Predigt zum Dritten Sonntag nach Ostern 2020

Liebe Gläubige,

„Gehorchen oder nicht gehorchen, das ist die Frage!“, so könnte man den bekannten Ausspruch Hamlets umformulieren, wenn man an die Situation denkt, in der wir in den letzten Wochen gestanden haben und teilweise noch stehen. Müssen die Christen in jedem Fall der Obrigkeit gehorchen und sich ihren Geboten und Verboten unterordnen? Welche Bereiche darf die weltliche und kirchliche Autorität reglementieren? Müssen wir jede Beschränkung unserer Freiheit einfach hinnehmen? Dürfen wir uns allen Zwangsmaßnahmen einfach beugen? Die überlieferte Lehre der Kirche gibt uns eine klare Antwort auf diese Fragen.

Der Apostel Petrus antwortet dazu in seinem ersten Brief, den wir heute in der Epistel gehört haben, zunächst eindeutig: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun.“ (1 Petrus 2,13-14) Er geht sogar noch weiter und sagt zu den Sklaven seiner Zeit: „Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den bösartigen.“ (1 Petrus 2, 18) Im Römerbrief des heiligen Paulus finden wir dieselbe Lehre: „Jeder Mensch soll sich den übergeordneten Gewalten unterordnen. Denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott; die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt.“ (Römer 13, 1) Der heilige Paulus zieht zu Recht aus diesem Grundsatz weitreichende Schlussfolgerungen, die in der Folge die Beziehung der Christen zur Obrigkeit immer bestimmt haben: Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der Obrigkeit leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest! Denn sie steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. ” (Römer 13, 2-4)

Damit ist zunächst klar, dass die Obrigkeit, deren Autorität im letzten von Gott kommt, noch vor allen Zwangsmaßnahmen, über die sie verfügt, von uns als Christen Gehorsam erwarten kann. In seinem Rundschreiben Divini Redemptoris vom 19. März 1937  (Nr. 29 und 30) gegen den Kommunismus hat Papst Pius XI. diesen Grundsatz nochmals erklärt: „Gott hat aber den Menschen auch auf die bürgerliche Gesellschaft hingeordnet als auf eine Forderung seiner Natur…, darum kann der einzelne sich niemals den gottgewollten Verpflichtungen der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber entziehen, und die Träger der Autorität haben das Recht, ihn im widerrechtlichen Weigerungsfall zur Erfüllung seiner Pflicht zu zwingen.“ Weil der Mensch durch die göttliche Ordnung auf die Gesellschaft hingeordnet ist, muss er sich also der Autorität bereitwillig unterwerfen. Gott hat nämlich diese Autorität in der Gesellschaft eingesetzt, um die Dinge zum besten des Menschen zu ordnen. Wenn der Mensch, sei er Christ oder nicht, sich dieser Ordnung verweigert, entzieht er sich dem Willen Gottes und schadet sich selbst und anderen.

Doch hier liegt auch die Grenze, innerhalb derer die der Gesellschaft vorstehende Autorität Gehorsam verlangen kann. Dieser Gehorsam hat nämlich seinen Ursprung im Wohl des Einzelnen und soll die Ausübung seiner ebenso gottgewollten und heilsnotwendigen Freiheit in das Gesamt der Gesellschaft einordnen und befördern. Pius XI. sagt mit der gesamten kirchlichen Tradition eindeutig: „die menschliche Gesellschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt“, denn „nur der Mensch, die menschliche Persönlichkeit, nicht irgendeine menschliche Gesellschaft ist Träger von Verstand und freiem sittlichen Willen.“ (Divini Redemptoris, 29) Das heißt, dass die Gesellschaft und die in ihr herrschende Autorität alles tun muss, damit die Freiheit des Menschen seinem gottgewollten Ziel entspricht. Zwar darf niemand seine Freiheit im egoistischen Sinn zum Schaden anderer oder des Gemeinwohls missbrauchen, doch noch weniger darf diese Freiheit im Namen irgendeines anonymen gesellschaftlichen Kollektivs in ihren Grundrechten beschränkt werden. Wenn die Autorität gottgegebene Freiheitsrechte zeitweise einschränkt, so kann der Grund nur eine eindeutige Notlage oder ein Verstoß des Individuums gegen die gottgewollte Rechtsordnung sein. Sonst sind diese der gleichen Rechtsordnung entstammenden Grundrechte, wie das Recht auf Leben, Privatbesitz und freie Religionsausübung, immer unantastbar.

Daher findet der christliche Gehorsam der Obrigkeit gegenüber auch klare Grenzen, vor allem, wenn Machthaber verlangen, ganz konkret und persönlich gegen Gottes Gebot und Auftrag zu handeln. Für einen solchem Fall sprachen Petrus und die Apostel zum Hohen Rat: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Apostelgeschichte. 5, 29) Missbrauch der Macht, der vom Einzelnen ein mutiges Bekenntnis zu den Gesetzen Gottes und im äußersten Fall zivilen Ungehorsam erfordert, liegt dann vor, wenn die Ausübung wesentlicher Grundrechte aus willkürlichen Gründen unterbunden wird. Die Gesellschaft kann nämlich niemals „den Einzelmenschen der ihm vom Schöpfer selbst verliehenen Persönlichkeitsrechte…berauben, noch ihm deren Gebrauch grundsätzlich unmöglich machen.“ (Pius XI., Divini Redemptoris, 30).

Diese Gefahr liegt aber vor allem vor, wenn die Rechtsordnung in einer Gesellschaft von ihrer Grundlage im Naturrecht getrennt wird. Dann wird Recht zur reinen Zwangsordnung, in der die willkürlich ausgeübte Gewalt die innere Begründung des Rechtes aus der menschlichen Natur und ihren Notwendigkeiten ersetzt. Alles kann dann durch Gewalt zum Gesetz werden und der in der menschlichen Natur eingeschlossene, deutlich erkennbare Wille Gottes wird missachtet. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag von neuem auf die unverzichtbare Bedeutung des Naturrechts hingewiesen.  Aber schon Papst Pius XI. sagt in seiner berühmten Enzyklika Mit brennender Sorge gegen den Nationalsozialismus, am 14. März 1937, also drei Tage vor seinem schon zitierten Rundschreiben gegen den Kommunismus: „An den Geboten dieses Naturrechts kann jedes positive Recht, von welchem Gesetzgeber es auch kommen mag, auf seinen sittlichen Gehalt, damit auf seine sittliche Befehlsmacht und Gewissensverpflichtung nachgeprüft werden.“ Nützlichkeitserwägungen des Staates haben daher an den im Naturrecht verankerten Freiheitsrechten des Menschen ihre klare Grenze. Der Grundsatz „Recht ist, was dem Volke nützt“, ist nur anwendbar, „wenn man unterstellt, dass sittlich Unerlaubtes nie dem wahren Wohle des Volkes zu dienen vermag“. (Pius XI., Mit brennender Sorge, 35) Schon Cicero sagt: „Nie ist etwas nützlich, wenn es nicht gleichzeitig sittlich gut ist. Und nicht weil nützlich, ist es sittlich gut, sondern weil sittlich gut, ist es auch nützlich.“ (De officiis, 3, 30) Die willkürliche und dauerhafte Einschränkung von Freiheitsrechten aber ist weder gut noch nützlich.

Als gläubige Katholiken haben wir in den letzten Wochen unter Einschränkungen unserer Freiheitsrechte gelitten, die das Grundrecht der freien Religionsausübung betreffen. Niemand zweifelt daran, dass manche dieser Einschränkungen im Sinne des Schutzes des Allgemeinwohls und des Wohls des Einzelnen notwendig waren. Jeder ist gehalten, sich und andere vor Ansteckungen mit gefährlichen Krankheiten zu schützen und dafür auch gegebenenfalls Opfer zu bringen, die die eigene Freiheit teil- und zeitweise begrenzen. Wie viele dieser Einschränkungen jedoch im Sinne der Ordnung Gottes wirklich gut und damit nützlich waren, ist sehr umstritten und wird sich vor der Kritik der Geschichte erst klarer herausstellen müssen.

Selbst das deutsche Bundesverfassungsgericht, dessen jüngstes Euthanasieurteil keinen großen Respekt vor dem Naturrecht zeigt, fühlte sich bemüßigt, in einer Entscheidung vom Karfreitag 2020, die Sicht, das Gottesdienstverbot für verfassungswidrig zu halten für nicht unbegründet, „vielmehr als offen“ zu erklären. In einer anderen Entscheidung vom 10. April mahnte das Bundesverfassungsgericht bei einer Fortschreibung des Gottesdienstverbots eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit an. Es sei zu prüfen, ob das Gottesdienstverbot „unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen und möglicherweise auch regional“ gelockert werden könne. Diese Lockerung wird jetzt langsam Wirklichkeit. Dabei ist die Rolle der kirchlichen Obrigkeit nicht immer einheitlich und eindeutig. Ob der vorauseilende Gehorsam und das Schweigen gegenüber einem, wie das Bundesverfassungsreicht formulierte, „überaus schwerwiegenden Eingriff“ in die Religionsfreiheit, der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Autorität in der Verteidigung der göttlichen Ordnung genützt hat, kann sehr bezweifelt werden. Wenn die staatlichen Lockerungen noch nicht überall zur baldigen Wiedereinführung der öffentlichen Zelebration der heiligen Messe geführt haben, bleibt das vollends unverständlich. Die Enzyklika Mit brennender Sorge (Nr. 16) sagte von den Bischöfen stattdessen: „Ihre heilige Amtspflicht ist es, soviel an ihnen liegt, alles zu tun, damit die Gebote Gottes als verpflichtende Grundlage des sittlich geordneten privaten und öffentlichen Lebens beachtet und befolgt werden; dass …das Sühnegebet der Gläubigen nie erlahme, das wie Rauchwerk Stunde um Stunde zum Allerhöchsten emporsteigt und Seine strafende Hand aufhält.“

Diese Geschehnisse lehren uns, wachsam zu sein. Was Papst Pius XI. angesichts der Bedrohung des Glaubens während des Nationalsozialismus sagte, wiederholt sich vor unseren Augen: „Alle Versuche, die Sittenlehre und sittliche Ordnung vom Felsenboden des Glaubens abzuheben und auf dem wehenden Flugsand menschlicher Normen aufzubauen, führen früher oder später Einzelne und Gemeinschaften in moralischen Niedergang.“ (Mit brennender Sorge, 34) Dieser moralische Niedergang führt in unserer Gesellschaft bereits dazu, dass diejenigen, die sich ihm entgegenstellen, leicht in ihren Grundrechten geschmälert werden können. Die christlichen Kräfte in unserem Staatswesen werden schwächer, die kirchliche Autorität ängstlicher. Wie leicht in einer solchen Situation auch zunächst berechtigte staatliche Maßnahmen zum Vorwand weiterer und dauerhafterer Einschränkung des Glaubenslebens werden könnten, ist offensichtlich. Abtreibung und Euthanasie werden ebenfalls schon mit dem Verweis auf angebliche Rechtsgüter des Einzelnen oder der Gesellschaft toleriert. Wie schnell das Verbot der freien Religionsausübung gesellschaftsfähig werden kann, sehen wir in unserem Land nicht zum ersten Mal.

Bleiben wir also wachsam! Es gibt Kräfte in Staat und Kirche, die vor dem in unserer Natur eingeschriebenen Gesetz Gottes wenig Respekt haben. Es gab und gibt Kräfte, die jeden Vorwand nützlich finden, die Freiheit des Glaubens und seiner Ausübung zu verkleinern. Unter dem Mantel des vorgeblichen Gemeinwohls wird man auch weiter versuchen, eine größere Kontrolle über den Einzelnen durchzusetzen und seine Rechte einzuschränken. Das Recht auf Leben ist in unserer Gesellschaft schon bedroht und unterhöhlt. Man wird versuchen, auch unser Recht auf freie Ausübung unseres Glaubens zu vermindern. Wenn die Freiheit des Glaubens bedroht ist, steht die Freiheit des Menschen im Ganzen auf dem Spiel! Wir müssen uns gut überlegen, was wir tun können, um solche Übergriffe zu verhindern und unsere christliche Freiheit zu bewahren!

„Gehorchen oder nicht gehorchen, das ist die Frage!“ Wir wissen nun, dass der von uns der legitimen Obrigkeit als Christen zu leistende Gehorsam seine Grenzen hat. Wir dürfen nicht einfach alles akzeptieren. Wir müssen den Maßstab der göttlichen Ordnung an die Entscheidungen anlegen, die über uns getroffen werden. Wenn klar ist, dass die Obrigkeit die gottgewollte Ordnung nicht respektiert, müssen und dürfen wir entsprechend handeln. Die Märtyrer aller Zeiten, viele Bekenner gegen Gewaltherrschaft, große heilige Päpste wie Gregor VII. und Johannes Paul II. sind Beispiele dafür, dass das Gesetz Gottes über jeder Willkürherrschaft steht und letztlich über sie siegt.

Wir müssen daher wachsam sein, aber nicht ängstlich. Alle Zeit und jedes Ereignis liegt in Gottes Händen. Sollte unsere Glaubenstreue weiter geprüft werden, wird Gott uns auch die Gnade der Standhaftigkeit schicken. Sollten wir um die Freiheit des Glaubens kämpfen müssen, wird er uns Heilige senden, die diesen Kampf leiten. Wir sind nicht ängstlich! Wir teilen vielmehr auch heute die Glaubensüberzeugung der Enzyklika Mit brennender Sorge, die mutig schließt: „So wie andere Zeiten der Kirche wird auch diese der Vorbote neuen Aufstiegs und innerer Läuterung sein, wenn der Bekennerwille und die Leidensbereitschaft der Getreuen Christi groß genug sind, um der physischen Gewalt der Kirchenbedränger die Unbedingtheit eines innigen Glaubens, die Unverwüstlichkeit einer ewigkeitssicheren Hoffnung, die bezwingende Allgewalt einer tatstarken Liebe entgegenzustellen.“ Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zum zweiten Sonntag nach Ostern

Liebe Gläubige!

Woran erkennt man den guten Hirten? Wir hören die Antwort auf diese Frage, die sich manche mit gutem Grund in diesen Wochen gestellt haben mögen, von Christus selbst. Er sagt mit vollem Recht: „I c h bin der gute Hirt!“ (Johannes 10, 11). Jesus nämlich erfüllt die drei Haupt-Kriterien für einen wirklich guten Hirten, die er in seiner Antwort aufstellt:

  1. Der gute Hirt gibt seine Leben für die Schafe (Johannes 10, 11): Von nun an gilt für alle, die gute Hirten sein wollen, was wir in der heutigen Epistel gehört haben: „…Christus litt für euch und hinterließ euch ein Vorbild, damit ihr Seinen Fußstapfen folgt.“ (1 Petrus 2,21). Christus hat Sein Leben nicht erst am Kreuz hingegeben. Sein gesamtes Leben auf Erden war ein Opfer für die Schafe, die Er erlösen wollte. Die Demut des Gottessohnes in Seiner bescheidenen Geburt, Seinem verborgenen Leben in Nazareth, Seiner unermüdlichen Tätigkeit als Heiler, Lehrer und Gnadenspender zeichnet die Gestalt des guten Hirten, der täglich sein Leben für die Schafe gibt.

Nicht das Suchen nach bürgerlicher Sicherheit, nicht das Ausweichen vor der Verantwortung, nicht die Flucht vor dem täglichen Kreuz noch die Anbiederung an Mächtige und Einflussreiche machen den guten Hirten aus. Es ist vielmehr die Ganzhingabe bis zum Kreuz, die den wirklich guten Hirten erkennen lässt. Deswegen ist der Priester, der im Auftrag Christi die Schafe hütet, zu dieser Ganzhingabe aufgerufen: Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, die tägliche Zelebration der heiligen Messe, das stellvertretende treue Gebet des Breviers, die furchtlose Verkündigung des wahren Glaubens, das Opfer aller Zeit und Energie für die ihm anvertraute Herde, das sichtbare priesterliche Zeugnis in Kleidung und Verhalten offenbaren den guten Hirten. Er ist geweiht, sein Leben für die Schafe zu geben und er lässt die Schafe nicht wie der Mietling im Stich, wenn der Wolf kommt (Johannes 10, 12-13).

  • Der gute Hirt kennt die Seinen und die Seinen kennen ihn (Johannes 10, 14). Jesus, der gute Hirt, kennt uns durch und durch. Er hat jedes Haar auf unserem Haupt gezählt. Nichts geschieht den Schafen, was nicht in Seinem Plan beschlossen läge, entweder zu unserer Prüfung und heilsamen Buße, oder zu unserer Tröstung und stärkenden Gnade. Wir sind dem guten Hirten nicht egal wie dem Mietling. Der gute Hirt kennt unsere Schwächen, aber auch die Bedürfnisse unserer Seele und die Notwendigkeiten unseres Lebens. Deswegen dürfen wir ihn um alles bitten und er wird uns nach seiner Vorsehung gewähren, was gut für uns ist (vgl. Lukas 11, 11-13).

So sollen auch die guten Hirten, die Christus zu den Menschen gesandt hat, so wie er vom Vater gesandt worden ist (vgl. Johannes 20, 21), ihre Herde kennen. Diese Menschenkenntnis kommt dem guten Hirten aber von Christus, der allein wirklich „weiß, was im Menschen ist“ (Johannes 2, 25).  Nicht Ideologie lässt die Hirten die Herde kennen. Rationalistische, politische oder naturalistische Maßstäbe, psychologische Methoden oder kalte Statistiken geben keine Einsicht in die menschliche Seele und ihren Bedarf nach Gnade und Trost. Der gute Hirte weiß von Christus, was den Menschen fehlt, was sie brauchen und wann und wie er ihnen helfen muss.

Die Nahrung, die er ihnen bringt, weil er ihre wahren Bedürfnisse kennt, ist nicht nur materiell. Zwar hilft er ihnen, wie das die Kirche immer getan hat, auch in materieller Not, aber er weiß, dass ihre geistige Not größer ist. Wie Christus kennt der gute Hirte die Not der Seelen, denen er die Erlösungsgnade bringt, wenn sie sie am meisten brauchen. Deswegen ist es die vornehmste Aufgabe des guten Hirten, der Herde Christi Wahrheit und Gnade zu bringen. Wer nicht die frohe Botschaft unverfälscht verkündet und die Sakramente nicht spendet, der ist kein guter Hirte, weil er die tiefsten Bedürfnisse seiner Schafe gar nicht kennt.

  • Der gute Hirte muss die anderen Schafe zur einen Herde führen (vgl. Johannes 10, 16): Weil Christus aber die innere Not und den Zustand der Seelen vor Gott kennt, hat er Seiner Kirche einen wichtigen Auftrag hinterlassen: „Gehet darum hin und machet alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe.“ (Matthäus 28, 19-20). Der gute Hirte kümmert sich um alle. Nicht nur die Herde der Kirche ist Sein Anliegen, sondern auch die, die dieser Herde noch nicht oder nicht zur Gänze angehören. Er will nicht, dass Seine Schafe in die Irre gehen. Er geht jedem einzelnen Schaf nach.

So hat er auch uns gefunden und wir Ihn, wie es im Petrusbrief heißt: „Denn ihr wart wie irrende Schafe; jetzt aber seid ihr hingewendet zum Hirten und Hüter eurer Seelen.“ (1 Petrus 2, 25). Deswegen gibt Christus denen, die Er als gute Hirten aussendet, den ausdrücklichen, dringenden Auftrag der Mission. Alle sollen die Stimme Christi hören, damit „e i n e Herde“ sei und „e i n Hirt“ (Johannes 10, 16). Das ganze Leben Christi war von Anfang bis Ende  M i s s i o n. Er ist in die Welt gekommen und hat Sein Leben gegeben, um die Schafe in der einen Herde unter dem einen Hirten zu sammeln.

Jeder gute Hirt ist deswegen gerufen, apostolisch und missionarisch zu sein. Dieser Auftrag kommt niemals „aus der Mode“. Keiner kann sich einen guten Hirten nennen, der keinen Seeleneifer hat. Die Apostel haben ihr Leben als Märtyrer hingegeben, um den Missionsauftrag Christi zu erfüllen. Der große heilige Missionar Franz Xaver hat gebetet „Da mihi animas, cetera tolle: Gib mir Seelen und nimm alles andere!“ Er hat zehntausende getauft. Der heilige Franz von Sales hat in seinem apostolischen Leben über 50.000 Menschen zum katholischen Glauben bekehrt. Die Wahrheit, die hinter diesem unverzichtbaren Auftrag der Hirten der Kirche steht, ist von der Kirche selbst unter dem heiligen Papst Johannes Paul II im Jahre 2000 nochmals klar formuliert worden: “Deshalb muss in Verbindung mit der Einzigkeit und der Universalität der Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Einzigkeit der von ihm gestifteten Kirche als Wahrheit des katholischen Glaubens fest geglaubt werden. Wie es nur einen einzigen Christus gibt, so gibt es nur einen einzigen Leib Christi, eine einzige Braut Christi: ‚die eine alleinige katholische und apostolische Kirche‘.“ (Erkl. der Glaubenskongr. v. 6. August 2000: Dominus Iesus, 16).

Weil es aber nur einen einzigen Hirten und eine einzige Herde gibt, die das Heil vermitteln, müssen die Hirten versuchen, alle zu diesem Schafstall führen, damit viele gerettet werden. Deswegen müssen sie durch ihr priesterliches Leben, die Verkündigung der ganzen Wahrheit und die Spendung der Sakramente in erster Linie die Verwalter jener heiligen Geheimnisse sein, die sie selbst zu guten Hirten gemacht haben. Die Heilsinstrumente der Kirche sind im letzten für alle bestimmt. Ist der Priester heute auch oft ein Rufer in der Wüste, so darf er doch niemals aufhören, die „anderen Schafe“ zu Christus zu rufen!

Das also ist ein guter Hirt nach dem Beispiel Christi: Er gibt sein ganzes Leben für die Schafe, er kennt sie und ihre Not durch und durch und er wird niemals müde, auch den verlorenen Schafen nachzugehen, um sie zur einen Herde Christi zu führen. Der gute Hirte gleicht Christus, so wie Christus der wahre und einzige Hirt der Herde ist. Kein geringerer Maßstab darf an den guten Hirten angelegt werden, wenn wir dem Auftrag Christi folgen wollen.

Das aber zeigt, was wir heute brauchen. Wir brauchen keine strukturellen Reformen, wie brauchen keine geweihten Frauen oder verheiratete Priester, wir brauchen keine Demagogen und Ideologen, wir brauchen keine neue Kirche. Was wir brauchen, sind heilige und gute Hirten! Hirten, die wirklich ihr ganzes priesterliches Leben für die Menschen geben, die ihnen anvertraut sind; Hirten, die diese Menschen kennen und ihnen nachgehen, um ihnen die Wahrheit und die Gnade zu bringen; Hirten, die nicht müde werden, auch den Fernstehenden und Ungläubigen Christus zu verkünden. Diese Hirten müssen Männer des Gebetes und des Altares sein, denn ihr Leben ist ein Opfer. Diese Hirten müssen für die Spendung der Sakramente leben, vor allem der heiligen Eucharistie und der heiligen Beichte. Diese Hirten müssen den Glauben gut kennen und klug verkündigen können. Die Hirten müssen mutig, dienstbereit und entschlossen sein. Sie dürfen keine Angst vor der Welt haben. Beten wir also um viele Berufungen und heilige Priester!

In jeder großen Krise sind der Kirche große heilige Priester und seeleneifrige gute Hirten erwachsen: Athanasius, Benedikt, Gregor VII, Petrus Canisius, Pius IX, um nur ganz wenige zu nennen. Große, mutige, entschlossene Priester, bereit mit Christus zu leiden! Zu jeder Zeit schenkt der Eine Gute Hirt der Kirche heilige Hirten, wenn Seine Herde darum ruft.  Rufen wir also, rufen wir ohne Unterlass zu Gott, damit er uns gnädig schenkt, was wir brauchen: Nicht eine neue Kirche, sondern eine in ihren guten Hirten sichtbar heilige Kirche, damit wieder „eine Herde und ein Hirte“ werde! Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zum Weißen Sonntag (Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit) 2020

Liebe Gläubige!

Weiß ist für uns die Farbe der Unschuld, der Reinheit, der Frische, des Lichtes, der Helligkeit. Weiß ist gleichzeitig die Farbe der sogenannten drei katholischen Weiß-heiten: des Allerheiligsten Altarsakramentes, der jungfräulichen Gottesmutter und des Stellvertreters Christi auf Erden. Die Farbe Weiß erinnert uns an das, was uns fehlt: Durch die Erbschuld mangeln wir der Unschuld, der Reinheit und des inneren Lichtes. Anderseits deutet sie aber ebenso auf die Mittel hin, diese Geschenke Gottes wieder zu erlangen: Die Kirche, ihre Sakramente und ihre himmlische Königin.

In alter Zeit legten am Weißen Sonntag die an Ostern Neugetauften ihre weißen Kleider, Zeichen der durch die Taufgnade empfangenen Unschuld, dankbar in der Kirche dem Herrn zu Füßen. Später empfingen fast alle Kinder am gleichen Sonntag die Erste Heilige Kommunion. Der Heiland, gegenwärtig unter der Gestalt der weißen Hostie, wird damit seit alters her als Quelle der Reinheit und Unschuld, als Ursprung des Lichtes in unseren Seelen bekannt.

Diese Gnadengeschenke sind aber alle Folgen der unendlichen Barmherzigkeit Gottes. Die Gnade der Taufe, die Gegenwart des Herrn in der Eucharistie, ja alle Sakramente der Kirche, wie auch die Kirche selbst, ihr Priestertum und ihre Hierarchie sind nichts anderes als Instrumente der göttlichen Barmherzigkeit. Daher ist es mehr als angebracht, dass die Kirche nun auch am Weißen Sonntag besonders der Barmherzigkeit Gottes gedenkt und für sie dankt.

Diese Barmherzigkeit hat aber, ebenso wenig wie Taufe und Eucharistie, an denen sie sichtbar wird, etwas bloß Symbolisches an sich. Die Taufe ist eben keine „Jugendweihe“, kein bloßer Anlass zu einem Familienfest, keine gesellschaftliche Konvention. Sie ist vielmehr der notwendige Schlüssel zum Heil. Sie ist der Strom des Lebens, durch den jene Ursünde abgewaschen wird, deren Folgen wir alle merken und deren Spuren uns immer nach unten ziehen. Die Taufe ist gerade nicht Konvention, sondern dramatisches Heilsgeschehen, ohne das wir verloren sind. Durch sie und das Wirken Gottes in ihr werden wir den Krallen Satans entrissen.

Ebenso ist die Eucharistie kein leeres Symbol. Sie ist nicht irgendein Stückchen Brot, das zum Zeichen kirchlicher Gemeinschaft jedem verteilt wird, der sich in die Schlange stellt. Sie ist nicht Erinnerung, sondern machtvolle Gegenwart. Die neue Wirklichkeit der Heiligen Hostie umschließt den Himmel. Der Heiland selbst thront durch sie mitten unter uns. Die Majestät Gottes ist in ihr der Kirche dauernd anwesend. Die geopferte Menschheit Christi setzt ihr Heilswerk im Opfer der Eucharistie andauernd fort. Wenn irgendwo die Fülle umgestaltender gott-menschlicher Majestät die Welt erreicht, dann in der heiligen Eucharistie.

Deswegen ist die Barmherzigkeit, die die Kirche heute feiert, auch nur auf dem Hintergrund der göttlichen Majestät wirklich zu begreifen. Wir haben keinen Großvater-Gott, der nicht mehr anders kann, als über unsere Schuld hinwegzusehen. Wir verehren auch keinen göttlichen Uhrmacher, der sich nach getanem Werk unbeteiligt die Welt von weitem ansieht. Die Urgewalt, die Schöpfermacht, die Allwissenheit Gottes ist vielmehr seit Ewigkeit und für immer unverändert. „Rot wie Scharlach“ (vgl. Isaias 1,18) steht unsere Schuld vor der unendlichen Größe des majestätischen Gottes und schreit nach Vergeltung!

Er aber macht sie „weiß wie Schnee“! Er entäußert sich seiner Majestät, wird ein Mensch wie wir, um für uns zu sterben und uns zu erlösen. Seine göttliche Kraft, unvermindert in seiner leidenden Menschheit, macht aus dem durch unsere Sünden verursachten Verbrechen an einem Unschuldigen das endgültige Erlösungsopfer unseres Heils. Der Allmächtige, Ewige Gott wird in Jesus Christus zum Opferlamm für uns, simul sacerdos et hostia: gleichzeitig Priester und Opfer. Das göttliche Drama unserer Erlösung ist das Wirklichkeits-Drama der unendlichen, liebenden Barmherzigkeit Gottes. Weil Gott so unendlich groß ist, besitzt er die grenzenlose Macht, Tod und Teufel und Sünde zu besiegen. Wer nicht an die Majestät Gottes glaubt, kann auch die göttliche Barmherzigkeit nicht begreifen.

Das Drama der Barmherzigkeit ist aber nicht zu Ende. Der Strom der von Christus teuer erkauften Barmherzigkeit fließt weiter in der Taufe. Deswegen ist dieses Sakrament auch das Sakrament der Majestät Gottes, das uns zu dem macht, was wir ursprünglich werden sollten: Kinder des großen Königs! Jeder, der gerettet werden will, bedarf des Stromes der Gnade, der die Ursünde und alle persönlichen Sünden hinwegspült. Ohne diese Gnade können wir der Barmherzigkeit nicht teilhaft werden, weil Hindernisse, die von der gebrochenen Freiheit des Menschen kommen, nur von der größeren Freiheit Gottes behoben werden können: „Erhebt Euch, ihr uralten Pforten, es kommt der König der Herrlichkeit!“ (Psalm 24, 9 auch 7-10).

Dasselbe Drama widerholt sich unblutig auf unseren Altären bei jeder heiligen Messe. Gottes Majestät lässt sich herab, sich unser zu erbarmen. Da ist nichts bloß äußerlich Symbolisches. Der barmherzige Gott ist in Christus für immer Mensch geworden. Er bleibt für immer der Geopferte. Für immer ist dieses Opfer gegenwärtig, wenn der Priester die Worte der Wandlung in der Person Christi spricht: Er ist wirklicher Stellvertreter des einzigen Hohepriesters Christus, der das Opfer von Golgotha über die Zeiten hinweg mitten unter uns sakramental vollzieht. Im „heiligen Opfer der Eucharistie, ‚vollzieht sich‘ ‚das Werk unserer Erlösung‘“, zitiert die Liturgiekonstitution des Vaticanum II (SC 2) die Sekret des 9. Sonntages nach Pfingsten. Im heiligen Opfer vollzieht sich das göttliche Drama der Barmherzigkeit des Allmächtigen zugunsten der ohnmächtigen Sünder.

Zur Wiederherstellung unserer Unschuld, ja zum noch größeren Geschenk der Gotteskindschaft an seine menschlichen Geschöpfe hat der Gottmensch sich wie ein Lamm schlachten lassen. Deswegen müssen wir alles tun, um die Frucht dieser Barmherzigkeit nicht zu verlieren. Angesichts des blutigen Lösegeldes, das Christus für die vielen bezahlt hat (vgl. Matthäus 20, 28), sollen wir die Erlösung nicht „auf die leichte Schulter nehmen“. Barmherzigkeit ist nicht selbstverständlich. Sie ist nicht garantiert. Sie ist nicht automatisch. Sie hat einen hohen Preis gefordert und sie fordert von jedem einen Preis. Gott hat den Preis für alle auf sich genommen. Er lässt seiner nicht spotten (vgl. Galater 6,7). Wer Gottes Barmherzigkeit leicht nimmt, der sündigt gegen sie. Wer die Gnaden der Taufe und der Eucharistie nicht ernst nimmt, dem können sie nicht helfen. Wer auf die Barmherzigkeit Gottes hin weiter sündigt, an dem ist sie verloren.

Der Apostel Thomas hat erst geglaubt, als er den Finger in die Seitenwunde des Herrn legen konnte, wie uns das heutige Evangelium sagt. „Selig, die nicht sehen, und doch glauben!“ (Johannes 20, 29), sagt der Herr zu ihm. Wir aber sollten wenigstens so glauben, wie der heilige Thomas. Denn wir haben gesehen! Wir haben gesehen und sehen es noch, wie die Majestät Gottes niedersteigt, wie sie sich im Gottmenschen für uns opfern lässt, wie aus der geöffneten Seitenwunde die Gnadenströme in Taufe und Eucharistie auf die Kirche herabfließen. Wir können gleichsam täglich unseren Finger in die offene Wunde der geopferten Barmherzigkeit legen. Glauben wir also an die Majestät dieser Barmherzigkeit, damit sie an uns nicht verloren geht. Dieser Glaube, der Glaube der Kirche, der Glaube unserer Väter, der wahre katholische Glaube an die erlösende Kraft des Dramas der göttlichen Barmherzigkeit wird uns freimachen. Denn dieser unser Glaube, so sagt der heilige Johannes, „besiegt die Welt!“ (1 Johannes 5, 4). Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Osterwünsche von S. Eminenz Raymond Kardinal Burke

Liebe Freunde,

            am Ostermorgen finden wir uns zusammen mit den heiligen Frauen, die unserem Herrn in seiner Passion und bei seinem Tod treu zur Seite standen, vor seinem leeren Grab wieder. Das Grab erinnert an die tiefe Qual des Todes und des Begräbnisses Christi, des menschgewordenen Gottessohnes, der die grausamsten Leiden und die schändlichste Hinrichtung erleiden wollte, die zu dieser Zeit bekannt war, um uns für immer von der Sünde und von ihrer giftigsten Frucht, dem ewigen Tod, zu befreien. Aber das leere Grab ist voller Licht, und in ihm befindet sich der Osterengel. Es ist nicht mehr das Grab, sondern das Heilige Grab, das Zeugnis eines Geheimnisses, des Geheimnisses aller Geheimnisse: das Geheimnis der göttlichen Liebe, die unser Heil ist. Das Grab ist nicht leer, weil jemand den Leib des Erlösers weggenommen hat.

Der Osterengel verkündet den heiligen Frauen – und uns – das Geheimnis, von dem das Heilige Grab Zeugnis ablegt:   

Wundert euch nicht, ihr sucht Jesus von Nazareth, der gekreuzigt wurde. Er ist auferstanden, er ist nicht hier; seht den Ort, wo sie ihn hingelegt haben. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch nach Galiläa geht; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat (Mk. 16,6-7).

Gott hat in seiner unermesslichen und unaufhörlichen Liebe zu den Menschen seinen eingeborenen Sohn in unser menschliches Fleisch gesandt, um in demselben Fleisch den Sieg über die Sünde, den Sieg des ewigen Lebens, zu vollbringen. Der auferstandene Herr geht in der Kirche immer vor uns her und ist in der Kirche immer an unserer Seite, um uns auf dem Weg zu führen, der zum ewigen Leben führt.

Unser menschliches Leben ist daher für immer und auf die tiefgreifendste Weise verändert worden. Vom Tag der Auferstehung des Herrn an leben wir, die wir durch die Taufe in Ihm wiedergeboren sind, in Ihm. Wir, die wir von Gott dem Vater in Seinem eingeborenen Sohn adoptiert wurden, der gestorben und von den Toten auferstanden ist, leben in Christus. Wir sind in Christus lebendig. Er, der durch die Innewohnung des Heiligen Geistes in unseren Seelen lebt, geht vor uns her, führt uns, damit unsere irdische Pilgerreise ihre wahre Bestimmung erreicht: das ewige Leben in der Gegenwart Gottes – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – und in der Gemeinschaft der Engel und aller Heiligen.

Aus diesem Grund ermahnt uns der hl. Paulus mit aller Konkretheit und großem Realismus und gebietet: “Fegt den alten Sauerteig hinaus, damit ihr ein neuer Teig seid; ihr seid ja ungesäuert“ (1 Kor. 5,7). Er gibt uns keine abstrakte oder idealistische Ordnung, die außerhalb unserer Möglichkeiten liegt. Allein können wir nicht frei von “dem Sauerteig der Bosheit und der Schlechtigkeit” leben (1 Kor. 5,8). Es ist der Heilige Geist, den der auferstandene Herr aus seinem glorreich durchbohrten Herzen in unsere Herzen sendet. Er ist es, der uns verwandelt, damit wir “mit dem ungesäuerten Brot der Aufrichtigkeit und Wahrheit” (1 Kor. 5,8) leben können. Wir sind nicht länger die Sklaven unserer Sünden und des Fürsten der Finsternis. Wir sind wahre Söhne Gottes, Brüder und Schwestern des auferstandenen Christus, freie Mitarbeiter mit Seiner Gnade, die immer reichlich vorhanden ist und an der es nie mangelt. Unsere Bestimmung in Christus, als adoptierte Söhne und Töchter in Ihm, ist nicht das Grab, sondern das ewige Leben. Wenn wir sterben, wird unser Leib in das Grab gelegt, um auf den Tag der Auferstehung des Leibes bei der endgültigen Ankunft Christi zu warten. Der Heilige Geist, der in uns wohnt, macht uns zu dem fähig, was uns sonst unmöglich wäre: in Übereinstimmung mit der Wahrheit und in der Liebe Christi zu leben, jetzt und in der Ewigkeit.

Sicherlich stehen wir vor den schwierigen Herausforderungen des täglichen christlichen Lebens, der Täuschungen des Bösen und unserer eigenen Schwachheit. Sicherlich durchleben wir in der Welt gerade eine turbulente Zeit. Wir befinden uns in einer internationalen Gesundheitskrise, über die wir so wenig wissen und über die wir täglich verwirrende und sogar widersprüchliche Berichte erhalten; und diese turbulente Zeit durchleben wir selbst in der Kirche, die von so viel Verwirrung und Irrtum geplagt ist. Aber blicken wir auf das Heilige Grab, und wir werden die Wahrheit erkennen, die es bezeugt. Bleiben wir fest und stark, in der Zuversicht, dass der Herr tatsächlich von den Toten auferstanden ist und dass er vor uns hergeht und im täglichen Kampf an unserer Seite steht, damit wir ihm treu bleiben und in Übereinstimmung mit der Wahrheit und in der Liebe leben, die ihre reiche und unerschöpfliche Quelle im Heiligsten Herzen haben. Unsere Herzen werden, wenn sie in Sein Heiligstes Herz gelegt sind, die Weisheit und den Mut empfangen, unsere Identität als wahre Söhne und Töchter Gottes in Ihm treu zu leben.

Schauen wir, vereint mit der jungfräulichen Muttergottes, mit den heiligen Frauen, mit dem hl. Petrus und den anderen Zeugen der Auferstehung unseres Herrn durch die christlichen Jahrhunderte hindurch, kurzum, mit der ganzen Gemeinschaft der Heiligen, auf das leere Grab des Herrn, das Heilige Grab, und nehmen wir mit Zuversicht die Verkündigung des Osterengels auf, der uns versichert, dass Christus auferstanden ist und dass er vor uns hergeht, um uns immer in der Kirche zu begegnen, vor allem im Allerheiligsten Sakrament der Eucharistie. Erheben wir heute und jeden Tag unsere Herzen, vereinigt mit dem unbefleckten Herzen Mariens, zu Seinem Heiligsten Herzen. Weihen wir unsere Herzen Seinem Heiligsten Herzen, um immer in Seiner Gemeinschaft, in Herzensgemeinschaft mit Ihm zu leben.

Es wird eine Geschichte über den heiligmäßigen Kardinal Stefan Wyszyński, Erzbischof von Gnesen und Warschau und Primas von Polen, erzählt, der zunächst inhaftiert und dann ab September 1953 von der kommunistischen Regierung unter Hausarrest gestellt wurde. Er und diejenigen, die ihm in jener Zeit beistanden, wurden Zeugen der unmenschlichen Behandlung, ja Folter und Hinrichtung, so vieler Gefangener. Einer von jenen, die ihm während seines Hausarrests zur Seite standen, äußerte eines Tages die Angst davor, wer an die Tür kommen könnte. Die Angst war nicht unbegründet. Der Kardinal soll geantwortet haben, dass, wenn die Angst an die Tür klopft, der Mut die Tür öffnet – und es ist niemand da. Mit anderen Worten: in Zeiten des Leidens und sogar des Todes müssen wir den Mut derer haben, die in Christus leben. Wir dürfen der Furcht nicht nachgeben, die zwar ein natürliches Gefühl in Zeiten der Gefahr ist, die Satan aber dazu benutzt, uns unseren christusähnlichen Mut zu nehmen. Vielmehr müssen wir immer größeres Vertrauen in unseren Herrn haben, der uns nie verlassen wird. Wenn wir mutig voranschreiten, wird es zwar Leid geben, aber keine Niederlage. Wenn der Mut die Tür öffnet, wird das, was wir so sehr gefürchtet haben, nicht da sein, weil Christus mit uns ist. Vielmehr wird es den Sieg Christi in unserem menschlichen Fleisch geben. In der gegenwärtigen und sehr ernsten Situation für die Welt und für die Kirche, sollten wir uns an das Beispiel des ehrwürdigen Kardinals Wyszyński erinnern. Wenn uns Furcht überwinden will, dann lasst uns mutig sein in Christus, der wirklich auferstanden ist und in uns lebt.

Setzen wir all unser Vertrauen auf unseren auferstandenen Herrn und machen wir uns das Gebet des Psalmisten ganz zu eigen, das an diesem Tag der Auferstehung unseres Herrn so schön gesungen wird:

Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat;

Freuen wir uns und seien wir froh darüber.

Rette uns, wir bitten dich, o Herr!

Herr, wir flehen dich an, gib uns den Sieg (Ps. 118 [117], 24-25).

Ich bete für Sie und mit Ihnen. Mögen wir gemeinsam starke, feste und mutige Zeugen für das Geheimnis der Wahrheit und Liebe Gottes sein, die in uns wirken. Bitte beten Sie für mich.

            Möge die Feier der Auferstehung unseres Herrn bleibende Freude und Frieden in Ihr Heim bringen sowie festes Vertrauen und Mut in Ihr Herz.

Raymond Leo Kardinal BURKE

12. April 2020

Ostersonntag

Predigt Ostermontag

Liebe Gläubige!

“Bleib bei uns Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich schon geneigt!“ Diese Worte der Emmausjünger scheinen uns aus dem Herzen gesprochen. Während aber die Jünger an den Herrn dachten, dem der lange Heimweg nicht mehr zuzumuten war, dürfen wir Ihn bitten zu bleiben, weil uns die Schatten unserer Zeit selbst furchtsam machen. Während die Emmausjünger nämlich noch nicht wussten, wer bei ihnen einkehrte, haben wir den Herrn schon am Brotbrechen erkannt. Wir wissen, dass er mit uns auf dem Weg ist, ja noch mehr, dass er in jeder heiligen Messe mit uns das Brot des Lebens bricht, in dem Er selbst sich uns schenkt.

Daher dürfen wir ihn bitten zu bleiben, wenn es Abend wird und der Tag sich neigt. Leben wir nicht am Abend unserer Kultur? Hat sich der Tag unserer christlichen Gesellschaftsordnung nicht schon lange geneigt? Sind die Schatten nicht so lang geworden, dass sie nun wie bedrohliche Gespenster auf uns wirken? Unsere Institutionen scheinen schwach und hinfällig, Recht und Gesetz oft beliebig interpretierbar, persönliche Interessen derer, die uns leiten, nicht selten im Vordergrund und allerlei Ideologien, die wir lange überwunden glaubten, sind zurück.

In der Kirche scheint es nicht besser auszusehen. Mut, Frömmigkeit und Liebe zur Wahrheit scheinen selten geworden. Statt klarer Worte trifft man bestenfalls auf Schweigen; nur, wenn sich angepasst werden muss, wird Stärke simuliert. Es wird viel von Reformen gesprochen, doch die Maßstäbe solcher Verbesserungen bleiben zweifelhaft. Menschenfurcht und Medienwirkung gewinnen vor Treue zur katholischen Lehre und Moral. Ist das auch der Abend der Kirche? so hört man ängstlich fragen.

Dass wir in einer Zeitenwende leben, steht außer Diskussion. Vielleicht werden die bürgerlichen Institutionen, so wie wir sie in einer außergewöhnlich langen Friedenszeit erlebt haben, bald so ausgehöhlt sein, dass sie tatsächlich zerfallen. Kein Staatswesen ist ewig, so lehrt die Geschichte. Die klassische Kultur, so wie sie noch unsere Väter gekannt haben, hat sich tatsächlich längst verabschiedet. Unwissenheit und Unbildung steigen. Ob der Frieden, den uns Gott so lange erhalten hat, dauern wird, weiß Er allein. Europa hat sich öffentlich und privat von seinen christlichen Wurzeln losgerissen und sie verleugnet. Wie können wir erwarten, dass alles so weitergeht wie bisher?

Für einen Staat und eine Gesellschaft ohne Gott kann niemand die Garantie übernehmen. Für die Kirche aber hat sie Christus seit ihrer Gründung übernommen. Die Kirche hat alles überlebt und wird es auch in Zukunft tun. Durch göttliche Stiftung und Willen ist sie unzerstörbar. Sie hat den Verrat Petri und die Feigheit der Apostel überlebt, und das nicht nur einmal! Sie hat den Untergang großer Reiche und Kulturen überlebt, und zwar schon viele Male. Sie hat Verfolgungen, Seuchen, Barbarei, Völkerwanderungen, Unterdrückung, Martyrium, Häresie und Irrtum überlebt, so oft, dass ihre dauernde Existenz in sich selbst ein Wunderwerk der göttlichen Allmacht geworden ist.

„Du bist Petrus: Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen!“ (Matthäus 16, 18), hat der Herr dem Petrus bei Cäsarea Philippi gesagt. Damals wusste er schon, dass Petrus ihn im Stich lassen würde, dass er als Mensch feige und großsprecherisch war, dass man sich nicht auf ihn verlassen konnte. Trotzdem hat er ihm die Schlüssel des Himmelreiches gegeben und seither nie mehr entzogen.

Große Heilige, gewaltige Fürsten, weise Theologen haben das Schiff Petri durch die Stürme der Zeiten gesteuert, aber es hat wohl auch einige Feiglinge, Opportunisten, Weltlinge und Scharlatane auf dem Thron Petri gegeben. Die Zahl der guten Päpste ist weit höher, aber die anderen haben doch für kurze Zeit großes Übel anrichten können. Die Kirche hat sie alle überlebt!

Warum ist das so? Weil der Herr die Bitte der Emmausjünger schon erhört hat. In dem Evangelium des heutigen Tages heißt es: „Er stellte sich so, als wollte Er weitergehen.“ (Lukas 24, 28) In Wirklichkeit aber hatte er schon entschieden zu bleiben, um die Jünger über die Wahrheit der Auferstehung zu belehren. Er hat sich für immer entschieden, in der Kirche zu bleiben. Daher nennt er sie „meine Kirche“. Daher fragt er den die junge Kirche verfolgenden Paulus: „Warum verfolgst du Mich?“ (Apostelgeschichte 9, 4) Er identifiziert sich mit Seiner Kirche! Manchmal stellt er sich allerdings in der Kirchengeschichte so, als wolle Er nicht bleiben. So scheint es heute, wie schon viele Male vorher. Aber er bleibt immer. Er will nur, wie damals, dass wir Ihn bitten, damit unsere Herzen offen werden, seine Gegenwart zu erkennen.

Bitten wir ihn also dringend um seine Gegenwart, wie der Emmausjünger. Wenn wir uns Sorgen machen um die Zukunft, wenn wir an der Gesellschaft verzweifeln, wenn wir die Vertreter der Kirche nicht mehr verstehen: „Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden!“ Wenn wir ihn so demütig bitten, dann wird er uns alles erklären. Dann wird er uns die Schrift verstehen lassen. Dann wird er die Kirchengeschichte erleuchten. Dann wird er seiner Kirche wieder Männer mit brennenden Herzen schenken, die offene Augen für seine Gegenwart haben.

Wenn wir Ihn nur bitten, dann werden auch uns mitten im Dunkel der Zeit die Augen aufgehen für das, was wirklich in der Kirche wichtig ist: Seine Heilsgegenwart im Altarsakrament, die uns niemals verlässt. Und wie die Jünger werden wir aufstehen und herausgehen ohne Angst vor der Zukunft, damit wir allen anderen sagen können, was heute und für alle Zeiten in der Kirche wirklich zählt: „Christus, gestern, heute und in Ewigkeit!“ Amen

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt Ostersonntag

Liebe Gläubige!

„Das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden!“ So sangen wir in guten Zeiten in unseren Kirchen am Ostermorgen. Das Grab ist leer! Dieser kurze Satz ist für unseren Glauben von enormer Bedeutung. Unser Glaube ist kein Mythos. Wir glauben keine phantastischen Göttergeschichten, keine verworrenen Erzählungen von ewiger Wiederkehr und Neugeburt, keine Fabeln und Sagen, die niemand je nachprüfen kann. Der Inhalt unseres Glaubens übersteigt zwar die Grenzen unserer Vernunft, denn sein Ursprung ist im unendlichen Gott. Doch die Gründe dafür, dass wir die Offenbarung Gottes für wahr halten, beruhen auf unumstößlichen Tatsachen. Einige der wichtigsten darunter sind wesentlich für unsere Glaubensfreude an diesem Ostermorgen: Jesus hat unter uns gelebt, Er hat für uns gelitten und ist gekreuzigt worden, Er ist leiblich von den Toten erstanden!

Das leere Grab bezeugt die Wahrheit dieser historischen Tatsachen. Jesus ist nicht „in das Kerygma auferstanden“, seine Auferstehung ist also nicht eine bloße Glaubenserzählung der nachösterlichen Gemeinde, wie uns manche in verwässerter Wiederholung altmodischer Irrtümer oft protestantischen Ursprungs weismachen wollen. Seine Auferstehung ist ein Faktum, das wie jede andere Tatsache, deren persönliche Zeugen wir nicht gewesen sind, durch Zeugen, Beweise und Indizien erhärtet werden kann. Denken wir doch an die berühmte Schlacht Alexanders des Großen gegen Darius III von Persien bei Issos im Jahre 333 vor Christus. Dafür gibt es nur vier teilweise stark voneinander abhängige Quellen, die sämtlich erst 300 bis 400 Jahre später die Schlacht erwähnt haben.  Trotzdem zweifelt niemand an der Existenz dieser Schlacht!

Für die Auferstehung Christi jedoch gibt es Zeugen, die noch am Morgen selbst das leere Grab gefunden haben. Dass es sich dabei unzweifelhaft um das Grab Jesu handelte, war schon an der außergewöhnlichen Art der Bestattung eines „Verbrechers“ in der Grablege eines Vornehmen zu erkennen. Das Grab des Joseph von Arimathaea, selber Mitglied des Hohen Rates, war den jüdischen Hohepriestern und Pharisäern bekannt. Deshalb konnten sie es bewachen lassen und sie hätten sofort die Behauptung vom leeren Grab widerlegt, falls das möglich gewesen wäre.

Aber das Grab war leer! Deswegen sahen sie sich rasch gezwungen, die Fabel in die Welt zu setzen, seine Jünger hätten den Leichnam gestohlen. Der Evangelist Matthäus berichtet das (Matthäus 28, 13-15) zu einer Zeit, in der noch viele lebten, die von den Geschehnissen gehört hatten. Wäre sein Zeugnis über die Fabel des Hohen Rates nicht wahr, hätten ihn die Zeitgenossen leicht widerlegen können. Offensichtlich haben also die Feinde der Christen tatsächlich diese beschuldigt, den Leichnam Christi gestohlen zu haben. Damit werden diese Feinde selbst zu Zeugen des leeren Grabes.

Nun waren aber die ersten Zeugen für das leere Grab die frommen Frauen, die am Ostermorgen zum Grab gegangen waren, um den Leichnam Jesu zu salben. Das ist doppelt bedeutsam. Erstens haben sie offensichtlich nichts vorbereitet oder erwartet, was auf ein leeres Grab hindeutet. Sonst wären sie ja nicht mit ihren Salbölen zum Grab gegangen. Maria Magdalena hält den Herrn in ihrer Überraschung sogar für den Gärtner, den sie fragt, wo er den Leib Jesu hingelegt habe. Die Frauen waren also auf die Auferstehung und die Tatsache des leeren Grabes in keiner Weise vorbereitet, ebenso wenig wie die Jünger, die den Frauen zunächst gar nicht glauben wollen. Es handelt sich also nicht um eine abgesprochene Lüge, sondern um Wahrheit!

Zweitens ist es sehr ungewöhnlich, dass die Evangelisten die Frauen überhaupt als Zeugen anführen. Frauen waren zur Zeit Jesu keine vollwertigen Zeugen im Prozessgeschehen und wurden auch sonst als glaubwürdige Zeugen nicht ernst genommen, was man an der zweifelnden Reaktion der Emmausjünger schon zu Genüge sieht. Wenn also die Tatsache des leeren Grabes nur eine Erfindung wäre, hätten die Evangelisten sich einen Bärendienst erwiesen, als erste und zunächst wichtigste Zeugen Frauen aufzuführen. Wenn sie es doch tun, zeigt sich, dass sie nichts zu verbergen oder zu beschönigen waren, weil ihr Bericht einfach wahr ist!

Die Apostel machen in diesen Zeugnissen für die Auferstehung ohnehin keine gute Figur. Während die Frauen wenigstens mutig zum Grab gehen, um den Leichnam des Herrn zu salben, bleiben sie furchtsam zurück und trauen sich nicht aus dem Haus, bis ihnen die Frauen von dem Geschehen berichten. Daraufhin glauben sie ihnen zunächst nicht, denn es sind ja „nur“ Frauen, aber schicken doch zwei Repräsentanten vor, während die anderen sich immer noch verstecken. Hätten sie diese für sie doch sehr peinlichen Umstände nicht verschwiegen, wenn sie eine schöne Phantasiegeschichte zurechtgemacht hätten? Sie haben nichts verschwiegen, und das zeigt wiederum, das alles wahr ist, was sie sagen.

Als dann der Lieblingsjünger Jesu auf das Zeugnis der Frauen hin dem zögerlichen Petrus vorauseilt und zuerst am leeren Grab ankommt, sieht er vom Eingang aus die Leinenbinden liegen, geht aber nicht in das Grab herein, sondern lässt dem Apostelfürsten Petrus den Vortritt. Dieser sieht ebenfalls die Leinenbinden liegen, findet aber das Schweißtuch säuberlich gefaltet an einem anderen Platz. Das ist weder das Werk von Grabräubern noch ein Produkt der Phantasie. Hier werden akribisch historische Einzelheiten wiedergegeben, die schon über das leere Grab hinausdeuten auf das Geschehen um den auferstandenen, den lebenden Jesus. Johannes, der Verfasser dieses Berichtes (Johannes 20, 1-10), ist selber der Zeuge und von allem, was er dazu schreibt, sagen die Indizien dasselbe wie er: „und wir wissen, sein Zeugnis ist wahr“ (Johannes 21, 24).

Doch dabei endet es ja nicht. Die historische Tatsache des leeren Grabes ist nur der erste Anfang der vielen glaubhaften Zeugnisse für die Auferstehung Jesu. Das Grab ist leer, weil der Tod den Gottmenschen nicht halten konnte. Die göttliche Kraft sprengt die menschliche Wirklichkeit des Todes: Der auferstandene Herr erscheint viele Male als Lebender, um seinen Triumph über den Tod unter Beweis zu stellen. Jesus hat nicht nur das Grab leer hinterlassen, sondern er erscheint auch einer Vielzahl an Einzelpersonen (Lukas 24,34) und Gruppen (Matthäus 28,9; Johannes 20,26–30; 21,1–14; Apostelgeschichte 1,3–6; 1. Korinther 15,3–7). Paulus berichtet in einem für ihn nicht vorteilhaften Kontext, dass der Herr sogar 500 Brüdern auf einmal erschienen ist, als letztem auch ihm, der Fehlgeburt (1 Korinther 15, 6-8). Der Hebräerbrief spricht daher nicht zu Unrecht in einem weiteren Zusammenhang von einer „Wolke von Zeugen“ für die Wahrheit des Glaubens (Hebräer 12, 1).

Würden rein historische oder literarkritische Maßstäbe wie in den profanen Wissenschaften an die Tatsache der Auferstehung angelegt, dann würde die Vielzahl der Zeugnisse, ihre Verschiedenheit, ihr glaubwürdiger Zusammenhang und ihre zeitliche Nähe zum Geschehen mehr als ausreichender Beweis für die Tatsächlichkeit des Geschehens sein. Wenn alle überzeugt sind, dass die Schlacht bei Issos stattgefunden hat, für die gerade einmal vier Zeugnisse mit einem geschichtlichen Abstand von wenigstens dreihundert Jahren bestehen, warum glauben dann nicht alle der „Wolke von Zeugen“, die aus unmittelbarer zeitlicher Nähe das leere Grab und die Auferstehung Christi als Tatsache bezeugen?

Warum nicht? Weil die Existenz der Schlacht von Issos keine Ansprüche an uns stellt. Ihre Wirklichkeit ändert heute nichts mehr. Sie kann uns allen ganz egal sein. Die Tatsache der Auferstehung aber verlangt eine Antwort. Sie ändert unser Leben. Sie ist ein direkter Eingriff Gottes in diese Welt. Ihre Wahrheit ist nicht neutral, sondern eine Herausforderung. Jesus ist von den Toten auferstanden. Nur Gott kann den Tod überwinden. Also ist Jesus Gott und alles was er sagt, hat göttliche Autorität und Anspruch auf unseren Glaubensgehorsam. Deswegen wollen, wie der Apostel Thomas, viele nicht glauben, und sogar das nicht, anders als Thomas, was sie gleichsam mit Händen greifen können, denn, „wenn das wahr ist, müsste ich ja mein Leben ändern“.

Doch nichts führt an der historischen Tatsache des leeren Grabes und der überaus zahlreichen Direktzeugnisse für den lebenden Jesus vorbei. Wer daran glauben will, der fällt keinem irrationalen Phantasiegebilde, keinem Mythos und keiner Erfindung zum Opfer. Wer glauben will, hat dafür seit dem Ostermorgen gute Gründe. Unser Glaube beruht auf Tatsachen. Das Geheimnis des Glaubens bleibt immer größer als diese, weil wir an Gott glauben und nicht an den Menschen. Aber weil wir an Gott glauben, der der Herr der Geschichte und der Wirklichkeit ist, täuscht er uns nicht mit einem leeren Mythos. Aus dem Grabe auferstehend zeigt er uns vielmehr, dass er der souveräne Herrscher über Anfang und Ende der Geschichte ist. Ihre Wahrheit gründet sich auf sein Handeln. Diese geschichtliche Wahrheit offenbart sich sichtbar für uns am Triumph des Gottmenschen über das Dunkel des Grabes. Darin besteht unsere Hoffnung auch in schwieriger Zeit. Deswegen singen wir mit der Kirche auch heute noch zurecht:

„Das Grab ist leer, der Held erwacht, der Heiland ist erstanden!

Da sieht man Seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.

Ihm kann kein Siegel, Grab noch Stein, kein Felsen widerstehn.

Schließt Ihn der Unglaub´ selber ein, er wird Ihn siegreich sehn!“ Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zur Osternacht

Liebe Gläubige!

Das Dunkel der Nacht umhüllt uns. Wir können nicht in die Ferne blicken. Wir wissen nicht, was dort auf uns wartet. Wir sind zwar von den Mauern der Kirche beschützt, aber in menschlicher Schwäche blicken wir doch mit Furcht auf das Kommende.

Da erstrahlt uns ein Licht, das die Kirche jedes Jahr wieder für uns entzündet. Sie entzündet ein helles Feuer und betet segnend über dieser Quelle von Zuversicht und Wärme: „Herr, Gott, allmächtiger Vater, Du unvergängliches Licht und Schöpfer allen Lichtes, segne dieses Licht, das von Dir, dem Erleuchter der ganzen Welt, geheiligt und gesegnet ist: dieses Licht mache uns hell, und das Feuer Deiner Herrlichkeit bestrahle uns.“ An dieser Flamme, dem Feuer des Dreieinen Gottes, entzündet sie dann in der ursprünglichen Feier der Osternacht, die für fast zwei Jahrtausende die ihre war, schrittweise eine dreifache Kerze.

Diese dreifache Flamme auf einem Leuchter ist ein sprechendes Symbol für das Licht der Dreifaltigkeit, dessen helle Offenbarung mehr und mehr das Dunkel der angstmachenden Nacht des Heidentums durchdringt. Dreimal grüßen wir mit immer höherer Freude dieses Licht des Erlösers, der uns den Ursprung allen Lichtes aus der einen Herrlichkeit der drei göttlichen Personen offenbart: „Lumen Christi – Deo gratias!“

Dieses Licht ist Mensch geworden. Symbolisch steht die leuchtende Osterkerze für die Menschheit Christi, die vom Feuer der Gottheit entflammt ist. Stellvertretend für den Gottmenschen empfängt die Osterkerze das Lob der Erlösten im Gesang des Exsultet: „Nun jubelt im Himmel, ihr Chöre der Engel! Frohlocket, ihr hohen Geheimnisse Gottes! Erschalle die Siegesposaune zum Triumph des erhabenen Königs! Freue dich, Erde, bestrahlt vom himmlischen Lichte, und fühle, vom Lichtglanz des ewigen Königs erhellt, wie das Dunkel im ganzen Umkreis von dir gewichen. Freue auch Du dich, Mutter, heilige Kirche, verklärt von den Strahlen so herrlichen Lichtes, und dieser Tempel widerhalle vom mächtigen Jubel des Volkes!“

Die Kirche singt dieses Lob seit Jahrtausenden. Sie singt es, obwohl sie verfolgt ist, obwohl ihre Lehren nicht angenommen oder entstellt werden, obwohl die Zeiten unmittelbar um und auch nach der Menschwerdung, dem Erlösertod und der Auferstehung des Osterlammes dunkel waren und auch dunkel geblieben sind. Sie singt dieses von der Freude hellstrahlende Osterlob nicht in jenem falschen Hollywood-Optimismus, der sich hier auf Erden immer ein Happy End erwartet. Die Kirche weiß durch lange, leidvolle Erfahrung, dass es gelogen ist, dem Menschen hier auf Erden heuchlerisch zu versichern: „Alles wird gut!“

Nein, das Exsultet ist nicht kurzsichtige Freude über menschliche Sicherheiten, sondern weitblickende Freude über die himmlischen Gnaden, die uns durch das Ostergeheimnis zuteilwerden: „Diese geheiligte Nacht also vertreibt die Laster, wäscht ab die Sünden; den Gefallenen gibt sie die Unschuld wieder, den Trauernden die Freude. Sie verscheucht den Hass, stiftet Eintracht und beugt die Gewalten!“ Die Gaben der wirklichen Freude sind nicht äußerlich und zerstörbar, sondern innerlich und bleibend.

Die Flamme des Ostersieges Christi erlischt nicht mehr und erhellt die Nacht dieser Welt, auch wenn das Dunkel dichter wird: „Der aufgehende Morgenstern schaue noch ihre Flamme, jener Morgenstern, der keinen Untergang kennt; der aus dem Totenreich wiederkehrt, dem Menschengeschlecht aufleuchtet in mildem Glanze.“ Das ist die Freude dieser Nacht, die uns wird, weil wir wissen, dass das Dunkel niemals mehr siegen kann. Die Freude, auf der Seite des Lichtes zu stehen. Die Freude, nicht auf ewig verloren zu sein. Die Freude, das Licht in uns tragen zu können, das triumphiert über Sünde, Tod und Teufel. Diese Freude kann uns niemand nehmen, denn sie kommt nicht von Menschen, sondern von Gott, dem einen und dreifaltigen Gott, dessen Sohn für immer Sieger bleibt: „Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat!“

In dieser Freude wünsche ich Ihnen mitten im Dunkel der Zeit, im Namen des gesamten Institutes Christus König und Hohepriester sowie aller seiner Mitglieder, ein ganz gesegnetes und gnadenreiches Osterfest für Sie und die Ihren. Uns ist das Licht im Dunkel erschienen, denn „Christus ist auferstanden, Er ist wahrhaft auferstanden. Amen. Alleluja!“

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zum Karfreitag

Liebe Gläubige,

„Einsam und verlassen“, diese beiden Worte, die in unserer Sprache oft gemeinsam gebraucht werden, drücken eine Urangst des Menschen aus. Wir brauchen Gemeinschaft. Die Gemeinschaft der Ehe, der Familie, des Ordens, der Verwandten, des Freundeskreises, der Schul- oder Vereinskameraden, der Kollegen, auf einer weiteren Ebene brauchen wir die Gesellschaft, den Staat und vor allem die Kirche. Schon zu Beginn unserer Geschichte hat Gott uns so geschaffen. Im Buch Genesis (2, 18) sagt der Schöpfer: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei; ich will ihm eine Hilfe machen als sein Gegenstück.“

Die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles haben den Menschen auch als ein zoon politicon, als ein gemeinschaftsbildendes und gemeinschaftsabhängiges Wesen definiert. Von Geburt bis Tod brauchen wir einander, brauchen wir Gemeinschaft, um zu leben und zu überleben. Wir können als Erwachsene für einige Zeit alleine sein, aber auf Dauer wird das zu einem großen Opfer. Wer immer alleine sein muss, der fühlt sich sehr bald wirklich „einsam und verlassen“.

Wir formen Gemeinschaft und brauchen sie. Gott aber ist Gemeinschaft. Die Majestät Seiner einen göttlichen Natur ist so reich, dass sie sich in drei wesensgleiche, gleicherhabene und für immer aufeinander bezogene Personen ergießt. Alles in Gott ist Gemeinschaft. Relationalität, Aufeinanderbezogenheit, drückt demnach in Gemeinsamkeit und Ursprungsunterscheidung das Tiefste des göttlichen Wesens überhaupt aus. Weil Gott Gemeinschaft ist, schafft seine Gegenwart Gemeinschaft: Erlösungsgemeinschaft, Glaubensgemeinschaft, Kirchengemeinschaft. Diese gottbezogene Gemeinschaft wird nur dort zerbrochen, wo die Sünde ist.

Das Gute vereint, das Böse spaltet. Deswegen ist einer der Namen Satans „Diabolus“, Teufel, vom Griechischen διαβάλλειν, diaballein, das unter anderem durchkreuzen, streiten, verleumden bedeutet. Als Judas Iskariot den Herrn verrät, sondert er sich aus. Er verlässt die Gemeinschaft der Apostel und damit der Kirche. Schließlich ist er so verlassen, dass er sich erhängt. Der Teufel scheint sein Ziel erreicht zu haben.

Doch er täuscht sich. Gott ist stärker als alle Vereinzelung und Einsamkeit. Christus ist Gott! Er ist so stark, dass er die Einsamkeit aller auf sich nehmen kann. Er, der ohne Sünde ist, wird zum Ausgesonderten, zum Verachteten, zum Vergessenen, zum Verhöhnten, zum Sündenbock. Allein zwischen Himmel und Erde, hängt er verlassen am Kreuz. Nur Seine Mutter ist noch da, aber auch sie muss zunächst mit den frommen Frauen von Weitem das Sterben Ihres Sohnes miterleiden (Markus 15, 40). Christus nimmt alle Einsamkeit der Sünde auf sich: Er erleidet für uns ohne Schuld jene Vereinzelung, die die Sünde selbst verursacht, wie auch jene Einsamkeit, die wir durch Mangel an Liebe erleiden.

Als Gott verlässt der Herr niemals die Ihm wesensgemäße Gemeinschaft mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Die trinitarische Wesensgemeinschaft des Einen Gottes ist unzerstörbar und ewig. Diese auf der Wesenseinheit beruhende relationale Lebensgemeinschaft gibt Christus letztlich die göttliche Kraft, die menschliche Einsamkeit der Sünde zu durchbrechen und über die letzte Einsamkeit des Todes zu triumphieren. Als Mensch jedoch lässt er zu, dass seine Seele in die tiefste aller möglichen Einsamkeit herabsteigt, um uns aus der Einsamkeit zu retten. Er erleidet in seiner Menschheit freiwillig und für uns die letzte Einsamkeit der Gottverlassenheit. „Eli, Eli, lema sabachtani: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Markus 15, 34; auch Psalm 22, 2). Dieser Angstschrei kommt in der Agonie aus der Tiefe Seiner menschlichen Seele, weil er die Angst aller angesichts des Todes auf sich nimmt. Er erleidet sie freiwillig und stellvertretend für uns.

Der Gottesknecht sieht Gott nicht mehr. Aus ewiger Gemeinschaft majestätsvoller Herrlichkeit steigt er selbstlos hinab in den bodenlosen Schrecken völliger Dunkelheit. Weil er sich ihr zum Opfer bringt, weil er herabsteigt in die Verlassenheit unserer letzten Einsamkeit im Tod, kann seine göttliche Kraft diese endgültig überwinden. Er hat das Schicksal des vereinsamten Sünders, also unser Schicksal, in seiner sündenlosen Menschheit auf sich genommen.

Er sprengt dieses Schicksal von innen, weil er es annimmt im Moment Seines menschlichen Todes und wie eine Schale abwirft in der Auferstehung. Das Dunkel kann den Gottmenschen nicht halten, die Hölle Ihn nicht verschlingen, der Tod Ihn nicht bezwingen. Diese uralten Bedrohungen der sündigen Menschheit unterliegen der Sündenlosigkeit Seiner vollkommenen Menschheit und der Stärke der triumphierenden Gottheit.

Doch bis sich sein Triumph vollendet, für uns alle sichtbar und wirklich gemacht durch das leere Grab am Ostermorgen, erleidet der Herr die äußerste Tiefe menschlicher Verlassenheit. Sein schreckliches körperliches Martyrium ist ebenso blutig wie wahrhaftig: Aller Schmerz ist der Seine! Das geistige Leiden des Herrn, sein Abstieg in seelische Drangsal und furchtbares Elend übersteigen jedoch den leiblichen Schmerz.

Aus diesem menschlichen Entsetzen, das wir auf Ihn geladen haben und das er für uns trägt, erklingt plötzlich ein Wort, das vom Kreuz herab nicht nur an die Umstehenden, sondern an alle Menschen guten Willens gerichtet ist. Der sterbende Gottmensch ruft: „Sitio – Mich dürstet!“ (Johannes 19, 28). Der Herr, dessen äußerster Angstschrei in der Gottverlassenheit noch die Erfüllung einer Prophezeiung der Psalmen ist, sagt auch hier nichts Banales. Er richtet sich vom Altar des Kreuzes an uns alle: Es dürstet Ihn nach unserer Antwort auf Seine Entäußerung. Der Ewige Hohepriester wartet auf unsere Annahme Seines Opfers. Die Liebe dürstet nach der Liebe!

Wie er schließlich in äußerster Agonie Seine Mutter dem Lieblingsjünger und in ihm uns allen zur Mutter gibt, so denkt der Herr auch in diesem Wort nicht an das Stillen nur menschlichen Durstes. Er denkt nicht an sich, Er denkt an uns. Er weiß, dass Sein Tod für jeden umsonst ist, der Ihm keine Antwort gibt. Er weiß, dass er Tod und Teufel durch sein Opfer bezwingen kann, aber dass die irrende menschliche Freiheit ablehnen kann, Teil dieses Sieges zu werden. Er weiß, dass der Mensch entscheiden kann, in der Einsamkeit der Sünde Sklave des alten Schreckens zu bleiben und ihm für immer zu verfallen. Er weiß, dass wir die abgegriffene Schäbigkeit der Sünde dem Glanz des Ostermorgens vorziehen können.

Deswegen fleht er uns an, Seinen Durst zu stillen: Den Durst nach unserer Zustimmung zu Seiner Gnade, die Sehnsucht, uns in Seiner Gemeinschaft zu sehen, den Durst, uns hinführen zu können zur trinitarischen Gemeinschaft der Ewigkeit. So wie der Herr für jeden Einzelnen von uns gestorben ist, wie er Sein Blut für jeden Menschen vergossen hat, so wie er uns persönlich vom Kreuz herab durch die Schleier der Geschichte hindurch ansieht, so dürstet er auch nach unserer persönlichen Antwort. „Sitio – Mich dürstet“: Dieses Wort ist aus der freiwilligen Leidenseinsamkeit des Herrn persönlich an mich gerichtet. Ich bin zur Antwort aufgefordert, zu der Antwort, die mir jene unendliche, ewige, erfüllende Gemeinschaft schenken wird, nach der ich mich im tiefsten sehne.

Wir alle brauchen Gemeinschaft, um zu leben. Menschliche Gemeinschaft allein aber erfüllt unsere Seele niemals genug, um sie vor dem Schrecken des Dunkels zu bewahren. In der besten Ehe, der schönsten Freundschaft lebt noch die Furcht der Einsamkeit. Alle menschliche Gemeinschaft ist Stückwerk und endet mit dem Tod. Wir aber sind für eine größere Gemeinschaft geschaffen, für die ewige Gemeinschaft mit Gott, die auch die wahre Gemeinschaft mit denen schaffen wird, die uns lieb sind. Daher sind wir auf Erden bis zuletzt ängstlich, unruhig, unzufrieden. Zu oft wollen wir unserer unruhigen Sehnsucht durch falsche Gemeinschaft oder zerstörerische Einsamkeit entfliehen. Das weiß der Herr und daher will er unsere Antwort.

Antworten wir dem gekreuzigten Herrn großzügig mit der Antwort der Liebe. Heute gibt uns der sterbende Gottmensch die Chance der richtigen Antwort, die Er selbst uns verdient hat. Er dürstet mit seinem ganzen Erlöserherzen nach dieser Antwort. Sie ist unser Heil. Bleiben wir nicht stumm angesichts solchen Leidens und solcher Liebe. Antworten wir, damit Sein Durst nach unserem Heil gestillt wird! Antworten wir, damit Er uns retten kann! Amen

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zum Gründonnerstag

Haben Sie schon von den sogenannten “Gottesdienst-Sets“ gehört, die in einer Kirche in München an Studenten verteilt worden sind?  Dazu wurde erklärt: „In diesem Set befindet sich eine geweihte Hostie, ein Palmzweig, Weihwasser und ein dazugehörendes Gebet. Alle Bestandteile wurden mit den höchsten hygienischen Sicherheitsmaßnahmen verpackt.” Mit unabsichtlicher Ironie, die schaudern macht, wurden die Empfänger des Sets noch aufgefordert „verantwortungsvoll mit der Hostie“ umzugehen. 

Im besten aller möglichen Fälle scheint hier der Leib Christi auf die Stufe von Sakramentalien gestellt zu werden, also von geweihten äußeren Zeichen, die in gewisser Nachahmung der Sakramente Wirkungen geistlicher Art bezeichnen und auf die Fürbitte der Kirche im Zusammenhang mit unserem persönlichen Glauben wirken, wie etwa das Weihwasser. Selbst in diesem besten aller möglichen Fälle können wir angesichts einer solchen Herabwürdigung des Altarsakramentes nur mit dem leidenden Herrn beten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34).

„Sie wissen nicht, was sie tun!“ Ist das nicht eine Aussage, die heute den Umgang mit dem Allerheiligsten Altarsakrament im Allgemeinen schildert? Wissen wir noch, was wir tun? Wissen wir noch, was im Moment der heiligen Wandlung wirklich geschieht? Wissen wir noch, wen wir bei der heiligen Kommunion wirklich empfangen? Wissen wir noch, wer auf uns in jedem Tabernakel unserer Kirchen wartet? Wissen wir, wie groß die Liebe ist, die sich uns ganz hingibt und sich heute sogar oft unwissenden oder gar beabsichtigten Sakrilegien ausgesetzt sieht?

Der heutige Gründonnerstag, an dem der Herr beim letzten Abendmahl die Sakramente der Eucharistie und des Priestertums eingesetzt hat, kann uns lehren, was im heiligen Messopfer wirklich geschieht. Dazu müssen wir aber zunächst eine Frage beantworten, die sich viele gar nicht mehr stellen und sicher nicht zu beantworten wissen: Was ist ein Sakrament?

Der Katechismus des hl. Papstes Pius X. antwortet darauf klar und eindeutig (Nr. 267 u. 268): „Die Sakramente sind die wirksamen Zeichen der von Jesus Christus zu unserer Heiligung eingesetzten Gnaden. Die Sakramente sind Zeichen der Gnade, weil sie in ihren sinnfälligen Teilen jene unsichtbaren Gnaden bedeuten oder auf sie hinweisen, die sie mitteilen. Sie sind deren wirksame Zeichen, weil sie nicht nur die Gnade bedeuten, sondern sie auch wirklich mitteilen.“

Ein Sakrament ist also nicht bloß „ein Zeichen der Nähe Gottes“. Schon gar nicht ist es ein leeres Symbol als Zeichen einer bloß persönlichen Glaubensüberzeugung. Es ist auch nicht nur ein äußerer Anlass für die Gnadengabe Gottes. Noch weniger ist es schließlich bloß ein Zeichen für die schon gegebene Gnade. Wir können es gar nicht deutlich genug sagen: Das Sakrament, also das von Christus eingesetzte äußere Zeichen, das die Kirche in ihrer Liturgie nach seinem Willen wiederholt, bewirkt innerlich die Ausschüttung der Gnade, die es bezeichnet. Das Sakrament ist das Instrument Gottes, das nach dessen ausdrücklich geäußertem Willen die Gnade wirkmächtig hervorruft, die wir erhalten.

Diese innerliche und wesentliche, daher unverzichtbare Wirkung der Sakramente zeigt ihren tiefen Zusammenhang mit dem Geheimnis der Menschwerdung. Die menschliche Natur Jesu Christi ist kein bloß äußerliches Zeichen für die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Ohne die Tatsache, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich in tief innerlicher Verbindung seiner beiden Naturen ist, wäre das Erlösungswerk in dieser Heilsordnung gänzlich unmöglich gewesen. Daher hat uns Christus nicht „anlässlich“ seines Opfertodes erlöst, sondern durch sein Leiden, sein Kreuz und seine Auferstehung. Die Menschheit Christi ist, wie der heilige Thomas sich mit den griechischen Kirchenvätern ausdrückt, organon Divinitatis, instrumentum coniunctum, nämlich ein innerlich der Gottheit verbundenes Heilsinstrument, durch das die Erlösung bewirkt wird. Wie das Hochgebet der heiligen Messe sagt, sind wir tatsächlich „durch Ihn, mit Ihm und in Ihm“ erlöst worden.

Diese innerliche Verbindung von Gottheit und Menschheit wird von den sieben Sakramenten auf ähnliche Weise durch den Willen Gottes fortgesetzt. Das menschliche Zeichen wird Träger und Instrument des Heils, also wirkmächtiges Zeichen der Gnade. Es bleibt symbolisches Zeichen, aber es wird „Realsymbol“, wirkt also, was es bezeichnet. So bezeichnet die Taufe unsere Reinigung von der Erbschuld, bewirkt sie aber auch durch die Kraft Gottes, die das Zeichen des fließenden Wassers durch die trinitarische Taufformel geheimnisvoll enthält. Wer an der innerlichen Wirkkraft der Sakramente zweifelt, zweifelt im letzten an der Menschwerdung, an der Gottheit Christi und an Seinem Heilswillen. Wer aber die Worte des Herrn in der Offenbarung ernst nimmt, versteht, warum die Kirche unbedingt darauf achten muss, dass die Sakramente in jener grundsätzlichen Form gefeiert werden, die Christus ihnen gegeben und der Heilige Geist über Jahrtausende in der Liturgie bewahrt hat. Da die Sakramente unser Heil bewirken, ist jedes Wort und jeder Gestus bei ihrer Feier in abgestufter Weise heilsbedeutsam.

Das gilt vor allem für die heilige Eucharistie, Quelle und Höhepunkt des sakramentalen Lebens der Kirche. Es handelt sich nicht um ein bloßes Symbol, nicht um eine fromme Erinnerung, nicht um ein rein äußeres Zeichen der Gnade, die dann nur unser Glaube bewirken würde. Die Eucharistie ist vielmehr das Realsymbol schlechthin: Christus, Seine Person und Sein Opfer sind unter den Gestalten von Brot und Wein unter uns ganz gegenwärtig, wie er es selbst gesagt hat: „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für Euch vergossen wird!“ (Lk 22, 19-20) Daher konnte der Herr auch offenbaren: „Wer mein Fleisch ist und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben…Denn mein Fleisch ist eine wahre Speise und mein Blut ein wahrer Trank.“ (Jo 6, 54-55) Die Identifizierung des geopferten Herrn mit den eucharistischen Gestalten ist so klar, dass die Kirche entgegen allem hohlen Symbolismus lehrt, dass „die Gestalten von Brot und Wein wahrhaft den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus zur Nahrung der Seelen“ enthalten (Katechismus des hl. Pius X, 316; auch KKK 1413).

Im Moment der Wandlung reißt durch die göttliche Kraft in den Worten Christi der Schleier der Zeit. Die immer und zeitlos wirkmächtige Kraft Gottes versetzt uns, wie die Apostel beim letzten Abendmahl, mit der Kirche unter das Kreuz. Kreuzesopfer und Messopfer sind im letzten identisch. „Das heilige Messopfer ist das Kreuzesopfer selbst. Es besteht nur ein Unterschied in der Weise der Darbringung.“ (Kat. d. hl. Pius X, 349) Christus selbst bringt durch die Priester dieses Opfer dar (vgl. KKK, 1410).  Der Opfertod Christi wiederholt sich sakramental-geheimnisvoll auf unseren Altären, die in diesem Moment in die Ewigkeit hineinragen. Der Opferwille Christi ist für immer in der Gottheit gegenwärtig und diese Gegenwart senkt sich bei der Wandlung des eucharistischen Opfers hinein in die Zeit, um in ihr zu bleiben, solange die eucharistischen Gestalten bestehen. So wie Christus in alle Ewigkeit das geopferte Lamm bleiben wird, so bleibt er durch das Allerheiligste Altarsakrament in seiner Kirche gegenwärtig bis zum Ende der Zeit. Wenn der Glaube durch das Schauen abgelöst wird, werden wir ihn „sehen, wie er ist“ (1 Johannes 3, 2) und niederfallen, um anzubeten.

Weil aber „im Altarsakrament Christus selbst gegenwärtig ist, ist es in Anbetung zu verehren“, sagt der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK, 1418). Weil die Gottheit und Menschheit, der Leib und die Seele des geopferten und auferstandenen Herrn gegenwärtig sind, fallen wir bei der Wandlung auf die Knie, beugen wir die Knie, wenn wir eine Kirche betreten, knien wir anbetend, wenn der Herr auf dem Altar in der Monstranz feierlich verehrt wird. Der Herr ist nach der Wandlung der heiligen Messe „wirklich, tatsächlich und substantiell gegenwärtig“ (KKK, 1413). Die Wandlung nennen wir deshalb mit dem Konzil von Trient Transsubstantiation, also Wesensverwandlung. Wir sehen, fühlen und schmecken noch die äußeren Gestalten, doch die Allgewalt Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat, hat durch den Vollzug des Sakramentes nach dem Willen Christi Seine Gegenwart an die Stelle des vorher Vorhandenen gesetzt. Das ist keine bloß symbolische Handlung, keine Erinnerung an Vergangenes, sondern Gegenwart, großartige, göttliche, verklärte Gegenwart des triumphierenden Erlösers!

Diese Gegenwart ist, was nur Gott uns schenken kann; sie ist, was die Kirche aufgrund eindeutiger Offenbarung Christi von Anbeginn glaubt; sie ist, was wir in der heiligen Messe feiern und in der Kommunion empfangen. Schon die frühesten Christen haben das gewusst, wie wir aus den mahnenden Worten des heiligen Paulus entnehmen können, die wir in der Messfeier des Gründonnerstags hören: „Wer also unwürdig dieses Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leib und Blut des Herrn. Daher prüfe sich der Mensch, und so esse er von dem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht [von gewöhnlicher Speise] unterscheidet.“ (1 Korinther 11, 27-29). Deswegen gehen wir auch vor dem Osterfest zum Sakrament der Beichte, damit wir uns prüfen und unsere Schuld vergeben wird, bevor wir den Leib des Auferstandenen empfangen.

Deswegen auch scheiden sich am Altarssakrament die Geister. Das ist heute so, das war schon zu Zeiten des Lebens Jesu auf Erden so. „Viele von seinen Jüngern, die es hörten, sagten: ‚Hart ist diese Rede, wer kann sie hören?‘ […] Von da an zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm.“ (Johannes 6, 60-66). Wir stehen vor einem Geheimnis des Glaubens, das zugleich Trost und Herausforderung bedeutet. Trost schöpfen wir aus dem festen Glauben an die bleibende Gegenwart des Herrn unter uns. So wie er nicht vom Kreuz herabgestiegen ist, so lässt er uns auch jetzt nicht allein, wenn Leiden kommen. Auf Ihn können wir immer zählen! Seine Gegenwart ist unverbrüchlich. Sie hängt nicht von unserem Glauben ab, weil sie objektiv und wirklich ist. Auch wenn wir zweifeln, bleibt Er da. Er entzieht dem Sakrament Seiner Gegenwart niemals seine Kraft. Es bleibt, wie alle Sakramente der Kirche, wirkmächtiges Zeichen seiner Erlösungsgnade. Er klopft an unsere Türe. Wir brauchen nur zu öffnen. Er ist da!

Darin liegt auch die Herausforderung. Weil Christus als Gottmensch in diese Welt gekommen ist und im Sakrament des Altares als Gottmensch Seiner Kirche gegenwärtig bleibt, stellt diese Präsenz Ansprüche. Viele aber „wissen nicht, was sie tun“. Sie wollen das Geheimnis verkleinern, denn Seine Gegenwart ist den Sündern unerträglich. Sie wollen sein Handeln leugnen: Was geschieht, „hat nichts mit Gott zu tun“. Sie hätten am liebsten den alten Weltbaumeister-Gott der Aufklärung zurück, der das Uhrwerk der Welt aufzieht und uns dann in Ruhe lässt. Aber wir können die Gegenwart Christi nicht abschaffen. Wir können den Erlöser nicht „zur Ruhe setzen“. Wir können Ihn nicht auf ein „Gottesdienst-Set“ reduzieren. Christus ist kein Symbol eines unverbindlichen „Seid-nett-zueinander“. Er ist keine ferne Erinnerung. Er ist da!

Heute, am Gründonnerstag, wie bei jeder heiligen Messe und in jedem Tabernakel, ist er wieder mitten unter seinen Jüngern. Er bricht mit uns das Brot des Lebens, dass Er selber ist. Er gibt sich uns ganz. Er wartet auf uns. Er weiß, wer ihn verraten wird. Trotzdem bleibt Er bei uns. Unsere Antwort auf die Herausforderung Seiner Gegenwart ist die der Kirche aller Zeiten: Bekenntnis, Anbetung, Liebe! Als der Herr die Jünger fragte: „Wollt nicht auch ihr weggehen?“, hat Petrus für uns alle die Antwort gegeben, die der göttlichen Gegenwart gebührt: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens!“ (Johannes 6, 67-68). Amen

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz

Predigt zum Palmsonntag 2020

Wenn uns jemand wichtig ist, dann begrüßen wir ihn auf besondere Weise, wenn er eintrifft. Wir bringen zur Ankunft Blumen an Flughafen oder Bahnhof. Wir schmücken unser Zuhause, um die erwartete Person zu empfangen. Päpsten, Landesfürsten oder Bischöfen wurden Triumphbögen errichtet, um die Ehre und Freude ihres Besuches zum Ausdruck zu bringen. Wessen Amt wichtig ist, bekommt auch heute noch beim Anreisen „einen großen Bahnhof“. Auch jetzt noch werden vielerorts Elternhaus des Primizianten, Prozessionsweg und Kirche geschmückt, wenn ein junger Priester nach Hause kommt, um seine erste heilige Messe zu feiern. Ein hoher Besuch, eine besondere Heimkehr sind Grund zu Jubel und Feier.

Das geschah auch vor mehr als 2000 Jahren beim Einzug des Herrn in Jerusalem: „Die Kinder der Hebräer zogen mit Ölzweigen in den Händen dem Herrn entgegen und riefen: ‚Hosanna in excelsis‘!“ Mit diesen Worten besingt die Kirche in den Antiphonen des heutigen Tages die ergreifende Szene vom Einzug des Herrn in Jerusalem, die das Matthäusevangelium (Matthäus 21, 1-9) schildert: „Sehr viele vom Volke breiteten ihre Kleider über den Weg, andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Scharen, die vorausgingen und nachfolgten, riefen laut: ‚Hosanna dem Sohn Davids! Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“

In einer Vorahnung begrüßte die Menge Christus als den wirklichen König, „der da kommt im Namen des Herrn“. Auch wenn viele später an ihm Irre werden sollten und die meisten wohl nur an ein irdisches Königtum dachten, hat das Geschehen prophetischen Charakter. Mit Recht heißt es in den ursprünglichen Segnungsgebeten der Palmzweige für die Prozession dieses feierlichen Tages: „Denn schon damals ahnte die beglückte Menge den vorbildlichen Sinn: unser Erlöser werde aus Erbarmen mit dem Elend der Menschen für das Leben der ganzen Welt mit dem Fürsten des Todes kämpfen und sterbend über ihn triumphieren. Und darum brachten sie zur Huldigung jene Zweige herbei, die Seinen glorreichen Sieg wie auch die Fülle Seiner Barmherzigkeit versinnbildlichen sollten.“

Wie schon seit Jahrtausenden, so trägt auch jetzt wieder die Kirche, das Neue Jerusalem, dem Herrn zu seiner besonderen Begrüßung geweihte Zweige entgegen. Auf dem ganzen Erdkreis geschieht Jahr für Jahr, was eine der Prozessionsantiphonen singt: „Sie huldigen dem Sieger auf seinem Triumphzug. Laut rühmet der Völker Mund den Gottessohn!“ Durch die universale Kirche, die sich durch die Heilstat Christi auf den ganzen Erdkreis ausdehnt, wird der Herr jedes Jahr mit dem feierlichen Hymnus begrüßt, der Seine Gottheit bekennt: „Gloria, laus et honor tibi sit, Rex Christe, Redemptor: Ruhm und Preis und Ehre Dir, Christ-König, Erlöser!“ Die Kirche preist heute den König des Erbarmens, der sich nicht gescheut hat, nach Jerusalem einzuziehen, wo sein Opferaltar am Kreuz bereitet war. Er ist das geschmückte Opferlamm, das sich schlachten lässt, um für uns zu sühnen. Darin liegt die einzigartige Hoheit Seines Priesterkönigtums, vom Vater gewollt zur Erlösung der Welt. Daher wird in der Liturgie des heutigen Tages die Passion gelesen, um zu zeigen, dass die Krone unseres Königs aus Dornen ist.

Die Menge in Jerusalem hat den Sieg Christi in ihrem Jubel vorausgeahnt. Die glaubende Kirche aber weiß, wie dieser Sieg erkämpft wurde. Ihr Jubel ist ein Jubel unter Tränen. Daher heißt es wieder in den alten Weihegebeten der Palmzweige: „Wir nun, die wir den vollen Glauben besitzen, erkennen klar die Vorbedeutung und ihre Erfüllung und bitten Dich flehentlich, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, durch Ihn, unsern Herrn Jesus Christus, daß wir in Ihm und durch Ihn, zu dessen Gliedern Du uns gemacht hast, den Sieg über die Herrschaft des Todes erringen und würdig werden, an Seiner glorreichen Auferstehung teilzunehmen.“ Christus hat den Kampf mit dem Tod gekämpft, um uns das Leben zu erstreiten. Wenn wir aber an Seinem Königtum in der Auferstehung des Fleisches teilhaben wollen, werden wir auch an seinem königlichen Kampf teilnehmen müssen.

Deswegen dürfen wir uns nicht wundern, dass vor dem endgültigen Jubel die Tränen kommen. Hier auf Erden ist aller Jubel, alle Freude, aller Triumph der Kirche und ihrer Kinder immer mit Tränen verbunden. Die Freude der katholischen Feste und die Größe und Schönheit der Kirche in diesen Momenten gibt die Kraft, uns vorzubereiten auf das noch Kommende. Wie Christus sich durch den festlichen Einzug nach Jerusalem auf seinen Opfertod vorbereitet hat, so führt die Kirche ihre Kinder durch dieses Tal der Tränen, indem sie uns lehrt, in der Dunkelheit den schon errungenen Sieg Christi nicht zu vergessen. Vor dem endgültigen Einzug in das himmlische Jerusalem liegen für uns alle Leiden und Kreuz. Jeder muss durch das dunkle Tor des Todes schreiten. Manchmal ist das Leben der Kirche selbst von Dunkelheit überschattet. Doch ihre Gesänge und ihr Jubel verstummen selbst unter Tränen nie, denn sie sieht durch das Dunkel des Todes das leuchtende Licht des himmlischen Jerusalem, das Licht des Lammes, das Christus ist (Apokalypse 21,23).

Viele von uns werden heute nicht wie gewohnt an den Feierlichkeiten des Palmsonntags teilnehmen können, weil die Kirche zum ersten Mal in ihrer Geschichte gezwungen ist, sie hinter verschlossenen Türen zu feiern.  Trotzdem werden die uralten Triumphgesänge erklingen und wird Christus als König von neuem in das Jerusalem der Kirche einziehen. Die Palmzweige, die in jedem Fall geweiht werden, sind uns dann ein Zeichen dafür, dass der Triumph Christi durch das Dunkel niemals ungeschehen gemacht werden kann. In unseren Häusern erinnern sie uns daran, dass unser geopferter König Christus Sieger ist und bleibt. Nichts fürchten die Mächte der Finsternis mehr als die Feiern der heiligen Geheimnisse des Erlösers durch die Kirche. Immer schon wurde alles getan, um die Braut Christi an der freien Ausübung ihrer von Christus stammenden Rechte zu hindern. Schon oft umzingelten die Feinde „das Lager der Heiligen und die geliebte Stadt“ (Apokalypse 20, 9). Doch immer blieb Christus Sieger und immer siegte das Licht über das Dunkel, so dicht es auch war. Auch heute können wir, die Palmen in den Händen, ohne Angst die Stimme erwarten, die uns mitten im Dunkel zuruft: „Seht, das Zelt Gottes unter den Menschen…Er selbst wird als Gott bei ihnen sein!“ (Apokalypse 21, 3). Der Herr ist in die Kirche als Sieger eingezogen und er wird sie niemals mehr verlassen! Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz