Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Weißen und Barmherzigkeits-Sonntag, dem 24. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Misereor super turbam. Ich erbarme mich der Menge.“ (Mk 8,2) Das sind Worte Jesu, an die uns die Kirche immer wieder erinnert, vor allem auch an diesem Barmherzigkeitssonntag. Was aber, so können wir fragen, ist das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber?  Das Priesterjubiläum, das wir heute feiern dürfen, hilft uns bei der Antwort auf diese Frage. Die Antwort ist eindeutig: Das größte Geschenk, dass der Gottmensch in Seiner Barmherzigkeit der Kirche und uns allen gegeben hat, ist Sein eigenes Priestertum.

Er hat sich der Menge erbarmt. Deswegen hat Er aus diesem Erbarmen heraus einen menschlichen Leib angenommen, ist ganz Mensch geworden und hat in einem großartigen, gottmenschlichen, priesterlichen Opferakt diesen Leib für uns geopfert. Wenn das nicht geschehen wäre, wenn der Herr im Himmel geblieben wäre, wenn Er nicht Mensch geworden wäre, nicht am Kreuz gestorben und nicht in Seinem Fleisch auferstanden wäre, dann hätte Er uns durch Seine göttliche Macht gewiss auch anders retten können, aber wir wüssten nichts von der Größe Seiner Barmherzigkeit. Wir wüssten nicht, dass Er sich wirklich um jeden einzelnen kümmert, wir wüssten nicht, dass Er bereit ist, für uns zu sterben und sich ganz für uns hinzugeben und wir wüssten nicht, dass Er durch Sein Priestertum der Sieger ist über Tod und Teufel, über alles Böse in der Welt.

Deswegen dürfen wir Ihm danken, dass Er, als Er zum Vater zurückgekehrt ist, Sein Priestertum nicht einfach mit sich genommen hat, sondern dass Er es uns hinterlassen hat. Dass Er in dem Moment, wo Er sich zum Sterben anschickte, Seine Jünger zu Aposteln, Bischöfen und Priestern gemacht hat und ihnen den Auftrag gegeben hat, Sein Werk fortzusetzen. Wir dürfen dankbar sein, dass Er Seine Barmherzigkeit uns nicht einfach entzogen hat, sondern dass Er das Werk der Barmherzigkeit fortführt und fortsetzt durch das Priestertum der Kirche, in die Welt und in die Geschichte hinein. Deswegen dürfen wir am heutigen Tag besonders dankbar aller unserer Priester gedenken, die sich am Tag ihrer Priesterweihe durch das Christus entgegengerufene „Adsum“, „Ich bin bereit“, in Seinen Dienst gestellt haben, damit auch sie Diener Seiner Barmherzigkeit seien.

Als Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, vor 25 Jahren dieses „Adsum“ gerufen haben, wussten Sie nicht, was alles auf Sie zukommen würde. Aber Sie haben sich bereitwillig in den Dienst der Barmherzigkeit gestellt, Sie haben bereitwillig Ihr ganzes Leben – wie Jesus Christus – für die Schafe geopfert. Als der Herr Sie dann nicht nur in Deutschland, sondern auch im fernen Nordamerika und schließlich wieder hier in Maria Engelport zu einem Pionier und einem nicht ohne Leiden Sein Reich aufbauenden Priester gemacht hat, da haben sie dieses „Adsum“, dieses „Ich bin bereit“, nicht zurückgezogen. So sind Sie in Ihrem ganzen Priesterleben ein Diener der Barmherzigkeit und damit ein wirklicher Priester Jesu Christi geworden und geblieben.

Die Barmherzigkeit des Priestertums Jesu Christi aber zeigt sich für uns vor allem in drei ganz besonderen Ausprägungen.

Heute scheint die Welt wieder zur Glaubenswüste zu werden. Viele glauben gar nicht mehr. Die meisten wissen nicht, was wahr ist und sind desorientiert, haben Angst und Not angesichts der Zukunft. Christus aber, der barmherzige, ewige Hohepriester, ist die Wahrheit! Er hat gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6) Wir haben in allen Unsicherheiten und in der Konfrontierung mit all der Lüge in der Welt einen sicheren Anhaltspunkt: die barmherzige Wahrheit Jesu Christi. Er entzieht sie uns nicht, Er verkündet sie nicht nur zu Lebzeiten an Seine Jünger und alle, die Ihm folgen, sondern hinterlässt sie Seiner Kirche, die uns in ihrer Lehre Halt und Orientierung gibt, und Er beruft Priester, die von der Kanzel und bei vielen anderen Gelegenheiten diese Wahrheit nicht nur in Erinnerung rufen, sondern dafür Zeugen sind.

Wieviel hunderte Predigten haben Sie, lieber Herr Kanonikus, nicht schon gehalten, wieviele Katechesen, wieviele Leute in den katholischen Glauben eingeführt, die sich bekehrt haben! Die Wahrheit Jesu Christi stirbt nicht! Durch jeden Priester, der treu die Lehre der Kirche verkündet, damit die Wahrheit Jesu Christi gegenwärtig setzt und dadurch ihre barmherzige Wirkung an uns Menschen möglich macht, lebt sie ständig fort.

Aber nicht nur das! Unsere Welt ist nicht nur eine Welt voller Lüge, sie ist auch eine Welt voller Hass. Kriege und Streitigkeiten sehen wir allenthalben. Dort, wo Hass und Bosheit aus dem Menschenherz anderen wehtun und sie in Elend und Not stürzen, da ist die Barmherzigkeit Jesu Christi von Neuem ein großes Zeichen des Trostes. Sie garantiert uns die Vergebung! Zu dem Wunderbarsten, das der Herr gesagt hat, gehören die Worte: „Deine Sünden sind Dir vergeben!“ (Lk 5, 20); „Gehe hin und sündige fortan nicht mehr.“ (Jo 8,11) Das Priestertum garantiert im heiligen Sakrament der Beichte durch die zweitausend Jahre der Kirchengeschichte eben diese Geschenke der Barmherzigkeit: Vergebung, Neuanfang, Hoffnung. Nichts ist zu Ende mit unserer Schwäche, nichts ist zu Ende mit unserer Sünde, sondern der Herr wartet auf uns, um uns zu vergeben. Er hat den Schatz der Vergebung reich geöffnet und, jeder, der sich aufrichtig von seiner Sünde abwenden will, kann die ganze Vergebung des Herrn durch das Priestertum Jesu Christi immer wieder erhalten.

Viele tausend Stunden haben auch Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, im Beichtstuhl verbracht. Sie haben die Barmherzigkeit Christi durch die Vergebung der Sünden den Menschen weitergegeben. Sie haben, wie so viele andere Priester, manchmal vielleicht auch warten müssen, bis ein Beichtkind kam.  Sie haben dadurch Zeugnis gegeben dafür, dass sich die Barmherzigkeit Jesu Christi niemals von uns zurückzieht, auch dann, wenn wir langsam sind, sie anzunehmen.

Schließlich aber wissen wir, dass unsere Welt von Kälte und einem immer größer werdenden Mangel an Nächstenliebe gezeichnet ist. Hier schenkt uns der Herr durch das Priestertum vielleicht das größte Zeichen der greifbaren Barmherzigkeit Seiner Liebe. Er hinterlässt uns Seinen Leib und Sein Blut als Zeichen Seiner wirklichen und substanziellen Gegenwart. Das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus wird nicht nur durch die Kirche und ihre Priester fortgeführt, sondern Seine Gegenwart wird uns durch dieses Priestertum versichert und möglich gemacht. Jedesmal, wenn ein Priester im Namen der Kirche und nach ihrem Willen die Wandlungsworte, die Christus selbst beim letzten Abendmahl gesprochen hat, wieder formuliert und sie über Brot und Wein ausspricht, dann öffnet sich der Himmel: Der Priester spricht in persona Christi und der Herr wird mitten unter uns gegenwärtig, sodass wir Seinen Leib essen und Sein Blut trinken können als Speise des ewigen Lebens.

Wir wären allein mit all unseren Problemen ohne das Priestertum. Danken wir unseren Priestern, dass sie treu die hl. Messe feiern, dass sie uns anleiten, wie Sie es tun, lieber Herr Kanonikus, hier und in anderen Apostolaten des Institutes, die Gegenwart unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament anzubeten. Danken wir es unseren Priestern, dass sie bei aller Kälte dieser Zeit die Wärme und die Liebe Jesu Christi, die Gegenwart Seines heiligsten Herzens mit all Seiner Barmherzigkeit durch das Sakrament der heiligen Eucharistie ermöglichen.

So sehen wir, dass wirklich das Priestertum Jesu Christi, fortgesetzt in der Kirche und gegenwärtig in jedem Priester, das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes ist. Die Barmherzigkeit Gottes ist deswegen für uns nicht ein bloßes Gefühl, sondern eine objektive Sicherheit. Wenn wir uns der Wahrheit Jesu Christi zuwenden, wenn wir die Vergebung des Herrn in der Beichte empfangen, wenn wir in der hl. Kommunion und in der Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes Christus begegnen, dann wissen wir: Die Barmherzigkeit ist Mensch geworden, sie lebt mitten unter uns und entzieht sich uns niemals. Auch die vielen, die heute leiden müssen, die Christen, die auf der Flucht sind, die ihre Heimat verloren haben, sie haben eine Sicherheit, die Sicherheit der Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Sakrament, die Sicherheit Seiner Vergebung und die Sicherheit Seiner Wahrheit, die in jeder neuen Heimat, die sie finden werden, ihnen wieder zur Verfügung gestellt wird durch das Priestertum der Kirche.

Deswegen danken wir Ihnen, hochwürdiger Herr Kanonikus, von ganzem Herzen, dass Sie „Ja“ gesagt haben, dass Sie durch Ihr Beispiel auch anderen die Freude am Priestertum geschenkt haben und durch Ihr priesterliches Wirken in unseren Apostolaten viele Berufungen hervorgerufen haben. Sie sind auch in unserem Priesterseminar in Gricigliano ein geschätzter Seelenführer. Ihre priesterliche Existenz, Ihre Bereitschaft, sich wie Christus für die Herde zu opfern, hat andere Berufungen nach sich gezogen und so ist Wirklichkeit geworden, was wir hier jeden Tag mit der ganzen Kirche beten und worum wir Christus bitten: „Herr, schenke uns Priester; Herr, schenke uns heilige Priester; Herr, schenke uns viele, heilige Priester.“ Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am Ostersonntag, dem 17. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Victimae paschali laudes immolent christiani. « Singet Lob dem Osterlamm!“ Das Osterlamm, Christus, ist für uns geopfert worden. Was bedeutet das? Was können wir über dieses einzigartige Opfer für uns und die Welt verstehen, damit wir unsere Situation vor Gott besser begreifen können?

Dass dieses Opfergeschehen von größter Bedeutung war, sehen wir am leeren Grab. Es ist nicht irgendein Tod. Es ist nicht das Entstehen irgendeiner weiteren, auf einem Mythos gegründeten Religion wie bei so vielen, mit denen die Menschen in der Geschichte versucht haben, sich Gott gnädig zu stimmen. Die Auferstehung Christi ist vielmehr ein ganz einzigartiges, nie vorher dagewesenes Ereignis. Es ist von vielen Zeugen, die für die Wahrheit ihrer Botschaft das Leben gelassen haben, bezeugt. Diese Tatsache zeigt uns wirklich, dass das Lamm der Ewigkeit sich für uns geopfert hat.

Begreifen wir, Geliebte, die kosmische Dimension des Osterfestes! Wir in unserer kleinen Welt, im unendlichen Universum so groß wie ein Staubkorn, sind von Gott als einzige körperliche freie Lebewesen geschaffen worden, damit Er Seine trinitarische Liebe uns mitteilen kann, damit wir, jeder einzelne und wir alle zusammen, in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen werden können. Deswegen hat Er auf diesem nur Staubkorn-großen Planeten Leben geschaffen und Freiheit geschenkt. Als wir aber diese Freiheit missbraucht haben, als wir das Böse in die Welt hineinkommen ließen dadurch, dass wir, die geliebten freuen Geschöpfe Gottes, sich in dieser Freiheit gegen ihn erhoben haben, hat Er uns nicht allein gelassen. In seiner unendlichen Liebe zu uns, hat Er schon vor aller Zeit beschlossen, dass Er sich für seine Geschöpfe opfern will!

Deswegen ist Er in die von Ihm geschaffene Zeit hinabgestiegen, hat einen menschlichen Leib, ein menschliches Herz, eine menschliche Natur angenommen, um sich aus gottmenschlicher Liebe für uns opfern zu können. Damit hat sich alles geändert! Das von der Auferstehung als gültig besiegelte Opfer der Liebe ändert nicht nur unser eigenes Leben, sondern das Schicksal des gesamten Universums. Hier wird alles von Gott neu geschaffen! Nun können wir  begreifen, warum wir gerade in der Ostersequenz gehört haben: Mors et vita duello conflixere mirando: dux vitae mortuus regnat vivus. „Tod und Leben rangen im wundersamen Zweikampf: Der gestorbene Fürst des Lebens herrscht jetzt lebend.“

In diesem entscheidenden Zweikampf, den Gott vor aller Zeit vorausgesehen hat, weil Er uns retten wollte, wird noch einmal und endgültig Tod und Leben, das Gute und das Böse, in einem Endkampf gegenübergestellt: Das Leben, der König, der Schöpfer und Erlöser, ist der Sieger und damit ändert sich alles von Neuem, wird alles neu geschaffen, wird jedes Herz guten Willens der Gnade geöffnet. In diesem Moment wird das durchbohrte Herz des auferstandenen Herrn, Zeichen dieses Zweikampfes und des Sieges, für uns das Tor von der Zeit in die Ewigkeit, das verschlossen war, aber nun für immer offen bleibt!

Wir feiern heute die wunderbare Tatsache, dass dieses Tor wieder geöffnet worden ist!  Wir feiern, dass Gott durch das Opfer Jesu Christi und seine glorreiche Auferstehung bewirkt hat, das die menschliche Natur, die er wunderbar geschaffen hat, noch wunderbarer wiederhergestellt wird!  Heute wird uns offenbart, dass die Zeit der Menschen nicht mehr in der Sklaverei der Sünde in sich verschlossen ist, sondern das Tor die Gnade weit geöffnet wurde!  Wir alle können dadurch teilhaben an der Herrlichkeit des Herrn!  

Deswegen verstehen wir auch, warum die Kirche die Osternacht mit solcher Feierlichkeit begeht. Deswegen verstehen wir, warum wir heute Morgen alle eingeladen sind, das Lob des Osterlammes zu singen, denn am Kreuz hat sich der höchste und wunderbarste Ausdruck aller Religion ein für allemal verwirklicht: Das Kreuzesopfer, das sich in der heiligen Messe unblutig erneuert, ist die Liturgie aller Zeiten. Hier sind alle Versuche des Menschen, Gott gnädig zu stimmen, erhöht, zusammengefasst und von Gott selbst vollendet worden. Deswegen hat der Herr, das Osterlamm, gesagt vom Kreuz herab: „Consummatum est“, „Es ist vollbracht.“: Eine erhabenere Liturgie, ein größerer Opferakt, eine herrlichere Offenbarung des Sieges des Herrn ist nicht mehr möglich.

Schließlich, in seinem großen Erbarmen hat der Herr uns nicht nur einmal diesen endgültigen und höchsten Akt liturgischer Gottesverehrung geschenkt, sondern diese Gottesverehrung geht weiter in der Kirche und  wird am Ende der Zeiten fortgesetzt werden in der Ewigkeit. Dort werden die Geretteten mit den Engeln und Heiligen zusammen vor dem Lamm, das geopfert bleibt, singen dürfen: „Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen!“. Die Liturgie, die wir hier auf Erden feiern, ist nur ein schwaches Abbild dessen, was auf uns wartet. Die Liturgie der Kirche ist gleichsam in die Ewigkeit hinein eine Verkündigung der noch größeren Herrlichkeit Gottes, zu deren Verehrung wir gerufen sind, ja, deren Verehrung den eigentlichen Grund und den ganzen Sinn unseres Lebens ausmacht.

Dann werden wir in der trinitarischen Liebe, die sich uns im Osterlamm zeigt, vereint sein. Dann werden wir begreifen, warum wir haben mitleiden müssen, um durch Dunkel zur Helle gerufen zu werden. Dann wird uns alles klar, dann sehen wir: Heute und an jedem Ostermorgen ist ein kosmisches Ereignis passiert, das alles neu geschaffen hat, das alles ändert, das unser Leben ganz ergreifen muss und das die Kirche zu jenem Heilsinstrument macht, durch das alle eingeladen sind, um das Osterlamm auf ewig zu verehren.

Deswegen sind wir heute gerufen, das Osterlamm von ganzem Herzen zu loben, deswegen ist unsere Freude echt und deswegen hat sich die ganze Welt gewandelt: Der Sieger über Tod und Teufel ist erstanden und wir dürfen an seinem Sieg teilhaben und ihn loben mit der ganzen Christenheit: Victimae paschali laudes immolent Christiani.

Amen, alleluja.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am Karfreitag, dem 15. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Mitleiden! Uns anderen Menschen mit einem wirklichen Herzensmitleid zuwenden! Gelingt uns das noch? Wissen wir noch wirklich, was Mitleid ist? Jemanden mitleidig anblicken: Das hat in unserer Sprache schon einen hochmütigen Beigeschmack angenommen. Mitleid erheischen, von jemandem Mitleid erwarten, das ist gar eine fordernde Haltung.  Schon Friedrich Nietzsche hat fälschlich das Mitleid als eine Haltung der Schwachheit und der Niedrigkeit befunden. Sein Übermensch, der große, starke, erfolgreiche, kennt kein Mitleid mit den Armen, den Kranken und den Beladenen. Diese Haltung ist mehr und mehr eine Grundhaltung vieler in unserer Gesellschaft geworden, die oft statt Mitleid nur den Ruf nach staatlichen Maßnahmen oder gar nach Abtreibung und Euthanasie kennen.

Wir aber dürfen am heutigen Tag, dem hochheiligen Karfreitag, an dem der König des Universums für uns am Kreuz stirbt, von Ihm und von der treuen Gruppe unter dem Kreuz das wirkliche, das christliche Mitleid lernen. Blicken wir dazu auf die Figuren, die an dieser Kreuzesszene teilnehmen.

Zunächst ist da der gekreuzigte Herr. Er gibt als Grund Seines Todes das Mitleid und das Erbarmen an. Schon lange vorher hat Er gesagt: „Misereor super turbam.“ (Mk 8, 2). „Ich erbarme mich der Menge.“  Damit will er sagen: ‚Ich habe Mitleid mit euch Sündern. Für euch bin ich gekommen und für euch will ich sterben‘. Er zeigt uns Mitleid, indem Er uns noch vom Kreuz herab alle unsere Sünden vergibt. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23, 34).

Er zeigt uns Sein Mitleid, ganz ohne Hochmut und Herablassung. Denn hat Er uns, wie Er uns selbst offenbart hat, zuerst geliebt. Er bemitleidet uns nicht aus Hochmut, sondern aus wirklicher Erlöserliebe, die sich ganz uns schenkt, bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Er bemitleidet uns aus einer Freundschaft heraus, die Er selbst geschaffen hat, denn Er hat gesagt: „Ich habe euch Freunde genannt.“ (Jo 15, 15). Damit hat Er uns durch die Gnade zu Seinen Freunden gemacht, derer Er sich nun erbarmt und für deren Elend als Sünder Er Mitleid zeigt. Dieses Erbarmen, das ganz deutlich aus allen Worten des Herrn spricht, das Ihn dazu bringt, zum Schluss zu sagen: „Consummatum est“ (Jo 19,30), gleichsam ,das Werk meines Mitleidens ist vollbracht‘, kann uns lehren, dass wirkliches Mitleid nichts mit hochmütiger Herablassung zu tun hat. Echtes Mitleid kommt aus einem liebenden Herzen, aus dem Herzen des Freundes, der sich wohl aus göttlicher Höhe herablässt, aber sich tief erbarmt aller Leiden, aller Schmerzen, aller Schwierigkeiten und aller Beladenheiten derer, die Seinem Herzen nahestehen.

Diese Haltung wird ebenso deutlich bei der nächsten Person der Kreuzigungsszene, die auch uns immer wieder ihr Mitleid zeigt, nämlich bei der Mutter des Herrn, die Er vom Kreuz herab unsere Mutter genannt hat. Nicht nur leidet sie mit ihrem Sohn, sie vereinigt sich ganz mit diesem Mitleiden, mit der compassio, mit dem wirklichen Sühneleiden ihres Sohnes, sodass sie unter dem Kreuz in diesem Leiden zur Miterlöserin wird.

Der tiefste Grund dieser Miterlösung ist zunächst verborgen: Wir können eine Mutter verstehen, die, als sie ihren Sohn am Kreuz Seinen letzten Blutstropfen vergießen sieht, unendlich leidet, mit Ihm leidet und all Sein Leiden teilen will. Aber noch mehr tut sie, viel mehr, aus Mitleid mit uns, denn sie ist auch unsere Mutter. Sie gibt ihr einziges Kind freiwillig hin, und zwar bewusst als Opferlamm für unsere Sünden.  Sie leidet nicht nur mit dem liebsten Menschen, den sie hat, sondern sie stimmt in den Opferakt Christi ein und vereinigt sich mit Ihm in dieser Ganzhingabe, in der Er für die Sünder, die sich immer wieder von Ihm wegwenden, trotzdem aus liebendem Mitleid stirbt. Deswegen nennen wir sie zurecht mater misericordiae, die Mutter der Barmherzigkeit.

Das sind für uns große, fast unerreichbare Beispiele wirklich gottmenschlichen und ganz gnadengetragenen Mitleids. Aber wenn wir die übrige Gruppe unter dem Kreuz betrachten, dann wird das Mitleid auch für uns noch menschen-möglicher, noch zugänglicher. Denn wir sehen erstens Maria Magdalena, die aus Mitleid fast unter dem Kreuz stirbt. Ihr Herz wird zerrissen, weil ihr geliebter Heiland dort leidet. Sie weiß, Er leidet auch für ihre Sünden! Dieses Mitleid ist das Mitleid, das wir empfinden können, wenn ein ganz geliebter Mensch stirbt oder leiden muss. Nicht für unsere Sünden, aber doch ganz unserem Herzen nahe, ganz uns verbunden, sodass sein Leiden unser Herz im Mitleiden zerreißt. Dann nicht wegzugehen, dann den Sterbenden, den Schmerzbeladenen zu trösten, das gleicht Maria Magdalena, die trotz allen Schmerzes treu unter dem Kreuz bleibt und sich dem Mitleid nicht entzieht.

Sehen wir nun den hl. Johannes, den Lieblingsjünger des Herrn. Er leidet mit dem Herrn, den er vorher verlassen hat, weil er nun aus Freundschaft treu leiden will. Er war der Freund des Herzens unseres Herrn. Er kehrt zurück! Er lässt den Herrn in der Todesstunde schließlich nicht allein. Wir sind Freunde genannt worden. Wir sind zu Freunden gemacht worden. Wir können deswegen nicht nur den Herrn in Seinem Leiden nicht verlassen, sondern wir sind auch berufen, unseren eigenen Freunden, unseren Verwandten, Nachbarn und denen, die uns nahe stehen, in ihrem Leid, das nicht nur körperlich sein muss, beizustehen und sie nicht zu verlassen. In ihnen tritt uns das Leiden Christi gegenüber. Aus ihnen spricht der Herr zu uns, der in der Todesnot zu den Aposteln sagt: „Könnt ihr nicht wenigstens eine Stunde mit mir wachen?“ (Mt 26, 40).

Und schließlich ist da Maria Kleopha, die sich, wie so viele gute Frauen und so viele andere Menschen, des Leidenden erbarmt. Die, wie tausende, die Kranke pflegen, wie viele Mütter und Väter, wie so viele Menschen, die Gutes tun, unter dem Kreuz bleibt, weil der Herr ihr von Herzen leidtut, aus einem echten menschlichen und christlichen Erbarmen. In dieser Welt zählt oft nur noch Erfolg, Geld und Größe. Dabei sind die größten Schätze der Kirche, darauf hat der kranke Papst Johannes Paul II. hingewiesen, unsere Kranken, die größten Schätze sind die geistig und materiell Armen im Geiste und, alle jene, die wirklich unserer Hilfe bedürfen. Wir brauchen dafür nicht in die Ferne zu gehen. Sie sind um uns herum. Erbarmen wir uns ihrer, dann tun wir, wie Maria Kleopha unter dem Kreuz, dem sterbenden Herrn einen Dienst. Wir trösten Ihn, weil wir mit Ihm und ihnen leiden! So dehnen wir Sein großartiges Werk der Erlösung, das ein Werk der Barmherzigkeit ist, auf die vielen aus, die ohne uns alleine wären und die ohne uns in ihrem Schmerz ungetröstet blieben.

Wir können also von unserem Herrn Jesus Christus, der heute am Kreuz stirbt, von Seiner Mutter, der Miterlöserin für unsere Sünden, von der kleinen Freundesgruppe unter dem Kreuz das wahre christliche Mitleid lernen. Wir können lernen, wie man wirkliches Mitleid gibt: aus Liebe, aus Freundschaft, aus Herzenserbarmung.Wir können aber auch lernen, wie man Mitleid empfängt, wie man sich ohne falsche Scham helfen lässt, nach der Liebe des anderen dürstet und danach fragt, wie man dankbar ist für Hilfe, Schutz und Unterstützung, Wir sehen am Herrn selber, dass Er bis zum Schluss, bis zu dem dramatisch-einfachen Wort „Mich dürstet“ (Jo 19,28), auf unsere Liebe und auf unser Mitleid wartet und hofft.

Für den Herrn gibt es keine Zeit, sondern nur Ewigkeit. Er wartet heute noch, auch jetzt, in dieser Stunde, in jeder Minute unseres Lebens auf unser Mitleid. Die Antwort, die wir geben können, Ihm und den vielen anderen, die des Mitleids bedürfen, ist eine Antwort der Liebe, der Freundschaft und der Barmherzigkeit. Wenn wir heute das Kreuz andächtig verehren, dann geben wir diese Antwort, nicht nur äußerlich, sondern auch in unseren Herzen: Wir wollen das christliche Mitleid pflegen, es soll nicht sterben in dieser Zeit. Der Herr ist aus Mitleid mit uns gestorben. Nur durch dieses göttliche Mitleid leben wir und lebt das echte christliche Mitleid! Vereint mit dem Erbarmen des Herrn tragen wir dazu bei, dass die Menge, derer er sich erbarmt hat, wirklich gerettet werden kann!

Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz an Fronleichnam, 16. Juni 2022

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz an Fronleichnam, 16. Juni 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

„So tun, als ob.“ Vorgeben, als wäre etwas Wirklichkeit, wenn man doch weiß, dass es nicht wahr ist.

Das tun die kleinen Kinder. Sie spielen Kaufladen, sie spielen Familie, sie spielen Cowboy oder sogar Priester. Wenn sie so spielen, dann sind sie sich in ihrem Eifer oft gar nicht ganz bewusst, dass es ein Spiel ist. Erst nachher kehren sie zurück in die Wirklichkeit und wissen, sie haben nur so getan, als ob. Auch die Erwachsenen hören oft genug nicht auf zu spielen. Sie tun fast unentwegt, als ob! Als ob sie wichtig wären, als ob sie reich wären, als ob sie von allen angesehen wären. Wenn die Erwachsenen so tun, als ob, dann glauben sie oft sogar das, was sie den anderen vormachen. Viele leben darüber hinaus leben heute fast ganz in virtuellen Welten des Internets. Vor dem Computer tun sie den ganzen Tag „als ob“ und vergessen darüber oft das wirkliche Leben. Wenn wir unsere Gesellschaft ansehen, dann können wir uns fragen: Tun wir nicht alle ein bisschen „als ob“? Als ob alles in Ordnung wäre? Und die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Menschen tun gerne „als ob“, um vor sich selbst und den Tatsachen zu fliehen!

Derjenige, der nie so tut „als ob“, Den feiern wir heute in feierlicher Form im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Jesus ist Gott! Er hat nicht nötig zu tun „als ob“. Er, der von Sich sagen kann: „Bevor Abraham war, bin Ich“ (Jo 8, 58), ist der wahre Gott, der aus dem Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, das wir am letzten Sonntag gefeiert haben, hinabgestiegen ist in diese Welt; mit all Seiner göttlichen Kraft und Vollmacht. Deswegen kann Er Wunder wirken. Deswegen kann Er jenes „Dauerwunder“ der Hl. Eucharistie der Kirche schenken, das niemals aufhört bis zum Ende der Zeit. Weil Er Gott ist, ist Er von den Toten auferstanden, um uns Zeugnis zu geben von der Gottheit und uns zu zeigen, dass Er niemals tut „als ob“.

Ebenso tut er nicht so, als ob er Mensch wäre. Er ist ganz Mensch geworden, vom Fleisch und Blut Seiner jungfräulichen Mutter geboren, ist Er in das Elend unserer Menschheit hinabgestiegen, so sehr, dass er in Seinem Leib und Seinem Blut hat leiden können, dass Er unsere Tröstung braucht, dass Er sich an die Apostel wendet und ihnen sagt: „Könnt ihr nicht wenigstens eine Stunde mit mir wachen?“  (Mt 26, 40).

Der Herr ist so sehr ganz Mensch, dass Er uns im heutigen Geheimnis Seinen Leib und Sein Blut schenken kann. Er will sich mehr mit uns vereinigen als jeder Mensch es kann, weil Er uns Seinen Leib und Sein Blut zur Speise gibt, zur Speise des ewigen Lebens. Auch hier kann Er, weil Er Gott ist und ganzer Mensch, die Wirklichkeit verändern. Er tut nicht „als ob“. Er ändert, was nur Gott ändern kann, und Er schenkt uns, was nur der Mensch geben kann: Statt Brot und Wein Seinen heiligen Leib und Sein heiliges Blut!

Weil Er niemals so tut „als ob“, deswegen ist Er durch das Geheimnis der Inkarnation in der Einheit von Menschheit und Gottheit auch in der Lage, jenes einzigartige Opfer des Kreuzes, mit dem Er unsere Sünden auf sich nimmt und als Opferlamm für uns alle am Kreuze stirbt, am Kalvarienberg ein für alle Mal zu vollbringen.  Er tut nicht, als ob, sonst könnte Er Gott, dem Vater, nicht zurufen: „Es ist vollbracht“ (jo 19, 30), also „Die Menschen sind erlöst“! Weil er mit dieser Tat und diesem Wort die Geschichte durchbricht, ist er durch göttliche Kraft auch fähig,  dieses Erlösungsopfer weiterzuführen in die Geschichte hinein, in jeder Hl. Messe, auf jedem katholischen Altar, an dem nach dem Willen der Kirche Sein Opfer gültig vollzogen wird.

Wenn der Priester spricht: „Das ist mein Leib“, „das ist mein Blut“, dann schenkt sich der sich opfernde Herr uns von neuem ganz! Sein Erlösungsopfer wird unblutig erneuert sowie die Gnade der Erlösung und des Heiles neu über uns ausgegossen. Jede katholische Kirche ist deswegen ein äußeres Zeichen dafür, dass Gott, der Mensch und Erlöser, niemals tut „als ob“. Wenn die Kirche als Ganze dieses Erlösungsopfer fortführt, wenn sie uns zur Hl. Messe am Sonntag und möglichst jeden Tag einlädt und anhält, dann lädt sie uns nicht zu einem Theaterspiel ein: Auch die Kirche tut nicht „als ob“. Sie hat vom Gottmenschen Jesus Christus im Priestertum den Auftrag und die Vollmacht erhalten, weiterzuführen, was der Herr eingesetzt hat. Immer wieder wird auf ihren Altären das Brot und der Wein in Seinen Leib und Sein Blut verwandelt. Hier ist nichts „als ob“, denn der Herr hat gesagt: „Das ist Mein Leib und das ist der Kelch Meines Blutes.“ (vgl. Mk 14, 24; Lk, 22,20).

Es ist kein Zweifel, dass Gott, der alles verändern kann, hier in die Geschichte eingreift, uns neue Hoffnung gibt. Im Dunkel des Zeit ersteigt der Höchste als Gottmensch den Thron der Kreuzes  um uns zu erlösen. So erstrahlt das Licht der Ewigkeit im Nichts der Zeit. Deswegen ist unsere Antwort auch  die Antwort eines ganz christlichen Lebens. Wir sollten Gott gegenüber alles „als ob“ ablegen! Er gibt sich uns ganz, als ganz wahrer Gott, als ganz wahrer Mensch. Er opfert sich für uns alle, weil er uns grundlos und göttlich liebt. Geben wir Ihm die einzige Antwort, die dem entsprechen kann, nämlich das Geschenk unseres eigenen Lebens! Wenn wir Ihn heute in der Hostie verborgen über das Engelporter Land tragen, dann soll das ein Zeichen dafür sein, dass wir mit allem „als ob“ aufhören wollen. Wir wollen, dass unser ganzes Leben nicht nur eine äußere Fassade sei, sondern ein ehrliches christliches Bekenntnis. Wir empfangen gleich vor der Prozession nach einer würdigen Beichte Seinen Leib und Sein Blut. Sagen wir Ihm jetzt: „Verwandle uns in Dich, mache unser Herz zu Deinem Herzen, damit wir nicht nur so tun, als ob wir Christen wären, sondern wirklich Christen sind, Dir mutig nachfolgen und mit Dir in die Herrlichkeit des Himmels gelangen!“ Amen.

Predigt zum 4. Sonntag nach Ostern

Predigt zum 4. Sonntag nach Ostern

Msgr. Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Alles Gute kommt von oben. Das haben wir gerade in der Lesung gehört und es ist auch die 2000jährige Erfahrung der Kirche. Das Gute schickt uns Gott vom Himmel her, damit wir es bewahren, damit wir es weitergeben, damit es uns zur ewigen Rettung führt. Das Beste aber, was wir bekommen haben, ist Jesus Christus selbst, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Als Er zum Vater gegangen ist, hat Er uns diese Heilswahrheit hinterlassen, eine Wahrheit, die von oben kommt, eine Wahrheit, die uns retten kann, eine Wahrheit, die uns Gott in Ihm und durch Ihn mitgeteilt hathat. Das heutige Evangelium lehrt uns genau, was es mit dieser Wahrheit auf sich hat und wie sie durch die Geschichte hindurch bewahrt worden ist.

Zunächst kommt diese Wahrheit von Christus. Er ist der endgültige Offenbarer, in Ihm ist alle Wahrheit beschlossen und Er hat sie in menschlich verständlicher Sprache den Aposteln und Seiner Kirche weitergegeben. Diese Wahrheit aber, so sagt Er uns heute im Evangelium, bleibt nicht einfach ungeschützt, so wie menschliche Wahrheit, die dem Irrtum unterworfen ist. Die Wahrheit Jesu Christi besitzt einen ganz besonderen Schutz, den der Herr selber den Parakleten nennt, den Tröster: Der Heilige Geist, der die Wahrheit Christi nicht nur schützt, sondern der uns in die ganze Wahrheit einführt und der im Laufe der Geschichte der Kirche uns diese Wahrheit erschließt, damit wir sie immer besser kennenlernen. Ohne das Wehen des Heiligen Geistes in der kirchlichen Überlieferung wäre die Wahrheit, die der Herr uns geschenkt hat, schon längst verbogen worden und wäre nicht unverfälscht zu uns gelangt. Wie aber geschieht das? Es geschieht auf zweierlei Weise.

Zunächst einmal dadurch, dass die Wahrheit, die Christus selbst verkündet hat, von den Aposteln aufgenommen wurde, unverfälscht weitergegeben wurde und von ihnen und den Evangelisten aufgeschrieben wurde zu unserem Heil. Es gibt eine schriftliche Offenbarung, die wir in den Büchern der Heiligen Schrift finden. Diese schriftliche Offenbarung, das Aufschreiben der Wahrheit Jesu Christi, ist abhängig vom Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche. Der Kanon der Heiligen Schriften, also die Zahl der authentischen Schriften, die die Offenbarung in den verschiedenen Büchern der Bibel enthalten, ist nämlich von der Kirche selbst festgelegt worden. Es gab anfänglich viele so genannte apokryphe, das heißt nicht authentische und teilweise gefälschte sogenannte Evangelien und Apostelbriefe. Papst Damasus I, unter anderem beraten von dem heiligen Schriftkenner und Kirchenlehrer Hieronymus, hat mit dem Konzil von Rom 382 festgelegt, welche Schriften unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Wahrheit der Offenbarung unverfälscht enthalten.

Also hier bereits hat der Heilige Geist eingewirkt, als das Falsche vom Wahren geschieden wurde. Damit sind auch die Bücher, die wir die apostolischen nennen, und die Bücher des heiligen Paulus anerkannt worden und haben durch die Kirche das Siegel der Wahrheit im Heiligen Geist erhalten, damit wir wissen, dass auch Schriften, die nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgehen, aber die von den Aposteln unter dem Einfluss des Heiligen Geistes aufgeschrieben worden sind, zum Schatz der kirchlichen Wahrheit gehören.

Die Schrift selbst lehrt uns jedoch (z.B. Jo 21, 25), das nicht alles ist in diesen Büchern aufgeschrieben; nicht alles, was der Herr getan und gelehrt hat, ist demnach in der Heiligen Schrift enthalten. Es gibt nicht, wie viele Protestanten lange behauptet haben, eine Art Selbstgenügsamkeit der Schrift, so als wenn jemand, der die Schrift alleine liest und interpretiert, schon daraus die ganze Wahrheit Jesu Christi erkennen könnte.

Der Geist Gottes weht weiter in der Kirche. Der Herr sagt uns eindeutig, dass er wird uns in die ganze Wahrheit einführen. Er wird uns Wahrheiten aufschließen, wie Er den Aposteln erklärt, „die ihr heute noch nicht tragen könnt.“ So ist durch die ganze Kirchengeschichte hindurch im Wirken des Lehramtes unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Überlieferung der Wahrheit Jesu Christi nicht nur bewahrt, sondern auch tiefer erklärt und aufgeschlossen worden. Viele große Heilswahrheiten haben wir durch den Einfluss des Heiligen Geistes im Wirken des Lehramtes erst im Laufe der Jahrhunderte tiefer erkannt.

Andere Dinge, die dunkel und verschlossen in den Heiligen Schriften waren, hat uns der Heilige Geist erklärt, hat im Lehramt der Kirche die richtige Formulierung den Päpsten und Bischöfen, die mit dem Papst in Einheit sind, auf den Konzilien eingegeben und damit die katholischen Dogmen und das ganze Lehrgebäude der Kirche, das die Offenbarung Jesu Christi erklärt, errichtet und bis heute bewahrt. Deswegen ist der erste und wichtigste Maßstab, den die Kirche von Jesus Christus selbst erhalten hat und dem sie folgen muss, wenn sie die Wahrheit der Heiligen Schrift und die Wahrheit der Offenbarung Jesu Christi richtig verstehen, interpretieren und weitergeben will, der Maßstab der göttlichen Überlieferung, den wir auch die Tradition nennen. Sie ist die norma normans der Schrift, die erklärende Glaubensregel, während die Schrift die norma normata ist, die erklärte Glaubensregel. Der wirkliche und endgültige Maßstab dessen, was offenbarte Wahrheit in der Kirche ist, ist daher die auf Jesus Christus und die Apostel zurückgehende Überlieferung.

Alles, was dieser Überlieferung, die vom Heiligen Geist geleitet und gelenkt wird, widerspricht, wenn es sich auch in große Worte hüllt und auf scheinbar synodalem Wege zu uns kommt, ist nicht mit der Wahrheit Jesu Christi konform. Wir müssen immer darauf achten: Ist das, was man uns lehrt, immer gelehrt worden? Ist es in der Einheit des Lehramtes, die auf Petrus und die Apostel zurückgeht, immer vorhanden gewesen? Ist es, wenn wir es besser verstanden haben, nur ein Aufschluss der bereits offenbarten Wahrheit oder ist es eine neue, menschliche Erfindung? Widerspricht es gar ausdrücklich den Worten der Heiligen Schrift und der immer aufrecht erhaltenen Überlieferung? Wenn es das tut, dann ist es einfach falsch, dann ist es nicht katholisch, es kommt nicht vom Heiligen Geist und geht nicht auf unseren Herrn Jesus Christus zurück!

Wenn wir also in Zeiten der Verwirrung katholisch bleiben wollen, dann blicken wir auf die Überlieferung der Kirche. Dann sehen wir, was in den Dogmen, Glaubensregeln und Katechismen aller Zeiten der Herr uns durch das Lehramt mitgeteilt hat, dann halten wir fest, was wir selber als Kinder von unseren Priestern und Eltern empfangen haben, so wie diese von ihren. Dann stehen wir in der lebendigen Überlieferung der Kirche, die vom Heiligen Geist bis heute getragen wird!

Es hat in der Kirche immer Stürme gegeben, immer Häresien, immer Schwierigkeiten und Glaubenskämpfe, von den ersten Anfängen der Kirche bis zum heutigen Tag, aber immer hat der Heilige Geist die Kirche getröstet. Er ist wirklich der Paraklet, der die tröstende Heilswahrheit Christi überliefert und der diese überlieferte Wahrheit für uns bewahrt. Bleiben wir dieser Überlieferung treu und halten wir uns an das Wort des hl. Paulus im ersten Korintherbrief (11, 23) wo er sagt: „Ich habe euch nur überliefert, was auch ich empfangen habe.“ Wir haben in der Kirche die ganze Wahrheit von Christus empfangen. Sie ist durch den Heiligen Geist im Lehramt der Kirche aller Zeiten unversehrt bis heute überliefert worden. Sie ist der immer gültige, bleibende Maßstab unseres Glaubens. Halten wir uns an diese ewige Wahrheit, die Christus ist, und wir werden gerettet werden! Amen.

Predigt Msgr. Rudolf Michael Schmitz am Pfingstfest 2022

„Die Kirche ist viel zu reich!“  „Die Kirche ist unglaublich reich!“ Solche und ähnliche Aussagen können wir oft als Vorwurf von Menschen hören, die zu sehr auf das Äußere blicken, die die Kirchengebäude und Besitztümer der Kirche sehen, die – in unserem Land – oft bloß an die Kirchensteuer denken, die meinen, dass das Materielle der Reichtum der Kirche sei. Abgesehen davon, dass die Kirche mit ihren durch einen nicht einfachen geschichtlichen Prozess erhaltenen Besitztümern sehr viel Gutes tut, abgesehen davon, dass der Besitz der Kirche, wenn er für nichts Gutes mehr verwendet wird, auch nicht lange hält, wie uns nicht nur die deutsche Kirchengeschichte lehrt, sieht der Vorwurf des bloß materiellen Reichtums am Eigentlichen der Kirche ganz vorbei.

Wenn wir nämlich tiefer blicken, dann können wir am heutigen Pfingstfest wirklich sagen, die Kirche ist reich, sie ist ungeheuer reich, sie ist reich überall auf der Welt, selbst in den allerärmsten Ländern. Nicht an Hab und Gut, nicht an Gebäuden und Dingen, sondern reich an den unendlichen Geschenken Gottes, die sie ständig und von Anfang an durch den Hl. Geist erhalten hat.

Die Seele der Kirche, der Heilige Geist, macht die Kirche reich an Wahrheit, jener Wahrheit, die sie in ihrem geschriebenen und überlieferten Lehramt unfehlbar weitergibt bis zu uns. Die Kirche ist reich an all den Gnaden, die in den sieben Sakramenten uns durch das Wirken des Hl. Geistes immer neu geschenkt werden, sie ist ist reich bis heute erhaltenen Disziplin, die wir ebenso an ihrer herrlichen Liturgie erkennen können, wie an den vielen anderen mit der Offenbarung Gottes verbundenen Geboten und Gesetzen, die, wenn wir ihnen nur folgen, uns direkt zu Christus führen. Das alles ist ein so großer Reichtum, dass wir Gott, dem Hl. Geist, der diesen übernatürlichen Reichtum der Kirche stetig erneuert, am heutigen Pfingstfest gar nicht genug dafür danken können, dass Er Seine Kirche nicht verlässt.

Aber das alles ist nur der Anfang. Denn das Größte, das wunderbarste Geschenk, der größte Reichtum, den die Kirche besitzt, sind nicht einmal ihre von Jesus Christus eingesetzten Strukturen, nicht ihr Lehramt, nicht ihre Sakramente, nicht ihre Jahrtausende alte Disziplin, denn das sind im letzten alles nur Instrumente zum Heil der Menschen: Der größte, der herrlichste, der wunderbarste Reichtum der Kirche, in dem sie sich immer wieder erneuert und der immer wieder vermehrt wird, sind die Getauften. Die Kirche selbst erscheint durch das Wirken des Hl. Geistes, auch dann, wenn sie äußerlich arm, unscheinbar oder verachtet erscheint, wie eine reich geschmückte Braut. Die getaufte Seele aber, die wir alle durch die Gnade Gottes unser Eigen nennen, ist so reich geschmückt, dass eine Predigt fast kaum ausreicht, um all die Reichtümer, die der Hl. Geist ihr schenkt, aufzuzählen.

Zunächst, wenn das Taufwasser über unsere Stirn fließt, und der Priester die trinitarische Formel des Taufritus ausspricht, wirkt der Hl. Geist in uns jene Gnade, die wir sanans et elevans nennen. Er gibt uns die heiligmachende Gnade, die zunächst einmal die Erbsünde von uns nimmt, die uns aber auch umgestaltet und neu macht und erhebt, zu einem höheren Sein, einer wunderbaren Existenz, die wir als Gotteskinder in diesem Moment geschenkt bekommen. Solange wir in der heiligmachenden Gnade bleiben, bleiben diese Geschenke bei uns, bleiben wir – wohl noch manchmal von den Folgen und Spuren der Erbsünde bedrückt – wesentlich frei von ihr und können nach dem Willen Gottes den Weg des Heils beschreiten, auf den Er uns gerufen hat.

Aber nicht nur das! Jedes Mal, wenn wir ein Sakrament empfangen, besonders die Sakramente der hl. Beichte und der hl. Eucharistie, dann werden die jeweils besonderen Gnaden des Sakramentes uns vom Hl. Geist geschenkt, es wird uns die Sünde weggenommen, es wird uns die heiligmachende Gnade wiedergeschenkt oder gestärkt, der Herr selber kommt zu uns und nimmt in unserer Seele Wohnung. Je nach dem, was das Sakrament bewirkt, wird unser übernatürliches Leben mit Gott erneuert. Das alles aber sind Geschenke des Hl. Geistes!

Wenn wir die hl. Taufe empfangen, dann erhalten wir auch die so genannten übernatürlichen Tugenden, jene inneren Haltungen, die sich kein Mensch selbst geben kann, nämlich die Tugendgnaden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Sie sind in unseren Herzen, auch wenn sie manchmal durch unsere Härte verschüttet sind, auch wenn wir ihnen nicht immer gerecht werden. Solange wir uns auf dem Weg Christi bewegen, solange wir im Licht der Gnade wandeln wollen, sind auch der Glaube, die Hoffnung und die Liebe in uns verborgen gegenwärtig. Wir müssen sie nur jeden Tag neu leben, neu erkennen, neu anderen mitteilen. Der Hl. Geist ist mit Seinen Reichtümern dann immer auf unserer Seite.

Als wenn das nicht reichen würde, bekommt jeder Getaufte noch besondere Schmuckstücke überreicht, die wir im Einzelnen aufzählen wollen; es sind die sieben Gaben des Hl. Geistes: die Weisheit, die Einsicht, der Rat, die Stärke, die Erkenntnis, die Frömmigkeit und die Gottesliebe. Jede dieser Gaben bringt dem überzeugten Christen in den verschiedensten Situationen so viel Kraft, dass wir dadurch das Wirken des Gottesgeistes oft in unserem eigenen Leben beobachten können. Wir sehen in einer Welt, die immer heidnischer wird, was passiert, wenn diese Gaben in uns nicht mehr erneuert werden. Was geschieht, wenn Menschen diese Gaben, wenn sie nicht getauft sind, niemals empfangen haben: Kälte, Egoismus, Neid, Bosheit und gar Hass breiten sich aus. Auch wir wären so, denn wir sind von Natur aus nicht besser als alle anderen! Aber der Hl. Geist gibt uns diesen Reichtum unserer Seelen, damit durch Seine Kraft alles das, was Gott in uns wirken kann, Wirklichkeit wird und wir immer neu die Kraft haben, uns zu bekehren und wieder zu beginnen, bessere Christen zu sein, weil wir zur Herrlichkeit berufen sind.

Dann wachsen in uns ebenso die Früchte des Hl. Geistes, die im Galaterbrief aufgezählt werden: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit und die dem jeweiligen Lebensstand entsprechende Keuschheit. Wir alle könnten aus diesen Früchten des Hl. Geistes nicht leben, wenn wir nicht selbst durch die Kraft des Hl. Geistes gestärkt würden, die uns dazu bringt, niemals aufzugeben. Es ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, uns Ihm neu zuzuwenden, unser Herz Seiner Kraft zu öffnen, wenn wir geistlos geworden und uns Seiner guten Atmosphäre entzogen haben. Er bleibt bei uns, damit wir die Früchte und Gaben und alles Gute, das Er gibt, täglich neu beleben und anderen weitergeben können.

Gekrönt aber, Geliebte, wird das alles dadurch, dass wir, wie der hl. Paulus sagt, Tempel des Hl. Geistes sind. Im ersten Korintherbrief im 6. Kapitel sagt er es uns: „Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Tempel des Hl. Geistes sind?“ Wir haben es gerade im Evangelium gehört: Der Vater und der Sohn werden in uns Wohnung nehmen (vgl. Jo 14, 23). Jeder von uns ist nicht nur mit überreichen Gnaden der Heiligkeit beschenkt, seine Seele ist nicht nur mit allen möglichen Geschenken und Vorzügen geschmückt, sondern das alles geschieht, damit unsere Seele ein Tempel werden kann, damit sie sich Gott öffnen kann, damit Gott kommen kann und – wie die Kirchenväter sagen – mit seiner Gottheit gleichsam die Spitze unserer Seelen berühren kann und uns dadurch so weit wie möglich vergöttlicht. Diese Theopoiesis, wie die Väter es nennen, diese Vergöttlichung durch den Hl. Geist, ist ein Geschenk unserer Taufe. Wir müssen es nicht hervorbringen, wir sind keine Fakire, die sich furchtbar anstrengen müssen, damit das geschieht. Es ist ein reines, großzügiges, nie endendes Geschenk des Hl. Geistes! Jeder, der die Taufgnade empfangen hat, ist ein Tempel des Hl. Geistes!  Er glaubt und weiß, dass Gott Selbst in Seiner Dreifaltigen Majestät in ihm wohnt, und dass er, wenn er diese Gnade erhält und mit der unverdienten Gnade Gottes mitarbeitet, schon jetzt ein kleiner Himmel ist, der sich vorbereitet, den großen Himmel beschreiten zu können!

Deswegen ist es richtig, wenn wir heute voller Freude sagen: „Die Kirche ist reich, sie ist überreich, sie ist unvorstellbar reich an all diesen Gnaden des Hl. Geistes.“ Und nicht nur die Kirche als Institution mit all ihren beeindruckenden Amtscharismen, die auch schwachen Menschen Apostel und Priester macht, sondern auch die Kirche, die aus lebendigen Steinen erbaut wird, die Kirche, die wir selber darstellen, die Kirche, die der sichtbare und organisch aufgebaute Leib Jesu Christi ist. Die Schätze des Geistes in der Kirche und in jedem Getauften sind unendlich groß!  

Blicken wir also nicht nur auf das Äußere der Kirche, sondern blicken wir auch auf die Seele der Kirche, die der Hl. Geist ist. Dann werden wir sehen, dass das Schiff der Kirche, das äußerlich oft in Gefahr gerät, in den Stürmen der Zeit geschüttelt zu werden, innerlich immer auf göttlichem Kurs bleibt, weil der Geist Gottes sich niemals aus den Segeln des Schiffes zurückzieht. Der Geist Gottes ist am Pfingstfest machtvoll auf die ersten Bischöfe, die Apostel, herabgekommen. Er bleibt mit seiner Kraft immer in der Kirche gegenwärtig!  Er ist in ihrem hierarchischen Aufbau immer am Werk, in ihrem Lehramt, in ihren Sakramenten, in ihrer überlieferten Ordnung! Er ist ebenso in uns, Er will in uns bleiben! Er gibt uns die Kraft, in der Gnade zu leben, damit die „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8, 21) sichtbar wird in Seiner Kirche und in unseren Seelen bis zur unendlichen Ewigkeit. Amen.

Predigt zur Gebetswoche für die Einheit der Christen, am 3. Sonntag nach Epiphanie

Predigt zur Gebetswoche für die Einheit der Christen,

am 3. Sonntag nach Epiphanie, in Kloster Maria Engelport

Msgr. Michael Schmitz

Wer ist eigentlich katholisch? Das ist eine Frage, die wir zunächst beantworten müssen, bevor wir von der Einheit der Christen sprechen. Wir stehen in der Woche der Einheit der Christen und wir sind aufgerufen, für diese Einheit zu beten. Wohlgemerkt: Nicht für die Einheit der Kirche, die bereits existiert, sondern dafür, dass alle Christen zur Kirche finden und sich mit und in ihr vereinen.

Um das aber tun zu können, um zu wissen, um was wir beten, müssen wir uns fragen: Wer ist eigentlich katholisch? Natürlich gehört jeder, der getauft ist, zur Kirche dazu. Deswegen nennen wir auch jene, die nicht in der vollen Einheit mit der katholischen Kirche stehen, Christen. Auch über sie hat die Kirche eine ihr von Christus gegebene Vollmacht. Trotzdem sind diese Christen nicht katholisch. Was es bedeutet, wirklich katholisch zu sein, sagt uns das Rechtsbuch der Kirche in seinem Kanon 205, der folgendermaßen lautet: „Voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche in dieser Welt stehen jene Getauften, die in ihrem sichtbaren Verband mit Christus verbunden sind, und zwar durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung.“ Es ist nur der tatsächlich katholisch zu nennen, der mit der Kirche verbunden ist durch diese drei Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung.

Was aber bedeutet das? Es bedeutet zunächst, dass jeder, der zur vollen Einheit mit der katholischen Kirche gehören will, der römisch-katholisch sein und leben will, den gesamten Glauben, den die Kirche von Christus erhalten hat, ungeschmälert annimmt und in seinem Leben verwirklicht. Der Glaube ist nicht ein Kuchen, aus dem wir uns ein Stück nach unserem eigenen Gutdünken herausschneiden können, weil es uns am besten mundet. Die vollständige Glaubenslehre müssen wir vielmehr bekennen, wenn wir katholisch sind. Das gilt für die Gläubigen in der Welt, das gilt für die Priester, das gilt für die Bischöfe und auch für den Papst. Der ganze katholische Glaube ist es, den wir annehmen müssen, denn er ist uns von Christus, der die Wahrheit ist, verkündet worden. Ob es auch unangenehme Wahrheiten sind, wie die, die wir heute gehört haben, von der Hölle, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht (Matthäus 8, 12), oder Wahrheiten, die unser eigenes Handeln hier direkt betreffen und Opferbereitschaft fordern, wie das Verbot der Empfängnisverhütung oder andere Gebote Gottes – alles das gehört zum katholischen Glauben. Wir können nicht etwas herausnehmen, nicht nach unserem Gutdünken auswählen, sondern wir dürfen Christus gläubig sagen: „Du hast durch die Kirche all diese Wahrheiten, die für unser Heil notwendig sind, verkündet, und wir nehmen sie alle an.“ Das ist das Band des Glaubensbekenntnisses.

Der Katholik ist aber mit der Kirche ebenso durch das Band der Sakramente vereint. Vergessen wir nicht, dass die meisten protestantischen Glaubensgemeinschaften nur noch ein einziges Sakrament ihr eigen nennen können, nämlich die Taufe. Wir aber, mit den orientalischen Kirchen, bekennen die Siebenzahl der Sakramente. Wir schließen kein Sakrament aus, dass vom Herrn stammt, denn wir wissen, dass wir je nach unserem Lebensstand die Gnaden Gottes durch diese Sakramente geschenkt bekommen und ohne sie nicht katholisch leben können. Dazu gehören vor allen Dingen das Priesteramt, also die Priesterweihe, und das heilige Sakrament der Eucharistie. Wer an ihnen nicht festhält, der rüttelt an den Fundamenten der Kirche selber und er würde all diejenigen, die ihm folgen wollten, von der Quelle des Heiles abschneiden. Deswegen dürfen wir auch hier keine Auswahl treffen, sondern können uns glücklich schätzen, dass der hl. Geist die sieben Sakramente, jene wirksamen Heilszeichen, die Gott uns schenkt, in der Kirche bewahrt hat und durch sie die Gnaden gibt, die wir brauchen, um wirklich katholisch zu sein.

Schließlich sind wir als Katholiken mit dem Leib Christi durch das Band der Kirchenleitung vereint. Wenn wir treu dem Stuhle Petri ergeben sind, was nicht bedeutet, dass wir über alles, was von Rom kommt, klatschen müssen. Wir sind keine Claqueure. Wir sind katholische Christen. Wir wissen, dass in der Geschichte, angefangen von Paulus, viele Heilige auch dem Papst haben ins Angesicht widerstehen müssen, wenn dieser sich in praktischen Fragen oder in Fragen der Klugheit in die falsche Richtung bewegt hat. Die Unfehlbarkeit, mit der Jesus Christus die Päpste ausgestattet hat, bezieht sich nur auf die feierlich verkündeten Lehren des Glaubens und der Sitte.

Gewiss aber sollen wir dem Petrusnachfolger und dem Stuhle Petri als Katholiken treu ergeben sein, indem wir uns von der Mitte der Kirche, die der Felsen Petri ist, nicht entfernen und uns davon auch nicht wegstoßen lassen. Wir dürfen nicht in eine falsche Kritiksucht verfallen. Wir müssen uns zunächst immer sagen: Hier spricht Petrus! Aber auch Petrus war ein Mensch, auch Petrus hat den Herrn verraten, auch er braucht Hilfe in Gebet, Rat und Tat. Trotzdem hat der Herr die ganze Kirche auf ihm aufgebaut, die dank dieser Mitte die Geschichte heil durchlebt und, trotz aller inneren Kämpfe, immer die Einheit behalten hat. Auch wenn wir unter den Vertretern der Kirche leiden, so müssen wir ihrer Leitung im Sinne der Überlieferung treu bleiben, und dürfen, wenn wir einmal der menschlichen Schwäche unserer Hirten widerstehen müssten, trotzdem wissen: Petrus ist der Fels, das Amt ist auch heute größer als der Mensch, wir dürfen uns nicht davon entfernen!

Das also sind die drei Bande, die uns zu Katholiken machen. Der ganze, unverfälschte, von Christus uns hinterlassene Glaube, die sieben Sakramente und die Treue zu dem Stuhle Petri. Alle, die daran festhalten, alle, die ihr Leben daran ausrichten, auch wenn es manchmal schwer wird, sind wirklich katholisch. Sie brauchen, damit sie katholisch bleiben können, jene Demut, deren großes Beispiel uns im heutigen Evangelium der Hauptmann zeigt, der zum Herrn sagt: „Ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach“ (Matthäus 8, 8). Diese Demut brauchen wir, denn, wir entscheiden nicht über den Inhalt des Glaubens, sondern wir nehmen ihn von Christus an. Der heilige Paulus sagt in der heutigen Epistel: „Haltet euch nicht selber für klug!“ (Römer 12, 16). Wir entscheiden nicht über den Glauben, wir entscheiden nicht über die Sakramente, wir entscheiden nicht, wie die Kirche im Stuhle Petri durch Christi Willen ihren Halt findet, sondern wir nehmen diese offenbarten Tatsachen demütig im katholischen Glauben an.

Wenn wir das tun, mit der Demut der Gottesmutter und des heiligen Joseph, wenn wir auch in den Dingen, die uns schwerfallen, uns den ganzen römisch-katholischen Glauben zu eigen machen, wenn wir wirklich aus der Kraft aller Sakramente leben, und wenn wir auch in schweren Zeiten dem Zentrum der Kirche nach Kräften treu bleiben, dann sind wir katholisch. Dann erst können wir jene, die es nicht sind, einladen, uns zu folgen. Dann wissen wir, was es bedeutet, katholisch zu sein. Dann können wir Zeugnis geben und können für das wichtige Ziel der Einheit der Christen beten. Dann wissen wir: Die Einheit ist erst dann erreicht, wenn wir alle zu dieser Mitte hingeführt haben, wenn alle durch diese drei Bande der einen wahren Kirche mit Christus verbunden sind und wenn alle den einen sicheren Heilsweg gehen, den die Kirche uns zeigt und den Christus all denen verheißen hat, die sich wahrhaft katholisch nennen und es sind!

Amen.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Predigt am Fest der Unbefleckten Empfängnis 2021 in Kloster Maria Engelport

Predigt am Fest der Unbefleckten Empfängnis 2021 in Kloster Maria Engelport

Msgr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Erlösungsbedürftigkeit – dieses Wort bringt das große Geheimnis des heutigen Tages besonders zum Ausdruck. Erlösungsbedürftigkeit ist die Eigenschaft, die das Menschengeschlecht besonders kennzeichnet und die von vielen empfunden wird. In der ganzen Geschichte der Menschheit haben wir uns klarmachen müssen, dass wir der Hilfe von oben bedürfen, dass wir allein uns nicht aus dem Schlamm unserer Sünde erheben können, dass wir in unserem Innersten verletzt sind, und dass wir der Hilfe Gottes bedürfen.

Diese geheimnisvolle Erlösungsbedürftigkeit geht zurück an den Anfang der Zeit, geht zurück an den Beginn der Schöpfung, geht zurück in jene Tage, als Gott selber unsere Voreltern, die ersten Menschen, mit den Namen Adam und Eva geschaffen hat und ihnen alles geschenkt hat, was seine Vatergüte uns Menschen geben kann. Unsere Voreltern waren nicht nur in natürlichem Sinn perfekte Menschen, denn in ihnen war die ganze Schönheit der Schöpferkraft der Gottheit gegenwärtig. Sie waren auch mit besonderen Gaben ausgestattet. So kannten sie nicht wie wir die ungeordnete Begierde, sie waren unsterblich, sie brauchten nicht zu leiden, und Gott hat ihnen, wie uns auch die heiligen Schriften berichten, ein besonderes Wissen verliehen, ein eingegossenes Wissen, das es ihnen möglich machte, über alle Geschöpfe zu herrschen. Darüber hinaus hat er ihnen auch übernatürliche Gnaden verliehen. Er wandelte mitten unter ihnen und sie durften mit Ihm sein. Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes voll der Gnade.

Diese ersten Menschen haben sich dann trotz aller Gnadengeschenke Gottes in einem Akt des Hochmuts, in einem Akt des Übermuts, von Gott getrennt, weil sie glaubten, dass alles das, was sie hatten, aus ihnen selber käme. Sie wollten sein wie Gott und sie haben sich abgewandt von Dem, der ihnen alles das gegeben hatte. In diesem Moment hat die Gerechtigkeit Gottes ihnen alle diese reichen Gaben nehmen müssen. Sie waren plötzlich dem Tode verfallen, sie waren in ihrem Geiste verdunkelt, sie mussten im Schweiße ihres Angesichtes ihr Brot verdienen, und Eva unter Schmerzen ihre Kinder gebären. Alles, was ihnen gegeben worden war, vor allen Dingen die Gnadenhilfe Gottes, wurde ihnen genommen, weil sie sich von Gott weg- und dem Teufel zugewandt hatten. Von da an war das Menschengeschlecht, wie es heute noch ist: erlösungsbedürftig. Von da an war es einem Fluch verfallen. Und jedes Mal, wenn sich das Menschengeschlecht wieder von Gott abwendet, und seine reichen Gaben ausschlägt, dann wird diese Erlösungsbedürftigkeit besonders deutlich. In einem Land, wo eine neue Regierung fast nur aus Apostaten und Religionslosen besteht, wo die meisten Staatsbürger sich von der Gnade Gottes abgewandt haben, wo daher die übernatürliche Liebe zusehends erkaltet, wird diese Erlösungsbedürftigkeit von neuem überdeutlich.

Was aber tut Gott? Er hätte das Recht gehabt und hat es immer noch, uns allein zu lassen. Er hätte das Recht gehabt, alles, was er geschaffen hat, wieder zu nehmen, ja, zu zerstören. Er hätte sich für immer beleidigt und im Zorne von uns wegwenden können. Was aber tut er? Er erfüllt Seinen ewigen Ratschluss: Er wendet sich nicht von uns ab, sondern er schafft eine neue Eva, ein wunderbares Geschöpf, er sendet einen neuen Adam, den er mit solchen Gaben ausstattet, dass der neue Adam nicht nur Mensch, sondern auch Gott ist, und seine jungfräuliche Mutter all die Gaben wiedererhält, die der Mensch verspielt hat. Nicht nur die Gabe, voll der Gnaden zu sein, sondern auch die Gabe, über den Tod und den Teufel zu triumphieren und ein höheres Wissen ihr Eigen zu nennen, um uns mit Ihrem Sohn retten zu können.

Der Herr selbst in seiner großen Liebe zum Menschengeschlecht, die wir nie wirklich verstehen können, wenn wir uns selber ansehen, schafft das Instrument der Erlösung. Er gibt ihm alles zurück, was wir verloren hatten, und mehr noch dazu, damit Maria als die neue zweite Eva das Ja sprechen konnte, das die erste Eva mit Adam verweigert hat. Sie wird als zukünftiger Tempel Gottes schon von Anfang an vor der Erbsünde bewahrt. Alle Folgen der Erbsünde werden ihr erspart, alles, was uns Menschen Gott nicht wohlgefällig macht, ist in ihr nicht vorhanden. Sie hat die Kraft, die Schönheit der ersten Schöpfung, und sie kann daher die gefallene Schöpfung mit ihrem freiwillig gesprochenen Ja wieder auf Gott hin ausrichten. Sie macht das nicht aus Zwang, sie macht es, weil sie sich in einem freiwilligen Akt der jungfräulichen Liebe dem Vatergott öffnet, dem wir unsere Herzen verschlossen haben. Sie wird dadurch das Tor, sie wird die einzigartige Frau, die stärker ist als alles Böse, und die wir auch heute, in diesen dunklen Zeiten, wieder anrufen können, wenn die Menschen sich von Neuem von Gott abwenden.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass nach dem Sündenfall, nach dem Verlust all dieser Gnaden und in den Krallen der Konkupiszenz, der ungeordneten Begierlichkeit, die Menschen sich von Gott abwenden. Sie haben es schon im Alten Testament immer wieder getan, und sie haben es auch, nachdem der Erlöser gekommen ist, immer von Neuem versucht. Doch wir sind jetzt unter einem großen Schutz. Unser Schutz ist dieses einzigartige Geschöpf, die neue Eva, die Unbefleckt Empfangene, die Gott aufgrund unserer Erlösungsbedürftigkeit vor aller Zeit in seinem Herzen getragen hat, die er, weil auch sie erlösungsbedürftig gewesen wäre, damit sie uns miterlösen kann, in Ansehung der Verdienste ihres Sohnes vorher erlöst hat. So kann sie uns durch Ihn geben, was wir brauchen: Die Hilfe von oben, die Gnade der ewigen Herrlichkeit, und die Gegenwart des erlösenden Schöpfergottes unter uns.

Wir können Maria deswegen nicht genug anstaunen. Wir können das Mysterium, das in ihr begriffen ist, niemals ganz ergründen. Sie ist nicht nur die Jungfrau von Nazareth, sie ist die ewige Frau, die die göttliche Weisheit schon immer vor Augen hatte, und die in die Welt gesandt worden ist, um uns Seinen Sohn zu schenken, den ewigen, allmächtigen Gott. In ihr – und so sehen wir es in der Apokalypse des Johannes – zeigt sich die ganze Macht der Gottheit. Selbst, wenn die Mächte der Unterwelt mit aller Kraft versuchen, die Kinder des menschgewordenen Sohnes Gottes zu zerstören: Sie ist zwischen ihnen und dem Bösen. Sie beschützt sie, denn in ihr wohnt die Kraft der Gottheit, die sie sich mitverdient hat durch jenes demütige, offene und freie Ja zu den Plänen Gottes.

Danken wir also am heutigen Abend Gott, dem allmächtigen Vater, dass Er weitergesehen hat als auf unseren Hochmut, dass Er sich nicht im Zorn von uns abgewendet hat. Dass wir aus eigener Schuld in der Erlösungsbedürftigkeit geblieben sind, und, da wir Sünder sind, immer wieder in sie zurückfallen, ist die eine Seite. Dass der Herr aber uns in dieser Bedürftigkeit nicht allein lässt, sondern uns eine Mutter gibt, eine ewige Mutter, eine Mutter, die uns in die Ewigkeit führen will, das ist die andere Seite der glorreichen Erlösung, die wir heute feiern. Alle Geheimnisse der Erlösung sind so miteinander verbunden. Und wenn wir die heilige Jungfrau, die unbefleckt Empfangene, die Braut des Heiligen Geistes heute sehen, dann sehen wie die Fülle der Geheimnisse Gottes in ihr: Sie ist wie ein Spiegel, in dem wir die Allmacht Gottes, die gekommen ist, um zu retten, was zu retten ist, bewundern und verehren können!

Amen.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Predigt vom Sonntag, dem zweiten Weihnachtstag 2021 in Kloster Maria Engelport

Predigt vom Sonntag, dem zweiten Weihnachtstag 2021 in Kloster Maria Engelport

Msgr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wer ist dieses Kind? Das ist die entscheidende Frage der Menschheitsgeschichte. Daran scheiden sich die Geister. Nicht erst heute, sondern bereits in der Zeit Christi, war das die Frage, die alles änderte. Will ich an dieses Kind in der Krippe glauben oder will ich mich von ihm abwenden und der Welt folgen?

Wer ist dieses Kind? Ganz eindeutig verkünden alle Propheten des Alten Testaments die Identität des Kindes in der Krippe. Das Kind, das von einer Jungfrau geboren worden ist, ist der Messias, den schon die großen Propheten Jesaja, Jeremias und Ezechiel vorhergesagt haben. Dieses Kind ist der Retter, auf den das Volk Israel gewartet hat. Als seine Eltern, Maria, seine Mutter, und Joseph, sein gesetzlicher Vater, in den Tempel kommen, wundern sie sich was alles über dieses Kind gesagt wird. Wieder erscheint ein Prophet und sagt ihnen: Das ist der Messias, an dem viele zu Fall kommen, das ist der Heiland, den das Volk Israel erwartet.

Das Volk Israel hatte aber noch eine begrenzte Auffassung der Aufgabe des Herrn. Viele erwarteten das äußere, politische Heil des Volkes. Sie wussten nichts von der Erbsünde. Sie wussten nicht, dass der Messias, dass dieses Kind in der Krippe eine viel weitergehende Aufgabe hat. In diesem weiteren Sinn ist ein wichtiger Ehrentitel, der dem Messias von den Propheten gegeben wurde, auch dem Herrn von den Aposteln gegeben worden, die an ihn glaubten. Als der Herr sich nämlich an die Apostel wendet und fragt: Für wen aber haltet ihr mich? Da gibt der Apostel Petrus die große Antwort: „Du bist der Christus, du bist der Gesalbte Gottes“! (vgl. Mt 16, 18-18). Damit bekannte er, dass Jesus, anders als die gesalbten Könige Israels, nicht nur mit heiligem Öl, sondern durch die Vereinigung der Menschheit mit der Gottheit mit dem Salböl Gottes, als Mensch mit der göttlichen Natur gesalbt worden ist. Jesus ist daher schon in der Krippe der endgültig Gesalbte, der göttlich Gesalbte, auf den alle Völker der Menschheit gewartet haben.

Wenn wir vor der Krippe stehen, dann sehen wir daher das Ebenbild des Gesalbten aller Zeiten. Wir sehen das Bild des göttlichen Kindes, das gekommen ist, um uns Heil zu bringen. Deswegen ist der große, der eigentliche Titel des Herrn, der des Erlösers, des Heilandes. des Immanuel, des Gott-mit-uns.  Wenn wir vor der Krippe stehen, sehen wir das Kind, das uns das Heil bringt. Das Kind, das uns von der Erbsünde erlöst. Das Kind, das die Sünde nicht nur hinwegnimmt, sondern uns auch mit seiner Gnade hilft, die bleibend ungeordnete Begierde in unserer schwachen Natur zu überwinden und nach Seinen Geboten zu leben. Das Jesuskind ist der Heilbringer, von dem wir allein das Heil erwarten können. Nichts Anderes wird dieser Welt den Frieden bringen als dieses Kind, das für uns in der Krippe liegt.

Deswegen hat schon die frühe Kirche diesem Heilbringer, demErlöser, den Immanuel, den großen Namen des Kyrios, des Herrn, beigelegt. Kyrie eleison, so beten wir in jeder heiligen Messe: Herr, erbarme dich unser. Vor uns in der Krippe liegt der Herr der gesamten Menschheit. Dort liegt der, vor dem sich alle Knie beugen müssen und dürfen. Dort liegt der, den wir alle als König verehren. Der König aller Könige hat sich zu einem schwachen Kind gemacht, damit wir wissen, dass die Majestät Gottes zu uns kommt in der Sanftheit, der Milde, der Güte und der Liebe eines Kindes. Der König, der uns mit seiner göttlichen Gewalt alle beherrschen könnte, macht sich ganz klein, damit wir keine Furcht vor ihm haben und damit der Titel Kyrios, Herr, nicht mit Zittern von unseren Lippen kommt, sondern mit jenem Vertrauen, das wir zu Dem haben, der uns das Heil gebracht hat.

Daher ist die letzte Antwort auf die Frage: Wer ist dieses Kind?, jene Glaubensantwort, die wir heute alle erneuern. Dieses Kind ist nicht bloß ein wahrer Mensch, dieses Kind in der Krippe ist Gott! Gott der Allmächtige, der mit seiner ganzen Kraft in Jesus Christus gegenwärtig ist. Gott, vor dem alle Furcht, vor dem alle Sünde, vor dem alles Böse weichen muss. Immanuel, Gott, der sich uns geneigt hat, der für immer mit uns ist! Das Kind in der Krippe ist Gott! Das ist die entscheidende Antwort, die alle Titel des Herrn, alle seine Ehrentitel, alle die Titel, die die Propheten vorausgesagt haben, zusammenfasst und vollendet. Christus ist Gott: Das war das Bekenntnis der frühen Kirche und ist das Bekenntnis der Kirche noch heute. Alles andere, was wir in der Kirche sagen können, tritt dahinter zurück. Es ist vielleicht von Bedeutung, aber vor dem Bekenntnis der Gottheit Christi sekundär. Wir alle, die wir hier vor dem Altare Gottes beten, sehen in diesem Kind jenen großen, allmächtigen, ewigen Gott, der aus der Stille der Ewigkeit zu uns gekommen ist und vor dem nichts Böses Bestand hat. Deswegen kann auch nur gerettet werden, wie der Herr immer wieder sagt, der glaubt, dass Christus der Sohn Gottes ist. So heißt es im 16. Kapitel des Markusevangeliums (Mk 16, 16): Nur wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden.

Deswegen ist es diese Frage, die allentscheidende Frage, die wir uns von dem Kind in der Krippe stellen lassen: Wer, glaubst du, bin ich? An diesem Weihnachtstag wollen wir unseren uns Rettung bringenden Glauben erneuern und Ihm sagen, indem wir in unsere Knie sinken: „Du bist der König, Du bist der Messias, Du bist der Immanuel, Du bist der Heiland, Du bist der Gesalbte. Vor allen Dingen bist Du der Herr, mein Gott; mein Gott, der Kind geworden ist, um mich zu erlösen und mit mir alle Menschen guten Willens“. Wenn wir diesen Glauben, den Glauben der Kirche aller Zeiten, heute erneuern, dann werden wir und viele andere mit uns durch den Herrn, der unser Gott ist, gerettet werden. Amen. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Predigt am Christkönigsfest 2021 in Kloster Maria Engelport

Predigt am Christkönigsfest 2021 in Kloster Maria Engelport von Msgr. Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

„Rex sum ego“ –  Ich bin König.

Diese Antwort unseres Herrn an Pilatus ist ganz eindeutig. Er ist König. Er ist nicht irgendein König. Er ist nicht ein König wie andere. Er ist DER König. Der Einzige, Großartige, der alles Beherrschende. Und doch hat Er kurz davor gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18, 36). Mein Reich ist nicht von dieser Welt, weil es anders ist, als das Reich aller Könige. Ist das nicht ein Widerspruch?

„Ich bin König“ (Joh 18,37) sagte der Herr.  In der Epistel hörten wir, warum Er König ist: Er ist „imágo Dei invisíbilis“ (Kol 1, 15). Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Nicht nur ein Abbild, sondern ein Ebenbild der göttlichen Wirklichkeit, weil Seine Menschheit ganz und im tiefsten Inneren von der Gottheit durchlebt ist, weil es zwischen Ihm und der Gottheit keine Vermischung und keine Trennung gibt, weil Er ganz Mensch und ganz Gott ist. So ist Er König und Herrscher nicht nur im Namen Gottes und als Gott selbst, sondern auch als der Mensch, der in diese Welt gekommen ist, um über den Tod und die Sünde zu triumphieren.

Durch Ihn, so heißt es weiter, „omnia in ipso creáta sunt…omnia in ipso constant“ (Kol 1, 16-17). Durch Ihn, den König, auch Seiner Menschheit nach, ist alles. Alles besteht durch Seine Macht. Würde Er auch nur einen Augenblick Seine königliche Hand von dem, was Er geschaffen hat, wegnehmen, so würde alles aufhören zu existieren. Wir hängen im Innersten unserer Welt von Seinem Königtum ab, einem Königtum, das einerseits milde ist, andererseits aber so stark, dass die ganze Existenz der Welt und aller Menschen in Ihm ihren Ursprung und ihren Bestand findet.

Dieser König aber ist ebenfalls „caput córporis Ecclésiae; Haupt des Leibes der Kirche“ (Kol, 1, 18). Sein Königtum ragt in diese Welt herein. Sein Königtum ist sichtbar. Nicht in den Reichen dieser Welt, nicht in der oft willkürlichen Macht der Regierenden, sondern in jenem Reich, dass Er selbst gegründet hat. Es ist das Reich der Kirche, das Seine Gottheit und die Macht Seiner rettenden Menschheit weiterträgt in die Geschichte. So kann Er mit Recht sagen: „Ja, ich bin König.“ Der König aller Dinge, der König und das Haupt der Kirche.

Damit verstehen wir besser, was das andere Wort des Herrn bedeutet: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt; Regnum meum non est de hoc mundo.“ Er betont dann noch einmal: „Mein Königtum ist nicht von hier.“ (Joh, 18, 36). Er hat Sein einzigartiges Königtum nicht durch Wahl erhalten. Er hat Sein universales Königtum nicht inne, weil alle damit einverstanden waren, dass Er König sein sollte. Er besitzt seine allumfassende königliche Gewalt aber auch nicht durch rein menschliches Geburtsrecht, obwohl er von königlichem Stamme ist und viele Könige zu seinen gesetzlichen Stammvätern hat. Er ist kein König von Volkes Gnaden, Er ist auch kein bloß menschlicher König von Gottes Gnaden. Er ist König von Ewigkeit her, denn er ist Gott! Er ist König aus der Einheit mit dem Vater!  Er ist König eines Reiches, dass größer ist als diese Welt. Sein Königtum ist eben ein Königtum, dass weiter ist, dass höher reicht und großartiger ist als alle menschliche Macht. Durch Ihn, durch Sein gottmenschliches Königtum reicht die Ewigkeit in diese Welt hinein.

Die Gesetze Seines Königtums sind nicht menschliche Gesetze, über die abgestimmt werden kann, sondern sie sind eherne Worte Gottes, an denen niemand vorbeikommt. Sein Königtum ist nicht das Königtum menschlicher Bestimmung, sondern ewiger göttlicher Macht. Deswegen wird dieses Königtum auch nicht durch unsere Zustimmung oder Ablehnung geändert. Jesus Christus ist immer König, als Gott und Mensch zugleich! Auch wenn sich alle von Ihm abwenden sollten, Sein Königtum bleibt bestehen und Sein Reich bleibt in der Kirche sichtbar bis zum Ende der Zeit. Auch wenn der Glaube weniger werden sollte, ist Er immer unter uns als Herrscher und König, selbst dann, wenn die Mehrheit es nicht wahrhaben will.

Im Lukasevangelium hat der Herr als Gleichnis gesagt, dass ein König hinging, um das Königtum über eine Stadt anzutreten, die klar als Sinnbild des großen Jerusalem erscheint, das den Messias ablehnt. Die Menschen dieser Stadt schickten eine Gesandtschaft gegen den König und sagten: „Wir wollen diesen König nicht“ (Luk 19, 14). Wie oft haben die Menschen in der Geschichte gesagt: „Wir wollen diesen König nicht“! Wie oft haben wir selbst durch unser Handeln gesagt: „Wir wollen diesen König nicht“! Oft genug wenden wir uns durch die Sünde vom ewigen Königtum Jesu Christi ab. Dabei sollen wir Zeugen des Königtums Christi sein, sind wir doch durch die Taufe gerufen, als treue Gefolgsleute unseres großen Königs zu leben. Ihm sollen wir dienen, nicht der Sünde!

Was können wir also tun, um dieses Königtum trotzdem durchzusetzen? Was können wir tun, um dieses Königtum in unserem Leben zu verwirklichen? Was können wir, die wir oft wenig öffentlichen Einfluss haben, dazu beitragen, damit der Herr König über die Herzen und über die Welt sein kann?

Ebenfalls im Lukasevangelium gibt Jesus selbst uns dazu einen eindeutigen Hinweis. Er sagt nämlich: „Regnum Dei intra vos est; das Reich Gottes ist in euch“ (Luk 17, 21). Wenn wir das Königtum Jesu Christi, dieses wahre und ewige Königtum, verwirklichen wollen, dann müssen wir begreifen, dass das Königreich Christi in unseren Herzen beginnt. Alle Gesetze der Welt und der Kirche sind für uns unnütz, wenn wir nicht das Königreich Jesu Christi in unseren Herzen errichten. Das können wir auch, wenn wir gar keine äußerliche Macht und keinen Einfluss haben. Wir sind in der Taufe Glieder des Königreichs Christi, der Kirche, geworden. Wir haben die königliche Gnade der Gotteskindschaft bekommen. Wir sind ein Volk von Königen!

Nun liegt es an uns, an jedem einzelnen von uns, dieses Königtum in unserem Inneren Wirklichkeit werden zu lassen. Leben wir so, dass wir Christus in allen unseren Handlungen sagen: „Ja, Du bist König. Ja, Du bist mein König. Ja, gegen alle Stimmen der Welt, die Dein Königtum ablehnen oder verleugnen, in meinem Herzen thronst Du als König. Deinen Geboten will ich folgen und wenn ich gefallen bin, dann will ich wieder aufstehen und Deinem Feldzeichen weiter folgen! Ich weiß, dass ich ohne dieses Königtum nicht leben und nicht sein kann! Ohne meinen König Jesus Christus ist alles ohne letzten Sinn!“

Deswegen klagen wir nicht dauernd über den Zustand der Welt und der Kirche, ohne etwas zu tun: Wir sind vielmehr berufen, uns selbst zuerst für Christus zu entscheiden. Wollen wir dem Herrn eine Gesandtschaft entgegenschicken und Ihm sagen: „Wir wollen nicht, dass Du König bist“?  Oder wollen wir uns, wie die heilige Jungfrau, zu seinen Füßen werfen und sagen: „Ich bin Deine Magd, bin Dein Diener, sei der König meines Herzens, sei der König meines Lebens. Sei der König aller meiner Taten und Gedanken“?

Wenn wir das tun, dann wächst das Königreich Jesu Christi in uns. Ebenso wächst damit aber das Königreich Jesu Christi um uns. Dann werden wir tatsächlich eine neue Welt gestalten, die in unserem Herzen beginnt. Dann werden auch wir trotz unseres scheinbar so geringen Einflusses die Gesellschaft langsam verändern können, diejenigen beeinflussen, die der Herr uns gegeben hat, und ihnen zeigen können: „Da ist der König! Der Einzige, der alles in der Hand hat. Der Einzige, der alle Krisen und Krankheiten und Katastrophen überwinden kann. Der Einzige, der uns Vertrauen in dieser Welt gibt, weiterzugehen auf dem königlichen Wege, der direkt zu Seinem Throne führt.“

So verstehen wir, dass es keinen Widerspruch zwischen den zitierten Herrenworten gibt. Ja, der Herr ist wirklich DER König, doch Sein Königtum ist nicht von dieser Welt, denn es ist größer, ewiger und herrlich. Wir aber, obwohl wir äußerlich gesehen fast alle keine Fürsten, keine Prinzen, keine Regierenden und keine Könige sind, wir sind eingeladen durch die heilige Taufe und die Firmung Könige zu werden durch Ihn, mit Ihm und in Ihm. Dazu wir müssen Ihm unser Herz täglich neu öffnen! Wir müssen Ihn in unserem Herzen wohnen lassen und Ihm jedem Tag aufs Neue durch Gedanke, Wort und Tat versichern: „Ja, ich glaube, dass Du der Weg, die Wahrheit und das Leben bist. Du bist DER König des Universums und MEIN König! Regiere über mich und mach mich zu einem Deiner Gefolgsleute!“ Amen.