Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Fest der hl. Anna, dem 26. 7. 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Es scheint so zu sein, als würden die meisten Menschen unfähig sein, auch nur über ihre Nasenspitze herauszublicken. Voraussicht ist eine seltene Tugend. Das Vorsorgen für Notlagen und für viele andere Dinge ist uns scheinbar nicht angeboren. Wir sehen es heute, wenn wir in die Schlagzeilen blicken. Die Politiker scheinen jeden Tag neu überrascht und finden niemals die richtige Lösung; auch sie sehen nicht über ihre Nasenspitzen hinaus, auch sie scheinen keine Voraussicht zu kennen.

Gott ist ganz anders! Er ist die Vorsehung. Er ist die Vorausschau. Er sieht alles, weil alles Ihm gegenwärtig ist, ohne Grenzen von Raum und Zeit. Er plant alles im Kleinsten voraus und sorgt voraussehend in Zeit und Ewigkeit dafür, dass sein Plan verwirklicht wird. So weiß heute die Naturwissenschaft, dass diese Welt nicht wie ein Uhrwerk einfach mechanisch funktioniert, sondern dass Gott in den allergrößten Dingen wie auch im Allerkleinsten alles genau lebendig und zielgerichtet geordnet hat, vorausschauend auf das menschliche Leben, das Er auf diesem Planeten, der nicht im Weltall verloren ist, sondern der von Anfang an in Seinen Plänen im Mittelpunkt stand, hervorrufen wollte. Er hat alles auf dieses Leben hin geschaffen, alles darauf hin fein geregelt, alles darauf hin geplant und vorausgesehen. Alles, was hier passiert, was geschehen ist und noch geschehen wird, ist im Geist Gottes jetzt schon und immer schon gegenwärtig. Er ist Voraussicht, Er ist göttliche Vorsehung, Er ist das Ewige Jetzt!

Wenn Er aber schon auf diesem Planeten das natürliche Leben, Seine Schöpfung und schließlich das menschliche Leben, die Krone der Schöpfung, im Allerkleinsten vorausplant und begleitet, wenn alles, was dazu geführt hat, schon vor unvordenklichen Zeiten in Seinem göttlichen Geist gegenwärtig ist, wie sehr plant Er nicht voraus, was alles hinsichtlich der irdischen Geburt Seines eingeborenen Sohnes auf dieser Erde geschehen sollte. Nichts ist Zufall, nichts ist von ungefähr geschehen, nichts mechanisch, alles ist schon vor aller Zeit vom göttlichen Geist vorausgesehen und vorausgeplant! Daher sind auch die hl. Anna und der hl. Joachim in ihrer Lebensgeschichte so im göttlichen Heilsplan verankert, dass ihr Leben ein wichtiger Teil dessen ist, was zu dem wichtigsten Ereignis in der ganzen Heilsgeschichte führen sollte, nämlich zur Geburt Jesu Christi, des Erlösers.

Als die hl. Anna feststellte, dass sie scheinbar steril war, hat sie nicht aufgehört zu beten. Wie jede Frau war sie darüber tieftraurig, wie jede Frau wollte sie ihrem Mann ein Kind schenken. Sie wusste, dass es wahrscheinlich nicht möglich sein würde, aber trotzdem hat sie das Beten und das Gottvertrauen nicht aufgegeben. Sie hat immer wieder von Neuem den Tempel besucht, sie hat sich vorbereitet auf das Wunder, das Gott in ihrem scheinbar abgestorbenen Schoß wirken sollte.

Der hl. Joachim hat diese von Gott vorausgesehene Tatsache nicht ganz so leichtgenommen. Als er eines Tages zum Tempel ging, um dort zu opfern, so wie es ihm vorgeschrieben war, hat ihn der diensthabende Priester weggeschickt und ihn verhöhnt, weil er ein kinderloser Mann war. Das hat er sich so zu Herzen genommen, dass er nicht mehr zu Anna zurückgekehrt ist, sondern sich in der Wüste verkrochen hat bei seinem Vieh, und die hl. Anna in ihrem Kummer allein gelassen hat. Diese aber hat nicht aufgehört zu beten. Ja, sie hat angesichts dieses Ereignisses, vielleicht auch, um zu klagen, den Tempel aufgesucht und ihre Bemühungen verstärkt, Gott dazu zu bringen, sie zur Mutter zu machen. Sie hat Ihm sogar die Frucht ihres Leibes, die noch gar nicht empfangen war, geweiht und gleichsam schon weggegeben, was sie noch nicht erhalten hatte. Da hat Gott eingegriffen! Er hat beiden himmlische Boten gesandt. So ist es dazu gekommen, dass sie sich vor den Toren Jerusalems getroffen haben, dass Anna nach neun Monaten doch noch ein Kind gebären konnte und als Mutter der hl. Jungfrau die Großmutter des Erlösers werden konnte.

Gott hat das alles vorausgesehen. Er hat vorausgesehen, dass die hl. Anna trotz ihres Alters empfangen würde. Er hat vorausgesehen, dass Anna zu Ihm beten und erhört werden würde, wie sie immer gehofft hatte. Selbst der hl. Joachim begriff ganz zum Schluss, dass er in seiner Traurigkeit und in seinem Fluchtversuch schon ein Instrument der Vorsehung Gottes war.

Wir tun manchmal Dinge, wenn uns das Gottvertrauen verlässt, die wir selbst nicht begreifen können. Wenn wir aber zurückkehren zu Gott, dann sehen wir plötzlich, dass das alles doch im Plane Gottes war, denn Gott kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben. Hätte die hl. Anna nicht in ihrer scheinbaren Sterilität immer wieder darum gebetet, ein Kind zu bekommen, dann wäre die Mutter Christi nicht geboren worden. Hätte Joachim nicht seine Pflicht im Tempel erfüllt und dadurch eine tiefe Kränkung erhalten, die aber die hl. Anna noch mehr dazu gebracht hat, in ihrem Gottvertrauen zu Gott, dem Allmächtigen zu beten, dann wäre dieses Wunder nicht geschehen. Gott hat das alles schon immer gewusst und in seinem großen Plan gesehen.

Wenn wir also in Schwierigkeiten aufhören zu vertrauen und zu beten, wenn wir uns von Gott abwenden, wenn wir uns mit mangelndem Vertrauen nicht mehr an Ihn wenden, dann durchkreuzen wir Seine Pläne. Wir durchkreuzen Seine Vorsehung, die vielleicht aus unserem Leiden, aus unserer Dunkelheit, aus unseren Schwierigkeiten schon lange und vor allen Zeiten vorhatte, etwas Größeres geschehen zu lassen, so wie es bei der hl. Anna war.

Die hl. Anna hat jedoch noch mehr getan. Sie hat das, was sie erhielt, Gott schon vorher versprochen und dann tatsächlich weggegeben. Sie hat nicht behalten wollen, was Gott ihr geschenkt hat, sondern sie hat es Ihm zurückgegeben. Sie hat aus der hl. Jungfrau Maria eine Tempeljungfrau gemacht, die schon im allerzartesten Alter in den Tempel zurückgebracht wurde. Nur dadurch hat sie ihre unversehrte Jungfräulichkeit immer behalten können. Sie hat nur dadurch den hl. Joseph kennengelernt, weil die Tempeljungfrauen, wenn sie verheiratet wurden, auf eine besondere Weise ihren Bräutigam finden konnten. Sie hat nur dadurch dem wunderbar gewollten Heilsplan Gottes entsprechen können, dass die hl. Anna so großzügig war, das Geschenkte nicht zu behalten, auch wenn es ihre einzige Tochter war.

Wenn wir deswegen behalten wollen, wenn wir uns an etwas klammern, wenn wir nicht loslassen wollen und nicht weggeben wollen, dann sind wir auch oft dabei, die Pläne Gottes und Seiner Vorsehung zu durchkreuzen. Wenn wir darunter leiden, dass uns etwas genommen wird, ein geliebter Mensch, eine Situation, die Gesundheit, Haus, Hof, Hab und Gut oder was es immer sein mag, so hat Gott hat auch damit schon einen Plan. Wenn wir das Liebgewonnene weggeben, wenn wir wegschenken, was uns am Herzen liegt, wenn wir es wenigstens innerlich Ihm überlassen, wenn wir uns davon frei machen, dann wird Er uns eine größere Gnade schenken und Seine Vorsehung wird in uns mächtiger gegenwärtig werden als mit unseren kleinen, oft so spießigen menschlichen Plänen.

Wie die hl. Anna sollen wir ein großes Herz haben; wir dürfen mit Vertrauen auch in dunklen Stunden beten. Wenn uns Gott dann aber beschenkt, dann wollen wir es nicht geizig für uns behalten, was Er uns gibt, sondern es weitergeben, damit Gott etwas noch Größeres daraus mache und das Tor zur Gnade weit öffnet, wie er es mit der Tochter Annas, der Allerseligsten Jungfrau Maria getan hat, damit der Erlöser in die Welt kommen kann. Mit ihrem großen Gottvertrauen lehrt uns die Großmutter des Herrn, wie wir immer voraussehend tätig sein sollen.

Nicht die menschliche, kleine Voraussicht, so nötig sie sein mag, ist es, die uns wirklich retten kann. Es ist vielmehr große Weitsicht Gottes, die über menschliches Kalkül herausgeht! In allen Prüfungen und Dunkelheiten liegt ein Plan Gottes! Haben wir Vertrauen, glauben wir, dass Er es besser weiß als wir, auch wenn wir leiden müssen. Dieses Leiden ist bereits im Leiden Jesu Christi aufgehoben und wird einem größeren und erhabeneren Ziel dienen. Wenn wir etwas behalten wollen, wenn wir egoistisch sind, dann können wir nicht frei mit der großen Vorsehung Gottes mitarbeiten. Sind wir dagegen großzügig, sind wir offen und frei so wie Er, dann werden wir zu Instrumenten der Gnade und wir werden wie die hl. Anna, die hl. Jungfrau und der Herr selbst am Heil dieser Welt mitwirken.

An diesem Ort wird die hl. Anna seit 800 Jahren verehrt. Seit 800 Jahren kommen hierhin Mütter, die um eine gute Geburt flehen. Seit 800 Jahren ist die Großmutter noch vor der Mutter hier Gegenstand der Verehrung gewesen. Seit 800 Jahren haben hier fromme Gottesfrauen gewohnt, die ihr Leiden dem Herrn anvertraut haben im ewigen Gebet und die alles weggegeben haben, damit die Vorsehung in ihnen und durch sie Großes bewirken kann. Das war alles beschlossen im weiten Plan Gottes! Deswegen sind unsere Anbetungsschwestern zurückgekommen! Deswegen ist Maria Engelport wieder ein Gnadenort für viele geworden! Deswegen können wir hier jeden Tag den Finger der göttlichen Vorsehung erkennen! Wir können lernen, auch an den Leiden, die der Erhalt eines solchen Klosters immer mit sich bringt, dass Gottes Pläne größer sind. Wir alle brauchen ein großzügiges Herz. Wir brauchen jemanden wie die hl. Anna, die niemals aufhört zu beten, die niemals aufhört zu vertrauen und die Gott alles gibt, was sie hat. Wir müssen selbst mit der Gnade so mitwirken wie die Großmutter des Herrn. Dann wird die barmherzige Vorsehung Gottes uns und diese Welt retten! Amen.

Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 17. Juni 2022 anlässlich des Besuchs des Reliquienschreins der Hl. Therese von Lisieux

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

Was ist ein Kirchenlehrer? Normalerweise stellt man sich dabei einen würdigen Bischof vor, einen großen Theologen, der viele Bücher geschrieben hat, die man kaum in zahlreichen Bänden zusammenfassen kann, jemanden, den alle kennen, wie den hl. Augustinus, den hl. Thomas von Aquin oder auch den Patron des Institutes, den hl. Franz von Sales; Kirchenlehrer sind in aller Munde und beeindrucken durch ihre Autorität, ihr großes Wissen, ihre bischöfliche oder akademische Würde uns alle.

Auf den ersten Blick ist die hl. Theresia von Lisieux nichts von alledem. Sie ist, könnte man fast sagen, ein kleines, junges Mädchen, das, ganz schüchtern noch und doch mit einer großen Berufung versehen, schon mit fünfzehn Jahren mit einem besonderen Dispens und dem Segen Papst Leo‘s XIII. ausgestattet, in den Carmel eintritt. Sie lebt darin nur neun Jahre und stirbt schon mit vierundzwanzig an einer schrecklichen Form der Tuberkulose. Sie hat niemals etwas veröffentlicht. Es gab zu Lebzeiten keine Schriften von ihr und auch keinen Band über ihre Verdienste, keine berühmten Artikel und schon gar keine Predigten. Als sie 1897 starb, war sie zunächst fast nur ihren Mitschwestern bekannt.

Trotzdem wurde sie, – in den Zeiten der Kirche gedacht – nur kurz darauf, nämlich im Jahr 1925 zur Ehre der Altäre erhoben, 1927 die Patronin aller katholischen Missionen und schließlich 1997 vom hl. Johannes Paul II. auch zur Kirchenlehrerin erklärt. Wie kommt es, da sie doch so untypisch ist, wie kommt es, da sie doch zu Lebzeiten nichts veröffentlicht hat, dass die Kirche sie als eine große Lehrerin für alle Gläubigen verehrt?

Sie wird zur Kirchenlehrerin durch das katholische Leben, durch den kleinen Weg zur Heiligkeit, den sie uns eröffnet hat, und zwar durch ihr Beispiel, durch die „Geschichte einer Seele“, die erst nach ihrem Tode aus ihren Aufzeichnungen veröffentlicht wurde, durch ihre Gespräche und Korrespondenzen, die ebenfalls erst ihre Mitschwestern herausgegeben haben.  Sie hat in der Tat gelehrt, aber so, wie sie gelebt hat: auf eine bescheidene, kleine und zurückhaltende Weise.

Trotzdem ist am heutigen Tag gut, dass in erster Linie nicht der Prediger spricht, sondern diese große Kirchenlehrerin, denn sie lehrt uns den kleinen Weg zur Heiligkeit, den jeder erlernen kann, der gut für jedes Leben ist: den Weg der einfachen Demut, der tiefen Hoffnung, des festen Gottvertrauens und der tätigen Gottesliebe.

 Hören wir, was sie zur wahren Demut uns zu sagen hat. Sie schreibt: „Es scheint mir, dass, wenn eine kleine Blume sprechen könnte [hier meint sie sicher sich selbst], sie einfach erzählen würde, was Gott für sie getan hat, ohne zu versuchen, ihre Segnungen zu verbergen. Sie würde nicht unter dem Vorwand einer falschen Demut sagen, dass sie nicht schön und ohne Parfüm ist, dass die Sonne ihre Pracht weggenommen hat und dass der Sturm ihren Stamm gebrochen hat, denn sie weiß, dass das unwahr ist. Die Blume, die ihre Geschichte erzählen will, freut sich darüber, die völlig unentgeltlichen Geschenke Jesu bekannt machen zu können. Sie weiß, dass nichts in ihr selbst in der Lage war, die göttlichen Blicke auf sich zu ziehen, denn allein Seine Barmherzigkeit brachte alles Gute in ihr zustande.“

 Die wahre Demut, so lehrt die hl. Theresia von Lisieux, will, dass man sich der vielen Geschenke erfreut, die Gott uns gegeben hat. Wir alle haben solche Geschenke empfangen, wir alle sind getauft, wir alle sind gefirmt, wir alle sind mit Gnaden des Hl. Geistes reich ausgestattet, jeder hat seine Talente und Gaben. Im Kampf des täglichen Lebens vergessen wir das zu oft. Wir klagen, wir machen uns wichtig, wir denken, dass es nur auf uns selbst ankommt und sind nicht zufrieden. Aber, wenn wir der hl. Kirchenlehrerin folgen, dann wissen wir ohne falsche Demut, dass jeder von uns auf seine je eigene Weise alles empfangen hat, was er braucht, um heilig zu werden und dass wir viele Gaben besitzen, die wir täglich an andere weitergeben dürfen.

Diese Demut ist die Voraussetzung der Heiligkeit. Sie ist nicht die falsche Demut, die so tut, als käme alles von uns und die sich dann gleichsam klein zu machen versucht, um doch gelobt zu werden, sondern es ist die richtige Demut, die weiß, alles kommt von Gott. Und alles, was wir empfangen haben, auch der wunderbare heutige Tag zu Ehren der Kirchenlehrerin, sind Geschenke Gottes, für die wir mit der hl. Theresia nur ein ganzes Leben danken können.

Das aber macht die hl. Theresia auf ihrem Weg zur Heiligkeit auch zur Lehrerin einer tiefen Hoffnung. Lassen wir sie wieder selber sprechen. Sie sagt: „Selbst, wenn ich alle möglichen Verbrechen auf meinem Gewissen hätte, bin ich sicher, dass ich nichts von meinem Vertrauen verlieren sollte. Untröstlich vor der Umkehr warf ich mich einfach in die Arme meines Erlösers, denn ich weiß, wie sehr er den verlorenen Sohn liebt. Ich habe gehört, was er zu Maria Magdalena, zu der Frau, die beim Ehebruch genommen wurde, und zur Samariterin gesagt hat. Niemand kann mir mehr Angst machen, weil ich weiß, dass ich über Seine Barmherzigkeit und Seine Liebe nichts setzen darf, ich weiß, dass im Handumdrehen all diese tausenden von Sünden wie ein Tropfen Wasser verbraucht würden, der in ein loderndes Feuer geworfen wird.“

Das ist die wahre Hoffnung, die die hl. Theresia reich besessen hat und die sie uns lehren kann. Es sind nicht unsere Sünden, die uns zurückhalten, heilig zu werden, denn wir können die Sünden in den Beichtstuhl tragen und alles wird wieder wie neu. Es ist unsere mangelnde Hoffnung!  In dem Moment, wo wir sagen, diese Heiligkeit ist nicht für mich, sie ist nur für ein paar Ordensfrauen oder für einige Priester, dann haben wir schon nicht mehr die kindliche Hoffnung der hl. Theresia von Lisieux. Gott kann alles gut machen! Auch wenn wir alles falsch gemacht haben, Sein Erbarmen, Seine Barmherzigkeit und Seine Vergebung, die er uns im Sakrament der hl. Beichte immer wieder schenkt, gibt uns die feste Hoffnung, dass auch wir, wie er uns verheißen hat, für die Heiligkeit geschaffen sind.

Deswegen hat die hl. Theresia von Lisieux uns auch das Beispiel eines unverbrüchlichen Gottvertrauens gegeben. Wir alle haben in unserem Leben dunkle Zeiten erlebt. Wir wissen, dass wir leiden müssen, wir wissen, dass wir sterben müssen, wir haben alle schon in unserem Leben Angst gehabt und gerade in solchen Momenten haben wir die Versuchung, Gott nicht mehr zu vertrauen. Dazu sagt die hl. Theresia: „Trotz allem fühle ich, dass ich voller Mut bin. Ich bin sicher, dass Gott mich nicht verlassen wird. O, ich möchte Ihm, Jesus, nichts verweigern, obwohl ich mich traurig und manchmal allein auf dieser Erde fühle. Er bleibt doch immer bei mir. Und hat die heilige große Theresia nicht gesagt: ‚Gott allein genügt?‘“

Dieses Gottvertrauen hat sie gelebt nicht nur in den Stunden der Zurücksetzungen im Klosterleben, die Gott jeder Ordensfrau schenkt, damit sie in der Heiligkeit wachsen kann, nicht nur in  Momenten der schweren Krankheit, die ihr unendliche Schmerzen bereitet hat, sondern auch dann, als Gott sie durch die sogenannte dunkle Nacht hat schreiten lassen und ihren Glauben bis an die Grenze der Verzweiflung geprüft hat, auch in diesen Jahren hat sie das Gottvertrauen nicht verlassen, hat sie sicher gewusst: ‚Ich bin ein Kind Gottes und im Namen Gottes kann ich alles.‘

Dadurch wird schließlich ihr Leben eine Schule der tätigen Gottesliebe. Sie war eine kontemplative Schwester. Sie hat viel und oft vor dem Allerheiligsten gebetet. Sie hat mit den anderen Schwestern, so wie unsere Schwestern hier in Engelport, das hl. Offizium gesungen. Vergessen wir aber nicht, dass in jedem Kloster die tätige Gottesliebe bei den Mitschwestern anfängt. Sie hatte es dabei nicht einfach. Sie hat immer wieder, auch wenn es Zurücksetzungen gab und Schwierigkeiten, ihre große Liebe bewiesen. So sehr, dass sie alle Kreuze, kleine wie große, aus der Hand Gottes angenommen hat. Sie konnte auf dem Sterbebett sagen: „Seit meinem dritten Lebensjahr habe ich Gott nichts verweigert.“

Wenn wir in der einfachen Demut des Beschenktseins leben, wenn wir die Hoffnung auf die Allmacht Gottes nicht aufgeben, trotz unserer Sündhaftigkeit, wenn wir immer ein festes Gottvertrauen haben und darum beten, auch in dunklen Stunden, dann wird auch uns die Möglichkeit gegeben, Gott zu lieben. Nicht oft mit dem inneren Hochgefühl, das zu leicht mit der Liebe verwechselt wird, sondern mit jener Treue, die in jeder Ehe, in jeder Freundschaft, in jeder geistlichen Kommunität die wahre Liebe beweist. Jeder von uns, der die Treue zu Gott und zu der Berufung hält, die Gott ihm gegeben hat, zeigt wahre Gottesliebe.

Diese Gottesliebe trägt Früchte und wird tätig, tätig um uns herum, tätig durch unser Beispiel, tätig durch unsere Familien, tätig überall da, wo wir nicht aufgeben. Deswegen ist die kleine hl. Theresia, obwohl sie ihren Konvent in neun Jahren niemals verlassen hat, zur Patronin der Mission geworden. Denn Liebe will sich schenken: Bonum diffusivum sui! Je mehr wir lieben, je mehr wir vor allem Gott lieben und verehren, desto mehr werden wir umgestaltet in Christus und desto mehr können wir fruchtbar werden, durch unseren gelebten Glauben und unser christliches Beispiel, wie die hl. Theresia. In allen harten Stunden, in den großen Kreuzen, auch der nagenden Glaubenszweifel, die Gott ihr auferlegt hat, in allem, was sie ertragen und erdulden musste, hat sie niemals aufgehört, Gott mit kindlichem Herzen zu lieben, mit einfacher Demut, tiefer Hoffnung und festem Gottvertrauen ist sie eine Zeugin der tätigen Gottesliebe geworden. So hat sie mit ihren letzten Worten und ihrem letzten Atem sagen können: „Mein Gott, ich liebe Dich.“

Beten wir heute zu dieser großen Kirchenlehrerin, die uns einen kleinen Weg der Liebe gelehrt hat, der aber in Wirklichkeit ein ganz großer Weg ist, auf dem wir alle emporsteigen können zu Gott. Beten wir, dass auch wir Gott mehr lieben, dass auch wir in der Nächstenliebe noch tätiger werden und dass wir in der einfachen Demut des Beschenktseins, in der tiefen Hoffnung auf die Allmacht Gottes und in bestem Gottvertrauen auf Seine Hilfe größer werden und in der Heiligkeit wachsen. Nicht alle Heiligen waren großartige Menschen, sondern oft zunächst Menschen wie wir, die aber in tätiger Gottesliebe und in festem Gottvertrauen wussten: Für Gott ist alles möglich! Beten wir zur hl. Theresia von Lisieux, auch während unserer großen Prozession mit ihren Reliquien durch das Engelporter Land, denn sie wusste: Für Gott ist alles möglich. Beten wir zu ihr, damit wir alle mit jenen Worten vor Ihn treten dürfen, mit denen sie sterben durfte: „Mein Gott, ich liebe Dich.“ Amen.

Predigt Msgr.Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 5. Sonntag nach Ostern, dem 22. Mai 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

Vor einigen Jahren besuchte einmal ein bekannter französischer Journalist das große Benediktinerinnenkloster Jouques in Südfrankreich. Er wurde von der damaligen Äbtissin im Sprechzimmer empfangen. Zu seiner großen Überraschung trennte ihn von der ehrwürdigen Mutter und ihrer Begleiterin, der Priorin, ein großes Gitter, so wie das in Sprechzimmern der in Klausur lebenden Ordensfrauen vielfach noch heute üblich ist. Er stellte ihnen viele Fragen über das Ordensleben, die die Äbtissin freundlich beantwortete. Und schließlich fand er den Mut zu fragen: „Aber, ehrwürdige Mutter, hinter diesem Gitter, fühlen Sie sich nicht wie in einem Gefängnis?“ Daraufhin lächelte die betagte Ordensfrau und sagte: „Mein Herr, das Gefängnis ist auf Ihrer Seite.“

Das Gefängnis ist auf unserer Seite, auf der Seite der Welt oder jedenfalls auf der Seite, wo Menschen leben, die sich ganz der Welt verschrieben haben. Deswegen sagt der hl. Jakobus heute so deutlich: „Reine und unbefleckte Frömmigkeit vor Gott dem Vater ist dies: …sich unbefleckt bewahren von dieser Welt“ (Jak, 1, 27.  Das Gefängnis ist auf der Seite der Welt und die Freiheit ist auf der Seite der Kirche! Daher hören wir heute im Introitus zur Messe die frohen Worte: „Verkündet den Freudenruf: (…) befreit hat der Herr hat Sein Volk“ (Ps. 65, 1-2). Der hl. Jakobus kann sogar sagen, dass, wer das vollkommene „Gesetz der Freiheit“ (Jak 1, 25) beachtet, vom bloßen Hörer des Wortes durch Gnade zum Vollbringer guter Werke wird. Das vollkommene Gesetz der Freiheit nämlich, das wir in der Frohbotschaft der Kirche finden, kommt von unserem Herrn Jesus Christus, der uns die Gnade schenkt, es frei zu verwirklichen.

Es sind vor allem drei Eigenschaften dieses vollkommenen Gesetzes der Freiheit, die uns befreien von der Welt und uns zu Kindern Gottes machen, selbst dann, wenn die Welt auf uns einstürmt, weil wir mitten in ihr leben: Die Freiheit zur Wahrheit, zur Tugend und zur Gnade.

Zunächst einmal ist das Gesetz zur vollkommenen Freiheit eine Freiheit zur Wahrheit. Die Lehre der Kirche schränkt uns nämlich nicht ein, sie macht uns nicht eng und kleinlich, sie nimmt uns nicht die Möglichkeit, selbst zu denken. Im Gegenteil! Das, was Christus verkündet hat, schützt uns davor, die uralten Irrtümer der Menschheit wieder zu begehen, beschützt uns vor der Dummheit der veröffentlichten Meinung, beschützt uns vor aller Art von Ideologie und falscher Philosophie. Wenn wir an der Lehre Christi festhalten, so wie sie die Kirche in ihrer uralten, aber immer jungen Überlieferung verkündet, dann können wir nicht in die Irre gehen. Wir sind zur Wahrheit befreit! Unser Geist ist nicht eingeengt, sondern weitet sich auf die große Wahrheit Gottes aus, auf alles das, was Er uns offenbart hat und was aus dieser Welt herausführt, zu der großartigen Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes, zu der wir berufen sind.

Aber wir sind nicht nur zur Wahrheit, wir sind auch zur Tugend befreit. Wir wissen, selbst als Getaufte, dass besonders eine Folge der Erbsünde, die ungeordnete Leidenschaft, uns oft zu einem Gefängnis für uns selbst macht. Hass, Neid, Lust, Habgier, Ränke, Lüge, Groll, Rache und was dergleichen mehr böse Haltungen sind, befreien uns nicht – wir sehen es deutlich an vielen unserer Zeitgenossen -, sondern machen uns zu Sklaven: Sklaven der Leidenschaft, Sklaven des Geldes, Sklaven der Meinung anderer, Sklaven auf viele verschiedene, oft subtile Weisen, Sklaven manchmal auch eines Staates, der sich all dieser Leidenschaften bedient, um uns an der Nase herumzuführen.

Wir wollen uns deswegen mutig auf die Seite eben jenes vollkommenen Gesetzes der Freiheit stellen, das schon in den Zehn Geboten einfach und klar für uns alle niedergelegt worden ist. Wenn wir den Geboten Gottes folgen, vor allen Dingen den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe, die sich in so vielen Facetten unseres christlichen Lebens verwirklichen lassen, dann werden wir von allen möglichen Leidenschaften befreit, dann sind wir plötzlich nicht mehr Sklaven unserer selbst, sondern sind freie Diener Gottes, die endlich tun können, was nicht nur den anderen wohltut, sondern vor allem ihnen selbst. Das gibt jene wahre Freiheit der Seele und des Geistes, die uns froh macht und uns die Freude schenkt, die nur Christus geben kann.

Diese Geschenke der Freiheit aber reichen dem barmherzigen Gott noch nicht. Er gibt uns noch mehr! Denn der Wahrheit zu folgen mit unserer beschränkten Intelligenz, die Tugend zu leben mit all den Leidenschaften, die wir verspüren, wäre unmöglich, wenn Er uns nicht die große, die endgültige Freiheit der Gnade geschenkt hätte! Wir haben die Mittel der Gnade in den Sakramenten der Kirche bekommen, die, wenn wir sie regelmäßig empfangen, vor allem die Beichte und die Eucharistie, uns zur Wahrheit und zur Tugend befreien. Die uns immer wieder neu befreien, auch wenn wir uns durch unsere Schwäche wiederum in Gefangenschaft begeben haben. Die Sakramente und die durch sie vermittelte Gnade geben uns immer neu die rechten Maßstäbe für unser Leben in der Welt, die Maßstäbe Jesu Christi, die Maßstäbe der Ewigkeit, die Maßstäbe des großen und ewigen Gottes, damit unser kleines Leben sich weitet auf eben diese Freiheit Gottes, de in der Kirche lebt.

Deswegen danken wir Gott, dass wir nicht nur zur Freiheit befreit sind, sondern zur „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Rö 8, 21), also zur Freiheit der Gnade. War danken Gott, dass Er uns – immer wieder neu und ohne je müde zu werden – damit begnadet, dass wir frei sind von allen Beschränkungen und allen Ketten dieser Welt und dass wir in dieser Freiheit Ihm entgegengehen können. Darum sollen wir beten, denn das meint der Herr, wenn er uns auffordert, den Vater in Seinem Namen zu bitten (vgl. Jo 16, 23).  

Oft beten wir, damit unser Wille geschehe. Wir geben nicht alles in christlicher Ganzhingabe dem Vater hin. Wenn wir uns aber an das vollkommene Gesetz der Freiheit halten, wenn wir in der offenbarten Wahrheit der Lehre der Kirche folgen, wenn wir uns immer wieder neu zur Tugend bekehren, die Christus verkündet hat, wenn wir wirklich bereit sind, uns der Gnade ganz zu öffnen, dann ist es für uns möglich, im Namen Christi, des Befreiers, zum Vater zu beten. Dann beten wir nicht, dass unser Wille geschehe, sondern wir beten, dass Sein Wille geschehe. Und wenn dieser Wille ein Wille ist, der uns ein Kreuz gibt, ein Kreuz zu unserer Reinigung, ein Kreuz zur Sühne, ein Kreuz für ein heiligeres Leben, ein Kreuz, so wie Er es getragen hat, dann werden wir es nicht zurückweisen, sondern es in einer demütigen Geste in der von der Gnade getragenen Freiheit annehmen und Ihm nachtragen zum ewigen Leben.

Das bedeutet, was der hl. Jakobus uns zuruft: ‚Haltet euch unbefleckt von dieser Welt.‘ Wir müssen wie die Apostel mitten in der Welt leben, wir haben eine Aufgabe in der Welt, die große Aufgabe, diese Welt in Christus umzugestalten. Aber das können wir nur tun, wenn wir einen höheren Standpunkt einnehmen, den Standpunkt Jesu Christi, der uns zum Vater führen will. Dann werden wir etwas verändern, dann wird die Welt nicht uns zu Sklaven machen, sondern wir werden die Welt mit Christus verwandeln. Dann können wir mitten in der Welt Leben, ohne dass diese für uns zum Gefängnis wird! Das heißt für uns nicht Weltflucht, nicht einfach totale Abwendung von der Welt, sondern meint den Willen, in der Welt zu leben, aber immer und überall nach dem vollkommenen Gesetz der Freiheit, das der Retter, der uns alle frei gemacht hat, Jesus Christus, uns zum Erwerb der ewigen Glückseligkeit schenkt. Amen.

Predigt Msgr.Prof.Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am vierten Sonntag nach Ostern , dem 15.Mai 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Alles Gute kommt von oben (vgl. Jak 1, 17). Das haben wir gerade in der Epistel gehört und es ist auch die 2000jährige Erfahrung der Kirche. Das Gute schickt uns Gott vom Himmel her, damit wir es bewahren, damit wir es weitergeben, damit es uns zur ewigen Rettung führt. Das Beste aber, was wir bekommen haben, ist Jesus Christus selbst, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6). Als Er zum Vater gegangen ist, hat Er uns diese Wahrheit hinterlassen, eine Wahrheit, die von oben kommt, eine Wahrheit, die uns retten kann, eine Wahrheit, die uns in Ihm und durch Ihn Gott gesagt hat. Das heutige Evangelium lehrt uns genau, was es mit dieser Wahrheit auf sich hat und wie sie durch die Geschichte hindurch bewahrt worden ist.

Zunächst kommt diese Wahrheit von Christus. Er ist der endgültige Offenbarer, in Ihm ist alle Wahrheit beschlossen. Er hat sie in menschlich verständlicher Sprache den Aposteln und Seiner Kirche weitergegeben. Diese Wahrheit aber, so sagt Er uns heute im Evangelium, bleibt nicht einfach ungeschützt, so wie menschliche Wahrheit, die dem Irrtum unterworfen ist. Die Wahrheit Jesu Christi kennt einen ganz besonderen Schutz, sie kennt einen, den der Herr selber den Paraclet nennt, den Tröster, den Anwalt: Derjenige, der die Wahrheit schützt, der uns in die ganze Wahrheit einführt und der im Laufe der Geschichte der Kirche uns diese Wahrheit erschließt, damit wir sie immer besser kennen. Ohne das Wehen des Heiligen Geistes in der kirchlichen Verkündigung wäre die Wahrheit, die der Herr uns geschenkt hat, schon längst verbogen worden und wäre nicht unverfälscht zu uns gelangt.

Wie aber geschieht das? Es geschieht auf zweierlei Weise.

Zunächst einmal dadurch, dass die Wahrheit, die Christus selbst verkündet hat, von den Aposteln irrtumslos aufgenommen, unverfälscht weitergegeben und von ihnen und den Evangelisten genau aufgeschrieben wurde, zu unserem Heil. Es gibt eine schriftliche Offenbarung, die wir in den Büchern der Heiligen Schrift lesen. Diese schriftliche Offenbarung, das Aufschreiben der Wahrheit Jesu Christi, hängt jedoch zunächst ab vom Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche. Nicht nur entstammt die Schrift des Neuen Testaments dem Schoss der frühen Kirche und wurde meistenteils erst nach der mündlichen Überlieferung von den Evangelisten und Aposteln aufgeschrieben. Darüber hinaus ist auch der Kanon der Heiligen Schriften, also die Zahl der authentischen Schriften, die die Offenbarung erhalten, von der Kirche selbst festgelegt worden. Es gab im zweiten, dritten und vierten Jahrhundert viele sogenannte Apokryphe, das heißt Evangelien und Briefe ungeklärten Ursprungs. Papst Damasus I hat am Ausgang des vierten Jahrhunderts, im Jahr 382, in einem römischen Konzil genau festgelegt, welche Schriften unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Wahrheit Jesu Christi unverfälscht enthalten.

Also hier bereits hat der Heilige Geist eingewirkt, wenn das Falsche vom Wahren geschieden wird. Damit sind auch die Briefe, die wir die apostolischen nennen, und die Briefe des heiligen Paulus endgültig in die Schrift hineingekommen und haben das Siegel der durch den heiligen Geist bestätigten Wahrheit erhalten, damit wir wissen, dass auch die Schriften, deren Inhalt nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgeht, aber die von den Aposteln unter dem Einfluss des Heiligen Geistes aufgeschrieben worden sind, zum Schatz der kirchlichen Wahrheit gehören. Aber, so heißt es in diesen Schriften immer wieder, nicht alles ist in diesen Büchern aufgeschrieben, nicht alles, was der Herr getan und gelehrt hat, enthält die Heilige Schrift. Es gibt nicht, wie die Protestanten lange behauptet haben, eine Genügsamkeit der Schrift, so als wenn der, der die Schrift liest und interpretiert, schon daraus die ganze Wahrheit Jesu Christi erkennen könnte.

Der Geist Gottes weht weiter in der Kirche. Der Herr sagt uns eindeutig, Er wird uns in die ganze Wahrheit einführen. Und Er wird uns Wahrheiten aufschließen, wie Er den Aposteln erklärt, „die ihr heute noch nicht tragen könnt“ (Jo 16, 12). So ist durch die ganze Kirchengeschichte hindurch im Wirken des Lehramtes unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Überlieferung der Wahrheit Jesu Christi nicht nur bewahrt, sondern auch tiefer erklärt und erschlossen worden. Viele große Heilswahrheiten haben wir durch den Einfluss des Heiligen Geistes im Wirken des Lehramtes erst im Laufe der Jahrhunderte erkannt. Dazu gehören unter anderem auch große Wahrheiten über die Kirche, wie der der päpstlichen Unfehlbarkeit, und besondere Wahrheiten über die Gottesmutter, wie die Unbefleckte Empfängnis und die leibliche Aufnahme in den Himmel.

Viele andere Dinge, die nur dunkel und verschlossen in den Heiligen Schriften waren, hat uns der Heilige Geist erklärt, hat im Lehramt die richtige Formulierung den Päpsten und jenen Bischöfen, die mit dem Papst in Einheit sind, eingegeben und damit die katholischen Dogmen und das ganze Lehrgebäude der Kirche, das die Offenbarung Jesu Christi erklärt, sorgsam errichtet und bis heute bewahrt. Deswegen ist der erste und wichtigste Maßstab, den die Kirche von Jesus Christus selbst erhalten hat und dem sie folgen muss, wenn sie die Wahrheit der Heiligen Schrift und die Wahrheit der Offenbarung Jesu Christi richtig verstehen, interpretieren und weitergeben will, der Maßstab der göttlichen Überlieferung, den wir auch die Tradition nennen. Die Theologie nennt daher die kirchliche Tradition des Lehramtes die norma normans und die hl. Schrift die norma normata des katholischen Glaubens, also seine normierende und normierte Regel.  Der wirkliche und endgültige Maßstab dessen, was die Wahrheit in der Kirche ist, ist daher die auf Jesus Christus und die Apostel zurückgehende Überlieferung.

Alles, was dieser Überlieferung, die vom Heiligen Geist geleitet und gelenkt wird, widerspricht, und wenn es sich auch in große Worte hüllt und gar auf scheinbar synodalem Wege zu uns kommt, ist nicht mit der Wahrheit Jesu Christi konform. Wir müssen immer darauf achten: Ist das, was man uns lehrt, immer gelehrt worden? Ist es in der Einheit des Lehramtes, die auf Petrus und die Apostel zurückgeht, immer vorhanden gewesen? Ist es, wenn wir es besser verstanden haben, nur ein Aufschluss der bereits offenbarten Wahrheit oder ist es eine neue, menschliche Erfindung? Widerspricht es gar ausdrücklich den Worten der Heiligen Schrift und der immer aufrecht erhaltenen Überlieferung? Wenn es das tut, dann ist es einfach falsch, dann ist es nicht katholisch, es kommt nicht vom Heiligen Geist und geht nicht auf unseren Herrn Jesus Christus zurück.

Wenn wir also katholisch bleiben wollen in Zeiten der Verwirrung, dann blicken wir auf die Überlieferung der Kirche. Dann sehen wir, wie in den Glaubensbekenntnissen und Katechismen aller Zeiten der Herr uns durch das Lehramt klar und eindeutig unterrichtet hat, dann sehen wir und halten wir fest, was die Kirche immer und überall gelehrt hat und noch lehrt.  So bleiben wir in der lebendigen Überlieferung der Kirche, die vom Heiligen Geist bis heute getragen und bewahrt wird.

Es hat immer Stürme gegeben in der Kirche, es hat immer Häresien gegeben, es hat immer Schwierigkeiten und Glaubenskämpfe gegeben, von den ersten Anfängen der Kirche bis zum heutigen Tag, aber immer hat der Heilige Geist die Kirche getröstet. Er ist wirklich der Paraclet, der die trostreiche göttliche Wahrheit überliefert, der Anwalt, der die überlieferte Wahrheit für uns verteidigt, erklärt und bewahrt. Bleiben wir dieser apostolischen, kirchlichen Überlieferung treu und halten wir uns an das Wort des hl. Paulus im ersten Korintherbrief (11,23), wo er sagt: „Ich habe euch nur überliefert, was auch ich empfangen habe.“ Wir haben in der Kirche die ganze Wahrheit von Christus empfangen. Sie ist durch alle Wirren der Zeit bis jetzt unversehrt im Lehramt überliefert worden. Halten wir uns an diese Wahrheit und wir werden gerettet werden! Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am 1. Mai 2022, Fest des hl. Joseph des Arbeiters und Weihe des Trierer Doms

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Was ist die Kirche? Das ist eine Frage, die in den letzten 50 Jahren die Menschen immer wieder bewegt hat. Neue Fragen sind  dabei gestellt worden, oft falsche Antworten wurden darauf gefunden und am Ende ist das Ergebnis eine große Verwirrung.

Was ist die Kirche? Manche meinen, die Kirche sei eine Art geistlicher Staat, etwa eine Demokratie oder eine Monarchie. Es ist wahr, dass die Kirche kollegiale Elemente der Entscheidungsfindung kennt. Ebenso ist wahr, dass sie von einem sichtbaren Haupt, dem Stellvertreter Christi auf Erden, regiert wird. Dadurch wird sie aber noch kein staatsähnliches Gebilde. Die hierarchische Struktur in der Kirche, die einer Pyramide ähnelt, meint ebenso wenig, dass nur die Führung, nicht aber die Gläubigen Bedeutung haben, da alle in der Kirche, trotz wesentlich verschiedener Aufgaben, „lebendige Steine“ (1 Petr 2,5) zum Aufbau des Hauses Gottes sind, das mehr Gemeinschaft als bloße Struktur ist. Deswegen ist die Kirche auch keine bloß soziale Organisation, die Gutes tut und ansonsten keine weitere Bedeutung hat. Wer die Kirche mit weltlichen Sozial- oder Machtstrukturen vergleicht, kann sie nicht verstehen!

Wenn wir wissen wollen, was die Kirche ist, dann müssen wir vielmehr in die Lehre der Kirche und auf die Überlieferung der Hl. Schrift blicken. Und hier ist die Antwort ebenso zeitlos wie einfach, sie liegt in den Titeln, die ihr das Glaubensbekenntnis seit jeher gibt: Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Sie ist eine, weil sie von dem einen wahren Gott gegründet worden ist als das Heilsinstrument für uns alle. Es kann nur eine wahre Kirche geben, wie es nur einen wahren Gott gibt. Er hat den Menschen nicht verschiedene Lehren gegeben zu ihrer Verwirrung, sondern die eine Wahrheit, die zum Heil führt. Das ist der erste, wichtigste Ausgangspunkt, dass die Einheit der Kirche die Einheit Gottes voraussetzt, dass wir also nicht nach neuen, menschlichen Formen zu suchen brauchen, sondern dass wir uns auf die Stimme des einen, wahren Gottes berufen und verlassen können, wenn wir die Form und das Wesen der einen wahren Kirche erkennen und begreifen wollen.

Dass er uns in die Kirche berufen hat, ist eine reine Gnade, die wir nicht haben verdienen können, was sich daran zeigt, dass wir zumeist schon als Kleinkinder durch die Taufe in die Kirche aufgenommen wurden, und dass die Firmung und alle anderen Gnadengaben, die der Herr uns in der Kirche schenkt, ein Volk nicht aus Perfekten, sondern aus Sündern voraussetzt. Die Sakramente der Kirche dienen dazu, die Sünder anfänglich und dann immer wieder zu heiligen und zu stärken, damit sie die Kirche bilden können. Christus hat uns wie den Zachäus erwählt, vom Baum des Heidentums heruntersteigen lassen, uns mit Namen gerufen und unser Haus und unser Herz mit Seiner Gegenwart beglückt, um uns zu dem einen, heiligen Volk, dem universalen Kirchenvolk zu machen, das Er sich aus allen Völkern aus der ganzen Erde erwählt hat, zur katholischen, allumfassenden Kirche.

Das zeigt uns, dass die Kirche nicht aus menschlichem Tun entsteht, sondern dass an ihrem Urgrund die Berufung Gottes zu finden ist. Nur der, der von Gott die Gnade erhält, ein lebendiger Stein zu werden, nur der, der getauft ist, ist Teil des einen, heiligen Volkes Gottes, der Kirche, die sich über die ganze Erde erstreckt und deswegen mit Recht katholisch genannt wird.

Dieses katholische Gottesvolk, das Er sich erwählt hat, das Er sich geschaffen hat, das nicht aus menschlichem Willen entstanden ist, ist ein strukturiertes Volk, aber seine Struktur kommt von Gott. Es ist nicht nur irgendein Volk, das sich ungeordnet auf die ganze Erde erstreckt, sondern es ist, wie der Hl. Paulus nicht müde wird zu betonen, der Leib Christi auf Erden. Wie jeder Leib, hat auch dieses Volk ein Haupt, und das Haupt, das alles in diesem Leib bestimmt, ist Christus selbst. Er ist das Haupt, das alle Glieder belebt. Er ist das Haupt, das uns auch die Sprache der Wahrheit verleiht, mit der wir andere zur Teilhabe am Leib Christi rufen können. Er ist derjenige, der uns den ganzen Blutkreislauf der Kirche in den Sakramenten schenkt und uns dadurch heiligt und zu seinen Gliedern macht. Daher ist jeder wichtig in der Kirche, solange er der Botschaft Christi treu folgt und aus ihren Sakramenten lebt.

Natürlich gibt es durch den Auftrag Jesu Christi auch ein sichtbares Haupt, den Papst, seinen Stellevertreter auf Erden. Und es gibt durch den Willen und die Weihe Jesu Christi die Bischöfe, die uns regieren und leiten, wenn sie im Namen Christi handeln. Sie haben den besonderen apostolischen Auftrag, der Botschaft Christi zu folgen, sie uns verkünden, sie zu verteidigen und uns durch die Sakramente zu heiligen. Das ist ihr besonderes Amtscharisma, die Gnade der Leitung, Heiligung und Verkündigung, die sie zu unseren Hirten macht, den Nachfolgern der Apostel. Dafür müssen sie ihr Leben geben!  Darin müssen sie sich ganz an den Auftrag Christi halten, um nicht in die Irre zu gehen und niemanden in die Irre zu leiten.

Aber auch jeder von uns hat ein Charisma, eine Aufgabe erhalten. Vor allem jedoch die Aufgabe, heilig zu werden und heilig zu leben, damit die Kirche als Ganzes ein lebendiger Leib ist. Damit in ihr alles, was Christus uns geschenkt hat, am Leben erhalten wird. Damit wir andere durch unser Beispiel zum Leibe Christi gestalten können und damit Christus das Haupt aller in allem werden kann. Jeder hat am lebendigen Leib der Kirche Anteil, formt ihn und kann ihn beleben durch seine persönliche Heiligkeit und durch seine persönliche Verantwortung.

Schließlich aber, und das wird oft vergessen, ist die Kirche tatsächlich ganz von Gott belebt. Sie ist das, was Johannes in der großartigen Vision auf Pathmos gesehen hat: Sie ist das himmlische Jerusalem, das schon anfanghaft sichtbar ist mitten unter uns. Sie ist geschmückt wie eine Braut mit der Wahrheit und mit der Kraft der Gnade. Sie ist im Innersten heilig und kann durch die Sünden ihrer Glieder nicht unheilig gemacht werden. Sie ist stärker als Tod und Teufel, sie ist stärker als die Schwäche aller ihrer Glieder, selbst als die Schwäche der Priester und der Bischöfe. Sie ist schon hier das himmlische Jerusalem, das unzerstörbare Mauern hat. Sie ist umgeben von Engeln, die gegenwärtig sind, weil die Kirche zeitlich und örtlich nicht begrenzt ist. Sie reicht bis in den Himmel hinein. Sie bringt den Himmel auf unsere Erde und in unsere Wirklichkeit. Sie wird uns, wenn wir sie richtig betrachten, nämlich mit den Augen des Glaubens, porta caeli et domus Dei: Sie wird Tor des Himmels und Haus Gottes. Wiederum sehen wir, dass die Kirche nichts menschlich Gemachtes ist, sondern wirklich durch den Willen Jesu Christi, ihres Hauptes, vom Himmel herabgestiegen ist.

In den Jahrtausenden ihrer Existenz hat der Teufel immer wieder versucht, die Kirche zu schwächen und sie zu zerstören. Er hat all unsere Sünden und Schwächen benutzt, um die Kirche auch in den Augen der Welt verächtlich zu machen. Immer wieder aber ist sie neu geboren worden, wie der Vogel Phönix aus der Asche. Und immer wieder hat sie bewiesen, dass in ihr bis zum Ende der Zeiten, ja bis in alle Ewigkeit, das himmlische Jerusalem gegenwärtig ist: Locus iste terribilis, dieser Ort ist schauererregend (Gen 28,17), so singt die Kirche beim Kirchweihfest in ihrer Liturgie. Das Zelt Gottes, das Gott aufgeschlagen hat mitten unter den Menschen und in dem Er für immer anwesend ist, ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Daher ist der hl. Joseph zu Recht der Patron der Kirche, denn an ihm können wir das Wirken der Kirche sehen. Wir können sehen, dass die Gnade, das, was auf Erden ist, reinigt und mitzieht. Der hl. Joseph hat, obwohl er ein einfacher Zimmermann war, eine außergewöhnliche Berufung bekommen. Er ist gleichsam einer der ersten lebendigen Steine gewesen. Er ist auf besondere Weise berufen worden, die Kirche aufzubauen, zu beschützen und begleiten, weil gerade am Anfang der hl. Joseph für das Entstehen der Kirche durch sein Tun in der hl. Familie entscheidend war.

Der hl. Joseph ist ebenso ein Zeichen dafür, dass in der Kirche alles von Gott kommt, denn er hat ein außergewöhnliches Charisma erhalten; er ist dadurch, dass er der größte aller Patriarchen war, ein Zeichen dafür, wie Gott alles umgestalten kann. Joseph zeigt uns, wie Gott einem einfachen Arbeiter eine Aufgabe und ein Charisma geben kann, das alles verändert, und wie jeder in der Kirche wichtig ist, wenn er seine eigene Heiligkeit mit Entschiedenheit und Mitarbeit mit der Gnade verwirklicht.

Schließlich zeigt der hl. Joseph, der große Patron der Kirche, dass die Kirche ein ewiges Ziel hat. Der hl. Joseph ist der Pflegevater des Jesuskindes geworden, nicht weil er in irgendeiner Weise und auf irgendeine Art in der Welt wichtig und bedeutend werden wollte. Er war der Pflegevater des Herrn, weil er durch den Engel verstanden hat: Die Ewigkeit ist unser Ziel. Er hat gewusst: ‚Alles, was ich tue, ist für die Ewigkeit und wenn ich meine Aufgabe erfülle, dann tue ich das, weil ich einst teilhaben will am himmlischen Jerusalem‘. So sehen wir in ihm das Wirken der Kirche vorgezeichnet. Dass in der Kirche alles durch Berufung Gottes entsteht, dass alle Aufgaben, die in der Kirche wesentlich sind, Charismen und Gnaden Gottes sind und dass die Kirche nur ein Ziel hat: Uns dadurch, dass wir am ewigen Jerusalem hier schon teilnehmen, in das himmlische Jerusalem zu führen.

Verzweifeln wir also nie, wenn die Menschen in der Kirche Zeichen der Sünde und der Schwäche zeigen. Gott ist stärker. Er schlägt das Zelt, das er mitten unter uns aufgebaut hat, niemals mehr ab. Die Kirche ist das große Tor zum Himmel. Der hl. Joseph weist uns auf dieses Tor hin und so beten wir mit der ganzen Kirche vertrauensvoll zu ihm, dem Patron der Kirche und dem Schrecken der Dämonen, dass diese eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wieder sichtbar das wird als was sie ist: Das Zelt Gottes unter den Menschen!

Amen.

Predigt Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am Weißen und Barmherzigkeits-Sonntag, dem 24. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Misereor super turbam. Ich erbarme mich der Menge.“ (Mk 8,2) Das sind Worte Jesu, an die uns die Kirche immer wieder erinnert, vor allem auch an diesem Barmherzigkeitssonntag. Was aber, so können wir fragen, ist das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber?  Das Priesterjubiläum, das wir heute feiern dürfen, hilft uns bei der Antwort auf diese Frage. Die Antwort ist eindeutig: Das größte Geschenk, dass der Gottmensch in Seiner Barmherzigkeit der Kirche und uns allen gegeben hat, ist Sein eigenes Priestertum.

Er hat sich der Menge erbarmt. Deswegen hat Er aus diesem Erbarmen heraus einen menschlichen Leib angenommen, ist ganz Mensch geworden und hat in einem großartigen, gottmenschlichen, priesterlichen Opferakt diesen Leib für uns geopfert. Wenn das nicht geschehen wäre, wenn der Herr im Himmel geblieben wäre, wenn Er nicht Mensch geworden wäre, nicht am Kreuz gestorben und nicht in Seinem Fleisch auferstanden wäre, dann hätte Er uns durch Seine göttliche Macht gewiss auch anders retten können, aber wir wüssten nichts von der Größe Seiner Barmherzigkeit. Wir wüssten nicht, dass Er sich wirklich um jeden einzelnen kümmert, wir wüssten nicht, dass Er bereit ist, für uns zu sterben und sich ganz für uns hinzugeben und wir wüssten nicht, dass Er durch Sein Priestertum der Sieger ist über Tod und Teufel, über alles Böse in der Welt.

Deswegen dürfen wir Ihm danken, dass Er, als Er zum Vater zurückgekehrt ist, Sein Priestertum nicht einfach mit sich genommen hat, sondern dass Er es uns hinterlassen hat. Dass Er in dem Moment, wo Er sich zum Sterben anschickte, Seine Jünger zu Aposteln, Bischöfen und Priestern gemacht hat und ihnen den Auftrag gegeben hat, Sein Werk fortzusetzen. Wir dürfen dankbar sein, dass Er Seine Barmherzigkeit uns nicht einfach entzogen hat, sondern dass Er das Werk der Barmherzigkeit fortführt und fortsetzt durch das Priestertum der Kirche, in die Welt und in die Geschichte hinein. Deswegen dürfen wir am heutigen Tag besonders dankbar aller unserer Priester gedenken, die sich am Tag ihrer Priesterweihe durch das Christus entgegengerufene „Adsum“, „Ich bin bereit“, in Seinen Dienst gestellt haben, damit auch sie Diener Seiner Barmherzigkeit seien.

Als Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, vor 25 Jahren dieses „Adsum“ gerufen haben, wussten Sie nicht, was alles auf Sie zukommen würde. Aber Sie haben sich bereitwillig in den Dienst der Barmherzigkeit gestellt, Sie haben bereitwillig Ihr ganzes Leben – wie Jesus Christus – für die Schafe geopfert. Als der Herr Sie dann nicht nur in Deutschland, sondern auch im fernen Nordamerika und schließlich wieder hier in Maria Engelport zu einem Pionier und einem nicht ohne Leiden Sein Reich aufbauenden Priester gemacht hat, da haben sie dieses „Adsum“, dieses „Ich bin bereit“, nicht zurückgezogen. So sind Sie in Ihrem ganzen Priesterleben ein Diener der Barmherzigkeit und damit ein wirklicher Priester Jesu Christi geworden und geblieben.

Die Barmherzigkeit des Priestertums Jesu Christi aber zeigt sich für uns vor allem in drei ganz besonderen Ausprägungen.

Heute scheint die Welt wieder zur Glaubenswüste zu werden. Viele glauben gar nicht mehr. Die meisten wissen nicht, was wahr ist und sind desorientiert, haben Angst und Not angesichts der Zukunft. Christus aber, der barmherzige, ewige Hohepriester, ist die Wahrheit! Er hat gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6) Wir haben in allen Unsicherheiten und in der Konfrontierung mit all der Lüge in der Welt einen sicheren Anhaltspunkt: die barmherzige Wahrheit Jesu Christi. Er entzieht sie uns nicht, Er verkündet sie nicht nur zu Lebzeiten an Seine Jünger und alle, die Ihm folgen, sondern hinterlässt sie Seiner Kirche, die uns in ihrer Lehre Halt und Orientierung gibt, und Er beruft Priester, die von der Kanzel und bei vielen anderen Gelegenheiten diese Wahrheit nicht nur in Erinnerung rufen, sondern dafür Zeugen sind.

Wieviel hunderte Predigten haben Sie, lieber Herr Kanonikus, nicht schon gehalten, wieviele Katechesen, wieviele Leute in den katholischen Glauben eingeführt, die sich bekehrt haben! Die Wahrheit Jesu Christi stirbt nicht! Durch jeden Priester, der treu die Lehre der Kirche verkündet, damit die Wahrheit Jesu Christi gegenwärtig setzt und dadurch ihre barmherzige Wirkung an uns Menschen möglich macht, lebt sie ständig fort.

Aber nicht nur das! Unsere Welt ist nicht nur eine Welt voller Lüge, sie ist auch eine Welt voller Hass. Kriege und Streitigkeiten sehen wir allenthalben. Dort, wo Hass und Bosheit aus dem Menschenherz anderen wehtun und sie in Elend und Not stürzen, da ist die Barmherzigkeit Jesu Christi von Neuem ein großes Zeichen des Trostes. Sie garantiert uns die Vergebung! Zu dem Wunderbarsten, das der Herr gesagt hat, gehören die Worte: „Deine Sünden sind Dir vergeben!“ (Lk 5, 20); „Gehe hin und sündige fortan nicht mehr.“ (Jo 8,11) Das Priestertum garantiert im heiligen Sakrament der Beichte durch die zweitausend Jahre der Kirchengeschichte eben diese Geschenke der Barmherzigkeit: Vergebung, Neuanfang, Hoffnung. Nichts ist zu Ende mit unserer Schwäche, nichts ist zu Ende mit unserer Sünde, sondern der Herr wartet auf uns, um uns zu vergeben. Er hat den Schatz der Vergebung reich geöffnet und, jeder, der sich aufrichtig von seiner Sünde abwenden will, kann die ganze Vergebung des Herrn durch das Priestertum Jesu Christi immer wieder erhalten.

Viele tausend Stunden haben auch Sie, hochwürdiger Herr Kanonikus, im Beichtstuhl verbracht. Sie haben die Barmherzigkeit Christi durch die Vergebung der Sünden den Menschen weitergegeben. Sie haben, wie so viele andere Priester, manchmal vielleicht auch warten müssen, bis ein Beichtkind kam.  Sie haben dadurch Zeugnis gegeben dafür, dass sich die Barmherzigkeit Jesu Christi niemals von uns zurückzieht, auch dann, wenn wir langsam sind, sie anzunehmen.

Schließlich aber wissen wir, dass unsere Welt von Kälte und einem immer größer werdenden Mangel an Nächstenliebe gezeichnet ist. Hier schenkt uns der Herr durch das Priestertum vielleicht das größte Zeichen der greifbaren Barmherzigkeit Seiner Liebe. Er hinterlässt uns Seinen Leib und Sein Blut als Zeichen Seiner wirklichen und substanziellen Gegenwart. Das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus wird nicht nur durch die Kirche und ihre Priester fortgeführt, sondern Seine Gegenwart wird uns durch dieses Priestertum versichert und möglich gemacht. Jedesmal, wenn ein Priester im Namen der Kirche und nach ihrem Willen die Wandlungsworte, die Christus selbst beim letzten Abendmahl gesprochen hat, wieder formuliert und sie über Brot und Wein ausspricht, dann öffnet sich der Himmel: Der Priester spricht in persona Christi und der Herr wird mitten unter uns gegenwärtig, sodass wir Seinen Leib essen und Sein Blut trinken können als Speise des ewigen Lebens.

Wir wären allein mit all unseren Problemen ohne das Priestertum. Danken wir unseren Priestern, dass sie treu die hl. Messe feiern, dass sie uns anleiten, wie Sie es tun, lieber Herr Kanonikus, hier und in anderen Apostolaten des Institutes, die Gegenwart unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament anzubeten. Danken wir es unseren Priestern, dass sie bei aller Kälte dieser Zeit die Wärme und die Liebe Jesu Christi, die Gegenwart Seines heiligsten Herzens mit all Seiner Barmherzigkeit durch das Sakrament der heiligen Eucharistie ermöglichen.

So sehen wir, dass wirklich das Priestertum Jesu Christi, fortgesetzt in der Kirche und gegenwärtig in jedem Priester, das größte Zeichen der Barmherzigkeit Gottes ist. Die Barmherzigkeit Gottes ist deswegen für uns nicht ein bloßes Gefühl, sondern eine objektive Sicherheit. Wenn wir uns der Wahrheit Jesu Christi zuwenden, wenn wir die Vergebung des Herrn in der Beichte empfangen, wenn wir in der hl. Kommunion und in der Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes Christus begegnen, dann wissen wir: Die Barmherzigkeit ist Mensch geworden, sie lebt mitten unter uns und entzieht sich uns niemals. Auch die vielen, die heute leiden müssen, die Christen, die auf der Flucht sind, die ihre Heimat verloren haben, sie haben eine Sicherheit, die Sicherheit der Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Sakrament, die Sicherheit Seiner Vergebung und die Sicherheit Seiner Wahrheit, die in jeder neuen Heimat, die sie finden werden, ihnen wieder zur Verfügung gestellt wird durch das Priestertum der Kirche.

Deswegen danken wir Ihnen, hochwürdiger Herr Kanonikus, von ganzem Herzen, dass Sie „Ja“ gesagt haben, dass Sie durch Ihr Beispiel auch anderen die Freude am Priestertum geschenkt haben und durch Ihr priesterliches Wirken in unseren Apostolaten viele Berufungen hervorgerufen haben. Sie sind auch in unserem Priesterseminar in Gricigliano ein geschätzter Seelenführer. Ihre priesterliche Existenz, Ihre Bereitschaft, sich wie Christus für die Herde zu opfern, hat andere Berufungen nach sich gezogen und so ist Wirklichkeit geworden, was wir hier jeden Tag mit der ganzen Kirche beten und worum wir Christus bitten: „Herr, schenke uns Priester; Herr, schenke uns heilige Priester; Herr, schenke uns viele, heilige Priester.“ Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am Ostersonntag, dem 17. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Victimae paschali laudes immolent christiani. « Singet Lob dem Osterlamm!“ Das Osterlamm, Christus, ist für uns geopfert worden. Was bedeutet das? Was können wir über dieses einzigartige Opfer für uns und die Welt verstehen, damit wir unsere Situation vor Gott besser begreifen können?

Dass dieses Opfergeschehen von größter Bedeutung war, sehen wir am leeren Grab. Es ist nicht irgendein Tod. Es ist nicht das Entstehen irgendeiner weiteren, auf einem Mythos gegründeten Religion wie bei so vielen, mit denen die Menschen in der Geschichte versucht haben, sich Gott gnädig zu stimmen. Die Auferstehung Christi ist vielmehr ein ganz einzigartiges, nie vorher dagewesenes Ereignis. Es ist von vielen Zeugen, die für die Wahrheit ihrer Botschaft das Leben gelassen haben, bezeugt. Diese Tatsache zeigt uns wirklich, dass das Lamm der Ewigkeit sich für uns geopfert hat.

Begreifen wir, Geliebte, die kosmische Dimension des Osterfestes! Wir in unserer kleinen Welt, im unendlichen Universum so groß wie ein Staubkorn, sind von Gott als einzige körperliche freie Lebewesen geschaffen worden, damit Er Seine trinitarische Liebe uns mitteilen kann, damit wir, jeder einzelne und wir alle zusammen, in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen werden können. Deswegen hat Er auf diesem nur Staubkorn-großen Planeten Leben geschaffen und Freiheit geschenkt. Als wir aber diese Freiheit missbraucht haben, als wir das Böse in die Welt hineinkommen ließen dadurch, dass wir, die geliebten freuen Geschöpfe Gottes, sich in dieser Freiheit gegen ihn erhoben haben, hat Er uns nicht allein gelassen. In seiner unendlichen Liebe zu uns, hat Er schon vor aller Zeit beschlossen, dass Er sich für seine Geschöpfe opfern will!

Deswegen ist Er in die von Ihm geschaffene Zeit hinabgestiegen, hat einen menschlichen Leib, ein menschliches Herz, eine menschliche Natur angenommen, um sich aus gottmenschlicher Liebe für uns opfern zu können. Damit hat sich alles geändert! Das von der Auferstehung als gültig besiegelte Opfer der Liebe ändert nicht nur unser eigenes Leben, sondern das Schicksal des gesamten Universums. Hier wird alles von Gott neu geschaffen! Nun können wir  begreifen, warum wir gerade in der Ostersequenz gehört haben: Mors et vita duello conflixere mirando: dux vitae mortuus regnat vivus. „Tod und Leben rangen im wundersamen Zweikampf: Der gestorbene Fürst des Lebens herrscht jetzt lebend.“

In diesem entscheidenden Zweikampf, den Gott vor aller Zeit vorausgesehen hat, weil Er uns retten wollte, wird noch einmal und endgültig Tod und Leben, das Gute und das Böse, in einem Endkampf gegenübergestellt: Das Leben, der König, der Schöpfer und Erlöser, ist der Sieger und damit ändert sich alles von Neuem, wird alles neu geschaffen, wird jedes Herz guten Willens der Gnade geöffnet. In diesem Moment wird das durchbohrte Herz des auferstandenen Herrn, Zeichen dieses Zweikampfes und des Sieges, für uns das Tor von der Zeit in die Ewigkeit, das verschlossen war, aber nun für immer offen bleibt!

Wir feiern heute die wunderbare Tatsache, dass dieses Tor wieder geöffnet worden ist!  Wir feiern, dass Gott durch das Opfer Jesu Christi und seine glorreiche Auferstehung bewirkt hat, das die menschliche Natur, die er wunderbar geschaffen hat, noch wunderbarer wiederhergestellt wird!  Heute wird uns offenbart, dass die Zeit der Menschen nicht mehr in der Sklaverei der Sünde in sich verschlossen ist, sondern das Tor die Gnade weit geöffnet wurde!  Wir alle können dadurch teilhaben an der Herrlichkeit des Herrn!  

Deswegen verstehen wir auch, warum die Kirche die Osternacht mit solcher Feierlichkeit begeht. Deswegen verstehen wir, warum wir heute Morgen alle eingeladen sind, das Lob des Osterlammes zu singen, denn am Kreuz hat sich der höchste und wunderbarste Ausdruck aller Religion ein für allemal verwirklicht: Das Kreuzesopfer, das sich in der heiligen Messe unblutig erneuert, ist die Liturgie aller Zeiten. Hier sind alle Versuche des Menschen, Gott gnädig zu stimmen, erhöht, zusammengefasst und von Gott selbst vollendet worden. Deswegen hat der Herr, das Osterlamm, gesagt vom Kreuz herab: „Consummatum est“, „Es ist vollbracht.“: Eine erhabenere Liturgie, ein größerer Opferakt, eine herrlichere Offenbarung des Sieges des Herrn ist nicht mehr möglich.

Schließlich, in seinem großen Erbarmen hat der Herr uns nicht nur einmal diesen endgültigen und höchsten Akt liturgischer Gottesverehrung geschenkt, sondern diese Gottesverehrung geht weiter in der Kirche und  wird am Ende der Zeiten fortgesetzt werden in der Ewigkeit. Dort werden die Geretteten mit den Engeln und Heiligen zusammen vor dem Lamm, das geopfert bleibt, singen dürfen: „Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen!“. Die Liturgie, die wir hier auf Erden feiern, ist nur ein schwaches Abbild dessen, was auf uns wartet. Die Liturgie der Kirche ist gleichsam in die Ewigkeit hinein eine Verkündigung der noch größeren Herrlichkeit Gottes, zu deren Verehrung wir gerufen sind, ja, deren Verehrung den eigentlichen Grund und den ganzen Sinn unseres Lebens ausmacht.

Dann werden wir in der trinitarischen Liebe, die sich uns im Osterlamm zeigt, vereint sein. Dann werden wir begreifen, warum wir haben mitleiden müssen, um durch Dunkel zur Helle gerufen zu werden. Dann wird uns alles klar, dann sehen wir: Heute und an jedem Ostermorgen ist ein kosmisches Ereignis passiert, das alles neu geschaffen hat, das alles ändert, das unser Leben ganz ergreifen muss und das die Kirche zu jenem Heilsinstrument macht, durch das alle eingeladen sind, um das Osterlamm auf ewig zu verehren.

Deswegen sind wir heute gerufen, das Osterlamm von ganzem Herzen zu loben, deswegen ist unsere Freude echt und deswegen hat sich die ganze Welt gewandelt: Der Sieger über Tod und Teufel ist erstanden und wir dürfen an seinem Sieg teilhaben und ihn loben mit der ganzen Christenheit: Victimae paschali laudes immolent Christiani.

Amen, alleluja.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am Karfreitag, dem 15. April 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Mitleiden! Uns anderen Menschen mit einem wirklichen Herzensmitleid zuwenden! Gelingt uns das noch? Wissen wir noch wirklich, was Mitleid ist? Jemanden mitleidig anblicken: Das hat in unserer Sprache schon einen hochmütigen Beigeschmack angenommen. Mitleid erheischen, von jemandem Mitleid erwarten, das ist gar eine fordernde Haltung.  Schon Friedrich Nietzsche hat fälschlich das Mitleid als eine Haltung der Schwachheit und der Niedrigkeit befunden. Sein Übermensch, der große, starke, erfolgreiche, kennt kein Mitleid mit den Armen, den Kranken und den Beladenen. Diese Haltung ist mehr und mehr eine Grundhaltung vieler in unserer Gesellschaft geworden, die oft statt Mitleid nur den Ruf nach staatlichen Maßnahmen oder gar nach Abtreibung und Euthanasie kennen.

Wir aber dürfen am heutigen Tag, dem hochheiligen Karfreitag, an dem der König des Universums für uns am Kreuz stirbt, von Ihm und von der treuen Gruppe unter dem Kreuz das wirkliche, das christliche Mitleid lernen. Blicken wir dazu auf die Figuren, die an dieser Kreuzesszene teilnehmen.

Zunächst ist da der gekreuzigte Herr. Er gibt als Grund Seines Todes das Mitleid und das Erbarmen an. Schon lange vorher hat Er gesagt: „Misereor super turbam.“ (Mk 8, 2). „Ich erbarme mich der Menge.“  Damit will er sagen: ‚Ich habe Mitleid mit euch Sündern. Für euch bin ich gekommen und für euch will ich sterben‘. Er zeigt uns Mitleid, indem Er uns noch vom Kreuz herab alle unsere Sünden vergibt. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23, 34).

Er zeigt uns Sein Mitleid, ganz ohne Hochmut und Herablassung. Denn hat Er uns, wie Er uns selbst offenbart hat, zuerst geliebt. Er bemitleidet uns nicht aus Hochmut, sondern aus wirklicher Erlöserliebe, die sich ganz uns schenkt, bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Er bemitleidet uns aus einer Freundschaft heraus, die Er selbst geschaffen hat, denn Er hat gesagt: „Ich habe euch Freunde genannt.“ (Jo 15, 15). Damit hat Er uns durch die Gnade zu Seinen Freunden gemacht, derer Er sich nun erbarmt und für deren Elend als Sünder Er Mitleid zeigt. Dieses Erbarmen, das ganz deutlich aus allen Worten des Herrn spricht, das Ihn dazu bringt, zum Schluss zu sagen: „Consummatum est“ (Jo 19,30), gleichsam ,das Werk meines Mitleidens ist vollbracht‘, kann uns lehren, dass wirkliches Mitleid nichts mit hochmütiger Herablassung zu tun hat. Echtes Mitleid kommt aus einem liebenden Herzen, aus dem Herzen des Freundes, der sich wohl aus göttlicher Höhe herablässt, aber sich tief erbarmt aller Leiden, aller Schmerzen, aller Schwierigkeiten und aller Beladenheiten derer, die Seinem Herzen nahestehen.

Diese Haltung wird ebenso deutlich bei der nächsten Person der Kreuzigungsszene, die auch uns immer wieder ihr Mitleid zeigt, nämlich bei der Mutter des Herrn, die Er vom Kreuz herab unsere Mutter genannt hat. Nicht nur leidet sie mit ihrem Sohn, sie vereinigt sich ganz mit diesem Mitleiden, mit der compassio, mit dem wirklichen Sühneleiden ihres Sohnes, sodass sie unter dem Kreuz in diesem Leiden zur Miterlöserin wird.

Der tiefste Grund dieser Miterlösung ist zunächst verborgen: Wir können eine Mutter verstehen, die, als sie ihren Sohn am Kreuz Seinen letzten Blutstropfen vergießen sieht, unendlich leidet, mit Ihm leidet und all Sein Leiden teilen will. Aber noch mehr tut sie, viel mehr, aus Mitleid mit uns, denn sie ist auch unsere Mutter. Sie gibt ihr einziges Kind freiwillig hin, und zwar bewusst als Opferlamm für unsere Sünden.  Sie leidet nicht nur mit dem liebsten Menschen, den sie hat, sondern sie stimmt in den Opferakt Christi ein und vereinigt sich mit Ihm in dieser Ganzhingabe, in der Er für die Sünder, die sich immer wieder von Ihm wegwenden, trotzdem aus liebendem Mitleid stirbt. Deswegen nennen wir sie zurecht mater misericordiae, die Mutter der Barmherzigkeit.

Das sind für uns große, fast unerreichbare Beispiele wirklich gottmenschlichen und ganz gnadengetragenen Mitleids. Aber wenn wir die übrige Gruppe unter dem Kreuz betrachten, dann wird das Mitleid auch für uns noch menschen-möglicher, noch zugänglicher. Denn wir sehen erstens Maria Magdalena, die aus Mitleid fast unter dem Kreuz stirbt. Ihr Herz wird zerrissen, weil ihr geliebter Heiland dort leidet. Sie weiß, Er leidet auch für ihre Sünden! Dieses Mitleid ist das Mitleid, das wir empfinden können, wenn ein ganz geliebter Mensch stirbt oder leiden muss. Nicht für unsere Sünden, aber doch ganz unserem Herzen nahe, ganz uns verbunden, sodass sein Leiden unser Herz im Mitleiden zerreißt. Dann nicht wegzugehen, dann den Sterbenden, den Schmerzbeladenen zu trösten, das gleicht Maria Magdalena, die trotz allen Schmerzes treu unter dem Kreuz bleibt und sich dem Mitleid nicht entzieht.

Sehen wir nun den hl. Johannes, den Lieblingsjünger des Herrn. Er leidet mit dem Herrn, den er vorher verlassen hat, weil er nun aus Freundschaft treu leiden will. Er war der Freund des Herzens unseres Herrn. Er kehrt zurück! Er lässt den Herrn in der Todesstunde schließlich nicht allein. Wir sind Freunde genannt worden. Wir sind zu Freunden gemacht worden. Wir können deswegen nicht nur den Herrn in Seinem Leiden nicht verlassen, sondern wir sind auch berufen, unseren eigenen Freunden, unseren Verwandten, Nachbarn und denen, die uns nahe stehen, in ihrem Leid, das nicht nur körperlich sein muss, beizustehen und sie nicht zu verlassen. In ihnen tritt uns das Leiden Christi gegenüber. Aus ihnen spricht der Herr zu uns, der in der Todesnot zu den Aposteln sagt: „Könnt ihr nicht wenigstens eine Stunde mit mir wachen?“ (Mt 26, 40).

Und schließlich ist da Maria Kleopha, die sich, wie so viele gute Frauen und so viele andere Menschen, des Leidenden erbarmt. Die, wie tausende, die Kranke pflegen, wie viele Mütter und Väter, wie so viele Menschen, die Gutes tun, unter dem Kreuz bleibt, weil der Herr ihr von Herzen leidtut, aus einem echten menschlichen und christlichen Erbarmen. In dieser Welt zählt oft nur noch Erfolg, Geld und Größe. Dabei sind die größten Schätze der Kirche, darauf hat der kranke Papst Johannes Paul II. hingewiesen, unsere Kranken, die größten Schätze sind die geistig und materiell Armen im Geiste und, alle jene, die wirklich unserer Hilfe bedürfen. Wir brauchen dafür nicht in die Ferne zu gehen. Sie sind um uns herum. Erbarmen wir uns ihrer, dann tun wir, wie Maria Kleopha unter dem Kreuz, dem sterbenden Herrn einen Dienst. Wir trösten Ihn, weil wir mit Ihm und ihnen leiden! So dehnen wir Sein großartiges Werk der Erlösung, das ein Werk der Barmherzigkeit ist, auf die vielen aus, die ohne uns alleine wären und die ohne uns in ihrem Schmerz ungetröstet blieben.

Wir können also von unserem Herrn Jesus Christus, der heute am Kreuz stirbt, von Seiner Mutter, der Miterlöserin für unsere Sünden, von der kleinen Freundesgruppe unter dem Kreuz das wahre christliche Mitleid lernen. Wir können lernen, wie man wirkliches Mitleid gibt: aus Liebe, aus Freundschaft, aus Herzenserbarmung.Wir können aber auch lernen, wie man Mitleid empfängt, wie man sich ohne falsche Scham helfen lässt, nach der Liebe des anderen dürstet und danach fragt, wie man dankbar ist für Hilfe, Schutz und Unterstützung, Wir sehen am Herrn selber, dass Er bis zum Schluss, bis zu dem dramatisch-einfachen Wort „Mich dürstet“ (Jo 19,28), auf unsere Liebe und auf unser Mitleid wartet und hofft.

Für den Herrn gibt es keine Zeit, sondern nur Ewigkeit. Er wartet heute noch, auch jetzt, in dieser Stunde, in jeder Minute unseres Lebens auf unser Mitleid. Die Antwort, die wir geben können, Ihm und den vielen anderen, die des Mitleids bedürfen, ist eine Antwort der Liebe, der Freundschaft und der Barmherzigkeit. Wenn wir heute das Kreuz andächtig verehren, dann geben wir diese Antwort, nicht nur äußerlich, sondern auch in unseren Herzen: Wir wollen das christliche Mitleid pflegen, es soll nicht sterben in dieser Zeit. Der Herr ist aus Mitleid mit uns gestorben. Nur durch dieses göttliche Mitleid leben wir und lebt das echte christliche Mitleid! Vereint mit dem Erbarmen des Herrn tragen wir dazu bei, dass die Menge, derer er sich erbarmt hat, wirklich gerettet werden kann!

Amen.

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz an Fronleichnam, 16. Juni 2022

Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz an Fronleichnam, 16. Juni 2022

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen.

„So tun, als ob.“ Vorgeben, als wäre etwas Wirklichkeit, wenn man doch weiß, dass es nicht wahr ist.

Das tun die kleinen Kinder. Sie spielen Kaufladen, sie spielen Familie, sie spielen Cowboy oder sogar Priester. Wenn sie so spielen, dann sind sie sich in ihrem Eifer oft gar nicht ganz bewusst, dass es ein Spiel ist. Erst nachher kehren sie zurück in die Wirklichkeit und wissen, sie haben nur so getan, als ob. Auch die Erwachsenen hören oft genug nicht auf zu spielen. Sie tun fast unentwegt, als ob! Als ob sie wichtig wären, als ob sie reich wären, als ob sie von allen angesehen wären. Wenn die Erwachsenen so tun, als ob, dann glauben sie oft sogar das, was sie den anderen vormachen. Viele leben darüber hinaus leben heute fast ganz in virtuellen Welten des Internets. Vor dem Computer tun sie den ganzen Tag „als ob“ und vergessen darüber oft das wirkliche Leben. Wenn wir unsere Gesellschaft ansehen, dann können wir uns fragen: Tun wir nicht alle ein bisschen „als ob“? Als ob alles in Ordnung wäre? Und die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Menschen tun gerne „als ob“, um vor sich selbst und den Tatsachen zu fliehen!

Derjenige, der nie so tut „als ob“, Den feiern wir heute in feierlicher Form im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Jesus ist Gott! Er hat nicht nötig zu tun „als ob“. Er, der von Sich sagen kann: „Bevor Abraham war, bin Ich“ (Jo 8, 58), ist der wahre Gott, der aus dem Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, das wir am letzten Sonntag gefeiert haben, hinabgestiegen ist in diese Welt; mit all Seiner göttlichen Kraft und Vollmacht. Deswegen kann Er Wunder wirken. Deswegen kann Er jenes „Dauerwunder“ der Hl. Eucharistie der Kirche schenken, das niemals aufhört bis zum Ende der Zeit. Weil Er Gott ist, ist Er von den Toten auferstanden, um uns Zeugnis zu geben von der Gottheit und uns zu zeigen, dass Er niemals tut „als ob“.

Ebenso tut er nicht so, als ob er Mensch wäre. Er ist ganz Mensch geworden, vom Fleisch und Blut Seiner jungfräulichen Mutter geboren, ist Er in das Elend unserer Menschheit hinabgestiegen, so sehr, dass er in Seinem Leib und Seinem Blut hat leiden können, dass Er unsere Tröstung braucht, dass Er sich an die Apostel wendet und ihnen sagt: „Könnt ihr nicht wenigstens eine Stunde mit mir wachen?“  (Mt 26, 40).

Der Herr ist so sehr ganz Mensch, dass Er uns im heutigen Geheimnis Seinen Leib und Sein Blut schenken kann. Er will sich mehr mit uns vereinigen als jeder Mensch es kann, weil Er uns Seinen Leib und Sein Blut zur Speise gibt, zur Speise des ewigen Lebens. Auch hier kann Er, weil Er Gott ist und ganzer Mensch, die Wirklichkeit verändern. Er tut nicht „als ob“. Er ändert, was nur Gott ändern kann, und Er schenkt uns, was nur der Mensch geben kann: Statt Brot und Wein Seinen heiligen Leib und Sein heiliges Blut!

Weil Er niemals so tut „als ob“, deswegen ist Er durch das Geheimnis der Inkarnation in der Einheit von Menschheit und Gottheit auch in der Lage, jenes einzigartige Opfer des Kreuzes, mit dem Er unsere Sünden auf sich nimmt und als Opferlamm für uns alle am Kreuze stirbt, am Kalvarienberg ein für alle Mal zu vollbringen.  Er tut nicht, als ob, sonst könnte Er Gott, dem Vater, nicht zurufen: „Es ist vollbracht“ (jo 19, 30), also „Die Menschen sind erlöst“! Weil er mit dieser Tat und diesem Wort die Geschichte durchbricht, ist er durch göttliche Kraft auch fähig,  dieses Erlösungsopfer weiterzuführen in die Geschichte hinein, in jeder Hl. Messe, auf jedem katholischen Altar, an dem nach dem Willen der Kirche Sein Opfer gültig vollzogen wird.

Wenn der Priester spricht: „Das ist mein Leib“, „das ist mein Blut“, dann schenkt sich der sich opfernde Herr uns von neuem ganz! Sein Erlösungsopfer wird unblutig erneuert sowie die Gnade der Erlösung und des Heiles neu über uns ausgegossen. Jede katholische Kirche ist deswegen ein äußeres Zeichen dafür, dass Gott, der Mensch und Erlöser, niemals tut „als ob“. Wenn die Kirche als Ganze dieses Erlösungsopfer fortführt, wenn sie uns zur Hl. Messe am Sonntag und möglichst jeden Tag einlädt und anhält, dann lädt sie uns nicht zu einem Theaterspiel ein: Auch die Kirche tut nicht „als ob“. Sie hat vom Gottmenschen Jesus Christus im Priestertum den Auftrag und die Vollmacht erhalten, weiterzuführen, was der Herr eingesetzt hat. Immer wieder wird auf ihren Altären das Brot und der Wein in Seinen Leib und Sein Blut verwandelt. Hier ist nichts „als ob“, denn der Herr hat gesagt: „Das ist Mein Leib und das ist der Kelch Meines Blutes.“ (vgl. Mk 14, 24; Lk, 22,20).

Es ist kein Zweifel, dass Gott, der alles verändern kann, hier in die Geschichte eingreift, uns neue Hoffnung gibt. Im Dunkel des Zeit ersteigt der Höchste als Gottmensch den Thron der Kreuzes  um uns zu erlösen. So erstrahlt das Licht der Ewigkeit im Nichts der Zeit. Deswegen ist unsere Antwort auch  die Antwort eines ganz christlichen Lebens. Wir sollten Gott gegenüber alles „als ob“ ablegen! Er gibt sich uns ganz, als ganz wahrer Gott, als ganz wahrer Mensch. Er opfert sich für uns alle, weil er uns grundlos und göttlich liebt. Geben wir Ihm die einzige Antwort, die dem entsprechen kann, nämlich das Geschenk unseres eigenen Lebens! Wenn wir Ihn heute in der Hostie verborgen über das Engelporter Land tragen, dann soll das ein Zeichen dafür sein, dass wir mit allem „als ob“ aufhören wollen. Wir wollen, dass unser ganzes Leben nicht nur eine äußere Fassade sei, sondern ein ehrliches christliches Bekenntnis. Wir empfangen gleich vor der Prozession nach einer würdigen Beichte Seinen Leib und Sein Blut. Sagen wir Ihm jetzt: „Verwandle uns in Dich, mache unser Herz zu Deinem Herzen, damit wir nicht nur so tun, als ob wir Christen wären, sondern wirklich Christen sind, Dir mutig nachfolgen und mit Dir in die Herrlichkeit des Himmels gelangen!“ Amen.

Predigt zum 4. Sonntag nach Ostern

Predigt zum 4. Sonntag nach Ostern

Msgr. Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Alles Gute kommt von oben. Das haben wir gerade in der Lesung gehört und es ist auch die 2000jährige Erfahrung der Kirche. Das Gute schickt uns Gott vom Himmel her, damit wir es bewahren, damit wir es weitergeben, damit es uns zur ewigen Rettung führt. Das Beste aber, was wir bekommen haben, ist Jesus Christus selbst, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Als Er zum Vater gegangen ist, hat Er uns diese Heilswahrheit hinterlassen, eine Wahrheit, die von oben kommt, eine Wahrheit, die uns retten kann, eine Wahrheit, die uns Gott in Ihm und durch Ihn mitgeteilt hathat. Das heutige Evangelium lehrt uns genau, was es mit dieser Wahrheit auf sich hat und wie sie durch die Geschichte hindurch bewahrt worden ist.

Zunächst kommt diese Wahrheit von Christus. Er ist der endgültige Offenbarer, in Ihm ist alle Wahrheit beschlossen und Er hat sie in menschlich verständlicher Sprache den Aposteln und Seiner Kirche weitergegeben. Diese Wahrheit aber, so sagt Er uns heute im Evangelium, bleibt nicht einfach ungeschützt, so wie menschliche Wahrheit, die dem Irrtum unterworfen ist. Die Wahrheit Jesu Christi besitzt einen ganz besonderen Schutz, den der Herr selber den Parakleten nennt, den Tröster: Der Heilige Geist, der die Wahrheit Christi nicht nur schützt, sondern der uns in die ganze Wahrheit einführt und der im Laufe der Geschichte der Kirche uns diese Wahrheit erschließt, damit wir sie immer besser kennenlernen. Ohne das Wehen des Heiligen Geistes in der kirchlichen Überlieferung wäre die Wahrheit, die der Herr uns geschenkt hat, schon längst verbogen worden und wäre nicht unverfälscht zu uns gelangt. Wie aber geschieht das? Es geschieht auf zweierlei Weise.

Zunächst einmal dadurch, dass die Wahrheit, die Christus selbst verkündet hat, von den Aposteln aufgenommen wurde, unverfälscht weitergegeben wurde und von ihnen und den Evangelisten aufgeschrieben wurde zu unserem Heil. Es gibt eine schriftliche Offenbarung, die wir in den Büchern der Heiligen Schrift finden. Diese schriftliche Offenbarung, das Aufschreiben der Wahrheit Jesu Christi, ist abhängig vom Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche. Der Kanon der Heiligen Schriften, also die Zahl der authentischen Schriften, die die Offenbarung in den verschiedenen Büchern der Bibel enthalten, ist nämlich von der Kirche selbst festgelegt worden. Es gab anfänglich viele so genannte apokryphe, das heißt nicht authentische und teilweise gefälschte sogenannte Evangelien und Apostelbriefe. Papst Damasus I, unter anderem beraten von dem heiligen Schriftkenner und Kirchenlehrer Hieronymus, hat mit dem Konzil von Rom 382 festgelegt, welche Schriften unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Wahrheit der Offenbarung unverfälscht enthalten.

Also hier bereits hat der Heilige Geist eingewirkt, als das Falsche vom Wahren geschieden wurde. Damit sind auch die Bücher, die wir die apostolischen nennen, und die Bücher des heiligen Paulus anerkannt worden und haben durch die Kirche das Siegel der Wahrheit im Heiligen Geist erhalten, damit wir wissen, dass auch Schriften, die nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgehen, aber die von den Aposteln unter dem Einfluss des Heiligen Geistes aufgeschrieben worden sind, zum Schatz der kirchlichen Wahrheit gehören.

Die Schrift selbst lehrt uns jedoch (z.B. Jo 21, 25), das nicht alles ist in diesen Büchern aufgeschrieben; nicht alles, was der Herr getan und gelehrt hat, ist demnach in der Heiligen Schrift enthalten. Es gibt nicht, wie viele Protestanten lange behauptet haben, eine Art Selbstgenügsamkeit der Schrift, so als wenn jemand, der die Schrift alleine liest und interpretiert, schon daraus die ganze Wahrheit Jesu Christi erkennen könnte.

Der Geist Gottes weht weiter in der Kirche. Der Herr sagt uns eindeutig, dass er wird uns in die ganze Wahrheit einführen. Er wird uns Wahrheiten aufschließen, wie Er den Aposteln erklärt, „die ihr heute noch nicht tragen könnt.“ So ist durch die ganze Kirchengeschichte hindurch im Wirken des Lehramtes unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Überlieferung der Wahrheit Jesu Christi nicht nur bewahrt, sondern auch tiefer erklärt und aufgeschlossen worden. Viele große Heilswahrheiten haben wir durch den Einfluss des Heiligen Geistes im Wirken des Lehramtes erst im Laufe der Jahrhunderte tiefer erkannt.

Andere Dinge, die dunkel und verschlossen in den Heiligen Schriften waren, hat uns der Heilige Geist erklärt, hat im Lehramt der Kirche die richtige Formulierung den Päpsten und Bischöfen, die mit dem Papst in Einheit sind, auf den Konzilien eingegeben und damit die katholischen Dogmen und das ganze Lehrgebäude der Kirche, das die Offenbarung Jesu Christi erklärt, errichtet und bis heute bewahrt. Deswegen ist der erste und wichtigste Maßstab, den die Kirche von Jesus Christus selbst erhalten hat und dem sie folgen muss, wenn sie die Wahrheit der Heiligen Schrift und die Wahrheit der Offenbarung Jesu Christi richtig verstehen, interpretieren und weitergeben will, der Maßstab der göttlichen Überlieferung, den wir auch die Tradition nennen. Sie ist die norma normans der Schrift, die erklärende Glaubensregel, während die Schrift die norma normata ist, die erklärte Glaubensregel. Der wirkliche und endgültige Maßstab dessen, was offenbarte Wahrheit in der Kirche ist, ist daher die auf Jesus Christus und die Apostel zurückgehende Überlieferung.

Alles, was dieser Überlieferung, die vom Heiligen Geist geleitet und gelenkt wird, widerspricht, wenn es sich auch in große Worte hüllt und auf scheinbar synodalem Wege zu uns kommt, ist nicht mit der Wahrheit Jesu Christi konform. Wir müssen immer darauf achten: Ist das, was man uns lehrt, immer gelehrt worden? Ist es in der Einheit des Lehramtes, die auf Petrus und die Apostel zurückgeht, immer vorhanden gewesen? Ist es, wenn wir es besser verstanden haben, nur ein Aufschluss der bereits offenbarten Wahrheit oder ist es eine neue, menschliche Erfindung? Widerspricht es gar ausdrücklich den Worten der Heiligen Schrift und der immer aufrecht erhaltenen Überlieferung? Wenn es das tut, dann ist es einfach falsch, dann ist es nicht katholisch, es kommt nicht vom Heiligen Geist und geht nicht auf unseren Herrn Jesus Christus zurück!

Wenn wir also in Zeiten der Verwirrung katholisch bleiben wollen, dann blicken wir auf die Überlieferung der Kirche. Dann sehen wir, was in den Dogmen, Glaubensregeln und Katechismen aller Zeiten der Herr uns durch das Lehramt mitgeteilt hat, dann halten wir fest, was wir selber als Kinder von unseren Priestern und Eltern empfangen haben, so wie diese von ihren. Dann stehen wir in der lebendigen Überlieferung der Kirche, die vom Heiligen Geist bis heute getragen wird!

Es hat in der Kirche immer Stürme gegeben, immer Häresien, immer Schwierigkeiten und Glaubenskämpfe, von den ersten Anfängen der Kirche bis zum heutigen Tag, aber immer hat der Heilige Geist die Kirche getröstet. Er ist wirklich der Paraklet, der die tröstende Heilswahrheit Christi überliefert und der diese überlieferte Wahrheit für uns bewahrt. Bleiben wir dieser Überlieferung treu und halten wir uns an das Wort des hl. Paulus im ersten Korintherbrief (11, 23) wo er sagt: „Ich habe euch nur überliefert, was auch ich empfangen habe.“ Wir haben in der Kirche die ganze Wahrheit von Christus empfangen. Sie ist durch den Heiligen Geist im Lehramt der Kirche aller Zeiten unversehrt bis heute überliefert worden. Sie ist der immer gültige, bleibende Maßstab unseres Glaubens. Halten wir uns an diese ewige Wahrheit, die Christus ist, und wir werden gerettet werden! Amen.