrt oder zu Irrtümern verleitet werden, die im Widerspruch zu der zu Hause empfangenen Erziehung steht. Heute müssen die Eltern besonders wachsam sein, denn einige Schulen sind zu Werkzeugen einer weltlichen Agenda geworden, die der christlichen Lebensweise zuwiderläuft. Man denke nur an die obligatorische sogenannte „Gender Education“ in einigen Schulen, die einen direkten Angriff auf die menschliche Sexualität, auf die Ehe und damit auf die Familie darstellt.

Im Interesse unserer Jugend müssen wir alle dem grundlegenden Ausdruck unserer Kultur, der Bildung, besondere Aufmerksamkeit widmen. Gute Eltern und gute Bürger dürfen die Lehrpläne der Schulen und die Weise, in der die Schulen geführt werden, nicht aus den Augen verlieren, um sicherzustellen, dass unsere Kinder in den menschlichen und christlichen Tugenden geformt und nicht durch Indoktrination in Bezug auf die grundlegendsten Wahrheiten des menschlichen Lebens, der Familie und der Religion verwirrt und verformt werden – eine Indoktrination, die sie nur in die Sklaverei der Sünde und damit zu tiefem Unglück und zur Zerstörung unserer Kultur  führen werden.

Im Zentrum eines soliden Lehrplans stehen  die Achtung sowohl der Würde des Menschen als auch der Tradition der Schönheit, der Wahrheit und des Guten in der Kunst und in der Wissenschaft. Heute scheint oft Toleranz gegenüber Denk- und Handlungsweisen, die gegen das Sittengesetz verstoßen, für viele Christen der interpretative Schlüssel zu sein. Nach diesem Ansatz kann man nicht mehr zwischen dem Schönen und dem Hässlichen, dem Wahren und dem Falschen sowie dem Guten und dem Bösen unterscheiden. Diese Einstellung ist nicht sicher in der moralischen Tradition verankert, dominiert jedoch tendenziell unsere Herangehensweise, soweit wir behaupten, Christen zu sein, aber gleichzeitig Denk- und Handlungsweisen tolerieren, die dem moralischen Gesetz, das uns in der Natur und in der Heiligen Schrift geoffenbart wurde, diametral entgegengesetzt sind. Der Ansatz wird manchmal so relativistisch und subjektiv, dass wir nicht einmal das grundlegende logische Prinzip der Widerspruchsfreiheit beachten, das heißt, dass eine Sache nicht gleichzeitig in derselben Hinsicht sein und nicht sein kann. Mit anderen Worten können bestimmte Handlungen dem moralischen Gesetz nicht gleichzeitig entsprechen und widersprechen.

Tatsächlich muss Nächstenliebe allein der interpretative Schlüssel unserer Gedanken und Handlungen sein. Toleranz bedeutet im Kontext der Nächstenliebe bedingungslose Liebe zu der Person, die am Bösen beteiligt ist, aber entschiedene Abscheu vor dem Bösen, in das die Person verfallen ist. Jede Erziehung sollte darauf gerichtet sein, die Schüler in der Nächstenliebe zu formen, die Geist und Herz für das Schöne, das Wahre und das Gute empfänglich macht, für das Gott uns geschaffen hat.

Eine Erziehung, die zu Hause beginnt und später durch gute und vor allem wahrhaft katholische Schulen ergänzt und weitergeführt wird, ist grundsätzlich auf die Bildung guter Staatsbürger und guter Mitglieder der Kirche ausgerichtet. Letztendlich hat sie das Glück des Einzelnen zum Ziel, das in richtigen Beziehungen zu finden ist und seine Erfüllung im ewigen Leben hat. Sie setzt die objektive Natur der Dinge voraus, auf die das menschliche Herz gerichtet ist, wenn es zu einem „hörenden Herzen“[16] geformt wurde, das heißt, wenn es einem entsprechend geformten Gewissen folgt. Sie strebt nach einem immer tieferen Wissen und nach Lieben zum Wahre, zum Gute, und zum Schöne. Sie leitet jeden Einzelnen zu diesem grundlegenden, lebenslangen Streben an.

Möge Gott alle Eltern und auch uns in unseren Bemühungen, unseren Kindern und Jugendlichen zu ihrer Errettung und zur Verwandlung unserer Kultur „hörende Herzen” mitzugeben, inspirieren und stärken. Mögen wir unter der mütterlichen Fürsorge der jungfräulichen Mutter Gottes im Herzen Jesu die Weisheit und Kraft suchen und finden, um die ständige Lehre und Praxis der Kirche in Bezug auf das menschliche Leben, in Bezug auf die menschliche Sexualität, die Ehe, die Familie und in Bezug auf die heilige Religion zu bewahren und zu fördern.

            Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Gott segne Sie.

Raymond Leo Kardinal BURKE


[1] Eph 2, 13-22.

[2] Benedictus PP. XVI, Allocutio „Iter apostolicum in Germaniam: ad Berolinensem foederatum coetum oratorum,“ 22 Septembris 2011, Acta Apostolicae Sedis 103 (2011), S. 663. [Bundestag].

[3] Bundestag, S. 664.

[4] Bundestag, S. 664.

[5] Bundestag, S. 664.

[6] Bundestag, S. 665.

[7] Cf. Roe v. Wade :: 410 U.S. 113 (1973); Obergefell v. Hodges :: 576 U.S. 644 (2015); und Bostock v. Clayton County :: 590 U.S. ___ (2020).

[8] „… ad plenam maturitatem humanam et christianam ….“ Ioannes Paulus PP. II, Adhortatio Apostolica Familiaris Consortio, „De Familiae Christianae muneribus in mundo huius temporis,“ 22 Novembris 1981, Acta Apostolicae Sedis 74 (1982), 823, Nr. 2. [FC]. Deutsche Übersetzung: www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/a[pst_exhortations/documents/hf_jp-ii_exh_19811122_familiaris-consortio.html, S. 2, Nr. 2. [FCDe].

[9] „Quam primum inducantur necesse est generalis conscientiarum motus moralisque communis nisus, qui excitare valeant validum sane opus ad vitam tuendam: omnibus nobis simul coniunctis nova exstuenda est vitae cultura: nova, quae scilicet possit hodiernas de vita hominis ineditas quaestiones suscipere atque solvere; nova, utpote quae acriore et alacriore ratione omnium christianorum conscientiam permoveat; nova demum, quae accommodata sit ad gravem animosamque culturalem suscitandam comparationem cum omnibus. Huius culturalis conversionis necessitas coniungitur cum aetatis nostrae historica rerum condicione, at praesertim inhaeret in ipso evangelizandi munere quod proprium est Ecclesiae. Evangelium enim eo spectat „ut perficiat interiorem mutationem“ et „humanitatem novam efficiat“; est velut fermentum quo pasta tota fermentatur (cfr Mt 13, 33), atque, qua tale, perfundere debet omnes culturas easque intus pervadere, ut integram declarent de homine deque eius vita veritatem.“ Ioannes Paulus PP. II, Litterae encyclicae Evangelium vitae, „De vitae humanae inviolabili bono“, 25 Martii 1995, Acta Apostolicae Sedis 87 (1995), 509, Nr. 95. [EV]. Deutsche Übersetzung:www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_25031995_evangelium-vitae.html, S. 83, Nr. 95. [EVDe].

[10] „… vitae cultura renovanda intra ipsas christianas communitates.“ EV, 509, Nr. 95. Deutsche Übersetzung: EVDe, S. 83, Nr. 95.

[11] „… seiunctionem quandam inferunt inter christianam fidem eiusque moralia circa vitam postulata, progredientes hac ratione ad moralem quendam subiectivismum adque vivendi mores qui probari non possunt.“ EV, 509-510, Nr. 95. Deutsche Übersetzung: EVDe, S. 83, Nr. 95.

[12] „Eo proprie ac proxime intendit christiana educatio, ut, divina cum gratia conspirando, germanum atque perfectum christianum efficiat hominem: ut Christum scilicet ipsum exprimat atque effingat in illis qui sint Baptismate renati, ad illud Apostoli vividum: „Filioli mei, quos iterum parturio, donec formetur Christus in vobis“. Vitam enim supernaturalem germanus christianus vivere debet in Christo: „Christus, vita vestra“, eandemque in omnibus rebus gerendis manifestare „ut et vita Iesu manifestetur in carne nostra mortali“.

Quae cum ita sint, summam ipsam humanorum actuum, quod attinet ad efficentiam sensuum et spiritus, ad intellectum et ad mores, ad singulos et ad societatem domesticam atque civilem, christiana educatio totam complectitur, non autem ut vel minime exenuet, verum ut secundum Iesu Christi exempla et doctrinam extollat, regat, perficiat.

Itaque verus christianus, christiana educatione conformatus, alius non est ac supernaturalis homo, qui sentit, iudicat, constanter sibique congruenter operatur, ad rectam rationem, exemplis doctrinaque Iesu Christi supernaturaliter collustratam: siclicet, homo germana animi firmitate insignis. Neque enim quisquis sibi consentitit et sui propriique tenax propositi agit, is solido ingenio est, sed unus ille qui aeternas iustitiae rationes sequitur, ut agnovit ethnicus ipse poëta, „iustum“ una simul „et tenacem propositi virum“ extollens; quae, ceterum, iustitiae rationes integre servari nequeunt, nisi Deo tribuatur – ut fit a vero christiano – quidquid Deo debetur.“ Pius PP. XI, Litterae Encyclicae Divini Illius Magistri, „De Christiana iuventutis educatione,“ 31 Decembris 1929, Acta Apostolicae Sedis 22 (1930), 83. Deutsche Übersetzung: Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Dokumente, Emil Marmy [Hrsg.] (Freiburg in der Schweiz: Verlag der Paulusdruckerei, 1945), S.344-345, Nr. 469-469a.

[13] „… christiana enim familia est prima communitas, cuius est Evangelium personae humanae crescent annuntiare eamque progrediente education et catechesis ad plenam maturitatem humanam et christianam perducere.“ FC, 823, Nr. 2. Deutsche Übersetzung: FCDe, S.1-2, Nr. 2.

[14] Joh 4, 24.

[15] „Parentes, cum vitam filiis contulerint, prolem educandi gravissima obligatione tenentur et ideo primi et praecipui eorum educatores agnoscendi sunt. Quod munus educationist anti ponderis est ut, ubi desit, aegre suppleri possit. Parentum enim est talem familiae ambitum amore, pietate erga Deum et homines animatum creare qui integrae filiorum educationi personali et sociali faveat. Familia proinde est prima schola virtutum socialium quibus indigent omnes societates. Maxime vero in christiana familia, matrimonii sacramenti gratia et officio ditata, filii iam a prima aetate secundum fidem in baptismo receptam Deum percipere et colere atque proximum diligere doceantur oportet; …“ Sacrosanctum Concilium Oecumenicum Vaticanum II, Declaratio Gravissimum educationis, „De Educatione Christiana,“ 28 Octobris 1965, Acta Apostolicae Sedis 58 (1966), 731, Nr. 3.. Deutsche Übersetzung: Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen, Lateinisch und Deutsch, Teil II, Hrsg. Lexikon für Theologie und Kirche, zweite auflage, 13 (Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1967), S. 375 und 377, Nr. 3.

[16] 1 Kön 3, 9.

Stellungnahme von Kardinal Burke

Stellungnahme

Die weltweiten Kommunikationsmedien haben mit starkem Nachdruck die Nachricht gebracht, dass Papst Franziskus über Menschen mit homosexueller Veranlagung gesagt habe, dass sie als Kinder Gottes „ein Recht darauf haben, eine Familie zu haben“ und dass „niemand deswegen verstoßen oder unglücklich gemacht werden sollte“, und diese Meinungsäußerung als eine Kursänderung bezeichnet. Laut der gleichen Medien habe der Papst weitergesagt: „Wir brauchen ein Gesetz für eingetragene Lebensgemeinschaften. Auf diese Weise sind sie gesetzlich abgesichert. Ich habe mich dafür eingesetzt.“ Diese Erklärungen wurden während eines Interviews mit Evgeny Afineevsky abgegeben, dem Regisseur des Dokumentarfilms Franceso, der seine Premiere am 21. Oktober 2020 während des Rom-Filmfestivals (Festa del Film di Roma) hatte.

Solche Meinungsäußerungen führen zu großer Verunsicherung, Verwirrung und Irrtum bei den katholischen Gläubigen, da sie im Widerspruch zur Lehre der Heiligen Schrift und der Heiligen Überlieferung sowie zum jüngsten kirchlichen Lehramt stehen, mit dem die Kirche den gesamten Glaubensschatz, der in der Heiligen Schrift und der Heiligen Überlieferung enthalten ist, bewahrt, schützt und auslegt. Sie lösen bei Menschen guten Willens, die ernsthaft wissen wollen, was die katholische Kirche lehrt, Erstaunen und Irrtum über die Lehre der Kirche aus. Sie erlegen den Seelenhirten die Gewissenspflicht auf, angemessene und notwendige Stellungnahmen abzugeben.

Zunächst einmal entbehren solche Behauptungen aufgrund ihres Kontextes und Anlasses jeglichen kirchlichen Lehramtscharakters. Sie werden zu Recht als einfache private Meinungen der Person interpretiert, die sie abgegeben hat. Diese Aussagen binden in keiner Weise das Gewissen der Gläubigen, die vielmehr verpflichtet sind, gewissenhaft dem zu folgen, was die Heilige Schrift, die Heilige Überlieferung und das ordentliche Lehramt der Kirche über die in Frage stehenden Angelegenheit lehren. Insbesondere sind folgende Punkte zu beachten:

1.„Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, ‘dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind‘. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.“ (Katechismus der Katholischen Kirche: Nr. 2357; Hl. Kongregation für die Glaubenslehre: „Persona humana: Erklärungen zu einigen Fragen der Sexualethik“, Nr. 8[1]).

2. Die manchmal tief verwurzelten homosexuellen Neigungen von individuellen Männern und Frauen stellen für sie eine Prüfung dar. Obwohl diese Neigungen an sich keine Sünde sind, müssen sie dennoch als objektiv ungeordnet betrachtet werden (Vgl. KKK: Nr. 2358; Kongregation für die Glaubenslehre, Homosexualitatis problema, “Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Seelsorge für Homosexuelle Personen.,” Nr. 3[2]). Homosexuell veranlagte Personen sind daher mit Respekt, Mitgefühl und Takt zu behandeln und jede ungerechte Diskriminierung ihnen gegenüber ist zu vermeiden. Der katholische Glaube lehrt die Gläubigen, die Sünde zu hassen, den Sünder aber zu lieben.

3. Die Gläubigen und insbesondere die katholischen Politiker sind gehalten, sich gegen die rechtliche Anerkennung von Partnerschaften zwischen Homosexuellen einzusetzen. (Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“, Diverse questioni concernenti l’omosessualità, n. 10[3]). Das Recht, eine Familie zu gründen, ist kein einfaches privates Recht, das man verteidigen muss, sondern muss dem Plan des Schöpfers entsprechen, der den Menschen in geschlechtlicher Verschiedenheit gewollt hat, “männlich und weiblich hat er sie erschaffen” (Gen 1, 27) und damit den Menschen, männlich und weiblich, zur Weitergabe des Lebens berufen hat. „Weil die Ehepaare die Aufgabe haben, die Folge der Generationen zu garantieren, und deshalb von herausragendem öffentlichen Interesse sind, gewährt ihnen das bürgerliche Recht eine institutionelle Anerkennung. Die homosexuellen Lebensgemeinschaften bedürfen hingegen keiner spezifischen Aufmerksamkeit von Seiten der Rechtsordnung, da sie nicht die genannte Aufgabe für das Gemeinwohl besitzen.“ (ebendort, Nr. 9[4]). Von einer homosexuellen Lebensgemeinschaft im gleichen Sinne wie von der ehelichen Union der Verheirateten zu sprechen, ist in der Tat zutiefst irreführend, da es eine solche Union zwischen Personen des gleichen Geschlechts nicht geben kann. Was die Rechtspflege anbelangt, so können sich Personen mit einer homosexuellen Veranlagung, wie alle Bürger, immer auf die gesetzlichen Vorschriften berufen, um ihre privaten Rechte zu schützen.         

Es ist eine Quelle tiefster Trauer und drängender pastoraler Besorgnis, dass die von der Presse mit so viel Nachdruck berichteten und Papst Franziskus zugeschriebenen Privatmeinungen nicht der ständigen Lehre der Kirche entsprechen, wie sie in der Heiligen Schrift und der Heiligen Überlieferung zum Ausdruck kommt und vom kirchlichen Lehramt bewahrt, geschützt und interpretiert wird. Ebenso traurig und beunruhigend ist der Aufruhr, die Verwirrung und die Irrtümer, die sie unter den katholischen Gläubigen auslösen, wie auch der Skandal, den sie im allgemeinen hervorrufen, indem sie den völlig falschen Eindruck erwecken, die katholische Kirche habe einen Kurswechsel vollzogen, d.h. sie habe ihre immerwährende Lehre über solche grundlegenden und kritischen Fragen geändert.

Raymond Leo Kardinal BURKE
Rom, am 22. Oktober 2020


[1] “… suapte intrinseca natura esse inordinatos.” Sacra Congregatio pro Doctrina Fidei, Declaratio, Persona humana, “De quibusdam quaestionibus ad sexualem ethicam spectantibus,” 29 Decembris 1975, Acta Apostolicae Sedis 68 (1976) 85, n. 8. Deutsche Übersetzung: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19751229_persona-humana_ge.html

[2] Vgl. Congregatio pro Doctrina Fidei, Epistula, Homosexualitatis problema, “Ad universos catholicae Ecclesiae episcopos de pastorali personarum homosexualium cura,” 1 Octobris 1986, Acta Apostolicae Sedis 79 (1987) 544, n. 3. Deutsche Übersetzung: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19861001_homosexual-persons_ge.html

[3] Congregatio pro Doctrina Fidei, Nota, Diverse quaestioni concernenti l’omosessualità, “De contubernalibus eiusdem sexus quoad iuridica a consectaria contubernii,” 3 Iunii 2003, Acta Apostolicae Sedis 96 (2004) 48, n. 10, deutsche Übersetzung: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20030731_homosexual-unions_ge.html

[4]“Poiché le coppie matrimoniali svolgono il ruolo di garantire l’ordine delle generazioni e sono quindi di eminente interesse pubblico, il diritto civile conferisce loro un riconoscimento istituzionale. Le unioni omosessuali invece non esigono una specifica attenzione da parte dell’ordinamento giuridico, perché non rivestono il suddetto ruolo per il bene comune.” Ibid., 47, n. 9.  

Predigt zum 4. Sonntag nach Pfingsten

„Ich halte es dafür, dass die Leiden dieser Zeit in keinem Verhältnis stehen zur künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll (Röm. 8, 18).“

Liebe Gläubige,

diese Worte des hl. Apostels Paul an die Römer, die wir in der heutigen Lesung vernommen haben, sprechen uns Worte des Trostes und der Hoffnung zu. Auch alle anderen Schriftstellen im Proprium dieses 4. Sonntags nach Pfingsten sind erfüllt von Zuversicht in Gott, den Beschützer unseres Lebens (Introitus Ps. 26,1 und 2), in seine gütige Vorsehung, die die armen in ihrer Bedrängnis erhört, rettet und befreit (Alleluia-Vers Ps. 9, 5 und 10) und in seine grenzenlose Macht, denn der Herr ist unsere Feste und Zuflucht (Communio-Vers Ps. 17,3).

Der jüdische König David, der diese Psalmen unter der Inspiration des Heiligen Geistes um das Jahr 1000 vor Christus komponierte, sang von seinen Feinden, die ihn umringten, wie wir im Introitus gebetet haben: „Meine Feinde, die mich bedrängen, werden schwach und sinken nieder. Selbst wenn sie Heerlager gegen mich aufstellen, wird mein Herz nicht bangen“.

Geliebte im Herrn! Sind nicht auch wir in der Zeit, in der wir leben, von Feinden, ja sogar von feindlichen Heerlagern umgeben? Geht nicht Satan wie ein brüllender Löwe umher (1. Petrus 5,8) und sucht, wen er verschlingen könne?

Denken wir an die Kultur des Todes mit ihren lebensfeindlichen Gesetzen! Große Anstrengungen werden von politischen Kreisen auf internationaler Ebene unternommen, um die Tötung ungeborener Kinder bis unmittelbar vor die Geburt zu ermöglichen. Eine säkulare Umerziehung greift immer mehr um sich, sowohl am Arbeitsplatz durch weiterbildende Kurse und im Klassenzimmer durch den Schulunterricht. In den Medien wird eine neue Korrektheit verbreitet und alles zielt auf eine neue Ordnung der Welt ab, in der das Christentum auf den Zuschauerplatz verbannt oder sogar instrumentalisiert wird. Unsere Zeit ist, wie katholische Theologen und Schriftsteller seit Jahrzehnten nicht müde werden zu widerholen, nicht mehr christlich und auch nicht mehr post-christlich. Ein neues Heidentum bahnt sich seinen Weg, Irrtümer von einst erstehen wieder und so läuft die Welt in Gefahr, daß die Fehlwege und das Grauen von einst die Irrtümer und Verirrungen von morgen werden können.

Viele von Ihnen leben in Dörfern und Städten, in denen es keine hl. Messe in der außerordentlichen Form gibt. Sie unternehmen es, an Sonn-und Feiertagen nach Kloster Maria Engelport zu fahren. Nach dem Messopfer verbringen Sie oft noch Zeit im Gespräch mit anderen Gläubigen, denn da, wo Sie zuhause sind, gibt es wenige, die so glauben und denken wie Sie. Wenn wir in die Welt von heute blicken, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, führende Politiker hätten in den letzten Jahrzehnten vielerorts Brechstangen zur Hand genommen, um zu versuchen, den Rest an bestehender christlicher Ordnung zu beseitigen. In der Kirche sehen wir, daß viele Kathedralen, Basiliken und Kirchen mehr Touristen als gläubige Beter anziehen. Die schönen Kelche und Weihrauchfässer von einst sind meist in Museen hinter Vitrinen zu bestaunen und die prächtigen Messgewänder befinden sich oft, wenn es sie noch gibt, säuberlich weggeräumt im Archiv. Der weitverbreitete religiöse Analphabetismus ist erschreckend. Viele Gläubige fühlen heute eine große Verlassenheit und Einsamkeit, die durch das Gottesdienstverbot im Frühjahr dieses Jahres noch gesteigert wurde. Man kommt sich als gläubiger Christ in unserem säkularen Lebensumfeld immer häufiger wie jemand vor, der in eine Löwengrube gestürzt wurde, umringt von den Feindes seines Heiles.

Gut vierhundert Jahre nach König David lebte in Judea der heilige Prophet Daniel. In einer von Unglauben und Verweltlichung erfüllten Zeit, ließ es Gott zu, dass der babylonische König Nebukadnezar II. nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems im Jahre 597 v. Chr. die Bevölkerung Judeas verschleppte. Unglauben und Verstocktheit war den beiden verbliebenen Stämme Israels im Südreich, nämlich Juda und Benjamin, zum Verhängnis geworden. Gott gab diese Menschen, die sich von ihm aus ganzem Herzen abgewandt und die Propheten verfolgt hatten, der Macht ihrer Feinde preis. 70 Jahre lang sollte dieses Exil fern der Heimat in heidnischen Landen andauern.

Der heilige Prophet Daniel fand jedoch im heidnischen Babylon das Vertrauen des Königs. Eines Tages wurde er von Bewohnern Babylons beim König verklagt, denn Daniel hatte eine Statue des Götzen Marduk zerstört, des babylonischen Stadtgottes, der im Zuge der Ausbreitung des babylonischen Reiches zum Haupt des babylonischen Pantheons avanciert war. Im mesopotamischen Raum, wie auch in der Heiligen Schrift, wurde dieser Gott auch Bel, also Herr, genannt. Daniel hatte es jedoch nicht bei der Zerstörung des Bel belassen. Er tötete auch dessen Attribut, den Mardukdrachen, ein giftspritzendes Mischtier aus Schlange und Drachen, das in der Mythologie der Babylonier der Begleiter Marduks ist, des Herrn aller Götter, des Schöpfers von Himmel und Erde und auch der Menschen. In der Heiligen Schrift begegnen uns vielfach eindringliche Warnungen vor den heidnischen Göttern, die besonders im 5. Buch des Mose (Dtn. 32,17) und in den Psalmen als Dämonen benannt werden. So heißt es etwa im Psalm 95,5 „Dii enim gentium daemonia sunt.“ „Die

Götter der Heiden sind nämlich Dämonen.“ Psalm 113 lobsingt der Transzendenz und Allmacht des einen und wahren Gottes und rühmt seine zahllosen Großtaten. Im Kontrast hierzu verspottet der Psalmist die Götzenbilder der Heiden, die aus Silber oder Gold gefertigt sind, als das leblose Werk menschlicher Hände. An diese Psalmverse wird der Prophet Daniel wohl gedacht und sie in seinem Herzen auch gebetet haben, als er daran ging, die Statue des grausamen Marduk umzustürzen und zu zerstören, dem zur Besänftigung seines Zornes in einem Feuerofen Menschenopfer dargebracht wurden.

Wie viele Opfer werden den falschen Göttern der Moderne heute dargebracht, dem Konsumismus, der Wissenschaft ohne Gott und dem Drang nach völliger Unabhängigkeit?

Nur nach heftigsten Morddrohungen hatte der König dem Sinnen der Götzendiener schließlich nachgegeben, und Daniel wurde von diesen in eine Löwengrube geworfen. Gott gedachte jedoch seines treuen Dieners Daniel, bewahrte ihn vor den ausgehungerten Löwen und sandte sogar einen Engel mit dem Propheten Habakuk aus Judea, der Daniel ein Mahl brachte, sodass er bei Kräften bliebe. Der Prophet Daniel erhob nun seine Stimme zum Lobpreis Gottes und sprach: „Du hast meiner gedacht, o Gott, und die nicht verlassen, die Dich lieben!“ Daniel ist in dieser äußersten Gefahr des Todes ein Typus für Christus, der von seinen Feinden wie von blutrünstigen Löwen umringt war und den der himmlische Vater im Leidensgarten Getsemani durch einen Engel stärkte. Als der König am siebten Tag zur Löwengrube kam, um über Daniel zu trauern, da war er vor lauter Freude ganz außer sich, Daniel heil wiederzufinden. Voller Staunen über Gottes Allmacht und Treue rief er aus: „Groß bist Du, Herr, Gott Daniels!“ Danach bekannte der König laut vor allen: “Alle Bewohner der ganzen Erde sollen den Gott Daniels fürchten, denn er ist der Retter, der Zeichen und Wunder wirkt auf Erden. Er hat Daniel aus der Löwengrube befreit.“

So wie der Gott dem Daniel beistand, so wird Gott auch uns weiter beschützen und durch die Unsicherheiten und die Wechselhaftigkeit dieser launischen Welt in seiner väterlichen Hand hindurchtragen. Vergessen wir nicht, daß das Kreuz der königliche Weg der Nachfolge Christi ist, dass es der Altar von Golgotha und das Zeichen des Sieges Christi ist, der nie ein Ende finden wird. Blicken wir auf zu den Scharen der Märtyrer, Bekenner und heiligen Frauen. Blicken wir zu König David und dem Propheten Daniel. Vertrauen wir uns dem Herrn an, besonders in Momenten der Versuchung. Beten wir zu Gott und fürchten wir nicht die Menschen! Erzeigen wir dem einzig wahren Gott unsere Ehrfurcht! Denken wir an die Worte des hl. Apostels Paulus an die Römer über die künftige Herrlichkeit, wie wir sie in der Lesung vernommen haben. Haben wir keine Angst vor den Löwen dieser Welt, die den Kindern Gottes nachstellen und beten wir mit dem hl. König David: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, wen sollte ich fürchten? Der Herr ist der Beschützer meines Lebens, wovor sollte ich zittern (Ps. 26,3)?“ Der Herr ist meine Feste, meine Zuflucht und mein Befreier; mein Gott, mein Helfer (Ps. 17,3)!“

Kanonikus Richard von Menshengen

Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag

Wir leben auf einem Planeten, der um einen Stern kreist. Schon die Erde hat für uns eine erstaunliche Größe. Im Vergleich zur Sonne ist das aber verschwindend wenig. Dieser Stern im Zentrum unseres Sonnensystems ist gewaltig. Eine Million Erdkugeln würden darin Platz finden. Die gewaltigste bekannte Sonne, der sogenannte Überriese Canis Majoris, der erst 2004 entdeckt wurde, hat jedoch einen Durchmesser, der etwa 2000-mal so groß ist wie der unserer Sonne. Eine Größe, die jede Vorstellungskraft übersteigt.

Selbst dieser riesige Stern aber ist nur wie ein verschwindendes Sandkorn in der unvorstellbaren Ausdehnung des beobachtbaren Universums. Schon die Zahl der Sternnebel, die es enthält, weit mehr noch die Zahl der Sonnen in ihm ist nur noch in tausenden von Milliarden auszudrücken. Unsere Sprache hat keine Worte mehr, um solche Dimensionen zu erfassen. Jede Vorstellung kapituliert vor diesen Weiten.

Wieviel mehr gilt das aber von jenem unendlichen Wesen, das alle diese Welten in einem Augenblick geschaffen hat! Wenn wir die Gewaltigkeit der Schöpfung staunend erahnen, so gibt uns das nur einen allerersten, anfanghaften Begriff von der Erhabenheit Gottes, aus dessen Willen dieses gewaltige Universum entstanden ist. An den unfassbaren Kräften, die die Schöpfung Gottes im Riesigsten wie im Allerkleinsten ordnen und lenken, können wir die Majestät des Einen Gottes ablesen, der das alles ins Leben ruft, erhält und vollendet.

Diese Unendlichkeit Gottes, die das Weltall widerspiegelt, macht aber auch demütig. Sie lässt uns unseren Platz vor dem Schöpfergott begreifen. Wir können plötzlich nachvollziehen, was der heilige Paulus in der Epistel ausruft: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Ratschlüsse, wie unerforschlich seine Wege!“ (Römer 11, 33).

Aus der Pracht und Größe der Schöpfung können wir die Allmacht ihres Autors erkennen, doch begreifen können wir ihn nicht. Schon die Gesetze der Natur, die er festgelegt hat, sind trotz aller wissenschaftlichen Forschungen uns immer noch größtenteils verborgen. Je mehr wir in sie vordringen, desto größer wird ihr Geheimnis. Schon ein anderer Mensch bleibt uns oft geheimnisvoll. Wieviel mehr gilt das von Gott und seinem inneren Wesen! Gott ist, wie das erste Vatikanische Konzil definiert hat, „Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde, allmächtig, ewig, unermesslich, unbegreiflich, an Vernunft und Willen sowie jeder Vollkommenheit unendlich“ (Dogmatische Konstitution Dei Filius, 1). Wie könnten wir ihn begreifen?

Weil das aber so ist, weil Gott in einem „unzugänglichen Lichte wohnt“ (1 Timotheus 6, 16), hat er selbst von sich zu uns gesprochen. Wir können sein inneres Wesen nicht erfassen, Er aber hat beschlossen, es uns zu offenbaren. Offenbarung meint hier die Offenlegung jener Geheimnisse Gottes, die zu unserem Heil notwendig sind. Er hat zu uns gesprochen, damit wir wissen, wer er ist. Zu Moses hat er in der Wüste aus dem brennenden Dornbusch gesagt: „Ich bin, der Ich bin!“ (Exodus 3, 14). In der Folge hat er den Propheten des Alten Testamentes seine Herrschaft und auch bereits seine Vaterschaft dem Volke Israel und allen Völkern der Erde gegenüber enthüllt (z.B. Jeremias 31,9; Jesaias 63,16; 64,7). Doch erst am Ende der Zeiten hat er uns durch den Gottmenschen Jesus Christus noch tiefer in das Geheimnis seines ewigen Wesens blicken lassen.

Gott enthüllt erst der Kirche in einer endgültigen Offenbarung die volle Größe des Geheimnisses! Ohne das fleischgewordene Wort Jesus Christus hätten wir nie wissen können, wer Gott wirklich ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist, vereint in einem unendlichen Wesen von drei göttlichen Personen, von deren gemeinsamen Leben alles ausgeht und in dem alles endet. Das Kirchengebet des heutigen Hochfestes sagt uns, wie wir dieses Geheimnis erkannt haben und bittet um den Schutz, der uns aus dem Glauben daran erwächst: „Allmächtiger ewiger Gott, Du hast Deinen Dienern die Gnade verliehen, im Bekenntnis des wahren Glaubens die Herrlichkeit der ewigen Dreifaltigkeit zu erkennen und in der Macht der Majestät die Einheit anzubeten; nun bitten wir Dich, lass uns kraft dieses unerschütterlichen Glaubens stets vor allem Unheil gesichert sein!“

Nur der wahre Glaube lehrt uns das Geheimnis Gottes in seiner ganzen Herrlichkeit. Dieser Glaube erhält seinen Inhalt aus der Offenbarung Gottes selbst. An dieser Offenbarung des Glaubens festhalten zu können, ist unverdiente und unverdienbare Gnade. Offenbarung und Gnade aber führen uns zur Anbetung der Majestät Gottes. Nur dieser unerschütterliche Glaube aber bewahrt uns im letzten vor allem Unheil, schon hier, besonders aber in der Ewigkeit. Nicht nur als seine Geschöpfe hängen wir also ganz von Gott ab. Auch das notwendige Heilswissen um sein inneres trinitarisches Wesen ist als Offenbarung und Gnade Sein freies Geschenk, das er uns gibt, weil er uns liebt. Die gläubige Anbetung der Allerheiligsten Trinität ist das Tor zum Heil! Das Wissen um das wahre Wesen Gottes ist der Schlüssel zum Himmel!

Deswegen schließt sich an die Offenbarung des innersten göttlichen Geheimnisses auch der Auftrag an die Kirche an, den wir im Evangelium gehört haben: „Gehet also hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie alles, was ich Euch geboten habe!“ (Matthäus 28, 19). Es ist nicht gleichgültig, was man glaubt. Gott selbst gebietet seiner Kirche, den Namen des wahren Gottes über die Täuflinge auszusprechen und sie ohne Ausnahme alles zu lehren, was dieser wahre Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, zu glauben und zu tun geboten hat. Wie der ewige Gott, so ist auch dieser Auftrag an die Kirche unveränderlich. Von seiner Verwirklichung hängt das Heil der vielen ab!

Das innere Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit zu verstehen, ist für uns Menschen nicht möglich, auch nicht in der Ewigkeit. Wir haben gesehen, dass wir die Herrlichkeit der Schöpfung kaum begreifen, noch weniger den Schöpfer und schon gar nicht sein innerstes Wesen. Was er uns davon gesagt hat, ist das, was wir mithilfe der Kirche noch so gerade erfassen können: Im Inneren des göttlichen Lichtes brennt ein unendliches Feuer der Liebe, in dem die drei Personen des einen Wesens Gottes ewig aufeinander bezogen sind. Dieses Feuer der Liebe ist so stark, dass es sich mitteilen will. Daher die Majestät und Erhabenheit der ganzen sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung. Dieses Feuer aber will sich nicht nur mitteilen, es will erleuchten und erretten, was verloren war. Daher das Licht der Offenbarung und das Liebesopfer der Erlösung. Alle Liebe aber will auch ähnlich machen. Daher die Heiligung und Erhebung der Erlösten durch den Geist der Liebe, der in der Kirche weht. Das Heilswerk Gottes ist also ein Spiegel Seines Wesens!

Der Große Gott, der „über alles, was außer ihm ist und gedacht werden kann, unaussprechlich erhaben ist“ (Dei Filius, 1), ist der Eine und Dreifaltige. Er ist herrlicher als sein herrliches Universum. Er offenbart uns in zärtlicher Liebe sein innerstes Wesen. Er öffnet sich uns. Er neigt sich uns zu, weil er uns erheben und durch die Macht seiner Gnade an sich ziehen will. Nur durch seine Macht kann das geschehen, nur durch seinen Namen werden wir gerettet. Sein wunderbarstes Werk ist unsere Erlösung! Wer wollte sich dem entziehen? Wer seine Heilsbotschaft verschweigen?  Wer der Dreifaltigkeit seinen Dienst verweigern? Die Gewalten der Himmel erzittern vor Gott, der sie schafft und erhält. Uns aber liebt er und wird uns gleich, damit wir Ihm ähnlich werden können. Dafür müssen wir unendlich dankbar sein. Daher müssen wir Ihn demütig anbeten. Deswegen rufen wir mit der ganzen Kirche am heutigen Hochfest: „Gepriesen sei Gott Vater und Gottes eingeborener Sohn und der Heilige Geist, weil sie an uns Barmherzigkeit getan!“ (Tob. 16, 6).

Msgr. Prof. DDr. R. Michael Schmitz

Predigt zum Pfingstfest

Was wird die Zukunft bringen? Wird alles nach der Corona-Krise wieder sein wie vorher? Welche Krise wird unsere Gesellschaft als nächstes erschüttern? Auf diese Fragen haben wir Menschen keine Antwort. Auch der größte Wissenschaftler, auch der weitsichtigste Staatsmann wird angesichts solcher Sorgen schweigen müssen, denn niemand weiß, was die Zukunft bringt.

Und doch haben wir eine große Sicherheit hinsichtlich aller irdischen Geschehnisse. Das heutige Hochfest lehrt uns nämlich, was auch die Geschichte bestätigt: Die heilige Kirche überlebt jede Krise!

Welch größere Krise hätte es für die frühe Kirche geben können als den blutigen Kreuzestod ihres Gründers? Die Schar der Jünger war zerstreut, die Apostel feige versteckt, der Glaube der vielen erschüttert, nur einige Fromme um die Mutter Jesu hielten noch am Wort des Herrn fest. Es schien das Ende der Kirche gekommen, noch bevor sie richtig begonnen hatte zu leben. Selbst die Erscheinungen des auferstandenen Herrn wurden bezweifelt. Auch die Apostel waren nicht einmütig und glaubensstark. Alles schien zu Ende zu gehen.

Mitten in dieser scheinbar aussichtslosen Situation offenbart der Trinitarische Gott Seine unbesiegbare Majestät: Flammen erscheinen vom Himmel, das Wehen der Kraft Gottes wird hörbar, der Gottesgeist wird über die ausgegossen, die noch gerade gezweifelt hatten. Nicht menschlicher Mut, sondern die Stärke des Heiligen Geistes macht die Feigen wieder zu Aposteln. Sie verkünden unwiderstehlich das erlösende Wort. Sie sprechen in allen bekannten Sprachen. Sie erreichen alle Herzen. Tausende werden an einem Tag bekehrt. Die Kirche lebt! Versammelt um die starke Jungfrau und Mutter, die Gnadenmittlerin und Miterlöserin Maria, die als einzige nie den Glauben verlor, lebt die Kirche und trägt die frohe Botschaft in die Welt!

Pfingsten wiederholt sich viele Male in der Kirchengeschichte. Oft sind die Christen angesichts der Krisen der Weltgeschichte furchtsam. Sie glauben nicht an die Majestät Gottes. Sie zweifeln am auferstandenen Herrn. Sie wissen nichts mehr von der Kraft des Heiligen Geistes. Und doch ist der Trinitarische Gott in Seiner Kirche bis zum Ende der Zeiten! Immer wieder rettet er sie vor dem Untergang, immer wieder besiegt er Glaubenslosigkeit und Irrtum, immer wieder erbaut er die Kirche neu und groß mitten aus den Krisen der Zeit!

Die heilige Kirche überlebt jede Krise! Der Zusammenbruch des Römischen Kaiserreiches, der die damalige Welt erschüttert hat, wurde auch für die Kirche eine große Bewährungsprobe. Inmitten der Völkerwanderung des fünften bis siebten Jahrhunderts wurde sie aber zur einzigen Institution, die alle Stürme überstand. Wie viele Male ist vor dem Ansturm des Islam nicht die existierende Gesellschaftsordnung ganz oder teilweise zusammengebrochen? Die Kirche hat immer überlebt und den westlichen Völkern wieder neue Kraft eingehaucht zu wiederstehen und zu siegen. Hunderte von Königreichen und Fürstentümern hat die Kirche überlebt, alle Revolutionen überstanden, Staatsordnungen kommen und gehen sehen. Sie ist immer noch da!

Schreckliche Seuchen wie die Justinianische Pest oder die vielen Wellen des schwarzen Todes im Spätmittelalter hat die Kirche überdauert! Verfolgungen grausamster Art in ihren Anfängen, durch die Heidenvölker und Häretiker, durch Gewaltherrschaften und Terrorregime hat sie überwunden. Die Schrecken der französischen Revolution, die ideologische Manipulation und die brutale Unterdrückung durch den Nationalsozialismus und den Kommunismus hat sie ebenso überlebt. Nach jeder geschichtlichen Prüfung ist sie aus den Trümmern der Gesellschaft emporgestiegen wie ein Phönix aus der Asche.

Selbst die schlimmsten ihrer Erschütterungen, die großen inneren Glaubenskrisen, hat sie siegreich bestanden. Wir haben schon gesehen, wie der Heilige Geist den Unglauben der Apostel besiegt hat. Er hat aber auch die arianische Krise des vierten und fünften Jahrhunderts überwunden, als, wie der heilige Hieronymus sagt, „der Erdkreis erwachte und merkte, dass er arianisch [d.h. häretisch] geworden war“. Der Geist Gottes hat der Kirche große Heilige erweckt, die die Katharer und später die Hussiten vom 12. bis zum 15. Jahrhundert zurückgedrängt haben. Nach der sogenannten Reformation hat er der Kirche weitsichtige Päpste und apostolische Männer gesandt, die im 17. und 18. Jahrhundert den katholischen Glauben zu neuer Blüte geführt haben. Gegen vermeintliche Aufklärung, kalten Rationalismus und kalkulierten Modernismus hat der Geist Gottes der Kirche auch im 19. und 20. Jahrhundert Selige und Heilige gesandt, wie etwa die Päpste Pius IX. und Pius X., die unerschrocken die Wahrheit verkündet haben.

Seien es äußere oder innere Krisen: Immer steht die Kirche wieder auf und jede Krise macht sie stärker und mutiger als zuvor. Das alles beruht nicht auf menschlichem Tun. Würde die Kirche von uns Menschen abhängen, dann wäre sie nie mehr aus dem Abendmahlssaal in Jerusalem herausgekommen, wo die Apostel zitternd versammelt waren. So menschlich die äußere Erscheinung der Kirche in ihren Gliedern manchmal erschienen ist, so furchtsam, unfähig und zweifelnd selbst die Apostel, Bischöfe und Priester gewesen sein mögen, so sehr auch die Sünden aller Christen das äußere Handeln der Kirche schwächen, so stark und übermächtig ist in ihr der Heilige Geist.  Der heilige Augustinus sagt mit Recht: « Was in unserem Leibe die Seele, das ist der Heilige Geist im Leibe Christi, der die Kirche ist. » (Sermo CCLXVII de tempore, c.4. PL 38, 1231).

Deswegen konnte der große Papst Leo XIII am Pfingstfest 1897 in seiner berühmten Enzyklika „Divinum illus munus“ ausrufen: Der Heilige Geist teilt die „Wahrheit… in vollem Ausmaß der Kirche mit und leiht ihr seinen immerwährenden und fürsorglichen Beistand, damit sie niemals einem Irrtum verfalle, und damit sie die Keime der göttlichen Lehre stets weiter entfalten und zum Heile der Völker zur Vollreife bringen könne. Weil nun das Heil der Völker, wofür ja die Kirche bestimmt ist, unbedingt die Fortdauer ihres Amtes durch alle Zeiten voraussetzt, so fließt ihr vom Heiligen Geist immerdar Leben und Kraft zu, um sie in ihrem Dasein und Wachstum zu stärken.“ Die Hierarchie, die Sakramente, die göttliche Ordnung, ja alle Gnadengaben der Kirche und ihrer Glieder kommen von ihrer Seele, dem Heiligen Geist. So sagt wieder Papst Leo XIII: „Dass die Kirche ein durchaus göttliches Werk ist, das geht aus keinem anderen Beweis klarer hervor, als aus der glanzvollen Pracht der Gnadengaben, womit sie in jeder Hinsicht ausgestattet ist; selbstverständlich ein Werk und Geschenk des Heiligen Geistes.“

Der Heilige Geist hat nicht nur am Pfingstfest geweht. Sichtbar für alle Menschen guten Willens brennen auch heute Flammenzungen des Geistes in den leuchtenden Wahrheiten der kirchlichen Lehre! Das Rauschen der Kraft Gottes ist hörbar in ihrer unfehlbaren Rede, in ihrer herrlichen Liturgie, in der Kraft ihrer Sakramente! Die Ordnung des Himmels spiegelt sich dort wider, wo sich Menschen in der Kirche dem Wehen des Geistes durch ein heiliges Leben öffnen!  Seine Kraft ist unbesiegbar in uns, wenn wir den Willen Gottes tun und tatsächlich den zeitlosen Mahnungen der Kirche folgen. Der Geist „weht, wo er will“ (Johannes 3, 8), aber er weht für immer in der heiligen Kirche! Bis zum Ende der Zeiten weht er in der überlieferten Wahrheit, die sie verkündet, in den sakramentalen Geheimnissen, die sie feiert, und in der unveränderbaren Heilsordnung, die sie lebt. Durch die Kirche erreicht der Heilige Geist unsere Seelen, und unsere Seelen werden durch Ihn Teil der Kirche!

Daher also überlebt die Kirche jede Krise, denn der Geist Gottes verlässt sie nie und hat sie niemals verlassen. Wenn die Menschen beginnen, in der Kirche zu sehr auf sich selbst zu vertrauen; wenn sie nicht mehr wahrhaben wollen, dass es die Kraft des Geistes ist, der die Kirche belebt und durchwirkt; wenn die Menschen zu sehr auf menschliche Maßstäbe, menschliche Pläne, menschliche Methoden bauen; kurz, wenn die Kirche in der Gefahr ist, vermenschlicht und verweltlicht zu werden, dann weckt Gott uns auf. Dann schickt er uns Mahnungen. Dann wird oft das Menschliche von göttlicher Allmacht in Frage gestellt, als zerbrechlich erwiesen oder einfach hinweggefegt. Dann aber auch zeigt sich die Größe der Kirche. Wo alles nur Menschliche kraftlos wird, da beweist sich die Größe der Gnade und die Kraft des Heiligen Geistes.

Dadurch, dass die Kirche immer überlebt, zeigt uns Gott seine Macht. Dadurch gibt er uns aber auch Hoffnung, wenn vermeintliche menschliche Sicherheiten und vorgeblicher menschlicher Fortschritt zerbricht. Solange wir in der Kirche und mit der Kirche leben, kann uns im letzten nichts passieren. Wir mögen an der Welt und ihren Unsicherheiten leiden, wir wissen aber, dass die Kirche trotz dieser Leiden fortbesteht. Ihre göttliche Seele, der Heilige Geist, garantiert dieses Fortbestehen bis zur Wiederkunft des Herrn.

Die Kirche ist über 2000 Jahre alt. Sie hat alles gesehen und alles erlebt. Keine bestehende Institution auf dieser Erde ist älter und weiser als sie. Mögen auch einzelne Vertreter und Glieder der Kirche sich fürchten und ängstigen, die Kirche ist ohne Angst und ohne Furcht, denn ihr Wesen ist göttlich. Sie wird auch diese Krise überleben, wie sie alle Krisen überlebt hat!  Bitten wir also den Heiligen Geist, auch in dieser neuen Krise noch einmal Seine Macht zu offenbaren. Bitten wir ihn zu zeigen, dass er stärker ist als „der Fürst dieser Welt“ (vgl. Johannes 14, 31-32). Bitten wir ihn zu offenbaren, dass er die Seele der Kirche ist und bleibt! Das ist unsere glaubende Zuversicht, genährt aus der hoffenden Bitte der Pfingstsequenz, die durch die Jahrtausende aus dem Mund der heiligen Kirche erschallt: „Komm, o Geist der Heiligkeit! Aus des Himmels Herrlichkeit sende Deines Lichtes Strahl!“ Amen

Msgr. Prof. DDr. R. Michael Schmitz