Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolph Michael Schmitz am Hochfest Allerheiligen 1. November 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wenn wir die große Schar der Heiligen sehen, die uns gerade die Vision des hl. Johannes vor Augen gestellt hat (Offb 7, 2-12), jene unzählbare Menge aus allen Völkern, Stämmen und Nationen, dann werden wir uns wohl still fragen: „Werden wir eines Tages dazugehören dürfen?“ Die Bedingung dazu ist eindeutig: Wir müssen auf Erden heilig werden wollen. Wenn man nicht wenigstens den grundsätzlichen Wunsch hat, Gott in allem zu gefallen und seinen Willen zu tun, wird man auch nicht durch das Fegefeuer in die Ewigkeit eintreten können.

Wie aber wird man heilig? Wie sind alle diese Abermillionen Menschen, die um den Thron Gottes stehen, in ewiger Glückseligkeit, und Ihn lobpreisen dürfen, heilig geworden? Wie machen wir das? Gibt es ein Rezept zur Heiligkeit?

Zunächst einmal ist klar, dass wir allein gar nichts machen können. Wir können immer nur mit dem Geschenk der Heiligkeit, das von Gott kommt, mitarbeiten. Dieses Geschenk der Heiligkeit aber hat ein jeder von uns bereits in der hl. Taufe und in der Firmung empfangen. Die Hl. Schrift sagt es oft genug, indem sie alle Christen Heilige nennt. Wir sind bereits heilig durch das Wirken des Allmächtigen Gottes in uns. Er hat in der Taufe die Bedingungen für die Heiligkeit geschaffen, indem Er uns von der Erbsünde befreit und mit allen Gnaden ausgestattet hat, die ausreichend sind, um die ewige Herrlichkeit zu erlangen.

Aber natürlich sind wir schwache Menschen. Wir müssen uns jeden Tag neu vornehmen, diesen großen Gnaden, die wir empfangen haben, auch innerlich zu entsprechen. Alles, was Gott uns geschenkt hat, sind Talente, mit denen wir wuchern müssen. So wie es dem Priester in der Priesterweihe gesagt wird, so sagt es die mütterliche Stimme der Kirche uns allen jeden Tag in der hl. Messe: ‚Werde, was du bist! Du bist heilig, aber lebe nach dem Stande der Heiligkeit, die dir geschenkt worden ist.‘

Das ist für jeden möglich, denn die Gnade verlässt uns nie mit ihrer inneren und äußeren Hilfe. Wenn wir die fundamentalen Gegebenheiten des christlichen Lebens ernst nehmen, dann können auch wir der Heiligkeit, die uns geschenkt ist, entsprechen. Wenn wir tatsächlich die einfachen Gebote Gottes zu halten versuchen, zunächst einmal das der Gottesliebe, indem wir immer wieder um die Gnade der Heiligkeit beten und darum, dass wir mit dieser Gnade wirklich entschlossen mitarbeiten, wird uns der konkrete Beistand Gottes nicht fehlen. Jeden Tag zu beginnen mit dem Gebet, während des Tages an Gott zu denken, ihm eine Zeit des Gebetes zu widmen und den Tag dankbar mit einem Gebet zu beschließen ist ein Zeichen wachsender Heiligkeit. Der sonntägliche Messbesuch und, wenn wir können, der Messbesuch in der Woche ist ein Zeichen dafür, dass wir Gott lieben wollen. Wir wollen Ihm geben, was Ihm gebührt, nämlich jene Ehre, die auf den Altären der heiligen Kirche im Opfer Christi täglich gepriesen und gemehrt wird.

Aber nicht nur die Gottesliebe, auch die Nächstenliebe ist für die Heiligkeit unverzichtbar. Eines der größten Zeichen der Nächstenliebe ist, dass wir dem anderen von Herzen zu verzeihen versuchen. Wir alle haben etwas zu verzeihen, wir alle sind enttäuscht worden, uns allen hat man Unrecht getan. Folgen wir dem Herrn, der Quelle aller Heiligkeit, und verzeihen wir von Herzen. Auch wenn böse Gedanken immer wieder in uns aufsteigen wollen; wenn wir nur den Versuch machen, wieder neu zu verzeihen, dann wird die Verzeihung als ein Geschenk der Gnade in unser Herz ziehen.

 Mit dem Verzeihen sollen wir den anderen auch Gutes tun, auch denjenigen, die uns vielleicht nicht sympathisch sind. Wir sollen vor allen Dingen den Armen Almosen geben, damit wir das, was wir haben, mag es auch nicht viel sein, als Gottesgeschenk mit den anderen teilen. Wenn wir das tun, dann haben wir bereits einfache, aber solide Fundamente der Heiligkeit gesetzt.

Wenn wir, jeder dort, wo er hingestellt ist, unsere Standespflichten leben, sind wir auf dem Weg der Heiligkeit. Jeder soll seine eigenen Aufgaben treu erfüllen. Eine Mutter kann nicht den ganzen Tag in der Kirche zubringen. Sie wird sich um ihre Familie und um die Pflichten des Haushalts kümmern müssen. Ein Vater kann nicht jeden Tag in die Messe gehen, weil seine Arbeit das oft nicht erlaubt. Aber wenn beide das, was ihnen aufgetragen ist, gut und von Herzen verrichten, um Gottes und der Familie willen, dann sind alle diese täglichen Pflichten Wege zur Heiligkeit.

 Den Priester, der seine Pflichten erfüllt, finden wir am Altar und im Beichtstuhl; wir finden ihn beim Gebet, dem stellvertretenden Gebet für die vielen, die nicht beten können oder wollen. Besuche bei Alten, Kranken, Hilfsbedürftigen, die Vorbereitung der Predigt, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, oft auch administrative oder akademischen Arbeiten, alle diese Aufgaben führen auch den Priester zur Heiligkeit durch die Erfüllung seiner Standespflichten.

Jeder wird heilig dort, im Großen und im Kleinen, wo Gott ihn hingestellt hat. Suchen wir nicht das Besondere. Die vielen Heiligen, die uns vorausgegangen sind, waren nicht alle große Helden, nicht alle berühmte Könige, nicht alle große Ordensleute. Viele, die uns vorausgegangen sind, waren wie wir, Menschen des alltäglichen Lebens, der oft mühsamen Pflichterfüllung, der täglich wiederkehrenden Leiden und Prüfungen, und sind dadurch heilig geworden, dass sie einfach mit Gottes Willen mitarbeitend  ihre Standespflichten in Beruf und Familie erfüllt haben.

In allem aber suchen wir den Willen Gottes!  Oft meint heute Freiheit, bloß zu tun, was man will. Die wirkliche Freiheit jedoch ist, als Christ die Freiheit zu haben, nämlich die Freiheit des Herzens und der Seele, das zu tun, was Gott um unseres Heiles willen von uns will. Wenn wir jedes Mal, wenn wir vor einer wichtigen Entscheidung stehen, zuerst Gott bitten: ‚Zeige mir, was ich tun soll‘, dann wird uns die Gnade nicht fehlen, den richtigen Weg zu gehen. Zu unserem Besten wird Gott uns auch durch Härten und Leiden dahinführen, wohin wir gehen sollen, wenn wir nur die gute Absicht, seinen Willen zu tun, immer erneuern. In allem wird der Heilige zuerst den Willen Gottes finden wollen und dann seinen eigenen Willen dem Willen Gottes angleichen. Das können auch wir, denn Gott gibt uns seine Gnaden reichlich.

Heute ist viel davon die Rede, dass wir die Kirche verändern müssen. Wir müssen nicht die Kirche verändern. Dazu sind wir nicht berufen. Der Herr hat die Kirche gestiftet und Er allein hat die Vollmacht, das, was nötig ist, in ihr zu verändern, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Dabei geht er vorsichtig und schrittweise vor, immer aber bewahrend und mehrend, nie zerstörend und revolutionierend, wie die Kirchengeschichte zeigt.

Wir aber sollen nicht die Kirche verändern, wir müssen uns selbst verändern!  Wir müssen dort, wo unser Verhalten noch nicht der Heiligkeit in unserer Seele entspricht, dieses Verhalten ändern wollen. Gott hilft, wenn wir wollen, und er schenkt uns dieses Wollen aus seiner Gnade. Die Voraussetzung, mit Gott mitzuarbeiten auf dem Wege der Heiligkeit, ist von unserer Seite eine ständig erneuerte Veränderungsbereitschaft. Wir wollen deshalb ein Fundament der Heiligkeit nicht verschweigen, ohne das niemand heilig werden kann, nämlich die Demut. Wir können weder Gott wirklich lieben, noch dem Nächsten dienen, noch unsere Standespflichten erfüllen, noch in Allem den Willen Gottes suchen, noch uns zum Guten verändern, wenn wir nicht versuchen, von Herzen demütig zu sein. Wir müssen uns verändern, nicht die anderen, nicht die Kirche, nicht die Gebote Gottes! Das können wir nicht, wenn wir nicht annehmen, was Gott uns selbst gesagt hat: „Wenn ihr alles getan habt, dann sagt: Wir sind unnütze Diener“ (Luk 17, 10).

Wenden wir uns in diesem Monat besonders an die Gottesmutter, die mit großer Demut, obwohl sie die Königin des Himmels und der Erde ist, sich immer dem Willen Gottes unterworfen hat und immer wusste, dass nur Seine Gnade sie zu dem gemacht hat, was sie ist: Die Königin der Heiligen und der Engel. Wenn wir uns an sie wenden, wird sie uns die Veränderungsbereitschaft erflehen, Gottes Willen zu tun, auch dann, wenn es schwer ist. Nehmen wir wie Maria die kleinen und großen Leiden und Verfolgungen, die in keinem christlichen Leben fehlen werden, aus Seiner Hand an als Instrument für unsere Reinigung, dann werden wir heilig! Denn wirklich, es sei  nochmals gesagt, es ist nicht schwer heilig zu werden, weil wir nicht alleine sind:  Gott, die Gottesmutter und alle Heiligen stehen uns zur Seite! Der Schatz der Heiligkeit ist uns schon geschenkt! Nehmen wir ihn an, nehmen wir alles an, was Gott uns schenken will, und Er wird die Heiligkeit, die wir bereits in Taufe und Firmung erhalten haben, zum Strahlen bringen.  Dann werden wir durch Seine Gnade mit unübersehbaren Scharen aus allen Völkern, Nationen und Stämmen in die Stätte ewiger, unendlicher Heiligkeit einziehen und mit ihnen allen singen: „Heilig, heilig, heilig bist Du, Herr, Gott Sabaoth, jetzt und in Ewigkeit“. Amen.

Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolph Michael Schmitz am Christkönigsfest 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Instaurare omnia in Christo. Alles in Christus wiederherstellen!“ Dieser Aufruf ertönt durch den hl. Paulus im ersten Kapitel des Epheserbriefs (Eph 1, 10). Der große heilige Papst Pius X. hat ihn zu seiner Lebensmaxime gemacht. Alles in Christus wiederherstellen! Diese Restauration, diese Wiederherstellung aller Dinge in Christus ist das Ziel und der Sinn unseres gesamten Christentums, unserer gesamten Religion. Restauration meint hier nicht, etwas Verstaubtes aus der Vergangenheit wieder hervorzuholen, meint nicht, irgendeine überkommene Form um ihrer selbst willen wieder zu erneuern, sondern meint, die göttliche Wirklichkeit, die bereits existiert, zu erkennen und anzuerkennen, damit sie die Herrschaft über alle Dinge ausüben kann. Diese Herrschaft der göttlichen Wirklichkeit fasst sich in dem Titel zusammen, den Pontius Pilatus dem Herrn heute in Form einer Frage gegeben hat: „Also bist Du doch ein König?“. Die Antwort des Herrn ist eindeutig: „Ja, ich bin ein König“ (Joh 18, 36-37). Der Herr wird nicht von uns zum König gemacht. Sein Königtum ist kein Wahlkönigtum, kein Königtum, das durch Erbe auf ihn übergegangen wäre, sondern Er ist König durch sich selbst. Was wir heute wieder anerkennen müssen, ist diese Königsherrschaft, die Herrschaft unseres Herrn über alle Dinge!

Zunächst einmal ist der Herr König, weil Er vor aller Zeit und immer schon Gott ist. Er ist König, weil Er in der Einheit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit jenem ewigen Königtum herrscht, das Gott, der Schöpfer aller Dinge, durch sein Wesen besitzt. Dieses Königtum hat weder Anfang noch Ende, denn es ruht im Sein des Trinitarischen Gottes.

Der Herr ist aber vor allen Dingen König des geschaffenen Universums und aller Geschöpfe, weil Er diese königliche Gottheit mit der Menschheit, die Er angenommen hat, verbinden konnte. Seine ganze Menschheit ist durch die königliche Kraft der Gottheit durchwoben. Er ist in jedem Augenblick Seiner Existenz der große König, nicht nur als Gott, sondern als Mensch, und Er herrscht vom Kreuz herab über uns alle.

Er ist gottmenschlicher König! Er ist König, so haben wir gesagt, vom Kreuz herab. Er ist König geworden, weil der Vater Ihn in die Welt gesandt hat, um mit Seinem Blut die Königsherrschaft Gottes über die Welt wieder herzustellen. Der Herr ist nicht nur wesenhaft König. Er ist es auch durch Sein Wirken, das uns als gottmenschliches Handeln aus der Sünde retten konnte, um uns die Ewigkeit zu verdienen. Er hat uns mit Seinem königlichen Erlösertod am Kreuz ein so großes Geschenk gemacht, dass wir es nur als königlich bezeichnen können.

König aber ist Er nicht nur durch Seinen verdienstvollen Kreuzestod, der uns gerettet hat, sondern auch dadurch, dass Er nicht aufhört, uns Seine königlichen Geschenke zu geben. Er sendet Seine Gnade weiter in diese Welt hinein! Dafür hat Er als der König von Himmel und Erde ein Reich gestiftet, in dem Sein Königtum sichtbar fortdauert, nämlich die Kirche. In ihr gibt uns Christus, gegenwärtig im Allerheiligsten Altarsakrament, als König weiter alle Gnaden, die wir brauchen, um an Seinem Königtum teilhaben zu können. Durch die Sakramente sind wir selbst ein Volk von Priestern, Königen und Propheten geworden, weil Er uns als König nicht nur gerettet hat, weil Er uns nicht nur wiederhergestellt hat in dem, was wir verloren hatten, sondern weil Er uns auch erhoben hat zu Mitherrschern in Seinem Reich. Der Herr ist also König auch deswegen, weil Sein Königtum in die Welt hineinreicht und weil es in der Kirche weiterlebt, die Ihn auf ihren Altären als den gegenwärtigen König verehrt.

Schließlich aber ist Er König, weil am Ende dieser Welt, ob wir wollen oder nicht, ob wir uns Seinem Königtum unterwerfen oder nicht, Sein Königtum machtvoll offenbar werden wird. In Seinem endgültigen Kommen wird allen offenbar werden, dass Er bereits König ist und dass Er unabhängig von allem menschlichen Willen für immer herrschen wird. Er wird kommen als der Richter über die Lebenden und die Toten, wie wir im Glaubensbekenntnis beten. Er wird herrschen und Er wird uns richten, weil Er die königliche Vollmacht hat, jeden nach seinen Taten zu richten, der in dieser Welt als Sein Geschöpf lebt.

Deswegen ist Sein Königtum nicht nur ein Königtum, das von Anfang an bestanden hat, es ist nicht nur ein Königtum, das diese ganze Welt umfasst, in der Er als Schöpfer, Erlöser, Wiederhersteller und Begnader herrscht, sondern Er ist auch König, weil Er alles vollenden wird. Was der hl. Paulus wünscht: „Omnia restaurare in Christo“, alles in Christus wiederherzustellen, wird am Ende der Welt unfehlbar geschehen. Niemand kann das verhindern, denn Christus ist bereits der siegreiche König des Universums. Es ist jetzt unsere Wahl und unsere freie Entscheidung, ob wir dann an dem Reich des Königs teilhaben wollen. Denn Er ist gekommen, um uns zu erlösen und Er wird uns nicht erlösen gegen unseren Willen. Die königliche Gabe, die der Herr uns geschenkt hat, unsere geschöpfliche Freiheit, kann sich seiner Herrschaft verschließen, auch in alle Ewigkeit. Darin liegt unsere tatsächliche Größe, aber auch unsere mögliche Tragik. Nur wenn wir uns Ihm ganz frei öffnen, kann er uns mit Seiner Gnade krönen zur Teilhabe an Seinem Reich!

Am heutigen Christkönigsfest sollen wir uns daher von Neuem entscheiden. Auch uns fragt Pontius Pilatus, fragt damit die gottferne Welt: „Dann bist Du doch ein König?“ Antworten wir mutig auch jetzt: „Ja, ich bin ein König!“, denn wir wollen teilhaben am Reich des Erlösers. Dass wir uns nicht wie die Welt von Christus abwenden, dass wir nicht versuchen, uns ein eigenes Königtum mit uns selbst als König zu schaffen, sondern dass wir Sein Königtum, das ewig ist, das gegenwärtig ist und das für immer dauern wird, von ganzem Herzen anerkennen, ist Sinn und Ziel unseres Lebens.  Laden wir ihn heute ein, König unserer Herzen zu werden, damit Er nicht nur in der Zukunft herrscht, nicht nur in der Ewigkeit, sondern hier und jetzt in unseren Herzen und in unserer Mitte, also in der heiligen Kirche, deren lebendige Steine wir sind!

Unterwerfen wir uns, jeder einzelne, Seinen königlichen Geboten von Neuem. Es sind keine schweren Gebote, es sind keine unerträglichen Gebote. Er gibt uns immer die Gnade, diese Gebote zu halten, wenn wir uns nur dieser Gnade öffnen. Er gibt sie uns von Neuem, wenn wir schwach geworden sind. Unser König ist ein gnädiger König, Er ist ein barmherziger König, Er ist ein König, dessen Königreich alle einladen will, zu der einen Herde unter einem Hirten zu gehören. Öffnen wir unsere Herzen, sagen wir zu Ihm: „Ja, Herr. Mit der Ewigkeit, in der Du für immer thronst, mit der Gegenwart, die unter Deinem Befehl steht, und mit der Zukunft, die Dir gehört, wollen auch wir Dein königliches Volk sein.“

Dann wird geschehen, was der große Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Arcanum Divinae sapientiae schon 1880 gesagt hat: „Nicht nur die Übernatur wird uns geschenkt werden, sondern auch unsere schwache, menschliche Natur wird erhoben werden, die christliche Kultur wird in unseren Familien herrschen, wir werden schon wieder unverdient, aber als treue Untertanen dieses großen Königs Geschenke erhalten, die uns glücklich und in der Zukunft selig machen.“ Amen

Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 15. Sonntag nach Pfingsten, dem 18. September 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wozu dient eine starke Medizin, etwa eine Chemotherapie? Dazu, dass sich der Kranke unmittelbar besser fühlt? Wohl kaum. Denn wir wissen aus vielen Erzählungen, dass es solchen Kranken oft danach für eine Zeitlang eher schlechter geht. Dient eine solche starke Medizin dazu, dass man allen Leiden aus dem Weg geht? Im Gegenteil. Eben gerade die Nebenwirkungen der Medizin können Leiden schaffen und können den Kranken noch lange begleiten. Dient eine solche Medizin der allgemeinen Beruhigung? Auch das kann man wohl nicht behaupten, denn manche Kranke werden erst dadurch, dass man ihnen eine solche Medizin verschreibt, so richtig darüber aufgeklärt, wie krank sie sind. Sie werden nicht beruhigt, sondern beunruhigt und versuchen deswegen die Medizin so zu nehmen, wie sie vorgeschrieben ist.

Das gleiche könnte man vom Geschenk des Glaubens sagen. Der Glaube ist wie eine starke Medizin. Eine Medizin, die uns das Leben rettet und ohne die keiner gerettet werden kann. Aber eine Medizin, von der man nicht behaupten kann, dass sie unser Leben unmittelbar einfacher macht, denn sie stellt uns vor neue Herausforderungen, denen wir ein ganzes Leben lang gerecht werden müssen. Sie macht unser Leben auch nicht ruhiger, denn wir wissen plötzlich aus dem Glauben heraus, dass nicht ein ruhiges Hier und Jetzt unser Ziel ist, sondern dass wir uns anstrengen müssen, um das wirkliche Ziel unseres Lebens zu erlangen, nämlich die glückselige Ewigkeit. Schließlich kann man ebenso nicht sagen, dass der Glaube alle Leiden wegnimmt. Er schafft in der Familie oder in der Gesellschaft uns oft Kreuze und Leiden; aber er hilft uns, ohne diese Kreuze immer verschwinden zu lassen, diese zu umfassen und um Jesu willen zu tragen.

Der Glaube jedoch ist, anders als eine gewöhnliche Medizin, ein unmittelbares Geschenk Gottes. Er wird uns gegeben, ohne dass wir etwas dazu getan hätten. Er ist sogar ein doppeltes Geschenk!

Zunächst schenkt uns Gott den Glaubensakt, jenen Akt des Vertrauens, den die Gnade in uns erweckt, mit dem wir an Jesus Christus glauben und Sein Wort sowie die gesamte Offenbarung Gottes umfassen. Niemand kann sich diesen Glauben selbst geben. Und selbst der geschickteste Apologet, der klügste Priester kann ganz vergeblich auf einen Menschen einreden und mit ihm argumentieren, wenn Gott nicht die Glaubensgnade gibt, denn dann werden auch die besten Argumente keine Früchte tragen. Der Glaube als Glaubensakt, das Vertrauen in den sich offenbarenden Gott, den Erlöser, ist ein Geschenk Seiner freien Gnade, um das wir für uns und andere nur bitten können.

Was wir jedoch glauben, der Glaubensinhalt also, ist ebenso ein Geschenk der freien Gnade Gottes. Gott hat in seiner Offenbarung, ohne dass wir etwas dazu tun können, uns alles gegeben, was wir brauchen: Göttliche Wahrheit, die von oben kommt, geheimnisvolle Wahrheit, die der Mensch nicht erfinden kann, rettende Wahrheit, die uns als einzige wirklich zum Heile führt. Wenn uns Gott die Gnade gibt zu glauben, dann beschenkt er uns zweimal, mit dem Geschenk des Vertrauens und mit dem Geschenk der geoffenbarten Wahrheit, die das Glaubensvertrauen umfasst.

Wenn wir aber den geoffenbarten Glauben vertrauensvoll umfassen, wenn wir die starke Medizin annehmen, die Gott uns anbietet, um gerettet zu werden, dann wird unser Glaube mit der Zeit das, was die Theologie die fides formata nennt, jener Glaube, der sich mit der Liebe vereint. Dort, wo der Glaube steril bleibt, wo er nur im Kopf residiert und das Herz und den Willen nicht umfasst, da wird er nicht zur fides formata, da kann er nicht die Kraft der wirklich göttlichen Medizin entfalten. Wir müssen den Glauben gewiß immer mehr hinsichtlich des Wissens vertiefen, wir müssen ihn aber auch immer besser leben und mithilfe der hl. Sakramenten der Kirche alle Hindernisse dieses christlichen Glaubenslebens ausräumen.

Wenn unser Glaube – mit Gott und Seiner Gnade mitarbeitend – ein ganzes Leben lang immer mehr durch die Liebe geformt wird, dann wirkt er umgestaltend: Er wird nämlich ein Herzensglaube, der unser Leben bestimmt. Erst dann wird er eine wirksame Medizin zur Gesundheit der Seele und des Leibes!  Dadurch wird er uns nicht alle Beunruhigung nehmen, er wird unser Leben nicht immer einfacher machen, er wird die Kreuze daraus nicht verschwinden lassen, aber er wird alles ändern. Unser Leben wird nicht mehr oberflächlich im Hier und Jetzt „verplempert“, sondern hat plötzlich einen Sinn, ein Ziel, eine Kraft, die eben nur der Glaube, dieses ganz freie Geschenk Gottes, uns geben kann.

So wird dem Glaubenden jenes Geschenk zuteil, das dem Sohn der Witwe von Naim gegeben worden ist, wie wir gehört haben (vgl. Luk 7, 11-16). Er erhält ein neues Leben! Ohne den Glauben ist unsere Seele tot, ohne den Glauben kann sie sich nicht retten, ohne den Glauben wird sie verloren gehen. Wenn wir das Geschenk des Glaubens erhalten, dann berührt uns der Herr und sagt zu uns: „Surge! Steh‘ auf!“ Dann stehen wir auf, nicht zu einem bequemen Leben, sondern zu einem christlichen Kampf!  Die Medizin wird uns nie wieder weggenommen, sondern Christus bleibt mit Seiner Glaubensverkündigung in der Kirche an unserer Seite und hilft uns, nicht nur den eigenen Glauben zu bewahren, zu stärken und zu einem Herzensglauben formieren zu lassen, sondern ihn durch das Zeugnis unseres Aufstehens im Glauben auch weiterzugeben an die Menge, die sonst bloß um unsere Bahre hilflos herumgestanden wäre und nichts hätte tun können. Wenn wir aber Glaubenszeugnis geben, dann werden auch die anderen sehen, dann Berührt der Herr auch sie, dann sagt Er auch zu ihnen: „Steh‘ auf!“. Durch das Zeugnis des Glaubens schenkt Er auch ihnen den Glauben der Bekehrung, wie in der Geschichte der Kirche an den großen Konvertiten tausendmal kraftvoll gezeigt.

Wir haben den Glauben erhalten, er ist eine starke Medizin, aber wie alles, was zum Leben führt, dürfen wir ihn nicht für uns behalten, sondern wir dürfen ihn weitergeben, damit aus der großen Masse derjenigen, die der Beerdigung unserer ehemals christlichen Gesellschaft folgt, doch  wieder eine Masse von Gläubigen wird, die das wahre Leben feiert, das Derjenige, der den Glauben schenkt, den Gläubigen nicht nehmen wird. Amen.

Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz, am Fest Mariae Himmelfahrt, dem 15. August 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Vollendung! Das meint: Etwas ganz abschließen. Etwas vollkommen machen. Etwas perfekt zu Ende bringen. Jeder Mensch wünscht sich das von seinem Leben; es ist der Grund vieler unserer Arbeiten und Mühen; wir sehen es manchmal in den großen Kunstwerken der Welt. Der Mensch strebt nach endgültiger Vollendung!  Wir machen aber täglich in unserem eigenen Leben die Erfahrung und merken an dem, was andere geschaffen haben, dass Vollendung menschenunmöglich ist. Wir können nichts wirklich vollenden!

Selbst die größten Künstler, und gerade sie, sind nie ganz zufrieden, wenn sie ein Werk geschaffen haben, weil sie wissen, es zeigt nicht jene letzte Vollendung, die sie erstrebt haben. Es gibt sogar drei große Symphonien, eine von Schubert, eine von Mahler und, ganz letztlich von anderen zusammengestellt, eine von Beethoven, die alle drei heißen „die Unvollendete“. Der hl. Thomas von Aquin hat sein großes Jahrtausendwerk, die Summa Theologiae, nicht vollenden können. Auch ein Michelangelo Buonarotti ist an der Vollendung des berühmten Grabmals für Papst Julius II. gescheitert. Wir merken auch in unserem Leben, dass nichts vollkommen, nichts vollendet ist; selbst wenn wir uns viel Mühe geben, sehen wir nachher: Irgendetwas fehlt immer!

Deswegen stellt uns heute die Kirche vor, was Gott vollendet. Denn alle wirkliche Vollendung kommt einzig von Ihm. Er hat alles am Anfang vollendet geschaffen. Wir Menschen haben dann durch unsere Sünde dieses vollendete Werk in Unordnung gebracht. Damit wir aber nicht in dieser Unordnung des Unvollendeten bleiben, Stellt Er uns heute mit der Kirche jenes große, vollendete Werk vor Augen, das Er selbst geschaffen hat, um die Welt wieder zu vollenden: Die Unbefleckt Empfangene Jungfrau und Gottesmutter Maria!

Sie ist die ganz Vollendete. Schon im Mutterschoß ohne Sünde empfangen, von Anfang an als eine neue Schöpfung gebildet, an der kein Makel ist, hat sie für uns die Hoffnung auf die Vollendung Gottes neu erschlossen. Sie hat in ihrem ganzen Leben an der Vollendung der Schöpfung, an der Neuschöpfung in Christus mitarbeiten können, weil sie schon im Mutterschoß ganz vollendet war. Nicht durch eigene Kraft, sondern durch die Gnade Gottes, ist sie, die schon Vollkommene, dann Muttergottes geworden, hat den für immer und ewig vollendeten, einzigen Sohn des Allmächtigen Vaters empfangen und hat Sein Erlösungswerk, das die gefallene Menschheit wieder auf die Vollendung zuführt, treu mitgetragen. So ist sie nicht nur jungfräuliche Mutter des Gottmenschen, sondern auch Miterlöserin unter dem Kreuz und Spenderin aller Gnaden, die Ihr Sohn uns um unserer Vollendung willen verdient hat.

Schließlich aber, und das feiern wir heute, wird die Konsequenz dieser doppelten Vollendung der Gottesmutter sichtbar: Weil sie ohne Sünde empfangen war, hat sie auch die Folgen der Sünde, den leiblichen Tod und die Verwesung, nicht wie wir erfahren. Sie hat, von der Gnade Gottes bewegt, sich in den Himmel erheben können mit Leib und Seele. Ohne Schmerzen, ohne Leiden, ohne all die Konsequenzen der Sünde, die wir erleben. Sie ist aufgenommen worden in die Herrlichkeit des Himmels und thront nun als die apokalyptische Frau, als ein Zeichen der endgültigen Vollendung, in der Herrlichkeit Gottes, als bleibendes Zeichen der Hoffnung für uns.

Wir könnten nun sagen: Das alles ist so vollendet, das ist so göttlich, das ist so weit entfernt und herrlich, das hat mit uns nichts zu tun. Doch alle Zeichen der Vollendung, die Gott uns gibt, haben mit uns zu tun. Denn Er will, dass wir Hoffnung haben auf Vollendung, Er will, dass wir selbst uns wünschen, vollendet zu werden. Er will uns hineinziehen in Seine Vollendung und beschenkt uns daher mit seiner Hilfe. Denn auch wir sind zur Vollendung bestimmt, obwohl wir Sünder sind.

Das erste wirkmächtige Zeichen der Gnade der Vollendung, das wir bekommen, ist für uns die Taufe. Wir bringen die Sünde mit in die Welt, aber das Erlösungswerk Jesu Christi geht weiter und weil Gott will, dass wir vollendet werden, wird die Sünde uns in der Taufe weggenommen und die Vollendung der Taufgnade in der Bezeichnung im Hl. Geist in der Firmung bestärkt und erneuert. Auch wir sind wie die Gottesmutter erwählt, auch wir dürfen durch Gnade auf Vollendung hoffen!

Deswegen sind wir in unserem ganzen Leben wie die Gottesmutter berufen, mit dem Erlösungswerk Jesu Christi mitzuarbeiten. Das ist ein wichtiger Grund unseres sonntäglichen Messbesuches. Sicher schulden wir diese Verehrung dem vollendenden Gott, aber wir brauchen den sonntäglichen Kirchgang auch für uns selbst, um vollendet zu werden, um in der Sünde nicht stecken zu bleiben, um das, was uns geschenkt ist, immer weiter vergrößern zu können, um tatsächlich mitzuwirken mit Gott, damit wir und andere gerettet werden. Wenn die Kirche uns sonntags ruft, am Hl. Opfer teilzunehmen, dann will sie unsere Vollendung. Es ist kein äußerer Zwang, es ist eine liebende Aufforderung, die Sünde zu überwinden und Gott, dem Allmächtigen, zu folgen, um gerettet zu werden.

Schließlich, wenn die Stunde kommt, die auch Maria auf ihre Weise erlebt hat, die Stunde des Scheidens, dann sind wir wiederum nicht allein gelassen. Gott, der Vollender, hat uns das Sakrament der Krankensalbung gegeben und wir sollten niemals zögern, wenn einer von uns krank ist, den Priester zu rufen, um den Kranken salben zu lassen, wie es in der Hl. Schrift heißt (vgl. Jak 5, 14-15). Wir alle sind bis zum Schluss unvollendete Menschen, alles, was wir hinterlassen, ist Stückwerk und von der Sünde irgendwie geprägt. Gott aber will uns vollenden. Deswegen ist die Kirche die Einzige, die sich in der Stunde des Todes, noch bis auf die Schwelle jener Verabschiedung in die Ewigkeit mit uns vor Gott hinstellt, uns salbt, uns die Sünden vergibt und uns vorbereitet für den allentscheidenden Moment, in dem das Gericht der Vollendung für uns endgültig wird.

Bereiten wir uns auf diesen Moment vor, so wie die Gottesmutter sich ein ganzes Leben trotz Ihrer Sündenlosigkeit vorbereitet hat. So dürfen wir in der Hoffnung leben, wenn wir gut vorbereitet sterben, dass auch wir an dieser Vollendung teilhaben werden, dass auch wir, wenn auch nicht sofort mit Leib und Seele, in den Himmel aufgenommen werden können, wahrscheinlich durch das Sühneleiden des Fegefeuers hindurch, aber doch für die Vollendung bestimmt.

Deswegen feiern wir heute die Gottesmutter. Sie ist das große Zeichen unserer eigenen Vollendung. Sie ist das große Zeichen dessen, dass Gott uns in unserer Unvollendetheit nicht allein lässt. Sie ist das große Zeichen der Mütterlichkeit, die sich uns neigt, wenn wir nicht mehr wissen, in unserem Stückwerk und in unserer Sündhaftigkeit, was wir tun sollen. Wir sind nie allein. Wir sind ganz am Anfang für die Vollendung geschaffen. Gott gibt uns unser ganzes Leben hindurch durch unsere Erwählung als Christen unzählige Hilfen, um unser Stückwerk und unsere Erbärmlichkeit zu überbrücken. Und schließlich öffnet er uns, wieder durch das Wirken der Kirche und das Gebet der Gottesmutter, die wir täglich um diese Gnade anflehen, den Himmel, um sich unserer zu erbarmen.

Haben wir keine Angst, die Gottesmutter steht immer an unserer Seite. Sie wird uns auch weiter anleiten und an der Hand nehmen, um uns zur Vollendung Gottes zu führen. Jeder von uns ist ein Schatz in den Augen Gottes. Jeder von uns ist ein hier noch unvollendetes Kunstwerk seiner Gnade. Im Jenseits aber soll er vollendet werden, er soll, wie alle Heiligen und alle Erwählten, an der Seite der Gottesmutter die Vollendung der Ewigkeit für immer dankbar besingen, jene Vollendung, deren Schönheit, deren Glanz, deren außergewöhnliches Strahlen wir uns hier nicht vorstellen können, für die wir aber alle geschaffen sind. Bleiben wir an der Seite der Gottesmutter! Sie führt uns zu Christus, sie vollendet uns mit Ihm und damit werden wir in Seiner Glorie sein, für immer und ewig. Amen.

Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolph Michael Schmitz, Äußere Festfeier des Heiligsten Herzens Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Ökosysteme: Wir hören allenthalben davon, dass es wichtig ist, sie aufrecht zu erhalten. Man spricht uns so viel von den Ökosystemen der Natur, dass wir es schon fast gar nicht mehr hören können. Trotzdem ist es sicher wahr, dass unser Planet klein geworden ist, dass das, was in einem Land geschieht, auf die anderen einen großen Einfluss hat. Wenn irgendwo ein großer Vulkan ausbricht, dann mag sich hier das Wetter ändern. Wenn in einem Land die Luft verschmutzt wird, dann hat das einen Einfluss auf die ganze Gegend. Wenn irgendwo Tiere oder Pflanzen in großem Ausmaß getötet werden, dann wird das ganze Gleichgewicht der Natur gestört. Der Vandalismus der Menschen, die die Natur nicht mehr als Geschenk Gottes ansehen, macht es nötig, Ökosysteme zu schützen!

Viel wichtiger aber als die Ökosysteme der Natur sind die Ökosysteme der Seelen. Gott hat am Anfang alles, die Natur und die Krone der Schöpfung, den Menschen mit Leib und Seele, in einem perfekten Gleichgewicht geschaffen. Alles lief damals nach seinem göttlichen Willen! Überall war Harmonie, Einheit und Liebe. Das Ökosystem der Seelen aber und damit auch schließlich das Ökosystem der Natur ist zerstört worden durch eine einzige Sünde, durch eine Abwendung der Menschheit von Gott in Hochmut und Undankbarkeit. Und seither, obwohl Gott in Seiner großen Liebe, die Er zu uns besitzt und die niemals aufhört, immer wieder eingegriffen hat, obwohl Er uns Mahner geschickt hat, Propheten und Verkünder Seines heiligen Willens, haben die Sünden der Menschen, die im Letzten auf den Hochmut und die Undankbarkeit zurückgehen, das feine Ökosystem der Seelen geschädigt.

Heute sehen wir es deutlich, im ganzen Westen: Kleine Gruppen von Menschen, die sich anscheinend ganz vom Ökosystem Gottes für die Seelen abgewandt haben, kleine Splittergruppen, die statt dem Willen Gottes der Widernatur, der Perversität, der Abnormalität und damit dem Bösen folgen, können das ganze große Gleichgewicht, um das sich die Kirche im Namen Gottes jahrtausendelang bemüht hat, in Unordnung bringen. Sie können ganze Gesellschaften in die Dekadenz herabgleiten lassen und sie können das Böse, was sie im Kleinen tun, auf große Mengen der Gesellschaft übergreifen lassen, weil das Gleichgewicht Gottes zerstört ist. Wenn dieses Gleichgewicht, das Gott am Anfang gut und harmonisch geschaffen hatte, uns selbst, den Sündern überlassen wäre, dann würde die Waage des Bösen sich tief, ganz tief herunterneigen, dann wäre es bereits zu spät!

Dann aber ist das geschehen, was wir nicht erwarten durften, weil es ein freies Gnadengeschenk des allmächtigen Gottes ist. In diese Waagschale, die schon ganz dem Bösen zugeneigt war, hat Er ein Herz geworfen, das Herz Seines Sohnes, das durch das große Geheimnis der Menschwerdung das Herz Gottes selbst geworden ist. Gott selbst hat in Christus ein Herz angenommen, um das Gleichgewicht unserer Herzen wieder herzustellen. Er selbst hat Sein sündloses Herz geopfert, um die Sünde zu zerstören und damit die Waage der Harmonie zwischen Seinem Willen und unserem Willen wieder tatsächlich in die Einheit Seiner göttlichen Herrlichkeit zu bringen. Wenn Gott Sich nicht entschlossen hätte, tatsächlich ohne unser eigenes Zutun, ohne jeden Verdienst der Menschen Sein Herz öffnen zu lassen, dann wäre das Gleichgewicht der Erde für immer verloren gewesen. Nicht nur das Ökosystem der Seelen, sondern auch das Ökosystem der Natur!

Wir wissen, dass Gott Sein Herz geöffnet hat, wir wissen, dass Er uns damit den unergründlichen Reichtum seiner Liebe zeigen wollte, wir wissen, dass aus Seinem Herzen Blut und Wasser geströmt sind, das Blut, das gegenwärtig bleibt auf unseren Altären in jeder hl. Messe und das Wasser der Sühne, Versöhnung und Vergebung, das uns in einem unendlichen Strom in den Sakramenten der Taufe, der Krankensalbung und der Beichte immer wieder angeboten wird. Durch das Blut und Wasser aus Seinem offenen Herzen wird alles gereinigt, wird alles wieder hergestellt, wird die große Waage des Universums wieder zurück in den Willen Gottes balanciert. Und dadurch werden wir alle fähig, dem Bösen, das im Kleinen zerstörerisch wirkt, im Kleinen, nämlich in unserem Leben, die große Gnade Gottes entgegenzusetzen.

Mach, dass mein Herz werde wie Dein Herz! Das sollen wir jeden Tag beten, damit auch unser Herz in die Waagschale des Guten geworfen werden kann. Damit das, was wir im Kleinen, im Unscheinbaren, in unserem täglichen Leben an Liebe zeigen, an Nächstenliebe und Gottesliebe, das Böse zurückdrängen kann. So wird die Waage, in der schon für unser Heil das Herz Jesu sein wollte, noch mehr dem Guten zuneigen, weil wir durch das große Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes das ergänzen können, was an den Leiden Jesu Christi noch fehlt, wie uns der hl. Paulus dieses Geheimnis der stellvertretenden Wiedergutmachung erklärt (vgl. z. B. Kol 1, 24).

Alles, was wir in unseren Herzen nach dem Willen Gottes tun, wird die Normalität wieder herstellen, wird das Perverse zurückdrängen, wird das Unnatürliche natürlich machen und wird die Vielen, die vom Teufel verführt, durch unsere Sünden skandalisiert oder sonstwie dem Weg des Glaubens der Kirche entfremdet sind, retten und ihr Herz umgestalten, wenn wir nur bereit sind, unsere Herzen umgestalten zu lassen.

Das priesterliche Herz Jesu Christi ist ein Herz, das stellvertretend für uns alle gelitten hat. Besonders wir Priester müssen in einem Leben des Opfers und der Entsagung diesem Wege folgen! Nur dann wird das priesterliche Herz Jesu Christi in der Kirche wieder für alle sichtbar werden. Beten sie deswegen für die Priester und für gute Berufungen!  Denken Sie aber auch daran, dass auch Sie alle in der Taufe zu dem einen Volk von Priestern, Königen und Propheten gehören, dass auch Ihr Herz ein königliches Herz geworden ist, und dass alles, was sie in Ihrem Herzen nach dem Willen Gottes tun, ein großes Gewicht hat.

Das Heiligste Herz Jesu wird das Gleichgewicht wieder herstellen, weil es ein Gleichgewicht der Gnade ist, die uns geschenkt ist. Zögern wir keinen Augenblick, den Willen Gottes in unserem Herzen täglich zu tun und immer wieder durch die Sakramente zu erneuern, wenn wir gefallen sind. Vereinigen wir unsere Herzen mit dem Herzen Jesu, so wie die Herzen Mariens und Josephs mit Ihm vereinigt waren. Rufen wir mit der ganzen Kirche am heutigen Tag, damit das Gleichgewicht des göttlichen Ökosystems der Gnade wieder hergestellt wird und das Gute über das Böse siegt: Herr, mach mein Herz zu Deinem Herzen, gestalte mich um und mache mich neu! Amen.

Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Fest der hl. Anna, dem 26. 7. 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Es scheint so zu sein, als würden die meisten Menschen unfähig sein, auch nur über ihre Nasenspitze herauszublicken. Voraussicht ist eine seltene Tugend. Das Vorsorgen für Notlagen und für viele andere Dinge ist uns scheinbar nicht angeboren. Wir sehen es heute, wenn wir in die Schlagzeilen blicken. Die Politiker scheinen jeden Tag neu überrascht und finden niemals die richtige Lösung; auch sie sehen nicht über ihre Nasenspitzen hinaus, auch sie scheinen keine Voraussicht zu kennen.

Gott ist ganz anders! Er ist die Vorsehung. Er ist die Vorausschau. Er sieht alles, weil alles Ihm gegenwärtig ist, ohne Grenzen von Raum und Zeit. Er plant alles im Kleinsten voraus und sorgt voraussehend in Zeit und Ewigkeit dafür, dass sein Plan verwirklicht wird. So weiß heute die Naturwissenschaft, dass diese Welt nicht wie ein Uhrwerk einfach mechanisch funktioniert, sondern dass Gott in den allergrößten Dingen wie auch im Allerkleinsten alles genau lebendig und zielgerichtet geordnet hat, vorausschauend auf das menschliche Leben, das Er auf diesem Planeten, der nicht im Weltall verloren ist, sondern der von Anfang an in Seinen Plänen im Mittelpunkt stand, hervorrufen wollte. Er hat alles auf dieses Leben hin geschaffen, alles darauf hin fein geregelt, alles darauf hin geplant und vorausgesehen. Alles, was hier passiert, was geschehen ist und noch geschehen wird, ist im Geist Gottes jetzt schon und immer schon gegenwärtig. Er ist Voraussicht, Er ist göttliche Vorsehung, Er ist das Ewige Jetzt!

Wenn Er aber schon auf diesem Planeten das natürliche Leben, Seine Schöpfung und schließlich das menschliche Leben, die Krone der Schöpfung, im Allerkleinsten vorausplant und begleitet, wenn alles, was dazu geführt hat, schon vor unvordenklichen Zeiten in Seinem göttlichen Geist gegenwärtig ist, wie sehr plant Er nicht voraus, was alles hinsichtlich der irdischen Geburt Seines eingeborenen Sohnes auf dieser Erde geschehen sollte. Nichts ist Zufall, nichts ist von ungefähr geschehen, nichts mechanisch, alles ist schon vor aller Zeit vom göttlichen Geist vorausgesehen und vorausgeplant! Daher sind auch die hl. Anna und der hl. Joachim in ihrer Lebensgeschichte so im göttlichen Heilsplan verankert, dass ihr Leben ein wichtiger Teil dessen ist, was zu dem wichtigsten Ereignis in der ganzen Heilsgeschichte führen sollte, nämlich zur Geburt Jesu Christi, des Erlösers.

Als die hl. Anna feststellte, dass sie scheinbar steril war, hat sie nicht aufgehört zu beten. Wie jede Frau war sie darüber tieftraurig, wie jede Frau wollte sie ihrem Mann ein Kind schenken. Sie wusste, dass es wahrscheinlich nicht möglich sein würde, aber trotzdem hat sie das Beten und das Gottvertrauen nicht aufgegeben. Sie hat immer wieder von Neuem den Tempel besucht, sie hat sich vorbereitet auf das Wunder, das Gott in ihrem scheinbar abgestorbenen Schoß wirken sollte.

Der hl. Joachim hat diese von Gott vorausgesehene Tatsache nicht ganz so leichtgenommen. Als er eines Tages zum Tempel ging, um dort zu opfern, so wie es ihm vorgeschrieben war, hat ihn der diensthabende Priester weggeschickt und ihn verhöhnt, weil er ein kinderloser Mann war. Das hat er sich so zu Herzen genommen, dass er nicht mehr zu Anna zurückgekehrt ist, sondern sich in der Wüste verkrochen hat bei seinem Vieh, und die hl. Anna in ihrem Kummer allein gelassen hat. Diese aber hat nicht aufgehört zu beten. Ja, sie hat angesichts dieses Ereignisses, vielleicht auch, um zu klagen, den Tempel aufgesucht und ihre Bemühungen verstärkt, Gott dazu zu bringen, sie zur Mutter zu machen. Sie hat Ihm sogar die Frucht ihres Leibes, die noch gar nicht empfangen war, geweiht und gleichsam schon weggegeben, was sie noch nicht erhalten hatte. Da hat Gott eingegriffen! Er hat beiden himmlische Boten gesandt. So ist es dazu gekommen, dass sie sich vor den Toren Jerusalems getroffen haben, dass Anna nach neun Monaten doch noch ein Kind gebären konnte und als Mutter der hl. Jungfrau die Großmutter des Erlösers werden konnte.

Gott hat das alles vorausgesehen. Er hat vorausgesehen, dass die hl. Anna trotz ihres Alters empfangen würde. Er hat vorausgesehen, dass Anna zu Ihm beten und erhört werden würde, wie sie immer gehofft hatte. Selbst der hl. Joachim begriff ganz zum Schluss, dass er in seiner Traurigkeit und in seinem Fluchtversuch schon ein Instrument der Vorsehung Gottes war.

Wir tun manchmal Dinge, wenn uns das Gottvertrauen verlässt, die wir selbst nicht begreifen können. Wenn wir aber zurückkehren zu Gott, dann sehen wir plötzlich, dass das alles doch im Plane Gottes war, denn Gott kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben. Hätte die hl. Anna nicht in ihrer scheinbaren Sterilität immer wieder darum gebetet, ein Kind zu bekommen, dann wäre die Mutter Christi nicht geboren worden. Hätte Joachim nicht seine Pflicht im Tempel erfüllt und dadurch eine tiefe Kränkung erhalten, die aber die hl. Anna noch mehr dazu gebracht hat, in ihrem Gottvertrauen zu Gott, dem Allmächtigen zu beten, dann wäre dieses Wunder nicht geschehen. Gott hat das alles schon immer gewusst und in seinem großen Plan gesehen.

Wenn wir also in Schwierigkeiten aufhören zu vertrauen und zu beten, wenn wir uns von Gott abwenden, wenn wir uns mit mangelndem Vertrauen nicht mehr an Ihn wenden, dann durchkreuzen wir Seine Pläne. Wir durchkreuzen Seine Vorsehung, die vielleicht aus unserem Leiden, aus unserer Dunkelheit, aus unseren Schwierigkeiten schon lange und vor allen Zeiten vorhatte, etwas Größeres geschehen zu lassen, so wie es bei der hl. Anna war.

Die hl. Anna hat jedoch noch mehr getan. Sie hat das, was sie erhielt, Gott schon vorher versprochen und dann tatsächlich weggegeben. Sie hat nicht behalten wollen, was Gott ihr geschenkt hat, sondern sie hat es Ihm zurückgegeben. Sie hat aus der hl. Jungfrau Maria eine Tempeljungfrau gemacht, die schon im allerzartesten Alter in den Tempel zurückgebracht wurde. Nur dadurch hat sie ihre unversehrte Jungfräulichkeit immer behalten können. Sie hat nur dadurch den hl. Joseph kennengelernt, weil die Tempeljungfrauen, wenn sie verheiratet wurden, auf eine besondere Weise ihren Bräutigam finden konnten. Sie hat nur dadurch dem wunderbar gewollten Heilsplan Gottes entsprechen können, dass die hl. Anna so großzügig war, das Geschenkte nicht zu behalten, auch wenn es ihre einzige Tochter war.

Wenn wir deswegen behalten wollen, wenn wir uns an etwas klammern, wenn wir nicht loslassen wollen und nicht weggeben wollen, dann sind wir auch oft dabei, die Pläne Gottes und Seiner Vorsehung zu durchkreuzen. Wenn wir darunter leiden, dass uns etwas genommen wird, ein geliebter Mensch, eine Situation, die Gesundheit, Haus, Hof, Hab und Gut oder was es immer sein mag, so hat Gott hat auch damit schon einen Plan. Wenn wir das Liebgewonnene weggeben, wenn wir wegschenken, was uns am Herzen liegt, wenn wir es wenigstens innerlich Ihm überlassen, wenn wir uns davon frei machen, dann wird Er uns eine größere Gnade schenken und Seine Vorsehung wird in uns mächtiger gegenwärtig werden als mit unseren kleinen, oft so spießigen menschlichen Plänen.

Wie die hl. Anna sollen wir ein großes Herz haben; wir dürfen mit Vertrauen auch in dunklen Stunden beten. Wenn uns Gott dann aber beschenkt, dann wollen wir es nicht geizig für uns behalten, was Er uns gibt, sondern es weitergeben, damit Gott etwas noch Größeres daraus mache und das Tor zur Gnade weit öffnet, wie er es mit der Tochter Annas, der Allerseligsten Jungfrau Maria getan hat, damit der Erlöser in die Welt kommen kann. Mit ihrem großen Gottvertrauen lehrt uns die Großmutter des Herrn, wie wir immer voraussehend tätig sein sollen.

Nicht die menschliche, kleine Voraussicht, so nötig sie sein mag, ist es, die uns wirklich retten kann. Es ist vielmehr große Weitsicht Gottes, die über menschliches Kalkül herausgeht! In allen Prüfungen und Dunkelheiten liegt ein Plan Gottes! Haben wir Vertrauen, glauben wir, dass Er es besser weiß als wir, auch wenn wir leiden müssen. Dieses Leiden ist bereits im Leiden Jesu Christi aufgehoben und wird einem größeren und erhabeneren Ziel dienen. Wenn wir etwas behalten wollen, wenn wir egoistisch sind, dann können wir nicht frei mit der großen Vorsehung Gottes mitarbeiten. Sind wir dagegen großzügig, sind wir offen und frei so wie Er, dann werden wir zu Instrumenten der Gnade und wir werden wie die hl. Anna, die hl. Jungfrau und der Herr selbst am Heil dieser Welt mitwirken.

An diesem Ort wird die hl. Anna seit 800 Jahren verehrt. Seit 800 Jahren kommen hierhin Mütter, die um eine gute Geburt flehen. Seit 800 Jahren ist die Großmutter noch vor der Mutter hier Gegenstand der Verehrung gewesen. Seit 800 Jahren haben hier fromme Gottesfrauen gewohnt, die ihr Leiden dem Herrn anvertraut haben im ewigen Gebet und die alles weggegeben haben, damit die Vorsehung in ihnen und durch sie Großes bewirken kann. Das war alles beschlossen im weiten Plan Gottes! Deswegen sind unsere Anbetungsschwestern zurückgekommen! Deswegen ist Maria Engelport wieder ein Gnadenort für viele geworden! Deswegen können wir hier jeden Tag den Finger der göttlichen Vorsehung erkennen! Wir können lernen, auch an den Leiden, die der Erhalt eines solchen Klosters immer mit sich bringt, dass Gottes Pläne größer sind. Wir alle brauchen ein großzügiges Herz. Wir brauchen jemanden wie die hl. Anna, die niemals aufhört zu beten, die niemals aufhört zu vertrauen und die Gott alles gibt, was sie hat. Wir müssen selbst mit der Gnade so mitwirken wie die Großmutter des Herrn. Dann wird die barmherzige Vorsehung Gottes uns und diese Welt retten! Amen.

Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 17. Juni 2022 anlässlich des Besuchs des Reliquienschreins der Hl. Therese von Lisieux

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

Was ist ein Kirchenlehrer? Normalerweise stellt man sich dabei einen würdigen Bischof vor, einen großen Theologen, der viele Bücher geschrieben hat, die man kaum in zahlreichen Bänden zusammenfassen kann, jemanden, den alle kennen, wie den hl. Augustinus, den hl. Thomas von Aquin oder auch den Patron des Institutes, den hl. Franz von Sales; Kirchenlehrer sind in aller Munde und beeindrucken durch ihre Autorität, ihr großes Wissen, ihre bischöfliche oder akademische Würde uns alle.

Auf den ersten Blick ist die hl. Theresia von Lisieux nichts von alledem. Sie ist, könnte man fast sagen, ein kleines, junges Mädchen, das, ganz schüchtern noch und doch mit einer großen Berufung versehen, schon mit fünfzehn Jahren mit einem besonderen Dispens und dem Segen Papst Leo‘s XIII. ausgestattet, in den Carmel eintritt. Sie lebt darin nur neun Jahre und stirbt schon mit vierundzwanzig an einer schrecklichen Form der Tuberkulose. Sie hat niemals etwas veröffentlicht. Es gab zu Lebzeiten keine Schriften von ihr und auch keinen Band über ihre Verdienste, keine berühmten Artikel und schon gar keine Predigten. Als sie 1897 starb, war sie zunächst fast nur ihren Mitschwestern bekannt.

Trotzdem wurde sie, – in den Zeiten der Kirche gedacht – nur kurz darauf, nämlich im Jahr 1925 zur Ehre der Altäre erhoben, 1927 die Patronin aller katholischen Missionen und schließlich 1997 vom hl. Johannes Paul II. auch zur Kirchenlehrerin erklärt. Wie kommt es, da sie doch so untypisch ist, wie kommt es, da sie doch zu Lebzeiten nichts veröffentlicht hat, dass die Kirche sie als eine große Lehrerin für alle Gläubigen verehrt?

Sie wird zur Kirchenlehrerin durch das katholische Leben, durch den kleinen Weg zur Heiligkeit, den sie uns eröffnet hat, und zwar durch ihr Beispiel, durch die „Geschichte einer Seele“, die erst nach ihrem Tode aus ihren Aufzeichnungen veröffentlicht wurde, durch ihre Gespräche und Korrespondenzen, die ebenfalls erst ihre Mitschwestern herausgegeben haben.  Sie hat in der Tat gelehrt, aber so, wie sie gelebt hat: auf eine bescheidene, kleine und zurückhaltende Weise.

Trotzdem ist am heutigen Tag gut, dass in erster Linie nicht der Prediger spricht, sondern diese große Kirchenlehrerin, denn sie lehrt uns den kleinen Weg zur Heiligkeit, den jeder erlernen kann, der gut für jedes Leben ist: den Weg der einfachen Demut, der tiefen Hoffnung, des festen Gottvertrauens und der tätigen Gottesliebe.

 Hören wir, was sie zur wahren Demut uns zu sagen hat. Sie schreibt: „Es scheint mir, dass, wenn eine kleine Blume sprechen könnte [hier meint sie sicher sich selbst], sie einfach erzählen würde, was Gott für sie getan hat, ohne zu versuchen, ihre Segnungen zu verbergen. Sie würde nicht unter dem Vorwand einer falschen Demut sagen, dass sie nicht schön und ohne Parfüm ist, dass die Sonne ihre Pracht weggenommen hat und dass der Sturm ihren Stamm gebrochen hat, denn sie weiß, dass das unwahr ist. Die Blume, die ihre Geschichte erzählen will, freut sich darüber, die völlig unentgeltlichen Geschenke Jesu bekannt machen zu können. Sie weiß, dass nichts in ihr selbst in der Lage war, die göttlichen Blicke auf sich zu ziehen, denn allein Seine Barmherzigkeit brachte alles Gute in ihr zustande.“

 Die wahre Demut, so lehrt die hl. Theresia von Lisieux, will, dass man sich der vielen Geschenke erfreut, die Gott uns gegeben hat. Wir alle haben solche Geschenke empfangen, wir alle sind getauft, wir alle sind gefirmt, wir alle sind mit Gnaden des Hl. Geistes reich ausgestattet, jeder hat seine Talente und Gaben. Im Kampf des täglichen Lebens vergessen wir das zu oft. Wir klagen, wir machen uns wichtig, wir denken, dass es nur auf uns selbst ankommt und sind nicht zufrieden. Aber, wenn wir der hl. Kirchenlehrerin folgen, dann wissen wir ohne falsche Demut, dass jeder von uns auf seine je eigene Weise alles empfangen hat, was er braucht, um heilig zu werden und dass wir viele Gaben besitzen, die wir täglich an andere weitergeben dürfen.

Diese Demut ist die Voraussetzung der Heiligkeit. Sie ist nicht die falsche Demut, die so tut, als käme alles von uns und die sich dann gleichsam klein zu machen versucht, um doch gelobt zu werden, sondern es ist die richtige Demut, die weiß, alles kommt von Gott. Und alles, was wir empfangen haben, auch der wunderbare heutige Tag zu Ehren der Kirchenlehrerin, sind Geschenke Gottes, für die wir mit der hl. Theresia nur ein ganzes Leben danken können.

Das aber macht die hl. Theresia auf ihrem Weg zur Heiligkeit auch zur Lehrerin einer tiefen Hoffnung. Lassen wir sie wieder selber sprechen. Sie sagt: „Selbst, wenn ich alle möglichen Verbrechen auf meinem Gewissen hätte, bin ich sicher, dass ich nichts von meinem Vertrauen verlieren sollte. Untröstlich vor der Umkehr warf ich mich einfach in die Arme meines Erlösers, denn ich weiß, wie sehr er den verlorenen Sohn liebt. Ich habe gehört, was er zu Maria Magdalena, zu der Frau, die beim Ehebruch genommen wurde, und zur Samariterin gesagt hat. Niemand kann mir mehr Angst machen, weil ich weiß, dass ich über Seine Barmherzigkeit und Seine Liebe nichts setzen darf, ich weiß, dass im Handumdrehen all diese tausenden von Sünden wie ein Tropfen Wasser verbraucht würden, der in ein loderndes Feuer geworfen wird.“

Das ist die wahre Hoffnung, die die hl. Theresia reich besessen hat und die sie uns lehren kann. Es sind nicht unsere Sünden, die uns zurückhalten, heilig zu werden, denn wir können die Sünden in den Beichtstuhl tragen und alles wird wieder wie neu. Es ist unsere mangelnde Hoffnung!  In dem Moment, wo wir sagen, diese Heiligkeit ist nicht für mich, sie ist nur für ein paar Ordensfrauen oder für einige Priester, dann haben wir schon nicht mehr die kindliche Hoffnung der hl. Theresia von Lisieux. Gott kann alles gut machen! Auch wenn wir alles falsch gemacht haben, Sein Erbarmen, Seine Barmherzigkeit und Seine Vergebung, die er uns im Sakrament der hl. Beichte immer wieder schenkt, gibt uns die feste Hoffnung, dass auch wir, wie er uns verheißen hat, für die Heiligkeit geschaffen sind.

Deswegen hat die hl. Theresia von Lisieux uns auch das Beispiel eines unverbrüchlichen Gottvertrauens gegeben. Wir alle haben in unserem Leben dunkle Zeiten erlebt. Wir wissen, dass wir leiden müssen, wir wissen, dass wir sterben müssen, wir haben alle schon in unserem Leben Angst gehabt und gerade in solchen Momenten haben wir die Versuchung, Gott nicht mehr zu vertrauen. Dazu sagt die hl. Theresia: „Trotz allem fühle ich, dass ich voller Mut bin. Ich bin sicher, dass Gott mich nicht verlassen wird. O, ich möchte Ihm, Jesus, nichts verweigern, obwohl ich mich traurig und manchmal allein auf dieser Erde fühle. Er bleibt doch immer bei mir. Und hat die heilige große Theresia nicht gesagt: ‚Gott allein genügt?‘“

Dieses Gottvertrauen hat sie gelebt nicht nur in den Stunden der Zurücksetzungen im Klosterleben, die Gott jeder Ordensfrau schenkt, damit sie in der Heiligkeit wachsen kann, nicht nur in  Momenten der schweren Krankheit, die ihr unendliche Schmerzen bereitet hat, sondern auch dann, als Gott sie durch die sogenannte dunkle Nacht hat schreiten lassen und ihren Glauben bis an die Grenze der Verzweiflung geprüft hat, auch in diesen Jahren hat sie das Gottvertrauen nicht verlassen, hat sie sicher gewusst: ‚Ich bin ein Kind Gottes und im Namen Gottes kann ich alles.‘

Dadurch wird schließlich ihr Leben eine Schule der tätigen Gottesliebe. Sie war eine kontemplative Schwester. Sie hat viel und oft vor dem Allerheiligsten gebetet. Sie hat mit den anderen Schwestern, so wie unsere Schwestern hier in Engelport, das hl. Offizium gesungen. Vergessen wir aber nicht, dass in jedem Kloster die tätige Gottesliebe bei den Mitschwestern anfängt. Sie hatte es dabei nicht einfach. Sie hat immer wieder, auch wenn es Zurücksetzungen gab und Schwierigkeiten, ihre große Liebe bewiesen. So sehr, dass sie alle Kreuze, kleine wie große, aus der Hand Gottes angenommen hat. Sie konnte auf dem Sterbebett sagen: „Seit meinem dritten Lebensjahr habe ich Gott nichts verweigert.“

Wenn wir in der einfachen Demut des Beschenktseins leben, wenn wir die Hoffnung auf die Allmacht Gottes nicht aufgeben, trotz unserer Sündhaftigkeit, wenn wir immer ein festes Gottvertrauen haben und darum beten, auch in dunklen Stunden, dann wird auch uns die Möglichkeit gegeben, Gott zu lieben. Nicht oft mit dem inneren Hochgefühl, das zu leicht mit der Liebe verwechselt wird, sondern mit jener Treue, die in jeder Ehe, in jeder Freundschaft, in jeder geistlichen Kommunität die wahre Liebe beweist. Jeder von uns, der die Treue zu Gott und zu der Berufung hält, die Gott ihm gegeben hat, zeigt wahre Gottesliebe.

Diese Gottesliebe trägt Früchte und wird tätig, tätig um uns herum, tätig durch unser Beispiel, tätig durch unsere Familien, tätig überall da, wo wir nicht aufgeben. Deswegen ist die kleine hl. Theresia, obwohl sie ihren Konvent in neun Jahren niemals verlassen hat, zur Patronin der Mission geworden. Denn Liebe will sich schenken: Bonum diffusivum sui! Je mehr wir lieben, je mehr wir vor allem Gott lieben und verehren, desto mehr werden wir umgestaltet in Christus und desto mehr können wir fruchtbar werden, durch unseren gelebten Glauben und unser christliches Beispiel, wie die hl. Theresia. In allen harten Stunden, in den großen Kreuzen, auch der nagenden Glaubenszweifel, die Gott ihr auferlegt hat, in allem, was sie ertragen und erdulden musste, hat sie niemals aufgehört, Gott mit kindlichem Herzen zu lieben, mit einfacher Demut, tiefer Hoffnung und festem Gottvertrauen ist sie eine Zeugin der tätigen Gottesliebe geworden. So hat sie mit ihren letzten Worten und ihrem letzten Atem sagen können: „Mein Gott, ich liebe Dich.“

Beten wir heute zu dieser großen Kirchenlehrerin, die uns einen kleinen Weg der Liebe gelehrt hat, der aber in Wirklichkeit ein ganz großer Weg ist, auf dem wir alle emporsteigen können zu Gott. Beten wir, dass auch wir Gott mehr lieben, dass auch wir in der Nächstenliebe noch tätiger werden und dass wir in der einfachen Demut des Beschenktseins, in der tiefen Hoffnung auf die Allmacht Gottes und in bestem Gottvertrauen auf Seine Hilfe größer werden und in der Heiligkeit wachsen. Nicht alle Heiligen waren großartige Menschen, sondern oft zunächst Menschen wie wir, die aber in tätiger Gottesliebe und in festem Gottvertrauen wussten: Für Gott ist alles möglich! Beten wir zur hl. Theresia von Lisieux, auch während unserer großen Prozession mit ihren Reliquien durch das Engelporter Land, denn sie wusste: Für Gott ist alles möglich. Beten wir zu ihr, damit wir alle mit jenen Worten vor Ihn treten dürfen, mit denen sie sterben durfte: „Mein Gott, ich liebe Dich.“ Amen.

Predigt Msgr.Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 5. Sonntag nach Ostern, dem 22. Mai 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

Vor einigen Jahren besuchte einmal ein bekannter französischer Journalist das große Benediktinerinnenkloster Jouques in Südfrankreich. Er wurde von der damaligen Äbtissin im Sprechzimmer empfangen. Zu seiner großen Überraschung trennte ihn von der ehrwürdigen Mutter und ihrer Begleiterin, der Priorin, ein großes Gitter, so wie das in Sprechzimmern der in Klausur lebenden Ordensfrauen vielfach noch heute üblich ist. Er stellte ihnen viele Fragen über das Ordensleben, die die Äbtissin freundlich beantwortete. Und schließlich fand er den Mut zu fragen: „Aber, ehrwürdige Mutter, hinter diesem Gitter, fühlen Sie sich nicht wie in einem Gefängnis?“ Daraufhin lächelte die betagte Ordensfrau und sagte: „Mein Herr, das Gefängnis ist auf Ihrer Seite.“

Das Gefängnis ist auf unserer Seite, auf der Seite der Welt oder jedenfalls auf der Seite, wo Menschen leben, die sich ganz der Welt verschrieben haben. Deswegen sagt der hl. Jakobus heute so deutlich: „Reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott dem Vater ist dies: …sich unbefleckt bewahren von dieser Welt“ (Jak, 1, 27.  Das Gefängnis ist auf der Seite der Welt und die Freiheit ist auf der Seite der Kirche! Daher hören wir heute im Introitus zur Messe die frohen Worte: „Verkündet den Freudenruf: (…) befreit hat der Herr hat Sein Volk“ (Ps. 65, 1-2). Der hl. Jakobus kann sogar sagen, dass, wer das vollkommene „Gesetz der Freiheit“ (Jak 1, 25) beachtet, vom bloßen Hörer des Wortes durch Gnade zum Vollbringer guter Werke wird. Das vollkommene Gesetz der Freiheit nämlich, das wir in der Frohbotschaft der Kirche finden, kommt von unserem Herrn Jesus Christus, der uns die Gnade schenkt, es frei zu verwirklichen.

Es sind vor allem drei Eigenschaften dieses vollkommenen Gesetzes der Freiheit, die uns befreien von der Welt und uns zu Kindern Gottes machen, selbst dann, wenn die Welt auf uns einstürmt, weil wir mitten in ihr leben: Die Freiheit zur Wahrheit, zur Tugend und zur Gnade.

Zunächst einmal ist das Gesetz zur vollkommenen Freiheit eine Freiheit zur Wahrheit. Die Lehre der Kirche schränkt uns nämlich nicht ein, sie macht uns nicht eng und kleinlich, sie nimmt uns nicht die Möglichkeit, selbst zu denken. Im Gegenteil! Das, was Christus verkündet hat, schützt uns davor, die uralten Irrtümer der Menschheit wieder zu begehen, beschützt uns vor der Dummheit der veröffentlichten Meinung, beschützt uns vor aller Art von Ideologie und falscher Philosophie. Wenn wir an der Lehre Christi festhalten, so wie sie die Kirche in ihrer uralten, aber immer jungen Überlieferung verkündet, dann können wir nicht in die Irre gehen. Wir sind zur Wahrheit befreit! Unser Geist ist nicht eingeengt, sondern weitet sich auf die große Wahrheit Gottes aus, auf alles das, was Er uns offenbart hat und was aus dieser Welt herausführt, zu der großartigen Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes, zu der wir berufen sind.

Aber wir sind nicht nur zur Wahrheit, wir sind auch zur Tugend befreit. Wir wissen, selbst als Getaufte, dass besonders eine Folge der Erbsünde, die ungeordnete Leidenschaft, uns oft zu einem Gefängnis für uns selbst macht. Hass, Neid, Lust, Habgier, Ränke, Lüge, Groll, Rache und was dergleichen mehr böse Haltungen sind, befreien uns nicht – wir sehen es deutlich an vielen unserer Zeitgenossen -, sondern machen uns zu Sklaven: Sklaven der Leidenschaft, Sklaven des Geldes, Sklaven der Meinung anderer, Sklaven auf viele verschiedene, oft subtile Weisen, Sklaven manchmal auch eines Staates, der sich all dieser Leidenschaften bedient, um uns an der Nase herumzuführen.

Wir wollen uns deswegen mutig auf die Seite eben jenes vollkommenen Gesetzes der Freiheit stellen, das schon in den Zehn Geboten einfach und klar für uns alle niedergelegt worden ist. Wenn wir den Geboten Gottes folgen, vor allen Dingen den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe, die sich in so vielen Facetten unseres christlichen Lebens verwirklichen lassen, dann werden wir von allen möglichen Leidenschaften befreit, dann sind wir plötzlich nicht mehr Sklaven unserer selbst, sondern sind freie Diener Gottes, die endlich tun können, was nicht nur den anderen wohltut, sondern vor allem ihnen selbst. Das gibt jene wahre Freiheit der Seele und des Geistes, die uns froh macht und uns die Freude schenkt, die nur Christus geben kann.

Diese Geschenke der Freiheit aber reichen dem barmherzigen Gott noch nicht. Er gibt uns noch mehr! Denn der Wahrheit zu folgen mit unserer beschränkten Intelligenz, die Tugend zu leben mit all den Leidenschaften, die wir verspüren, wäre unmöglich, wenn Er uns nicht die große, die endgültige Freiheit der Gnade geschenkt hätte! Wir haben die Mittel der Gnade in den Sakramenten der Kirche bekommen, die, wenn wir sie regelmäßig empfangen, vor allem die Beichte und die Eucharistie, uns zur Wahrheit und zur Tugend befreien. Die uns immer wieder neu befreien, auch wenn wir uns durch unsere Schwäche wiederum in Gefangenschaft begeben haben. Die Sakramente und die durch sie vermittelte Gnade geben uns immer neu die rechten Maßstäbe für unser Leben in der Welt, die Maßstäbe Jesu Christi, die Maßstäbe der Ewigkeit, die Maßstäbe des großen und ewigen Gottes, damit unser kleines Leben sich weitet auf eben diese Freiheit Gottes, de in der Kirche lebt.

Deswegen danken wir Gott, dass wir nicht nur zur Freiheit befreit sind, sondern zur „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Rö 8, 21), also zur Freiheit der Gnade. War danken Gott, dass Er uns – immer wieder neu und ohne je müde zu werden – damit begnadet, dass wir frei sind von allen Beschränkungen und allen Ketten dieser Welt und dass wir in dieser Freiheit Ihm entgegengehen können. Darum sollen wir beten, denn das meint der Herr, wenn er uns auffordert, den Vater in Seinem Namen zu bitten (vgl. Jo 16, 23).  

Oft beten wir, damit unser Wille geschehe. Wir geben nicht alles in christlicher Ganzhingabe dem Vater hin. Wenn wir uns aber an das vollkommene Gesetz der Freiheit halten, wenn wir in der offenbarten Wahrheit der Lehre der Kirche folgen, wenn wir uns immer wieder neu zur Tugend bekehren, die Christus verkündet hat, wenn wir wirklich bereit sind, uns der Gnade ganz zu öffnen, dann ist es für uns möglich, im Namen Christi, des Befreiers, zum Vater zu beten. Dann beten wir nicht, dass unser Wille geschehe, sondern wir beten, dass Sein Wille geschehe. Und wenn dieser Wille ein Wille ist, der uns ein Kreuz gibt, ein Kreuz zu unserer Reinigung, ein Kreuz zur Sühne, ein Kreuz für ein heiligeres Leben, ein Kreuz, so wie Er es getragen hat, dann werden wir es nicht zurückweisen, sondern es in einer demütigen Geste in der von der Gnade getragenen Freiheit annehmen und Ihm nachtragen zum ewigen Leben.

Das bedeutet, was der hl. Jakobus uns zuruft: ‚Haltet euch unbefleckt von dieser Welt.‘ Wir müssen wie die Apostel mitten in der Welt leben, wir haben eine Aufgabe in der Welt, die große Aufgabe, diese Welt in Christus umzugestalten. Aber das können wir nur tun, wenn wir einen höheren Standpunkt einnehmen, den Standpunkt Jesu Christi, der uns zum Vater führen will. Dann werden wir etwas verändern, dann wird die Welt nicht uns zu Sklaven machen, sondern wir werden die Welt mit Christus verwandeln. Dann können wir mitten in der Welt Leben, ohne dass diese für uns zum Gefängnis wird! Das heißt für uns nicht Weltflucht, nicht einfach totale Abwendung von der Welt, sondern meint den Willen, in der Welt zu leben, aber immer und überall nach dem vollkommenen Gesetz der Freiheit, das der Retter, der uns alle frei gemacht hat, Jesus Christus, uns zum Erwerb der ewigen Glückseligkeit schenkt. Amen.

Predigt Msgr.Prof.Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am vierten Sonntag nach Ostern , dem 15.Mai 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Alles Gute kommt von oben (vgl. Jak 1, 17). Das haben wir gerade in der Epistel gehört und es ist auch die 2000jährige Erfahrung der Kirche. Das Gute schickt uns Gott vom Himmel her, damit wir es bewahren, damit wir es weitergeben, damit es uns zur ewigen Rettung führt. Das Beste aber, was wir bekommen haben, ist Jesus Christus selbst, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6). Als Er zum Vater gegangen ist, hat Er uns diese Wahrheit hinterlassen, eine Wahrheit, die von oben kommt, eine Wahrheit, die uns retten kann, eine Wahrheit, die uns in Ihm und durch Ihn Gott gesagt hat. Das heutige Evangelium lehrt uns genau, was es mit dieser Wahrheit auf sich hat und wie sie durch die Geschichte hindurch bewahrt worden ist.

Zunächst kommt diese Wahrheit von Christus. Er ist der endgültige Offenbarer, in Ihm ist alle Wahrheit beschlossen. Er hat sie in menschlich verständlicher Sprache den Aposteln und Seiner Kirche weitergegeben. Diese Wahrheit aber, so sagt Er uns heute im Evangelium, bleibt nicht einfach ungeschützt, so wie menschliche Wahrheit, die dem Irrtum unterworfen ist. Die Wahrheit Jesu Christi kennt einen ganz besonderen Schutz, sie kennt einen, den der Herr selber den Paraclet nennt, den Tröster, den Anwalt: Derjenige, der die Wahrheit schützt, der uns in die ganze Wahrheit einführt und der im Laufe der Geschichte der Kirche uns diese Wahrheit erschließt, damit wir sie immer besser kennen. Ohne das Wehen des Heiligen Geistes in der kirchlichen Verkündigung wäre die Wahrheit, die der Herr uns geschenkt hat, schon längst verbogen worden und wäre nicht unverfälscht zu uns gelangt.

Wie aber geschieht das? Es geschieht auf zweierlei Weise.

Zunächst einmal dadurch, dass die Wahrheit, die Christus selbst verkündet hat, von den Aposteln irrtumslos aufgenommen, unverfälscht weitergegeben und von ihnen und den Evangelisten genau aufgeschrieben wurde, zu unserem Heil. Es gibt eine schriftliche Offenbarung, die wir in den Büchern der Heiligen Schrift lesen. Diese schriftliche Offenbarung, das Aufschreiben der Wahrheit Jesu Christi, hängt jedoch zunächst ab vom Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche. Nicht nur entstammt die Schrift des Neuen Testaments dem Schoss der frühen Kirche und wurde meistenteils erst nach der mündlichen Überlieferung von den Evangelisten und Aposteln aufgeschrieben. Darüber hinaus ist auch der Kanon der Heiligen Schriften, also die Zahl der authentischen Schriften, die die Offenbarung erhalten, von der Kirche selbst festgelegt worden. Es gab im zweiten, dritten und vierten Jahrhundert viele sogenannte Apokryphe, das heißt Evangelien und Briefe ungeklärten Ursprungs. Papst Damasus I hat am Ausgang des vierten Jahrhunderts, im Jahr 382, in einem römischen Konzil genau festgelegt, welche Schriften unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Wahrheit Jesu Christi unverfälscht enthalten.

Also hier bereits hat der Heilige Geist eingewirkt, wenn das Falsche vom Wahren geschieden wird. Damit sind auch die Briefe, die wir die apostolischen nennen, und die Briefe des heiligen Paulus endgültig in die Schrift hineingekommen und haben das Siegel der durch den heiligen Geist bestätigten Wahrheit erhalten, damit wir wissen, dass auch die Schriften, deren Inhalt nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgeht, aber die von den Aposteln unter dem Einfluss des Heiligen Geistes aufgeschrieben worden sind, zum Schatz der kirchlichen Wahrheit gehören. Aber, so heißt es in diesen Schriften immer wieder, nicht alles ist in diesen Büchern aufgeschrieben, nicht alles, was der Herr getan und gelehrt hat, enthält die Heilige Schrift. Es gibt nicht, wie die Protestanten lange behauptet haben, eine Genügsamkeit der Schrift, so als wenn der, der die Schrift liest und interpretiert, schon daraus die ganze Wahrheit Jesu Christi erkennen könnte.

Der Geist Gottes weht weiter in der Kirche. Der Herr sagt uns eindeutig, Er wird uns in die ganze Wahrheit einführen. Und Er wird uns Wahrheiten aufschließen, wie Er den Aposteln erklärt, „die ihr heute noch nicht tragen könnt“ (Jo 16, 12). So ist durch die ganze Kirchengeschichte hindurch im Wirken des Lehramtes unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Überlieferung der Wahrheit Jesu Christi nicht nur bewahrt, sondern auch tiefer erklärt und erschlossen worden. Viele große Heilswahrheiten haben wir durch den Einfluss des Heiligen Geistes im Wirken des Lehramtes erst im Laufe der Jahrhunderte erkannt. Dazu gehören unter anderem auch große Wahrheiten über die Kirche, wie der der päpstlichen Unfehlbarkeit, und besondere Wahrheiten über die Gottesmutter, wie die Unbefleckte Empfängnis und die leibliche Aufnahme in den Himmel.

Viele andere Dinge, die nur dunkel und verschlossen in den Heiligen Schriften waren, hat uns der Heilige Geist erklärt, hat im Lehramt die richtige Formulierung den Päpsten und jenen Bischöfen, die mit dem Papst in Einheit sind, eingegeben und damit die katholischen Dogmen und das ganze Lehrgebäude der Kirche, das die Offenbarung Jesu Christi erklärt, sorgsam errichtet und bis heute bewahrt. Deswegen ist der erste und wichtigste Maßstab, den die Kirche von Jesus Christus selbst erhalten hat und dem sie folgen muss, wenn sie die Wahrheit der Heiligen Schrift und die Wahrheit der Offenbarung Jesu Christi richtig verstehen, interpretieren und weitergeben will, der Maßstab der göttlichen Überlieferung, den wir auch die Tradition nennen. Die Theologie nennt daher die kirchliche Tradition des Lehramtes die norma normans und die hl. Schrift die norma normata des katholischen Glaubens, also seine normierende und normierte Regel.  Der wirkliche und endgültige Maßstab dessen, was die Wahrheit in der Kirche ist, ist daher die auf Jesus Christus und die Apostel zurückgehende Überlieferung.

Alles, was dieser Überlieferung, die vom Heiligen Geist geleitet und gelenkt wird, widerspricht, und wenn es sich auch in große Worte hüllt und gar auf scheinbar synodalem Wege zu uns kommt, ist nicht mit der Wahrheit Jesu Christi konform. Wir müssen immer darauf achten: Ist das, was man uns lehrt, immer gelehrt worden? Ist es in der Einheit des Lehramtes, die auf Petrus und die Apostel zurückgeht, immer vorhanden gewesen? Ist es, wenn wir es besser verstanden haben, nur ein Aufschluss der bereits offenbarten Wahrheit oder ist es eine neue, menschliche Erfindung? Widerspricht es gar ausdrücklich den Worten der Heiligen Schrift und der immer aufrecht erhaltenen Überlieferung? Wenn es das tut, dann ist es einfach falsch, dann ist es nicht katholisch, es kommt nicht vom Heiligen Geist und geht nicht auf unseren Herrn Jesus Christus zurück.

Wenn wir also katholisch bleiben wollen in Zeiten der Verwirrung, dann blicken wir auf die Überlieferung der Kirche. Dann sehen wir, wie in den Glaubensbekenntnissen und Katechismen aller Zeiten der Herr uns durch das Lehramt klar und eindeutig unterrichtet hat, dann sehen wir und halten wir fest, was die Kirche immer und überall gelehrt hat und noch lehrt.  So bleiben wir in der lebendigen Überlieferung der Kirche, die vom Heiligen Geist bis heute getragen und bewahrt wird.

Es hat immer Stürme gegeben in der Kirche, es hat immer Häresien gegeben, es hat immer Schwierigkeiten und Glaubenskämpfe gegeben, von den ersten Anfängen der Kirche bis zum heutigen Tag, aber immer hat der Heilige Geist die Kirche getröstet. Er ist wirklich der Paraclet, der die trostreiche göttliche Wahrheit überliefert, der Anwalt, der die überlieferte Wahrheit für uns verteidigt, erklärt und bewahrt. Bleiben wir dieser apostolischen, kirchlichen Überlieferung treu und halten wir uns an das Wort des hl. Paulus im ersten Korintherbrief (11,23), wo er sagt: „Ich habe euch nur überliefert, was auch ich empfangen habe.“ Wir haben in der Kirche die ganze Wahrheit von Christus empfangen. Sie ist durch alle Wirren der Zeit bis jetzt unversehrt im Lehramt überliefert worden. Halten wir uns an diese Wahrheit und wir werden gerettet werden! Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am 1. Mai 2022, Fest des hl. Joseph des Arbeiters und Weihe des Trierer Doms

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Was ist die Kirche? Das ist eine Frage, die in den letzten 50 Jahren die Menschen immer wieder bewegt hat. Neue Fragen sind  dabei gestellt worden, oft falsche Antworten wurden darauf gefunden und am Ende ist das Ergebnis eine große Verwirrung.

Was ist die Kirche? Manche meinen, die Kirche sei eine Art geistlicher Staat, etwa eine Demokratie oder eine Monarchie. Es ist wahr, dass die Kirche kollegiale Elemente der Entscheidungsfindung kennt. Ebenso ist wahr, dass sie von einem sichtbaren Haupt, dem Stellvertreter Christi auf Erden, regiert wird. Dadurch wird sie aber noch kein staatsähnliches Gebilde. Die hierarchische Struktur in der Kirche, die einer Pyramide ähnelt, meint ebenso wenig, dass nur die Führung, nicht aber die Gläubigen Bedeutung haben, da alle in der Kirche, trotz wesentlich verschiedener Aufgaben, „lebendige Steine“ (1 Petr 2,5) zum Aufbau des Hauses Gottes sind, das mehr Gemeinschaft als bloße Struktur ist. Deswegen ist die Kirche auch keine bloß soziale Organisation, die Gutes tut und ansonsten keine weitere Bedeutung hat. Wer die Kirche mit weltlichen Sozial- oder Machtstrukturen vergleicht, kann sie nicht verstehen!

Wenn wir wissen wollen, was die Kirche ist, dann müssen wir vielmehr in die Lehre der Kirche und auf die Überlieferung der Hl. Schrift blicken. Und hier ist die Antwort ebenso zeitlos wie einfach, sie liegt in den Titeln, die ihr das Glaubensbekenntnis seit jeher gibt: Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Sie ist eine, weil sie von dem einen wahren Gott gegründet worden ist als das Heilsinstrument für uns alle. Es kann nur eine wahre Kirche geben, wie es nur einen wahren Gott gibt. Er hat den Menschen nicht verschiedene Lehren gegeben zu ihrer Verwirrung, sondern die eine Wahrheit, die zum Heil führt. Das ist der erste, wichtigste Ausgangspunkt, dass die Einheit der Kirche die Einheit Gottes voraussetzt, dass wir also nicht nach neuen, menschlichen Formen zu suchen brauchen, sondern dass wir uns auf die Stimme des einen, wahren Gottes berufen und verlassen können, wenn wir die Form und das Wesen der einen wahren Kirche erkennen und begreifen wollen.

Dass er uns in die Kirche berufen hat, ist eine reine Gnade, die wir nicht haben verdienen können, was sich daran zeigt, dass wir zumeist schon als Kleinkinder durch die Taufe in die Kirche aufgenommen wurden, und dass die Firmung und alle anderen Gnadengaben, die der Herr uns in der Kirche schenkt, ein Volk nicht aus Perfekten, sondern aus Sündern voraussetzt. Die Sakramente der Kirche dienen dazu, die Sünder anfänglich und dann immer wieder zu heiligen und zu stärken, damit sie die Kirche bilden können. Christus hat uns wie den Zachäus erwählt, vom Baum des Heidentums heruntersteigen lassen, uns mit Namen gerufen und unser Haus und unser Herz mit Seiner Gegenwart beglückt, um uns zu dem einen, heiligen Volk, dem universalen Kirchenvolk zu machen, das Er sich aus allen Völkern aus der ganzen Erde erwählt hat, zur katholischen, allumfassenden Kirche.

Das zeigt uns, dass die Kirche nicht aus menschlichem Tun entsteht, sondern dass an ihrem Urgrund die Berufung Gottes zu finden ist. Nur der, der von Gott die Gnade erhält, ein lebendiger Stein zu werden, nur der, der getauft ist, ist Teil des einen, heiligen Volkes Gottes, der Kirche, die sich über die ganze Erde erstreckt und deswegen mit Recht katholisch genannt wird.

Dieses katholische Gottesvolk, das Er sich erwählt hat, das Er sich geschaffen hat, das nicht aus menschlichem Willen entstanden ist, ist ein strukturiertes Volk, aber seine Struktur kommt von Gott. Es ist nicht nur irgendein Volk, das sich ungeordnet auf die ganze Erde erstreckt, sondern es ist, wie der Hl. Paulus nicht müde wird zu betonen, der Leib Christi auf Erden. Wie jeder Leib, hat auch dieses Volk ein Haupt, und das Haupt, das alles in diesem Leib bestimmt, ist Christus selbst. Er ist das Haupt, das alle Glieder belebt. Er ist das Haupt, das uns auch die Sprache der Wahrheit verleiht, mit der wir andere zur Teilhabe am Leib Christi rufen können. Er ist derjenige, der uns den ganzen Blutkreislauf der Kirche in den Sakramenten schenkt und uns dadurch heiligt und zu seinen Gliedern macht. Daher ist jeder wichtig in der Kirche, solange er der Botschaft Christi treu folgt und aus ihren Sakramenten lebt.

Natürlich gibt es durch den Auftrag Jesu Christi auch ein sichtbares Haupt, den Papst, seinen Stellevertreter auf Erden. Und es gibt durch den Willen und die Weihe Jesu Christi die Bischöfe, die uns regieren und leiten, wenn sie im Namen Christi handeln. Sie haben den besonderen apostolischen Auftrag, der Botschaft Christi zu folgen, sie uns verkünden, sie zu verteidigen und uns durch die Sakramente zu heiligen. Das ist ihr besonderes Amtscharisma, die Gnade der Leitung, Heiligung und Verkündigung, die sie zu unseren Hirten macht, den Nachfolgern der Apostel. Dafür müssen sie ihr Leben geben!  Darin müssen sie sich ganz an den Auftrag Christi halten, um nicht in die Irre zu gehen und niemanden in die Irre zu leiten.

Aber auch jeder von uns hat ein Charisma, eine Aufgabe erhalten. Vor allem jedoch die Aufgabe, heilig zu werden und heilig zu leben, damit die Kirche als Ganzes ein lebendiger Leib ist. Damit in ihr alles, was Christus uns geschenkt hat, am Leben erhalten wird. Damit wir andere durch unser Beispiel zum Leibe Christi gestalten können und damit Christus das Haupt aller in allem werden kann. Jeder hat am lebendigen Leib der Kirche Anteil, formt ihn und kann ihn beleben durch seine persönliche Heiligkeit und durch seine persönliche Verantwortung.

Schließlich aber, und das wird oft vergessen, ist die Kirche tatsächlich ganz von Gott belebt. Sie ist das, was Johannes in der großartigen Vision auf Pathmos gesehen hat: Sie ist das himmlische Jerusalem, das schon anfanghaft sichtbar ist mitten unter uns. Sie ist geschmückt wie eine Braut mit der Wahrheit und mit der Kraft der Gnade. Sie ist im Innersten heilig und kann durch die Sünden ihrer Glieder nicht unheilig gemacht werden. Sie ist stärker als Tod und Teufel, sie ist stärker als die Schwäche aller ihrer Glieder, selbst als die Schwäche der Priester und der Bischöfe. Sie ist schon hier das himmlische Jerusalem, das unzerstörbare Mauern hat. Sie ist umgeben von Engeln, die gegenwärtig sind, weil die Kirche zeitlich und örtlich nicht begrenzt ist. Sie reicht bis in den Himmel hinein. Sie bringt den Himmel auf unsere Erde und in unsere Wirklichkeit. Sie wird uns, wenn wir sie richtig betrachten, nämlich mit den Augen des Glaubens, porta caeli et domus Dei: Sie wird Tor des Himmels und Haus Gottes. Wiederum sehen wir, dass die Kirche nichts menschlich Gemachtes ist, sondern wirklich durch den Willen Jesu Christi, ihres Hauptes, vom Himmel herabgestiegen ist.

In den Jahrtausenden ihrer Existenz hat der Teufel immer wieder versucht, die Kirche zu schwächen und sie zu zerstören. Er hat all unsere Sünden und Schwächen benutzt, um die Kirche auch in den Augen der Welt verächtlich zu machen. Immer wieder aber ist sie neu geboren worden, wie der Vogel Phönix aus der Asche. Und immer wieder hat sie bewiesen, dass in ihr bis zum Ende der Zeiten, ja bis in alle Ewigkeit, das himmlische Jerusalem gegenwärtig ist: Locus iste terribilis, dieser Ort ist schauererregend (Gen 28,17), so singt die Kirche beim Kirchweihfest in ihrer Liturgie. Das Zelt Gottes, das Gott aufgeschlagen hat mitten unter den Menschen und in dem Er für immer anwesend ist, ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Daher ist der hl. Joseph zu Recht der Patron der Kirche, denn an ihm können wir das Wirken der Kirche sehen. Wir können sehen, dass die Gnade, das, was auf Erden ist, reinigt und mitzieht. Der hl. Joseph hat, obwohl er ein einfacher Zimmermann war, eine außergewöhnliche Berufung bekommen. Er ist gleichsam einer der ersten lebendigen Steine gewesen. Er ist auf besondere Weise berufen worden, die Kirche aufzubauen, zu beschützen und begleiten, weil gerade am Anfang der hl. Joseph für das Entstehen der Kirche durch sein Tun in der hl. Familie entscheidend war.

Der hl. Joseph ist ebenso ein Zeichen dafür, dass in der Kirche alles von Gott kommt, denn er hat ein außergewöhnliches Charisma erhalten; er ist dadurch, dass er der größte aller Patriarchen war, ein Zeichen dafür, wie Gott alles umgestalten kann. Joseph zeigt uns, wie Gott einem einfachen Arbeiter eine Aufgabe und ein Charisma geben kann, das alles verändert, und wie jeder in der Kirche wichtig ist, wenn er seine eigene Heiligkeit mit Entschiedenheit und Mitarbeit mit der Gnade verwirklicht.

Schließlich zeigt der hl. Joseph, der große Patron der Kirche, dass die Kirche ein ewiges Ziel hat. Der hl. Joseph ist der Pflegevater des Jesuskindes geworden, nicht weil er in irgendeiner Weise und auf irgendeine Art in der Welt wichtig und bedeutend werden wollte. Er war der Pflegevater des Herrn, weil er durch den Engel verstanden hat: Die Ewigkeit ist unser Ziel. Er hat gewusst: ‚Alles, was ich tue, ist für die Ewigkeit und wenn ich meine Aufgabe erfülle, dann tue ich das, weil ich einst teilhaben will am himmlischen Jerusalem‘. So sehen wir in ihm das Wirken der Kirche vorgezeichnet. Dass in der Kirche alles durch Berufung Gottes entsteht, dass alle Aufgaben, die in der Kirche wesentlich sind, Charismen und Gnaden Gottes sind und dass die Kirche nur ein Ziel hat: Uns dadurch, dass wir am ewigen Jerusalem hier schon teilnehmen, in das himmlische Jerusalem zu führen.

Verzweifeln wir also nie, wenn die Menschen in der Kirche Zeichen der Sünde und der Schwäche zeigen. Gott ist stärker. Er schlägt das Zelt, das er mitten unter uns aufgebaut hat, niemals mehr ab. Die Kirche ist das große Tor zum Himmel. Der hl. Joseph weist uns auf dieses Tor hin und so beten wir mit der ganzen Kirche vertrauensvoll zu ihm, dem Patron der Kirche und dem Schrecken der Dämonen, dass diese eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wieder sichtbar das wird als was sie ist: Das Zelt Gottes unter den Menschen!

Amen.